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Auslegung von Psalm 2

Inhalt. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir diesen erhabenen Psalm den Königspsalm des Messias nennen, stellt er doch wie in einem wunderbaren Gesicht den Aufruhr der Leute gegen den Gesalbten des Herrn, sowie den bestimmten Ratschluss Gottes, seinen Sohn zu erhöhen, und die endgültige Herrschaft des Sohnes über alle seine Feinde dar. R. Lowth († 1787) sagt: »Die Einsetzung Davids und seine Befestigung auf dem Thron trotz dem Widerstande, den seine Feinde dagegen erheben, ist der Gegenstand des Psalms. David erscheint in demselben in zwiefacher Eigenschaft, in persönlicher und vorbildlicher.

Im Blick auf den geschichtlichen David liegt der Sinn des Psalms auf der Hand und wird durch die heilige Geschichte über allen Zweifel erhoben. Doch haben die Ausdrücke eine ungewöhnliche Glut, die Bilder sind von seltener Erhabenheit und die Sprache geht hie und da fast ins Übertriebene, als sollten wir dadurch absichtlich zur Betrachtung höherer und wichtigerer darin verborgener Dinge angeleitet werden. Beziehen wir, dieser Mahnung folgend, den Psalm auf die Person und die Angelegenheiten des geistlichen David, so tritt alsbald eine Reihe hochbedeutsamer Ereignisse vor unsern Blick, und der Sinn des Psalms wird noch klarer und zugleich noch erhabener. Die Färbung, die vielleicht zu kühn und grell scheinen mag für den König Israels, erscheint ganz angemessen, wenn auf Christum, dessen großes Gegenbild, bezogen. Fassen wir dann die beiden Gesichtspunkte zusammen, so tritt uns die ganze Schönheit und Großartigkeit dieses überaus anziehenden Gedichtes vor die Seele. Wir erkennen, wie die beiden Bedeutungen sich sehr bestimmt voneinander unterscheiden und dabei doch in vollem Einklang zusammentönen und eine wunderbare Ähnlichkeit in jedem einzelnen Zuge besitzen, während die Wechselbeziehung zwischen ihnen so genau festgehalten ist, dass jede von beiden als das Original betrachtet werden kann, dem die andere nachgebildet worden. Immerfort ergießt sich neues Licht über die Ausdrücke, die Gedanken nehmen stets zu an Bedeutung und Erhabenheit, bis sie, stufenweise von den Dingen hier unten zu denen droben, vom Menschlichen zum Göttlichen aufsteigend, das große, wichtige Thema mit sich aufwärts tragen und es zuletzt in die volle Klarheit himmlischen Lichtes stellen.«

Einteilung. Am besten werden wir den Psalm verstehen, wenn wir ihn als ein vierfaches Gemälde betrachten. V. 1-3: Das Toben der Völker. V. 4-6: Der Herr vom Himmel lachet ihrer. V. 7-9: Der Sohn verkündigt den göttlichen Ratschluss. V. 10-12: Den Königen wird der Rat gegeben, sich dem Gesalbten des Herrn in Gehorsam zu unterwerfen. Diese durch den Inhalt dargebotene Einteilung wird auch durch die dichterische Form bestätigt; der Psalm zerfällt ganz natürlich in vier Strophen von je drei Versen.

Auslegung

  1. Warum toben die Heiden, und die Völker reden so vergeblich?
  2. Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten:
  3. »Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile!«

