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Der Schacher in der Barbarei

Der Schacher in der Barbarei

Gaddafis zynisches Spiel mit den «AIDS-Schwestern» – Noch schlimmer: Gaddafis willkürlicher Umgang mit der Scharia. Kommt dazu: Die Rechtlosigkeit christlicher Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in islamischen Staaten.

Gieriger Schacher wie im finstersten Mittelalter um den Freikauf christlicher Sklavinnen in der «Barbarei» durch den Mercedarier-Orden hat sich in den letzten Tagen aufs Neue in Libyen abgespielt. Mercedarier von heute waren EU-Staaten, denen die Rettung der bulgarischen «AIDS-Schwestern» vor der Hinrichtung fast eine halbe Milliarde Dollar wert war. Die Frauen wurden vorerst zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Allerdings drängte Bulgarien umgehend auf eine Auslieferung in die Heimat, welcher überraschend schnell entsprochen wurde.

Das islamische Strafrecht fragt nicht nach der persönlichen Schuld, es richtet über den vorliegenden Tatbestand. Daß den ahnungslosen Schwestern vom maroden libyschen Gesundheitsdienst AIDS-verseuchtes Blut geliefert wurde, ist völlig belanglos: Sie haben es transfusioniert. Nach dem Prinzip der Blutrache forderten die Angehörigen der Opfer das Leben der Krankenschwestern und beharrten auf ihrem Tod. Mit einem «Blutpreis», der Diya, zur Begnadigung der Bulgarinnen wollten sie sich erst abfinden, nachdem sie und ihre Kindeskinder zu Millionären gemacht wurden. Damit war aber Schluß bei der islamischen Gerechtigkeit: Laut Scharia wären die Schwestern umgehend straffrei und hätten gleich freigelassen werden müssen. Der Islam kennt nur Körper- und kaum Gefängnisstrafen, schon gar keine lebenslangen!

Die Vorgabe zu dem ganzen Schauprozeß hatte Staatschef Muammar Gadhafi selbst geliefert: Hinter dem «Verbrechen» stecke die CIA oder der Mossad, die an den Kindern ein «Experiment» versucht hätten. Gaddafi verglich das Verfahren gegen die Krankenschwestern mit dem Lockerbie-Prozeß: Wegen 270-fachen Mordes beim Anschlag auf eine Pan-Am-Maschine 1988 war der Geheimdienst-Agent Al Meghari 2001 von einem schottischen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Mehrmals brachte Libyen den Vorschlag ins Spiel, den Agenten gegen die Krankenschwestern auszutauschen – und die Entschädigungszahlungen an die Angehörigen der Lockerbie-Opfer mit den Forderungen der Familien der infizierten Kinder zu verrechnen. Also in erster Linie eine regelrechte Geiselnahme, vergleichbar mit den einstigen «Raubgefangenen» der nordafrikanischen Seeräuberstaaten, zu deren Loskauf die Ritter und Priester «della Mercede» ausgezogen waren oder sich selbst anstelle verheirateter Männer oder gar von Frauen und Mädchen der Sklaverei überantwortet haben.

Libyens Dauermachthaber seit 1969, Muamar al-Gaddafi, spielte aber auch aus innenpolitischen Gründen mit der Todesangst der bei ihm eingekerkerten Krankenschwestern: Für den politisch immer Erfolgloseren wurde dieser Fall zum Ablenkungsmanöver von den katastrophalen hygienisch-medizinischen Verhältnissen und allen Schwächen seines Regimes. Erst das Einlenken auf Zusammenarbeit mit den USA und der EU, um dem auch ihm drohenden Schicksal eines Saddam Hussein zu entgehen, gab den Bulgarinnen langsam wieder Hoffnung.

Für Gaddafi war das Ganze jedenfalls ein gutes, wenngleich zynisches Geschäft. Er hat seine Kosten für die Entschädigung der Lockerbie-Opfer hereingebracht und sich zugleich für diese ihm vom Westen aufgezwungene Demütigung gerächt. Angesichts von Millionen AIDS-kranken Kindern in ganz Afrika sind die Dollar-Millionen an die libyschen HIV-Opfer – so bedauernswert sie sind – eine Verhöhnung der anderen Hilfslosen. Hauptsächlich ein gutes Geschäft für Eltern und Verwandte, sofern der goldene Regen ihnen wirklich bleibt und nicht in die Taschen des Gaddafi-Regimes zurückfließt. So sehr die Begnadigung der Krankenschwestern und ihres Arztes nach über acht Jahren Folterhaft jetzt ein Grund zur Freude ist: Dankbarkeit gegenüber dem libyschen Machthaber wäre fehl am Platz! Die jungen Frauen bleiben fürs ganze Leben von unmenschlichen Haftbedingungen, Folterungen und der Angst vor dem Erschießen gezeichnet. Genaueres und sicher Erschütterndes von ihren Martern und quälendem Kerkerleben werden wir bald erfahren, da sie nun zurück in ihre Heimat gelangten und dort natürlich umgehend auf freiem Fuß waren: Ihr Leben ist genauso zerstört wie das der 426 libyschen Kinder, die in einem Spital von Bengasi Anfang 1999 mit AIDS infiziert worden waren.

Die ganze Tragödie gibt Anlaß zum Nachdenken, daß nicht nur die Moslemminderheiten bei uns ihre Probleme und Nöte haben. Gerade in den islamischen Ölstaaten wie Libyen lebt heute ein Heer europäischer Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Ihnen kann ohne den bisher fehlenden Rechtsschutz täglich das Unheil der Bulgarinnen in Libyen widerfahren!

[Nahostkenner Heinz Gstrein lebte viele Jahre in der arabischen Welt und recherchierte unter anderem für das «Echo der Zeit» (DRS 1), die NZZ und die KNA. Für CSI beobachtet er das Geschehen in islamischen Nationen.]

(CSI-Deutschland 3.8.07)