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Come in and stay out! – Ein Aufruf an christliche Gemeinden

„Du bist ok, wie du bist!“ Laut der Webseite evangelisch.de hat die „fromme Welt“ – gemeint sind christlich konservative Gemeinden – unter dem Slogan „Come-In“ in den letzten Jahren eine Kehrtwende vollzogen. „Homo- und Bisexuelle und Varianten der Geschlechtsentwicklung“ werden von „prominenten Vertreter*innen aus der evangelikalen Szene“ demnach in der Gemeinde willkommen geheißen. Doch auch wenn „Come-In“ und „du bist ok, wie du bist“, auf den ersten Blick einladend erscheinen, melden uns immer mehr Menschen zurück, dass sie sich in ihren Gemeinden heimatlos fühlen. Es sind besonders Menschen, die sehr ernsthaft mit ihrer eigenen Geschlechtlichkeit und Sexualität ringen. Daher diese Anfrage an die Verantwortungsträger in Kirchen und Gemeinden.

Denn durch die neue scheinbare „Willkommenskultur“ ändert sich einiges. Vor allem für diejenigen, die „nicht so sein wollen, wie sie sind“, sondern das Leben als einen Prozess des Wachstums und der Veränderung verstehen; und für all jene, die ihre sexuelle Orientierung konflikthaft erleben. – Mit dieser Anfrage wollen wir auf einige inhaltliche Fallstricke dieser Entwicklung hinweisen und einige Fragen zur Diskussion stellen.

Come In – Du bist homosexuell oder heterosexuell geschaffen

Come-In ist mit der Botschaft verbunden, „du bist ok, wie du bist“. Der Arzt Martin Grabe, der einer der prominenten evangelikalen Vertreter der Come-In Bewegung ist, unterstreicht die Gültigkeit dieses Satzes mit einem Zitat Jesu (Mt. 10, 29): Kein Spatz fällt auf die Erde, ohne dass Gott darüber entscheidet. Und er kommt zum Schluss: „Wenn jemand homosexuell ist, dann ist das nicht aus Versehen passiert, sondern Gott hat es ausdrücklich zugelassen.“ (S. 50) Daher, so Grabe weiter, hat keiner das Recht, sich in seinem Geschaffensein abzulehnen. (vgl. S. 59)

Vielleicht mag manchem Theologen die Denkweise Grabes kühn oder gar abwegig erscheinen. Jedoch gilt es zu fragen, ob dieses Schriftverständnis unter dem Slogan, „du bist ok, wie du bist“, nicht schon lange Einzug in unsere Gemeinden gehalten hat. So äußern nicht nur gläubige Menschen immer wieder den Wunsch nach einer Gemeinde, in der man so sein kann, wie man ist. Auch Gemeindeleiter tragen dieses Lebensprinzip vor. Besonders dann, wenn sie von der Willkommenskultur sprechen, die sie in ihrer Gemeinde pflegen. Oberstes Prinzip dabei ist die Liebe, die alles trägt und alles duldet (1. Kor. 13). Gemeint ist dann aber eine Liebe, die alles zulässt, die nichts mehr hinterfragt, und die auf Ermahnung verzichtet. Ist die Ermahnung aber nicht genau das, was Paulus neben die Liebe stellt?

Der Mensch wird Maßstab der Schriftauslegung

Es ist unschwer zu erkennen: Wer dieser Denkweise folgt, der macht den Menschen und das, was er in sich vorfindet, zum Maßtab des Schriftverständnisses. So kann unter dem Slogan „du bist ok, wie du bist“ jede Phantasie, jede Regung, jede Leidenschaft und jede Form der Sexualität, nach der sich der Mensch sehnt, als Variante einer von Gott gewollten Schöpfung gewertet werden. – Sicher, Grabe macht in seinem Buch deutlich, dass es ethische Grenzen gibt. So markiert er die Ausbeutung und die Gier nach Macht als Linien, die nicht überschritten werden dürfen. – Wem aber ist in einer Atmosphäre, in der jeder „sein darf, wie er will“, noch erlaubt, den Grenzübertritt zu markieren?

