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Predigt zum Reformationssonntag über Galater 5,1-6: Mit Christus in die Freiheit

Wie wertvoll Freiheit ist, merkt man besonders dann, wenn man sie nicht mehr hat. Wir erleben das seit 19 Monaten hautnah, auch wenn wir nicht im Gefängnis sitzen. Aber die Maßnahmen gegen das Corona-Virus haben unsere Freiheit ziemlich stark eingeschränkt. Lockdowns, Masken, Abstandsregeln, Einschränkungen von Treffen und Besuchen, geschlossene Grenzen. Darf der Staat so stark die Freiheit seiner Bürger beschneiden? Das sind letzten Endes immer Abwägungsfragen, hier gibt es selten ein klares Ja oder ein klares Nein. Deshalb ist auch immer wieder die Frage zu stellen: Sind die Einschränkungen der Freiheit verhältnismäßig? Die Freiheitsrechte sind schließlich Grundrechte eines jedes Menschen. Im Grundgesetz in den ersten Artikeln sind sie quasi in Stein gemeißelt. Und diese Grundrechte, so sagen es Juristen, schützen den Einzelnen und sind Abwehrrechte gegen einen übergriffigen Staat.

Kennt ihr Novak Djokovic? Er ist der Erstplatzierte in der Tennis-Weltrangliste. Djokovic möchte seinen Impfstatus nicht offenlegen und beruft sich auf den Schutz seiner persönlichen Gesundheitsdaten. Das kann ihm nun die Teilnahme im Januar bei den „Australien Open“ kosten, einem der vier größten Tennisturniere, weil Australien nur doppelt Geimpfte einreisen lässt. Novak Djokovic sagt: „Die Leute würden heute zu weit gehen, was die Beschneidung der Freiheitsrechte betreffe.“

Der Fußballprofi Joshua Kimmich wird öffentlich ins Verhör genommen, weil er nicht gegen das Corona-Virus „geimpft“ ist. Ja, es gibt keine Impfpflicht, sagt die Regierung. Aber haben die Menschen wirklich eine freie Entscheidungsmöglichkeit? Werden sie nicht abgestempelt? Benachteiligt an vielen Orten durch die 2G-Regel? Wird ihnen nicht gegebenenfalls die Lohnfortzahlung gestrichen? Spaltet Joshua Kimmich durch Impfweigerung den FC Bayern, wie ihm vorgeworfen wird? Oder spalten Politik und Medien das Volk und die Menschen, indem wir sie in Geimpfte und Ungeimpfte einteilen und entsprechend behandeln und bedrängen?

So mancher hat in dieser Pandemie vielleicht mit Reinhard Mey geträumt: „Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Einfach wegfliegen, einfach alles hinter sich und unter sich zurückzulassen? Endlich frei sein von Corona und Einschränkungen, von allerlei Ängsten, Sorgen, von mancherlei Belastungen? Frei von zwingenden Terminen, vom Leistungsdruck? Frei von den Lasten dieser Welt? Frei auch von Schuld, Krankheit und Tod?

In jedem Menschen steckt diese tiefe Sehnsucht nach Freiheit, und doch gibt es keine grenzen-lose Freiheit. Sie ist hier auf Erden eine Utopie. Es gibt keine Freiheit ohne Schutzraum, ohne schützende Begrenzung, es gibt keine Freiheit ohne Bindung. Wer versucht seine Freiheit hemmungslos und grenzenlos auszuleben, der schadet anderen und sich selber und handelt äußerst lieblos.

Wir verstehen nun: Keine Freiheit ohne Bindung. Aber an wen kann ich mich vertrauensvoll binden, um die Freiheit zu gewinnen?

Hören wir den vorgeschlagenen Bibelabschnitt für diesen Reformationstag, hören wir Gottes Wort aus Galater 5, 1-6:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Herr, heilige uns in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit.

Liebe Gemeinde,

in drei Schritten betrachten wir dieses Gotteswort.

  1. Mit Christus in die Freiheit
  2. Mit Werken des Gesetzes Christus verlieren
  3. Glaube an Christus entfaltet sich in der Liebe

1. Mit Christus in die Freiheit

Der erste Satz dieses Bibelabschnittes ist ein großartiger Fanfarenstoß: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Echte Freiheit ist nur bei Christus zu finden. Er macht frei von falschen und versklavenden Bindungen und stellt Menschen in seinen göttlichen Schutzraum, unter seine Gnade und Liebe. Er zerbricht unterdrückende und angstmachende Joche und hilft, daß Menschen erfüllt leben können und das Ziel des Lebens finden. Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.

Der Apostel fordert die ja erst vor kurzem zum Glauben gekommenen Christen auf, fest im Evangelium stehen zu bleiben und nicht in eine Gesetzesfrömmigkeit hineinzurutschen. Damals waren nämlich in Galatien Juden aufgetreten, die den Christen die Beschneidung auferlegen wollten als Zeichen der Gesetzesfrömmigkeit.

