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Kirche kritisiert Pfarrer nach Rede bei Corona-Protesten

Sonneberg/Erfurt/Quedlinburg (IDEA) – Scharfe Kritik am Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins, Martin Michaelis (Quedlinburg), ist in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) laut geworden. Anlass ist eine Rede von Michaelis bei den Protesten gegen staatliche Corona-Maßnahmen im thüringischen Sonneberg. Die Demonstration fand am 5. Dezember statt. An ihr nahmen laut Polizeiangaben rund 1.000 Personen teil. Wie Michaelis gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA mitteilte, hatte die „Initiative von Heilberufen“ zu der sogenannten „Lichterketten-Aktion“ eingeladen. Die Initiatoren hätten ihn angefragt, nachdem der Superintendent des Kirchenkreises Sonneberg, Thomas Rau (Mogger), eine Beteiligung aller Pfarrer des Kirchenkreises abgelehnt hatte.

Michaelis war von 1999 bis 2017 als Pfarrer im benachbarten Steinach tätig. Er habe als ehemaliger Steinacher Pfarrer bei der Kundgebung gesprochen und nicht als Vorsitzender des Thüringer Pfarrvereins, so Michaelis. In seiner Rede, die IDEA vorliegt, sagte er, dass Gott jedem Menschen ein Gewissen gegeben und jeder den Auftrag habe, „es ganz und gar selbstständig zu benutzen“.

Mit Bezug auf die Zehn Gebote wollte er nach eigenen Angaben das Gewissen der Menschen „auffrischen“. So kritisierte er etwa anhand des Siebten Gebotes „Du sollst nicht stehlen“ den Handel mit „überteuerten Masken“, an deren Beschaffung sich Abgeordnete und ihre Angehörigen „dumm und dämlich“ verdienten. „Dabei verschleudern sie die Steuern aus unserer Arbeit. Das Gemeinwesen, das Gesundheitswesen, alles und jeder wird ausgeplündert“, so Michaelis.

Michaelis: Gott mehr gehorchen als den Menschen

Er zitierte aus dem „Augsburger Bekenntnis“ von 1530, in dem es unter anderem heißt, dass die Christen „der Obrigkeit untertan“ und deren Geboten und Gesetzen gehorsam sein sollten, sofern es ohne Sünde geschehe: „Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Michaelis dazu: „Und nun prüft an den Zehn Geboten mit eurem aufgefrischten Gewissen, ob ihr ohne Sünde den Gesetzen folgen könnt, die in den letzten Monaten oder auch Tagen aus Berlin, Erfurt, Magdeburg und München kommen.“

Wenn man diesen Gesetzen nicht ohne Sünde folgen könne, dann sollte man ihnen nicht gehorchen, so Michaelis. Für ihn bedeute „ohne Sünde“, dass „niemand Schaden nimmt an Leib und Seele, dass niemand ausgegrenzt, gekränkt oder geängstigt wird, dass niemand um sein Hab und Gut gebracht wird, auch nicht mit fragwürdigen Bußgeldern, dass niemand seiner Freiheit beraubt wird oder ihm das Singen verboten wird“.

Wie Michaelis gegenüber IDEA sagte, werde ihm teilweise vorgeworfen, dass er zum „kollektiven Ungehorsam“ aufgerufen habe. Das sei jedoch „völliger Unsinn“. Er habe zu einem „gewissensgeleiteten Gehorsam“ aufgerufen mit Verweis auf die Zehn Gebote und das Augsburger Bekenntnis. „Einem pauschalen und gewissenslosen Ungehorsam habe ich nicht das Wort geredet“, so der Pfarrer.

EKM-Personaldezernent: Auftritt wirft Fragen auf

Der EKM-Personaldezernent Michael Lehmann (Erfurt) sagte gegenüber IDEA: „Die Synode unserer Landeskirche hat auf ihrer letzten Tagung [1] das Impfen als einen Akt der Nächstenliebe qualifiziert. Dass unmittelbar danach ein Pfarrer aus unserer Landeskirche bei einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen auftritt, wirft Fragen auf.“

Michaelis zufolge wurde er für den 9. Dezember zu einem Gespräch ins Landeskirchenamt eingeladen. Das Gespräch war laut dem Pfarrer als Personalgespräch angekündigt, weshalb er zunächst auch zugesagt habe. Die dann folgende schriftliche Einladung habe jedoch gezeigt, dass es um eine Anhörung mit „konkreten Vorwürfen“ gehe. So etwas mache er inzwischen nur noch auf dem Schriftweg, weshalb er nicht im Landeskirchenamt erschienen sei, so Michaelis.

Personaldezernent Lehmann habe sich erst bei ihm gemeldet, nachdem er bereits kritische Stellungnahmen gegenüber der Presse abgegeben habe. Michaelis erfuhr eigenen Angaben zufolge von der Kritik aus den Medien. Michaelis hatte bereits in diesem [2] und vergangenen [3] Jahr Kritik am Umgang der Kirchenleitungen mit der Corona-Krise geübt.

Er ist auch Vorsitzender der Pfarrvertretung der EKM sowie der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Der Thüringer Pfarrverein hat 635 Mitglieder.

Superintendent: Vermutlich wird es dienstrechtliche Konsequenzen geben

In einer Mitteilung äußerte auch Superintendent Rau seine Kritik an dem Auftritt von Michaelis. Er distanziere sich „ausdrücklich“ von den Aussagen des Pfarrers. Michaelis habe ihn im Vorfeld nicht um Erlaubnis für eine Andacht im Rahmen dieser Veranstaltung in seinem Kirchenkreis angefragt. Rau zufolge wird das für Michaelis „vermutlich auch dienstrechtliche Konsequenzen“ haben.

Der Vorsitzende des Thüringer Pfarrvereins habe unter „Missachtung“ der hohen Inzidenz im Landkreis „Menschenleben unnötig und fahrlässig in Lebensgefahr gebracht“. Rau: „Dass Pfarrer Michaelis dafür am Ende seiner Andacht Gott um Hilfe angerufen und Bezug genommen hat auf die Heilige Schrift, ist für mich nicht nachvollziehbar und widersinnig.“

idea-online, 9.12.2021 [4]