Oder anders gefragt: Wem steht noch zu, eine offene Beziehung, in der man sich auf mehrere Sexualbeziehungen einigt, als abwegig zu bezeichnen? Vor allem wenn man behauptend ins Feld führen kann, der Drang nach wechselnden Sexualbeziehungen sei Gott gewollt. Oder wer will im Dunstkreis dieser These eine polyamore Beziehung, in der sich mehrere Partner gleichzeitig die Liebe versprechen, verurteilen? Die Liebe, die alles duldet und trägt, ist doch das bindende Glied. Oder wer will einem Mann oder einer Frau dann, wenn der Partner ihm nicht genügend sexuelle Gemeinschaft schenkt, noch die Selbstbefriedigung, den Pornokonsum oder gar den gelegentlichen Seitensprung verbieten? – Können sich nicht all diese Menschen auf Gott berufen, der sie mit diesen Sehnsüchten genauso und nicht anders erschaffen hat?

Willkür im Bereich Sexualität ist die Regel

Sicher sagen einige jetzt, das sei übertrieben. In Gesprächen mit Pfarrern, Priestern und Menschen, die Seelsorge treiben, höre ich aber: Willkür im Bereich der Sexualität ist heute die Regel und nicht mehr die Ausnahme. Gerade junge Menschen sehen sich unter dem Relativismus, der mit dem Slogan „du bist ok, wie du bist“ ermutigt, alle möglichen Formen von Sexualität auszuprobieren. Maßstab dabei ist nicht mehr das Wort Gottes, sondern das individuelle Bedürfnis, das über das Handeln entscheidet. Damit wird aber der Mensch und sein Erleben zum Maßstab jedes Schriftverständnisses.

Stay Out

Stay-Out – Wo das Wort Gottes fällt, da wird man heimatlos. Sicher, Akteure wie Martin Grabe haben Gutes im Sinn. Sie wollen mit ihren Thesen ein Tabu durchbrechen. Endlich sollen Menschen, die ihre Sexualität anders erleben, in den Gemeinden Heimat finden! So sehr ich dieses Anliegen unterstütze, so sehr wirft der gewählte Ansatz zwei zentrale Fragen auf: Macht er nicht heimatlos? Und simplifiziert er nicht die Frage von Sexualität, anstatt das beklagte Tabu und die damit verbundene Sprachlosigkeit zu durchbrechen?

Wenn Gott die Art der Sexualität und sexuellen Orientierung gewollt hat, die ich in mir vorfinde, dann werden all diejenigen heimatlos, die ihre Variante der Geschlechtlichkeit nicht als Schöpfungsgnade sondern als Verletzung begreifen. Und heimatlos werden auch die, die ihre Form der Sexualität nicht als Geschenk Gottes sondern als Konflikt verstehen und als Kampf, den sie in der Mitte ihrer Person spüren und wahrnehmen.

Dabei denke ich an all die Menschen, die wir in den letzten Jahren immer wieder durch ihr Zeugnis haben zu Wort kommen lassen. Menschen, die aufgrund von erfahrenen Zurückweisungen, Herabsetzungen oder Missbrauch zu flüchtigen Sexualkontakten neigen oder sich aus Angst vor neuen Verletzungen in die Asexualität zurückziehen. Menschen, die ihr gleichgeschlechtliches Begehren nicht als Erfüllung sondern als Reparatur ihres verletzten Frau- oder Mannseins erleben. Menschen, die in ihrem Leben so abgewertet und herabgesetzt wurden, dass von ihnen Beziehung nur in einer erniedrigenden Sexualität gespürt werden kann. Und ich denke an Menschen, die ein Bewusstsein davon haben, dass sie in ihrer Sexualität nicht nach Beziehung, sondern nach der Erfüllung von Bedürfnissen suchen, die sie in ihrem Alltag einfach nicht umsetzen können.

Sexuelle Verwirrung und Orientierungslosigkeit nimmt zu

Im Blick habe ich bei dieser Aufzählung nicht nur die Menschen, die homosexuell empfinden oder die wachsende Zahl bisexuell empfindender Menschen, deren Anteil in der Millenial-Generation (geboren 1981 – 1996) noch 5,1 % betrug, in der Generation Z (geboren 1997 – 2002) aber bereits auf 11,5 % geklettert ist (vgl. Gallup 2020). Im Blick habe ich auch heterosexuelle Menschen, die an der praktizierten oder nicht-praktizierten Sexualität in der Ehe leiden, pornosüchtige Menschen, Menschen, die mit dem Alleinleben nicht zurecht kommen und sich eine virtuelle Heimat auf Datingplattformen geschaffen haben. Oder junge Menschen, die in ihrer Sexualität zwischen liberaler Offenheit und ihrem Brennen für Jesus hin und her gerissen sind.

Für diese Menschen waren das Wort Gottes und die Gemeinde Jesu bislang Zuflucht und Heimat. Denn dorthin trugen sie ihre Zerrissenheit und ihre Verletzung, die es ihnen oft schwer macht, angstfrei Beziehung zu leben und die Ganzheit ihres Personseins zu erfahren. Für ihren Weg orientierten sie sich dabei an Christus, der die Schwachheit der Menschennatur annahm und sich voll Vertrauen in die Arme des Vaters legte (vgl. Phil 2, 5-11). Von der Verkündigung dieses Christus erwarteten sie Antwort auf die Frage, wie sie trotz Verletzung und Versuchung ein Leben führen können, in dem sie Gott antwortend entsprechen. Auf Christus also, der ein Menschsein zeigt, in dem der Widerspruch von Schwachheit und Gottes-Kindschaft zu einer Einheit wird, ohne dass ein Teil verleugnet werden muss, legten sie ihre Hoffnung. Zu ihm beteten sie: Zeig mir, wie mein Leben durch alles Scheitern hindurch gelingen kann (Ignatius von Loyola).

Doch wenn diese zentrale Botschaft, die die Kirche seit je verkündet, der Deutung zum Opfer fällt, dass alles sexuelle und geschlechtliche Sehnen von Gott so geschaffen wurde und nicht mehr in Frage gestellt werden darf, dann verliert das Wort Gottes für diese Menschen seinen innersten Halt. Das Wort Gottes als ordnende Größe und als Maß der Lebensausrichtung geht verloren. Und mehr: Unter der Hand gewinnt eine Botschaft der Akzeptanz Raum, die denjenigen, die sich durch ihre Zerrissenheit in der Sexualität und Geschlechtlichkeit belastet fühlen, die Türe weist. Sie vernehmen nicht „Come-In“, sondern vielmehr „Stay-Out“.

Simplifizierung der Sexualität

Unter der Deutung, dass alles sexuelle und geschlechtliche Sehnen des Menschen von Gott gewollt ist, wird aber auch Sexualität simplifiziert. Bereits „Der Dorsch“, das Standard-Lexikon der Psychologie, weist darauf hin, dass menschliche Sexualität komplex ist. So kann sie weder rein biologisch, psychologisch oder soziologisch verstanden werden. Sie ist vielmehr ein verschränkter Komplex, in den Biologie, Lebensgeschichte und die Art, wie der Mensch glaubt, in Beziehungen seine Bedürfnisse erfüllen zu können, eingeht. Dazu wird er noch von gesellschaftlichen Normen und Erlaubnissen flankiert, die das eine Sexualverhalten erlauben und das andere verbieten.

In der Sexualtherapie weiß man, wie schwer es dem Menschen fällt, die in seiner Sexualität aktiven Motive, Brüche und das lebensgeschichtliche Gewordensein zu durchschauen. Dazu braucht der Mensch die Fähigkeit zur inneren Einfühlung, und er braucht einen Maßstab, mit Hilfe dessen er seine eigenen sexuellen und geschlechtlichen Wünsche als gelingend oder konflikthaft bewerten kann.

Genau dieser differenzierte innere Blick und der Weg des erspürenden Selbsterkennens tiefster Motive und Regungen werden aber behindert, wenn von der Höhe des Wortes Gottes nun argumentiert wird, dass man in seinem sexuellen Sehnen nichts anderes findet, als was von Gott genau so und nicht anders gewollt ist. Ebenso wird damit jeder Maßstab für Gelingendes und Konflikthaftes überflüssig und sogar fragwürdig.

Schaffen wir ein neues Tabu?

Ich frage: Tun wir uns als christliche Gemeinde und Kirche Jesu Christi einen Gefallen, wenn wir auf das jahrelange Schweigen um das Thema Sexualität und Geschlechtlichkeit mit einer Simplifizierung antworten? Schaffen wir damit nicht ein neues Tabu? Nämlich das Tabu, dass menschliche Sexualität nicht durch Einfühlung, innere Reflexion und Selbsterkenntnis verstanden werden kann?

In einem Dokumentarfilm, der 2017 auch unter Mitwirkung einiger Ratsuchender aus unserer Arbeit entstanden ist, wird von diesem Tabu gesprochen. Unter dem Titel „Voices of the Silenced“ („Stimmen der zum Schweigen gebrachten“) sprechen Menschen, die mit ihrer Sexualität ringen, davon, dass das Tabu längst Realität geworden ist. So wird dort von einer gemeindlichen Realität gesprochen, die der Zerrissenheit Betroffener entweder mit der Aufforderung zur Umpolung oder dem Angebot des Auslebens begegnet. „An der wahren Zerrissenheit“, hört man einen Mann sagen, „und an dem, was einen wirklich in der Tiefe bewegt, ist in der Gemeinde niemand interessiert!“

Sicher tut der Mann mit seiner Aussage all den Gemeinden Unrecht, die um einen wirklich anderen Weg ringen. Ich weiß, dass es diese gibt. Aber doch weist er auf eine Realität hin, die auch wir in den letzten 15 Jahren im wachsenden Maß erleben. So lädt man uns, nachdem man gegen uns auf Kongressen und öffentlichen Großveranstaltungen protestiert hat, einfach nicht mehr ein. Damit lädt man aber die Erfahrung aus, die wir mit betroffenen Menschen in unserer Arbeit machen. Das heißt konkret: Die Stimme der Betroffenen wird nicht mehr gehört! Der Simplifizierung vor allem im Bereich nicht-heterosexueller Orientierungen wird dadurch Vorschub geleistet. Ich frage: Werden wir als christliche Gemeinden so dem Menschen und der von ihm erlebten Realität wirklich gerecht?

Die Perspektive von Wachstum und Veränderung geht verloren

Und schließlich: Sollte das Motto „du bist ok, wie du bist“ Schule machen, dann geht im Christsein die Perspektive von Wachstum und Veränderung verloren. Das aber war über viele Jahrhunderte eine zentrale Botschaft des Christseins. Bereits der Christushymnus kündet davon (Phil 2, 5-11). Und da wir wissen, dass der Hymnus bereits verdichtetes Glaubensgut der Gemeinde war, bevor ihn Paulus in seinen Brief an die Philipper einfügte, wissen wir auch, dass sich in der Hingabe der schwachen, zerbrochenen Menschennatur in die Hände des himmlischen Vaters früh das zentrale Lebensprinzip der Christen spiegelte. Diesem Lebensprinzip ist aber die Botschaft „du bist ok, wie du bist“ fremd. Im Gegenteil: Der Christ begriff sich als Unfertiger, als Mensch im Aufbruch zum Eigentlichen seines Menschseins. Von Christus sah er sich durch Taufe und Heiligen Geist befähigt, in einem neuen Leben zu wandeln (vgl. Römer 6,4). Das aber glich weniger einem Spaziergang, sondern einem Jagen nach der Erfüllung des Lebens, von dem er in Christus ergriffen worden ist (vgl. Phil 3, 12 – 14).

Fremd war dem Christen dabei nicht das Gegenüber von „Fleisch“ und „Geist“ (vgl. Gal. 5,17, Röm. 7,18). Auch Paulus sah sich damit konfrontiert, wenn er vom Stachel in seinem Fleisch sprach (2. Kor. 12,7). Das aber hieß nicht, dass das, was der Christ in seinem Fleisch vorfindet, ok ist. Vielmehr ging der Christ davon aus, dass er mit Hilfe der Gnade Gottes jede noch so angeborene oder anerzogene Neigung und Zerbrochenheit durchheiligen kann. Das war ihm möglich, weil Christus den Leib teuer erkauft und ihn so zum Tempel des Heiligen Geistes gemacht hat (1. Kor. 6,20). Im Gegenüber aber von Leib und Heiligem Geist wuchs dem Christen eine Fähigkeit zu, jede Schwäche seines Fleisches durch die Gnade und Kraft des Heiligen Geistes in ein Leben zu überführen, durch das er Christus an seinem Leib verherrlichen konnte (Phil. 1,20). Wie man aber am Zeugnis des Paulus sieht, wurde die Schwäche dabei nicht ausgelöscht. Vielmehr war die Verwirklichung des Leibes als Tempel des Heiligen Geistes ein Leben der steten Hingabe und mit der Sehnsucht verbunden, genau dadurch das Leben nachzubilden, das Christus in seiner Hingabe an den Vater als wahres Menschsein offenbar gemacht hat. Viele ernstzunehmende christliche Schriften aus der Feder von Theologen und Mystikern, die bis in unsere Zeit das Thema der christlichen Lebensführung umkreisen, stellen uns genau diese Theologie immer wieder vor Augen. Dabei weisen die Titel Nachfolge (Dietrich Bonhoeffer), Nachfolge Christi (Thomas von Kempen), Aufstieg zu Gott (Melito von Sardes) oder Empor den Karmelberg (Johannes vom Kreuz) hin auf das innerste Lebensprinzip des Christseins, das sich nicht ausruht im „so sein“, sondern unruhig bleibt, bis es Ruhe findet in Gott (Augustinus).

