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Warum wir einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik brauchen

Warum wir einen Paradigmenwechsel
in der Familienpolitik brauchen

„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik“, fordert Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Förderung von Familien und Müttern, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Betreuung von Kindern in Krippen ist nach Ansicht von Hartmut Steeb keine Lösung für die Probleme vieler Familien. Gerechtigkeit und Wahlfreiheit ist erst dann geschaffen, wenn endlich auch Mütter für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden.

„Europa fehlt der Nachwuchs“ – so oder so ähnlich lauten die Überschriften in den Zeitungen, wenn wieder einmal über die demographische Entwicklung in Europa berichtet wird. Ganz Europa spielt bevölkerungspolitisch in der untersten Liga. Und in diesem aussterbenden Europa steht Deutschland bei der Zahl der Kinder pro Frau (Reproduktionsrate) vor Zypern, Estland und Italien auf dem viertletzten Platz. Wenn es aber nicht nur um die Zahl der tatsächlich geborenen Kinder, sondern um die Kinderwünsche geht, dann ist Deutschland Schlusslicht der untersten Liga. Anders ausgedrückt: Wir sind die Letzten der Letzten. Und diese Frage nach dem Kinderwunsch, der ja unter positivsten Randbedingungen vielleicht sogar „eins zu eins“ umgesetzt würde, liegt noch unter 1,7 gewünschten Kindern pro Frau. Aber notwendig wäre ja wenigstens eine Reproduktionsrate von 2,1, um nicht noch weiter dem Bevölkerungsschwund zusehen zu müssen. Dabei steht inzwischen allen vor Augen, dass nicht der Bevölkerungsschwund an sich alleine die Problemlage bestimmt, sondern die damit stark einhergehende Unterjüngung. Es liegt auf der Hand, dass die kleinere nachfolgende Generation bald die Tragkraft nicht mehr hat, eine noch wachsende ältere, nicht mehr im Erwerbsleben stehende Generation zu versorgen: weder materiell noch human.

Die falschen Prämissen

Nun fördert Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die Schaffung so genannter „Krippenplätze“. Müttern soll die „Möglichkeit“ gegeben werden, ihre Kinder in eine Fremdbetreuung zu geben. Doch bringt uns diese Politik weiter?

Die bisherigen Prämissen der Familienpolitik lauten:

1. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In diesem Bereich ist viel gelungen. Die „Frauenarbeitsquote“ ist kräftig gestiegen. Und als Kehrseite ergibt sich logischerweise, dass das Modell der „lebenslangen Hausfrau“ am Aussterben ist. Das Leben und Arbeiten als Familienmutter wird politisch weder unterstützt noch als erhaltenswert eingestuft. Darum lautet die Konsequenz: Natürlich dürfen Menschen auch in Zukunft so leben. Aber das ist ihre Privatsache und darum auch privat zu finanzieren. Wer es sich leisten kann, mag es tun.

2. Wir brauchen Ganztagesbetreuung für die Kinder, auch für die kleinsten der Kleinen. Kinder brauchen eine gesicherte Betreuungszeit außerhalb der Familie, damit Väter und Mütter, Frauen und Männer, jeweils einen Vollarbeitsplatz oder mindestens doch nahezu Vollarbeitsplätze ausfüllen können. Noch schreckt man vor einer Kindergartenpflicht zurück, zumal die finanziellen Mittel nicht ausreichen, sie flächendeckend dann auch einzulösen. Aber das Recht auf einen Kindergartenplatz ab dem 4. Lebensjahr ist eingeführt; darum wird in Ganztagesbetreuungen investiert; darum wird die Ganztagesschule flächendeckend angeboten und allmählich die Halbtagesschule ersetzen. Darum hatte die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm 2002 Länder und Kommunen aufgerufen, die durch die geringere Zahl nachkommender Kinder frei werdenden Kapazitäten an Kindergärten und Schulen nicht abzubauen, sondern in die Ganztagesbetreuung einzubringen.

Keine Trendwende

Obwohl sich diese Prämissen in 30 Jahren nicht bewährt haben – es sind nicht mehr Kinder geboren worden, die Zahl der registrierten Schwangerschaftsabbrüche ist nicht zurückgegangen, die Bildung der Kinder ist in Deutschland nicht besser geworden, den Familien geht es im Verhältnis zum Bevölkerungsteil ohne Kinder nicht besser sondern schlechter, Kinder- und Jugendlichenkriminalität nehmen nicht ab sondern zu – läuft man geradezu blindlings auf diesem Pfad weiter. Aber noch hat keiner den Beweis dafür erbringen können, dass solche Konzepte wenigstens eine Trendwende bringen könnten.

Tatsache ist, dass vieles von dem, was unter dem Gesichtspunkt „Familienpolitik“ und „Familienförderung“ diskutiert und praktiziert wird, keine Politik zu Gunsten der Familie, zur Wertschätzung von Kindern und Familien ist. Neuestes Beispiel ist das von der Großen Koalition eingeführte Elterngeld, das in der vorgesehenen Form keine Besserungen bringen, aber dafür Ungerechtigkeiten verstärken, viel kosten und die Bürokratie erneut aufblähen wird. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Das Elterngeld wird als Lohnersatzleistung bezahlt. Damit wird Elternzeit der Krankenzeit und damit einer „Berufsausfallzeit“ gleichgestellt. Das hat einen unübersehbaren psychologischen Stellenwert. Die Botschaft die mitschwingt ist: „Nur kurze Zeit, dann bist du durch.“ Der Eigenwert der Elternarbeit wird nicht anerkannt.

Probleme beim Elterngeld

Außerdem: Nur wenn beide Elternteile mindestens je zwei Monate Elternzeit machen, kommt die Familie in den „vollen Genuss“ staatlicher Förderung. Nicht die freie Wahlmöglichkeit sondern ein gesellschaftliches Diktat der Gleichmacherei, ein Hineinregieren in Ehen und die doch alleine von den Ehepartnern selbst zu wählende und zu vertretende Rollenverteilung erlaubt sich dieser Staat. Wer gibt ihm dazu das Recht? Von welcher Ideologie ist er geleitet? Warum gibt die Gesellschaft vor, besser zu wissen, was für Ehen und Familien gesund und für die Förderung der Kinder das Beste ist?

Am schlechtesten werden jene Mütter und Väter nach diesem Modell behandelt, die als traditionelle Familie leben, die eine Vollarbeitszeit in die Familie stecken und – ohne vorherigen Gehaltsbezug – ein zweites, drittes oder viertes Kind bekommen. Aber diese Familientypen sind ja auch schon bisher der „Lastesel der Nation“ oder, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schon im Oktober 2002 (nach dem damaligen Bundestagswahlkampf) zutreffend schrieb: „Die letzte Minderheit, über die noch politisch korrekt gelästert werden darf, das sind Frauen, die sich mit ihren eigenen Kindern abgeben.“

Die neuen Prämissen

Kinder werden gezeugt und nach 40 Wochen geboren. Es ist die Jahrtausende alte Erfahrung, wissenschaftlich vielfach abgesichert und gesellschaftlicher Konsens, dass der beste Ort des Heranreifens eines gezeugten Kindes in diesen 40 Wochen der mütterliche Körper ist. Und genauso wie dies unbestritten ist und in aller Regel gilt, so ist es auch für ein geborenes Kind. Es braucht zunächst vollen Rund-um-die-Uhr-Service. Und niemand kann ihn besser – wie schon in der Zeit der Schwangerschaft – geben, als die Mutter, unterstützt durch den Vater. Um des Wohles des Kindes willen sollte der Beziehungsvorsprung der Mutter so gut als möglich genutzt werden. Und es ist eben die beste und günstigste Grundvoraussetzung für ein gesundes Heranwachsen eines Kindes und Jugendlichen, wenn dies lange innerhalb einer intensiven Liebes- und Treuegemeinschaft der Eltern, in einer wirklichen und vollständigen Familie geschehen kann.

Es lässt sich auch nicht bestreiten, dass es besonders günstig ist, wenn es in einer solchen Familie nicht nur ein, sondern mehrere Kinder gibt. Haben nicht darum zurecht die Verfassungsväter und -mütter in Artikel 6 des Grundgesetzes formuliert: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“? Weiter heißt es dann: „Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, was offenbar in Vergessenheit geraten ist.

Bisher hat man sich kaum bewusst gemacht, dass vor allem Frauen die Erziehungs- und Betreuungsarbeit für die neu heranwachsende junge Generation praktisch zum Nulltarif geleistet haben. Wirtschaftlich gesehen ein freies Gut, das von der Gesellschaft kostenlos angeeignet wurde. Man nahm es nicht als solches wahr, weil die traditionelle Arbeitsteilung in der Familie als normal und selbstverständlich angesehen wurde. Es kann aber nicht mehr länger sein, dass die Früchte des Aufziehens von Kindern von allen beansprucht werden, obwohl sich einige an den Kosten des Heranwachsens einer neuen Generation substantiell nicht beteiligen.

Jetzt ist es an der Zeit, endlich mehr soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen und ein deutliches positives Zeichen für Familienfreundlichkeit und Familienförderung zu setzen, damit wir der Zielsetzung der Verfassung näher kommen: dem Schutz von Ehe und Familie.

Konkret bedeutet dies: Schluss mit der Diskriminierung der Mütter und ihrer vollwertigen Berufstätigkeit, Priorität für Familienpolitik, Förderung der Mehrkinderfamilien, Herstellung einer echten Wahlfreiheit zwischen „Familie als Beruf“ und „außerfamiliären Berufen“ durch Beseitigung der materiellen und sozialrechtlichen Benachteiligungen der Alternative „Familie als Beruf“, zumindest finanziell-materielle Gleichbehandlung derer, die ihre Kinder selbst vollzeitlich erziehen und begleiten wollen. Ihnen muss mindestens soviel staatliche direkte Unterstützung gewährt werden, wie Andere indirekt durch die staatliche Finanzierung von Ganztagesbetreuung erhalten.

Weitere Informationen zum Thema bietet auch das familienpolitische Thesenpapier der Deutschen Evangelischen Allianz „Die Familie braucht Zukunft“, das kostenlos bestellt werden kann bei der Deutschen Evangelischen Allianz, Esplanade 5–10a, 07422 Bad Blankenburg, Tel. 036741-2424, Fax -3212, eMail: info@ead.de (www.ead.de).