An dieser Stelle steht das ganze Evangelium von Jesus Christus auf der Kippe, deshalb sind die ersten vier Kapitel dieses Briefes die intensive Vorbereitung auf diesen fundamentalen Kontrapunkt: Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Und wenn uns Christus befreit hat, dann müssen wir natürlich fragen, von was und wie hat er uns befreit? Er hat uns befreit von Sünde, Tod, Gericht und ewigem Verlorensein!

Im Römerbrief 3 heißt es: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. … So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Das kennt ihr alle. Das sind die Bibelstellen, an denen Martin Luther seinen reformatorischen Durchbruch hatte. Aber diese Front zwischen der Gesetzesfrömmigkeit auf der einen Seite und der Gerechtigkeit allein aus Glauben geht viel weiter zurück. Das ist auch keine Erfindung von Paulus. Nein, das geht zurück bis Abraham. Und weil hier die Gegner des Paulus ja Juden waren, beruft sich Paulus mit seiner Argumentation im Galater 4 auf das Alte Testament und vertraut darauf, dass beim Hören auf die Schrift deren Irrtum aufgedeckt wird.

Zwei Söhne Abrahams, der eine von der Sklavin Hagar geboren, der andere von seiner rechtmäßigen Frau Sara. So wurde Ismael aus menschlichen Überlegungen heraus gezeugt und deshalb schreibt Paulus, er ist nach dem Fleisch gezeugt worden, das heißt aus menschlichem Wollen heraus. Isaak hingegen ist Kraft der Verheißung Gottes geboren. In Hagar und Sara und ihren Söhnen treten zwei heilsgeschichtliche Linien hervor. Hagar steht für die Gottesordnung, die dann später am Berg Sinai gegeben wurde, es ist die Ordnung des Gesetzes. Diese Ordnung ist geprägt durch unbedingten Gehorsam. Der Berg Sinai liegt ja auch nicht im Land der Verheißung, sondern in dem Gebiet, dessen Völker sich selbst als Nachfahren Hagars bezeichnen. – Und in dieser Ordnung der Knechtschaft lebend, wirft Paulus den gesetzesfrommen Juden im irdischen Jerusalem vor. Spüren sie wie provozierend das auf die Juden gewirkt haben muss? Sie, die sich auf Abraham, Isaak und Jakob berufen. Und Paulus war ja genau einer von ihnen gewesen. Aber nach seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus vor den Toren von Damaskus achtet er alles für Schaden, was ihm vorher Gewinn war. Weder Gesetzesfrömmigkeit noch Abstammung machen selig.

Hagar gegenüber steht Sara. Paulus beschreibt diese Verheißungslinie als das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie. Das ist das neue Gottesvolk, das ist die Gemeinde Jesu Christi, also Juden und Heiden die zu Christus gehören. Und die unausgesprochene Frage von Paulus an die Galater lautet: Wollt ihr das wirklich wieder aufgeben?

Und so wie Hagar damals davon musste, so darf es auch bei den Galatern keine Gemeinschaft mit den Irrlehrern geben. Wenn sie sich wieder das Joch der Knechtschaft unter das Gesetz aufsetzen lassen, dann verlieren sie Christus und fallen aus der Gnade. An dieser Stelle kann es keinen Kompromiss geben, sondern nur ein entweder-oder!

Paulus sagt: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Das Problem ist nicht die Beschneidung an sich, die ist von Gott eingesetzt und kennzeichnet das Volk Israel als Volk Gottes. Wenn sich aber die Christen durch die Beschneidung unter das Joch des Gesetzes knechten lassen, dann führen sie das Gesetz wieder als Heilsweg ein und verwerfen damit Christus, seine Heilstat am Kreuz und seine Gnade.

2. Mit Werken des Gesetzes Christus verlieren

Die Galater standen damals in der Gefahr durch die Beschneidung unter das Joch des Gesetzes zu geraten und so Christus und die Gnade zu verlieren. Für unsere Gemeinden ist die Beschneidung heute kein Thema mehr. Aber auch heutige Christen und Gemeinden stehen in der Gefahr, Christus und seine Gnade zu verlieren. Nämlich Gottes richtendes und befreiendes Wort nicht ernst nehmen in seiner Ganzheit und Vollkommenheit. Da macht man die teure Gnade Gottes zur „billige Gnade“ des Menschen. Der große Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer schrieb: Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade. Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament. … Billige Gnade heißt Gnade … als System; … Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, … Liebe Gottes als christliche Gottesidee. … In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes. … Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.“

Nicht wenige Gemeinden und Christen praktizieren eine solche weitgehende „Leugnung des lebendigen Wortes Gottes“, weil sie sich selbst mit ihrem Wollen und Verstand und mit ihrer Anpassung an den Zeitgeist zum Lehrmeister über Gottes Wort erheben. Sie meinen beispielsweise, da das Gesetz nicht der Heilsweg ist, kann man es auch als Maßstab und Richtschnur für christliches Leben ganz über Bord werfen. Das biblische Wort Gottes und seine Gebote seien nur zeitbedingt und können heute so nicht mehr gelten. Eine solche Loslösung von Schrift und Gesetz löst aber von Gott selbst ab und führt am Ende in die Selbstzerstörung des Menschen. Jesus hat doch selbst gesagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Als Christen leben wir daher nicht nach dem Gesetz, um uns vor Gott das Heil zu verdienen, – sondern wir lieben das Wort Gottes und seine Gebote, weil Christus sie liebt und wir Christus lieben!

Liebe Brüder und Schwestern!

Deshalb ist der Glaube an Christus so wichtig. Wenn ein Mensch Christus nicht hat, dann ist er nicht frei und kann das Joch der Knechtschaft ganz unterschiedlich aussehen.

Liebe Glaubensgeschwister,

wir müssen immer wieder aufpassen, nicht unter das Joch irgendeiner Knechtschaft zu geraten. Wer damals oder heute versucht, mit Werken des Gesetzes, das Leben zu gewinnen, der verliert Christus und seine Gnade. Vom Heilsweg des Gesetzes und allen Knechtschaften will uns Christus befreien. Christus will auch dich – ganz persönlich – freimachen, dich in deiner jeweiligen Situation. Und Christus befreit, durch die „teure Gnade des Evangeliums“. Hören wir nochmals hinein, was Dietrich Bonhoeffer dazu schrieb: „Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muß.

Teuer ist sie, … weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; … weil sie dem Menschen das Leben kostet, … ihm so das Leben erst schenkt, … sie die Sünde verdammt, … den Sünder rechtfertigt.
Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, … sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – „ihr seid teuer erkauft“ -, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. … weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für unser Leben, sondern ihn für uns hingab. Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes.

Teure Gnade ist Gnade als das Heiligtum Gottes, das vor der Welt behütet werden muß, … nicht vor die Hunde geworfen werden darf, sie ist darum Gnade als lebendiges Wort, Wort Gottes, das er selbst spricht, wie es ihm gefällt. Es trifft uns als gnädiger Ruf in die Nachfolge Jesu, es kommt als vergebendes Wort zu dem geängstigten Geist und dem zerschlagenen Herzen. Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt, Gnade ist es, daß Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Quelle: Nachfolge, DBW 4, S. 29 – 31)

3. Glaube an Christus entfaltet sich in der Liebe

Die von Christus geschenkte Freiheit wird auf Erden nirgends vollkommen verwirklicht. Aber doch ist durch Christus die „neue Kreatur“ geschaffen. Im Glauben an Christus und in ihm haben wir jetzt bereits ein „neues Leben“. Unser altes Leben ist zwar noch da, es macht uns manchmal auch schwer zu schaffen. Wir fallen in Sünde zurück und tun das, was wir eigentlich gar nicht wollen. Das können wir leider nicht ganz abstellen, aber wie wir dagegen vorgehen finden wir in Epheser 6, im Abschnitt über die „geistliche Waffenrüstung“. Tragisch ist nur, wenn wir in der Sünde verharren, wenn wir am Boden liegen bleiben. Christus will uns wieder aufhelfen, er will uns immer wieder neu reinigen und unsere Sünde vergeben. Denn wir sind berufen zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Das Evangelium macht den Menschen frei von allen Gesetzen, Werken und irdischen Autoritäten, wenn es um seine Seligkeit geht. Und es macht ihn frei zum Dienst am Nächsten, frei zur Liebe um ihrer selbst willen, ohne dass sie Mittel zu einem anderen Zweck wird. Und deshalb stehen wir zusammen, in Christus, durch Christus und mit Christus. Das gilt jetzt während Corona und darüber hinaus. Und wir lassen uns nicht spalten, sondern respektieren, tragen und ertragen uns auch in unterschiedlicher Erkenntnis und Meinung. In Christus verbunden, sind wir füreinander da. Martin Luther hat die biblische Rechtfertigungslehre zugespitzt so zusammengefasst: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (aus „Freiheit eines Christenmenschen“)

Liebe Glaubensgeschwister!

So können wir voller Geduld und Freude mit Paulus sagen: Wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Die vollkommene Gerechtigkeit wird offenbar werden, wenn Christus am Ende der Zeit sichtbar wiederkommt, um die Seinen zu sich zu holen und alles zu vollenden.

Und bis es so weit ist?

Solange leben wir den Glauben an Christus in tätiger Liebe. Der christliche Glaube ist kein fauler, nur an sich denkender Glaube. Wir lieben Gott und leben nach seinen Geboten und wir lieben unseren Nächsten wie uns selbst. Und ihr alle seid von Christus Beauftragte, nämlich anderen auch in diese Freiheit zu verhelfen, indem ihr ihnen das Evangelium verkündigt und sie einladet in seine Gemeinde. Seid Boten und Zeugen Jesu Christi!

Amen.

Pfr. Ulrich J. Hauck, Predigt Reformationssonntag, Prot. Kirche Niederhorbach – 31.10.2021