Spricht nicht der Kern des christlichen Glaubens wie die Komplexität der Sexualität dafür, das Lebensprinzip des „du bist ok, wie du bist“ in unseren Gemeinden zu hinterfragen? Und brauchen wir nicht gegenüber der Behauptung, alle Sexualität ist von Gott gewollt, nicht eine Theologie, die zeigt, wie man trotz Anfechtungen in diesem Bereich durch die Gnade Gottes ein Leben der Nachfolge leben kann?

Menschen, die suchen, brauchen ein Fundament

Wenn vielleicht auch nicht die Vertreter der Come-In Kultur, so brauchen Menschen, die in der Tiefe ihrer Person eine Zerrissenheit und einen Konflikt wahrnehmen, dieses Fundament des christlichen Glaubens. Nicht weil sie recht haben wollen, sondern weil sie daraus die Kraft für ihre  christliche Lebenspraxis gewinnen. Opfert christliche Gemeinde diesen innersten Kern ihrer Botschaft auf dem Altar des „du bist ok, wie du bist“, dann verliert sie ihre theologische und anthropologische Mitte. Das Christsein wird dann seiner die Existenz des Menschen umgreifenden Kraft beraubt und auf eine Spiritualität des oberflächlichen Wohlbefindens reduziert. Ist das wirklich gewollt?

Der suchende Mensch braucht die Gemeinde

Paulus weist darauf hin, dass die Gemeinde Jesu mit all ihren Gaben und Ämtern darauf ausgerichtet ist, den Menschen zur Einheit mit Christus zu führen (vgl. Eph. 4,13). Ich denke, es ist klar geworden, dass das Lebensprinzip „du bist ok, wie du bist“, genau dieses Ziel in Frage stellt, wenn nicht gar untergräbt. Das aber dürfen Bischöfe, Pfarrer, Pastoren, Priester und diejenigen nicht zulassen, die in der Gemeinde Verantwortung tragen.

Denn in einer Welt und in einer Zeit, in der immer mehr Menschen in ihrer Sexualität und ihrer Geschlechtlichkeit verwirrt werden und nicht mehr zurecht kommen, braucht es eine Kirche, die einen Weg zeigt. Einen Weg, auf dem der Mensch seine Geschlechtlichkeit und Sexualität im Licht des Wortes Gottes erkennen kann. Und einen Weg, auf dem er lernt, mit dem Übermaß medial und öffentlich erzeugter Lust so umzugehen, dass er zur wahren Einheit seiner Person finden kann.

Daher mein Bitte und mein Aufruf an die Gemeinden:

Wehrt jeder theologischen Simplifizierung der Sexualität!

Lasst es nicht zu, dass das Zeugnis derjenigen verstummt, die ihre Sexualität als innere Zerrissenheit und als Konflikt verstehen und erleben!

Gebt nicht das innerste Fundament eines Glaubens auf, dem es durch die Hingabe an Christus gelingt, die Grenzerfahrung der menschlichen Existenz und das Leben mit dem Heiligen Geist zu einer Einheit zu führen!

Und schließlich: Gebt nicht auf, dass die Kinder Gottes dazu bestimmt sind, Licht der Welt zu sein (Mt. 5,14)!

Denn gerade im Bereich von Sexualität und Geschlechtlichkeit braucht die Welt das Vorbild der Kinder Gottes und die christliche Gemeinde. Sie braucht Gemeinde, denn nur in ihr begegnet der Mensch noch einer Wahrheit, die weder die Sexualität, noch die Geschlechtlichkeit, noch sonst ein Handeln zur Selbstverständlichkeit erklärt. Sie ist der Ort, wo von Christus her um die Einheit von Leib und Geist gerungen wird, und damit um das, was den Menschen in Wahrheit zum Ebenbild Gottes macht. Daher geht meine Bitte an alle christlichen Gemeinden und Verantwortlichen: Schafft geistliche Heimat, damit der Mensch zu seinem Menschsein finden kann!

Markus Hoffmann, Leiter des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e.V.
71732 Tamm

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