Diese ersten drei Verse enthalten eine Beschreibung des Hasses der menschlichen Natur gegen den Christus Gottes. Die beste Erläuterung dazu finden wir in den Gebetsworten der ersten Christengemeinde Apg. 4,27 f.: »Wahrlich ja, sie haben sich versammelt über deinen heiligen Knecht Jesus, welchen du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und dem Volk Israel, zu tun, was deine Hand und dein Rat zuvor bedacht hat, dass es geschehen sollte.« Der Psalm beginnt ohne Einleitung mit einer zürnenden Frage. Und wahrlich, es ist nicht zu verwundern, dass der Anblick von Geschöpfen, die gegen ihren Gott in Waffen stehen, den Psalmisten in Staunen setzt. Wir sehen die Heiden toben, tosen wie das Meer, das von den ruhelosen Wogen hin und her geworfen wird, toben wie der Ozean im Sturm. Und dann nehmen wir wahr, wie die Völker in ihrem Herzen Eitles sinnen (Grundtext) gegen ihren Gott. Wo viel Wut ist, da ist gemeiniglich Torheit, und in dem vorliegenden Falle ist ein Übermaß davon vorhanden. Beachten wir, dass die Bewegung nicht nur von den Völkern kommt, sondern dass die Führer den Aufruhr unterstützen. Die Könige der Erde lehnen sich auf. In entschlossener Bosheit haben sie sich in Schlachtordnung gegen ihren Oberherrn aufgestellt. Es ist nicht eine vorübergehende Aufwallung, sondern tief gewurzelter Hass gegen den Fürsten des Friedens. Und die Herren ratschlagen miteinander. Sie führen den Krieg mit List, nicht in toller Hast, sondern mit Überlegung. Sie wenden alle Geschicklichkeit an, welche die Kriegskunst ihnen an die Hand gibt. Gleich Pharao beraten sie: »Wir wollen sie mit List dämpfen.« (2. Mose 1,10.)

Aber was sagen sie? Was bezweckt diese Bewegung? »Lasst uns zerreißen ihre Bande.« Freiheit wollen wir haben, Freiheit zur Ausübung aller Gräuel. Wir wollen unsere eigenen Götter sein. Lasst uns jeder Schranke uns entledigen! Und mit wachsender Unverschämtheit fügen die verräterischen Empörer hinzu: »Lasst uns von uns werfen ihre Seile« – als wäre das eine Kleinigkeit. Wie, ihr Könige, wähnet ihr denn, ihr seiet Simsons? Und sind die Seile des Allmächtigen in euren Augen wie frischer Bast? (Richt. 16,7.) Träumet ihr, dass ihr die Ratschlüsse des Allerhöchsten wie Werg zerreißen und zerstören könnet? Ja, es hat Monarchen gegeben, die also gesprochen: »Lasset uns zerreißen usw.,« und noch sitzen solche Rebellen auf Thronen. So wahnsinnig der Entschluss der Empörung wider Gott ist, so hat doch der Mensch seit seiner Erschaffung an demselben festgehalten und fährt darin fort bis auf den heutigen Tag. Ehe die herrliche Herrschaft Jesu in der Endzeit zur vollen Ausgestaltung kommt, wird noch ein schrecklicher Kampf die Völker erschüttern. Der Herr wird bei seinem Kommen sein wie das Feuer eines Goldschmieds und wie die Lauge der Wäscher, und sein Tag wird brennen wie ein Ofen (Mal. 3,2 u. 19). Die Erde mag ihren rechtmäßigen Herrscher nicht, sondern hängt dem Thronräuber an, der sich als ihren Herrn aufspielt. Die schrecklichen Kämpfe der letzten Tage werden sowohl die Liebe der Welt zur Sünde als auch Jahwes Macht, das Reich seinem Eingeborenen zu geben, voll aus Licht bringen. Für den Nacken der Unbekehrten ist Christi Joch unerträglich, aber dem geretteten Sünder ist es sanft und leicht. Wir können uns danach selbst prüfen: Ist uns dies Joch lieb, oder möchten wir es von uns werfen?

  1. Aber der im Himmel wohnet, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.

Wenden wir nun unseren Blick von den gottlosen Ratskammern und dem tobenden Aufruhr der Menschen zu der geheimen Stätte, da die Majestät des Allerhöchsten thront. Was sagt Gott? Was wird der König den Menschen tun, die seinen eingeborenen Sohn, den Erben über alles, verwerfen? Der im Himmel thronet lacht, der Herr (der Allherr, Adonai) spottet ihrer (Grundtext). Man beachte die ruhige Würde des Allmächtigen und die Verachtung, welche er über die Fürsten und ihre tobenden Völker ausschüttet. Er nimmt sich nicht die Mühe, von seinem Sitze aufzustehen und einen Kampf mit ihnen zu beginnen, – er verachtet sie; er weiß, wie widersinnig, wie unvernünftig, wie nichtig ihre Anschläge wider ihn sind, – darum lacht er, darum spottet er ihrer.

  1. Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken:
  2. »Aber ich habe meinen König eingesetzt auf meinen heiligen Berg Zion«.

Dann (Grundtext) wird er mit ihnen reden usw. Nach dem Lachen wird er reden; er braucht nicht die Hand zum Schlage zu erheben, der Hauch seiner Lippen ist genug. In dem Augenblick, da ihre Macht aufs Höchste gestiegen und ihre Wut am heftigsten geworden ist, dann wird sein Wort wider sie ergehen. Und zwar ein für sie sehr bitteres Wort. »Und doch,« sagt er, »trotz all eurer aufrührerischen Verschwörung, trotz der Klugheit eurer Beratungen, trotz der List eurer Gesetzgeber, dennoch habe Ich meinen König eingesetzt auf meinen heiligen Berg Zion.« Fürwahr eine großartige Proklamation! Er hat bereits getan, was die Feinde zu verhindern suchen. Während sie noch beraten, hat er schon alles entschieden. Jahwes Wille ist geschehen, und der Menschen Wille reibt sich vergeblich auf mit seinem Wüten. Der Gesalbte des Herrn ist eingesetzt und niemand kann ihn absetzen.

Schaue rückwärts durch alle die Zeiten des Unglaubens, lausche auf all die stolzen und lästerlichen Reden, welche Menschenkinder gegen den Allerhöchsten ausgesprochen, horche auf den rollenden Donner der Batterien, welche die Erde gegen die himmlische Majestät aufgeführt hat, – und denke dann, dass Gott bei alledem spricht: »Aber Ich habe meinen König eingesetzt auf meinen heiligen Berg Zion.« Dennoch herrscht Jesus, dennoch wird er die Frucht seiner Arbeit mit Lust schauen (Jes. 53,11). Dennoch wird sein unzerstörbares Reich (Dan. 2,44) kommen, wenn er sich gürten wird mit seiner großen Macht und herrschen bis an der Welt Ende. Schon herrscht er zu Zion und unser Mund lässt froh den Ruhm unseres Friedensfürsten erschallen. Mögen uns auch noch große Kämpfe vorhergesagt sein, so dürfen wir doch die gewisse Zuversicht hegen, dass unserem Herrn und König der Sieg gegeben werden wird. Herrliche Triumphe stehen noch bevor. Führe sie eilends herbei, o Herr! Zions Ruhm und Freude ist, dass ihr König bei ihr ist. Er schützt sie vor ihren Feinden und sättigt sie mit Gutem. Jesus sitzt auf dem Thron der Gnade und auf dem Thron der Macht inmitten seiner Gemeinde. Er ist Zions beste Schutzwehr. Mögen die Bürger der Gottesstadt sich in ihm freuen!

  1. Ich will von der Weise predigen, dass der Herr zu mir gesagt hat: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt;
  2. heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum.
  3. Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen.«

Der Psalm hat dramatische Form, darum wird jetzt eine andere Person redend eingeführt. Erst haben wir in die Ratsversammlung der Gottlosen einen Blick getan, sodann auf den Thron Gottes, und nun hören wir, wie der Gesalbte des Herrn seine Hoheitsrechte verkündigt und die Verschwörer vor dem Verderben warnt, dem sie entgegengehen.

Gott hat des wahnwitzigen Ratschlusses der Gottlosen gelacht und jetzt tritt Christus, der Gesalbte, selbst hervor, als der auferstandene Erlöser, der in Kraft erklärt und erwiesen worden ist als Sohn Gottes nach dem Geist der Heiligung durch die Auferstehung von den Toten (Röm. 1,4). Es ist, als sagte der Gesalbte zu den aufrührerischen Königen, indem er ihnen in die zornentflammten Angesichter schaut: »Wenn das nicht genügt, um euch zum Schweigen zu bringen, wohlan, so will ich von einem Ratschluss Jahwes verkündigen.« (Grundtext) Dieser Beschluss des Höchsten nun steht in unmittelbarem Gegensatz zu dem Anschlag der Menschen, denn sein Inhalt ist gerade die Aufrichtung der Herrschaft, gegen welche die Völker wüten. Der Herr hat zu mir gesagt: »Du bist mein Sohn.« Das ist ein herrlicher Erweis der Göttlichkeit unseres Immanuel. Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt?« Wie köstlich ist es, einen göttlichen Erlöser zu haben, auf den sich unser Vertrauen stützen darf! »Heute hab‘ ich dich gezeugt.« Bezieht sich das auf die Gottheit unseres Heilandes, so lasst uns nicht versuchen, sie zu ergründen, denn diese Wahrheit ist mit Ehrfurcht anzunehmen, nicht unehrerbietig zu ergrübeln. Und wir mögen hinzufügen, dass es uns, wenn sich die Worte auf den Eingeborenen in seiner menschlichen Natur beziehen sollten, auch nur gebührt, uns über das Geheimnis zu freuen, dass wir aber nicht wagen dürfen, die Heiligkeit desselben durch zudringliches Hineinspähen in die Heimlichkeiten des ewigen Gottes zu entweihen. Die Geheimnisse sind des Herrn, unsers Gottes; was aber offenbart ist, das ist unser und unserer Kinder ewiglich (5. Mose 29,29), und dessen ist genug, ohne dass wir uns in müßige Spekulationen versteigen. Viele haben sich in Irrwegen verloren bei dem Versuch, die Dreieinigkeit zu erklären oder das Wesen der Gottheit zu entschleiern. Große Schiffe haben da Schiffbruch gelitten. Was haben wir mit unserem gebrechlichen Kahn auf diesem Ozean zu tun?

»Fordere von mir.« Bei mächtigen Königen war es Brauch, dass sie ihren Günstlingen gaben, was diese begehrten. (Siehe z. B. Esther 5,6; Matth. 14,7.) So ist bei Jesu Bitten so viel als Haben. Hier erklärt er, dass eben diese seine Feinde sein Erbe seien. Ins Angesicht bezeugt er ihnen diesen Beschluss des Höchsten, und »Hört! Es gilt euch!«, ruft der Gesalbte, indem er mit seiner durchbohrten Hand das Zepter seiner Macht emporhält: »Er hat mir nicht nur das Recht gegeben, König zu sein, sondern auch die Vollmacht, meine Feinde zu besiegen.« Ja, Jahwe hat seinem Gesalbten ein eisernes Zepter gegeben, womit er die empörerischen Völker zerschlagen wird, und trotz ihrer Herrschergewalt werden auch die Könige nur wie Töpfe sein, wie solche werden sie mit Leichtigkeit in Scherben zerschmissen und zerschmettert werden, wenn das eiserne Zepter in der Rechten des allmächtigen Gottessohnes über sie kommt. Was sich nicht beugen will, muss brechen. Irdenes Geschirr, das in Stücke zerbrochen ist, kann nicht wiederhergestellt werden; so wird auch das Verderben der Sünder hoffnungslos sein, wenn der Herr sie zerschmeißen wird.

  1. So lasst euch nun weisen, ihr Könige, und lasst euch züchtigen, ihr Richter auf Erden!
  2. Dienet dem Herrn mit Furcht, und freuet euch mit Zittern!
  3. Küsset den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald entbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen!

Wiederum ändert sich die Szene. Der Prophet selber tritt auf und erteilt denen heilsamen Rat, die sich zu dem unseligen Ratschluss der Empörung zusammengetan haben. Sie werden ermahnt, sich zu unterwerfen und dem, den sie gehasst haben, den Kuss der Huldigung und Liebe zu geben.

So lasst euch nun weisen. Willigkeit, sich unterweisen zu lassen, ist stets weise, besonders wenn sol­che Unterweisung auf das Heil unserer Seelen abzielt. »Zögert nicht länger, werdet doch vernünftig! Euer Feldzug kann euch ja nicht gelingen; darum steht davon ab und unterwerft euch freiwillig dem, der euch zur Beugung vor ihm zwingen wird, wenn ihr sein sanftes Joch verschmäht.« O wie weise, wie unendlich weise ist es, Jesus gehorsam zu werden, und wie schrecklich ist die Torheit derer, die in der Feindschaft gegen ihn beharren! Dienet dem Herrn mit Furcht. Ehrfurcht und Demut beseele euren Dienst. Er ist der große Gott, ihr seid nur schwache Geschöpfe; beugt euch daher in heiliger Anbetung, und lasst kindliche Ehrfurcht sich mit pünktlichem Gehorsam gegen den Ewigen verbinden. Und freuet euch mit Zittern. Heilige Furcht muss mit der Freude des Christen stets vereint sein. Das ist eine heilige Mischung, die auf dem Altar des Herrn einen süßen Geruch ausströmt; lasst uns ja keinen anderen Weihrauch auf Gottes Altar bringen. Furcht ohne Freude ist Pein; Freude ohne heilige Furcht wäre Vermessenheit. Man beachte, wie feierlich die Aufforderung zur Versöhnung und Unterwerfung begründet wird. Es ist schrecklich, mitten im Sündenlauf umzukommen auf dem Wege der Empörung. Es ist hohe Zeit, dem göttlichen Strafgericht durch Buße zuvorzukommen, denn das Maß ist bald voll, das den Ausbruch des göttlichen Zornes bewirkt. Es braucht nicht mehr viel, so entbrennt sein Zorn. Sünder, nimm dich in Acht vor den Schrecken des Herrn, denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer (Hebr. 12,29). – Lasst uns die Seligpreisung beherzigen, womit der Psalm schließt: Wohl allen, die auf ihn trauen! Haben wir an diesem Glück teil? Bergen wir uns glaubensvoll in dem Ewigen? Unser Glaube mag schwach sein wie ein Spinnenfaden; ist er aber echt, so sind wir nach dem Maße unseres Glaubens glücklich und gesegnet. Je völliger unser Vertrauen auf den Herrn wird, desto reichlicher werden wir auch die Glückseligkeit des Glaubens erfahren. Wir wollen daher die Betrachtung dieses Psalms mit der Bitte der Jünger schließen: »Herr, stärke uns den Glauben« (Luk. 17,5).

Der erste Psalm hat den Gegensatz zwischen dem Gerechten und dem Sünder dargestellt; der zweite veranschaulicht den Gegensatz zwischen dem stürmischen Aufruhr der ungöttlichen Welt und der gewissen Erhöhung des gerechten Sohnes Gottes. In dem ersten Psalm sahen wir die Gottlosen verweht wie Spreu; in dem zweiten schauen wir sie in Stücke zerbrochen wie Töpfergeschirr. Im ersten Psalm richtete sich unser Blick auf das fröhliche Gedeihen des Gerechten, da er grünt wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen; und hier erblicken wir Christus, das Bundeshaupt der Gerechten, in noch höherer Lebensfülle, denn er ist zum König eingesetzt über alle Lande und alle Heiden neigen sich vor ihm in den Staub, während er selbst segnend seine Hände ausbreitet über alle, die auf ihn ihre Zuversicht setzen. Die beiden Psalmen sind der eingehendsten Aufmerksamkeit wert; sie können in der Tat als Vorwort zum ganzen Psalter (Psalm 1 nach der sittlichen, Psalm 2 nach der prophetischen Seite) gelten und sind auch von manchen der Alten in einen zusammengefasst worden. Doch sind es zwei verschiedene Psalmen. Der erste zeigt uns das Wesen und das Los der Gerechten, und der andere weist uns auf den messianischen Charakter der Psalmen hin. Dass beide Psalmen einen weit reichenden prophetischen Ausblick haben, ist uns gewiss; aber wir müssen es geschickteren Händen überlassen, dies Gebiet zu erschließen.

Quelle: Charles H. Spurgeon, Die Schatzkammer Davids. Eine Auslegung der Psalmen
4 Bände. 2. Aufl. des Nachdrucks. Bielefeld 2000. ISBN: 3-89397-372-9