Gesinnungsdruck
Freitag 1. April 2022 von Dr. Joachim Cochlovius
Zur Freiheit gehört auch die Gedanken- und Gesinnungsfreiheit. Seit mindestens einem Vierteljahrhundert beobachte ich als früherer DDR-Bürger, der das freiheitliche Staatssystem der Bundesrepublik Deutschland liebt und schätzt, im öffentlichen Diskurs eine zunehmende Unwilligkeit, Ablehnung und geradezu Feindschaft gegenüber Gedanken, Meinungen und Gesinnungen, die den eigenen Überzeugungen entgegenstehen. Die Kraft, gegenteilige Meinungen stehen zu lassen, und die Bereitschaft, dafür einzutreten, dass solche Meinungen auch öffentlich geäußert werden dürfen, nehmen spürbar ab. Wer an einem vielfältigen Meinungsbild in unserer Gesellschaft interessiert ist, sieht diese Entwicklung mit Sorge.
Mittlerweile kann man diesen Gesinnungsdruck auf vielen Politikfeldern beobachten. Wer z.B. in der Sexualpolitik, in der Klimapolitik, in der Bevölkerungspolitik, in der Verkehrspolitik, in der Schulpolitik oder jetzt aktuell in der Impfpolitik eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt, wird schnell „beschwiegen“, ausgegrenzt oder diffamiert, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Freundes- und Familienkreis. Ich erinnere mich noch gut an die Vorträge des österreichischen Systemforschers Prof. Johann Millendorfer (gest. 2001), der immer wieder darauf hinwies, dass zu einer vitalen Gesellschaft unbedingt die Vielfalt der Meinungen gehört.
Jüngste Beispiele des Gesinnungsdrucks sind die Kündigungen russischer Künstler und die fristlose Entlassung des Vorstands einer bekannten Krankenkasse. Genaueres dazu: Ende Februar hat der Münchner Oberbürgermeister dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Waleri Gergijew ein Ultimatum mit der Auflage gestellt, „sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren“. Nachdem das Ultimatum ohne das gewünschte Ergebnis verstrichen war, wurde Gergijew mit sofortiger Wirkung entlassen. „Es wird damit ab sofort keine weiteren Konzerte der Münchner Philharmoniker unter seiner Leitung geben“, erklärte der Oberbürgermeister. Mittlerweile hat die schwedische Tonträgerfirma BIS Records erklärt, dass sie künftig keine Aufnahmen mit Gergijew mehr verkaufen wolle. Ähnlich erging es der bekannten russischen Sängerin Anna Netrebko, deren Engagement von der Bayrischen Staatsoper aufgrund „einer nicht ausreichenden Distanzierung“ annulliert wurde. Sie hatte zwar erklärt, dass sie „gegen diesen Krieg“ sei und gebeten, „russische Künstlerinnen und Künstler nicht zu politischen Meinungsäußerungen zu zwingen“, aber das genügte dem Leiter der Bayerischen Staatsoper nicht. Offensichtlich möchte man in der Münchner Kulturpolitik gleichförmige Meinungen haben.
Auf einem anderen Politikfeld, in der Impfpolitik, gab es kürzlich einen ähnlichen Fall von Gesinnungsdruck. Der Vorsitzende der Krankenkasse BKKProVita Andreas Schöfbeck hatte unter der Überschrift „Heftiges Warnsignal bei codierten Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung“ am 21.2.2022 an das Paul Ehrlich Institut geschrieben und „eine sehr erhebliche Untererfassung von Verdachtsfällen für Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung“ angenommen. Da er seine Annahme mit Belegen aus den Rückmeldungen von Ärzten stützte, konnte man eigentlich eine rein fachliche Beantwortung seitens des Paul Ehrlich Instituts erwarten. Statt dessen erhielt A. Schöfbeck am 1.3.2022 vom Verwaltungsrat das Entlassungsschreiben mit sofortiger Wirkung.
Das sind Vorgänge, die kein günstiges Licht auf die Streitkultur in Deutschland werfen. Wenn Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, nur aufgrund ihrer Abweichung von den gerade gängigen politischen Mehrheitsmeinungen diffamiert oder wie auch immer unter Druck gesetzt werden, dann nähern wir uns allmählich wieder dem in der Ex-DDR gepflegten Meinungseinheitsbrei an. Dieser Tage kam mir ein Appell des Stollberger Bürgermeisters Marcel Schmidt vor Augen, der sich in seinem Ort in der Corona-Politik für Meinungsvielfalt einsetzt. Was er Mitte Februar im „Stollberger Anzeiger“ schrieb, kann ich in Erinnerung an alte und Gott sei Dank überholte DDR-Zeiten nur unterstreichen.
„Ich habe bis zum Alter von 17 Jahren in der russischen Besatzungszone/DDR gelebt. Dann kam die Wende. In der DDR gab es keine politische Freiheit. Der Staat unterschied in „ordentliche Demonstrationen“ und andere. Andere waren verboten. Kritische Meinungen zu politischen Entscheidungen des Staates waren verboten. Kritische Meinungen zur Wirtschaftslenkung waren auch verboten. Im Ergebnis fanden sowohl das politische als auch das wirtschaftliche System DDR ihr jeweiliges jähes Ende – kurz nach der Geburtstagsfeier; wohl auch deshalb, weil Kritik nicht gewollt und nicht zugelassen war. Damit hatte auch der Rest des Glücks der einzelnen DDR-Bürger sein Ende: politisch wie auch wirtschaftlich waren auch die Einzelnen mit einem Mal ohne Perspektive – bis zur Wiedervereinigung.“
Die freiheitliche Grundordnung unseres Landes ist ein kostbares Gut. Sie gehört zum Besten, was Deutschland zu bieten hat. Der Prophet Jeremia forderte seine deportierten Landsleute in Babel auf, „der Stadt Bestes“ zu suchen (Jer 29,7). Wir sollten diesen uralten Appell neu ernstnehmen.
Pastor Dr. Joachim Cochlovius
Aus: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes (März 2022)
Die aktuelle Ausgabe des Aufbruchs kann hier heruntergeladen werden. Wenn Sie den Aufbruch kostenlos abonnieren möchten, schreiben Sie bitte an info@gemeindehilfsbund.de.
Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 1. April 2022 um 12:21 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik.