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Wahre und falsche Modernität und Popularität in der Verkündigung

Das ist die Forderung, die beständig an uns gestellt wird: Wir sollen modern und populär sein in unserer Verkündigung. Und wir sehen, wie die einen sich gegen diese Forderung heftig sträuben und sich damit isolieren, und wir sehen andere, die dieser Forderung so willig nachgeben, daß ihre Verkündigung eben keine Verkündigung mehr ist. Wir müssen zunächst fragen: Was heißt denn Modernität und Popularität? Wenn wir von Popularität sprechen, dann denken wir dabei an den Mangel unserer Hörer. Einer, der populär redet, hat begriffen, daß die Menge der Hörer ein nur begrenztes Sehfeld hat, und erstellt sich in seiner Rede auf diese Armut ein. Bei dem Worte Modernität denken wir an den geistigen Besitz der Hörer. Sie sind Kinder ihrer Zeit, und das, was ihre Zeit ihnen gibt, ist ihr Besitz. Wer mit diesem, aus der Gegenwart gegebenen Besitz der Hörer zu rechnen versteht, spricht modern.

Es taucht nun zunächst die Frage auf: Darf unsere Verkündigung überhaupt danach streben, modern und populär zu sein? Von zwei Seiten her wird uns das bestritten. Erstens von der Praxis der homiletischen Ausbildung. Ich erinnere mich jener Stunde, als ich im homiletischen Seminar einen Text bekam mit dem Auftrag, hierüber eine Predigt auszuarbeiten. Auf die Frage, wie ich mir denn meine Gemeinde vorzustellen hätte, als Beamte, Industriearbeiter, Bauern oder Regierungsräte, wurde mir die Antwort: „Das ist ganz gleichgültig, machen Sie nur erstmal Ihre Predigt.“ Es wurde also bewußt verzichtet auf die Fragen: Was ist denn der vorhandene geistige Besitz der Hörer? und: Inwieweit bin ich beschränkt durch die geistige Armut der Hörer? Also bewußter Verzicht auf Popularität und Modernität. Vielleicht ist allerdings in diesem Falle der Verzicht weniger auf eine klare Überlegung als vielmehr auch auf eine geistige Armut zurückzuführen. Von einer anderen Seite her wird viel ernster bestritten, daß die Verkündigung modern und populär sein soll: Von einer Theologie, die uns sagt: Das Wort! Das Wort! Verkündige einfach das Wort, das schon irgendwie einen Weg sich selber bahnen wird. Aber mache nur du dich nicht anheischig, dies Wort durch das Schielen nach dem Hörer wirkungsvoller machen zu wollen. Gegen diese Bestreitung wenden wir ein Doppeltes ein.

  1. Die eigene Erfahrung. Auch uns traf „das Wort“ nur, sofern und soweit es für uns populär und modern wurde, d. h. sofern es uns in unsrer Gedankenarmut verständlich wurde und uns mit unserm geistigen Besitz erfaßte und traf.
  2. Die apostolische Praxis. Wir werfen einen Blick auf die Predigttätigkeit des Paulus. Da ist zunächst zu sagen, daß Paulus einen Grundsatz aufgestellt hat, 1. Korinther 9,19—23, zusammengefaßt in dem Sätzlein: „Ich bin jedermann allerlei geworden, auf daß ich ja etliche selig mache.“ Und nun haben wir vier Reden des Paulus, die wir unter unserem Gesichtspunkte ansehen wollen. Da ist zunächst Apostelgeschichte 13,16ff. Dort spricht Paulus zu der Synagogen-Gemeinde. Der geistige Besitz waren die Schrift, die Geschichte des Volkes Israel und die Verheißungen Gottes. Die Frage, die sie bewegte, war die Frage nach der Gerechtigkeit. Man lese diese Rede durch, um zu sehen, wie Paulus an diesen Besitz der Gemeinde anknüpft und im Evangelium die Antwort auf die Frage der Gemeinde nach der Gerechtigkeit gibt: „Wer an diesen glaubt, der ist gerecht“, Vers 39.54

Die nächste Rede des Paulus ist die Rede auf dem Areopag (Apg. 17,22ff.). Hier redet Paulus nicht von den Verheißungen Gottes und nicht von seinen Bezeugungen in Israel. Das sind Dinge, die nicht im Blickfeld der Athener standen. Dagegen knüpft er an an den geistigen Besitz der Athener. Er spricht von ihren Altären und ihren Poeten. Die dritte Rede steht Apostelgeschichte 22. Das ist die große Rede, die Paulus von den Stufen der Burg zu seiner Rechtfertigung vor dem Volke hält. Hier vor der Masse setzt er weder die Schrift noch die Poeten voraus. Er macht es wie der moderne Massenevangelist: Er legt ein Zeugnis ab und erzählt eine Bekehrungsgeschichte. Die nächste Rede steht Apostelgeschichte 26. Da steht Paulus vor Festus und Agrippa. Das waren zwei Männer, die erfüllt waren von der Frage nach der Macht. Darum spricht Paulus hierdavon, daß Christus der Mächtigste sei.

Diese kurze Übersicht zeigt, daß Paulus durchaus bemüht war, in seiner Verkündigung populär und modern zu sein. Er sprach nicht von Dingen, die den Leuten unverständlich waren. Dagegen knüpfte er seine Reden immer da an, wo im Bewußtsein seiner Hörer etwas vorhanden war. Wer in seiner Verkündigung auf Popularität und Modernität verzichten will, der hat 1. Korinther 13 nicht verstanden, denn die Liebe gebietet, das Evangelium so zu verkündigen, daß es dem Hörer faßbar wird. Unsere Verkündigung muß also populär sein, sie hat herabzusteigen zur geistigen Armut des Hörers. In dieser Beziehung entstehen für uns heute ganz besondere Aufgaben. Die moderne Schule hat so viel experimentiert, daß jetzt eine Generation heranwächst, die weithin des primitivsten Wissens ermangelt. Ich habe eine Reihe von Schülern daraufhin einmal geprüft. Sie wußten weder, wieviel Erdteile es gibt, noch, wer Napoleon sei, noch zu welchem Lande Hamburg gehöre. Und unter diesen Schülern waren Gymnasiasten. Als ich nach dem deutschen Fußballmeister fragte, wußten alle Bescheid. Rechnen müssen wir auch mit der außerordentlich geringen Bibelkenntnis. Ich habe Konfirmanden, die aus 5 verschiedenen evangelischen Schulen kamen, nach der Geschichte vom verlorenen Sohn gefragt und keiner kannte sie. Es wird ja nicht überall in dieser Beziehung so trübe aussehen. Aber dadurch, daß die moderne Schule mehr Erziehungsschule als Lernschule sein will, wird der geistige Besitz des Volkes verkleinert.

Auch dadurch, daß heutzutage der Beruf den Menschen ungeheuer in Anspruch nimmt, wird eine gewisse Verarmung des geistigen Lebens herbeigeführt. Wer in der Arbeit der Inneren Mission steht, weiß genau, daß man zu Artisten, Kellnern, Straßenbahnern usw. nur in ihrer Sprache reden kann. Und überhaupt: Wir Akademiker überschätzen in unserer Verkündigung gar zu leicht das Fassungsvermögen unserer Zuhörer. Ich habe Predigten in Arbeitergemeinden gehört, die als Vorlesung auf einer Volkshochschule ganz hübsch gewesen wären, die aber über die Köpfe der Mehrzahl der Gemeindeglieder einfach hinweggingen. Wenn wir populär sein wollen, müssen wir auch rechnen mit der geringen Konzentrationsfähigkeit des modernen Menschen. Das moderne Tempo, das Vielerlei unserer Zeitungen, das Kino und die tausend starken Eindrücke der letzten Jahre haben den modernen Menschen unfähig gemacht, sich längere Zeit auf eine größere Gedankenreihe zu konzentrieren. Darum muß unsere Verkündigung viel kürzer sein als die vergangener Zeiten. Beim Großstädter hört die Aufnahmefähigkeit nach 20 Minuten auf. Darum darf unsere Verkündigung nicht mit einem Gedanken anfangen, der im Laufe einer halbstündigen Predigt zu Ende geführt ist, sondern unsere Predigt muß in Gruppen von kleineren Gedankenreihen gegliedert sein. Daher haben auch die Beispiele und packenden Erzählungen in der modernen Evangeliumsrede ihre große Bedeutung.

Unsere Verkündigung muß modern sein, d. h. sie muß rechnen mit dem geistigen Besitz der Zuhörer. Das gilt sowohl für die Gestaltung der Form als auch für den Inhalt, für die Fragestellung. Sprechen wir zunächst von der Form. Da gibt es ein modernes Schlagwort, welches in treffender Weise den Geist unserer Zeit kennzeichnet. Dies Wort heißt Sachlichkeit. Vielleicht erreicht unsere Kirche darum weithin nur noch Kinder und Greise, weil sie vielfach mit Gemütswerten operiert, die dem modernen Menschen einfach lächerlich sind. Die Form der Rede muß sachlich sein. In früheren Zeiten war der Schmuck eines Hauses eine reiche Ornamentik. Die moderne Bauweise ist sachlich, d. h., sie verzichtet auf allen Stuck. Der Schmuck des Gebäudes ist die überzeugende Gliederung der Baumassen. So soll es auch für unsere Rede gelten. Der Schmuck unserer Rede sei nicht eine blütenreiche Sprache, sondern eine überzeugende Gliederung der zu verkündigenden Tatsachen. Noch vor 8 Jahren erklärte mir ein bedeutender Kanzelredner: „Es ist sehr wichtig, junger Freund, daß Sie in Ihrer Predigt die Übergänge von einem Teil zum andern möglichst reich gestalten, daß in Ihrer Predigt keine abrupten Übergänge entstehen.“ Solcher Rat ist heute völlig überholt. Schlagen wir den Stuck herunter und lassen wir eine klare überzeugende Gliederung so hervortreten, daß sie dem Hörer völlig durchsichtig wird. Auch die Sprache muß sachlich sein. Ich kenne einen Prediger, dem vor Jahren alles zulief, weil er eine so gewaltige Stimme hatte. Heute wirkt das Pathos dieses Mannes nur noch lächerlich. Und ich weiß von einem anderen Pfarrer, der noch vor einigen Jahren die Gemüter der Gemeinde dadurch heftig bewegte, daß er hie und da auf der Kanzel zu weinen anfing. Vor einem Jahr kamen zu diesem Pfarrer eine Schar junger Männer und sagten ihm: „Wir hören Sie ja ganz gerne, aber wenn Sie noch einmal weinen, können wir nicht mehrkommen. Das ist peinlich.“ Sachlich sei die Sprache. Auch die Themastellung, namentlich der evangelistischen Rede, muß sachlich sein, d.h., sie darf nicht Falsches versprechen. Wenn man irgendein sensationelles Thema nimmt, das nachher nur als Sprungbrett für allerlei anderes benutzt wird, dann schafft das nur Verärgerung, aber nicht Bereitschaft zum Hören. Und sachlich müssen die Ausführungen sein.

Es gibt eine Theologie, die sagt „Auferstehung“ und meint nicht „Auferstehung“. Solche Dinge sind dem modernen Menschen unerträglich. Man spreche so, daß auch der primitivste Mensch weiß, was nun eigentlich gemeint ist. Auch in der Beziehung wird häufig gesündigt, daß man irgendeine moderne Not anschneidet, etwa die Ehenot oder die Lage der Arbeitslosen, und anstelle einer Antwort und Lösung nur einige verlegene fromme Worte macht. Es ist kein Unglück, wenn wir auch einmal eine Ratlosigkeit zugeben. Aber das ist ein Unglück, wenn wir dem Menschen in seiner Not ein Bibelwort geben, mit dem er nichts anfangen kann.

Wenn es wahr ist, daß unsere Verkündigung heute sachlich sein soll, dann ist damit zugleich gesagt, daß die Evangelien mehr als je auf den modernen Menschen zugeschnitten sind. Denn es gibt keine sachlichere Berichterstattung als die der Evangelien. Fassen wir also zusammen: Populär und modern sei unsere Verkündigung, weil die Liebe uns treibt, das Evangelium so zusagen, daß es verstanden wird. Aber ganz gewiß gibt es auch falsche Popularität und Modernität. Die beginnt dort, wo nichtmehr die Liebe zum Evangelium und zum Hörer das Dominierende ist, sondern die Liebe des Redners zu sich selbst. Also: ich will populär und modern sein, um die Herzen für das Evangelium zu gewinnen. Aber falsch ist es, wenn ich populär und modern verkündige, um ein beliebter und viel besuchter Prediger zu sein. Das ist falsch, wenn Popularität und Modernität Selbstzweck werden, unter dem das Evangelium verschwindet. Das ist falsch, wo um der Popularität und der Modernität willen das Evangelium verkürzt wird. Paulus sagt da zwei sehr klare Worte: 1. Korinther 1,23: „Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“, und 1. Korinther 2,1—2: „Auch ich, liebe Brüder, der ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt. Denn ich hielt nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch als allein Jesus Christus den Gekreuzigten.“

Also das ist falsche Modernität, wo das Ärgernis des Kreuzes schmackhaft gemacht werden soll. Das ist falsche Popularität, wo die Predigt den Beifall der Menge erregt und nicht mehr die Gewissen trifft. Wohl uns, wenn wir so modern und populär reden, daß das Kreuz Christi begriffen wird. Wehe uns, wenn wir so populär und modern reden, daß das Kreuz als Gericht und Gnade verdunkelt wird. Es gibt eine Verkündigung, die ist bereits Gericht Gottes. „Sie werden sich selbst Lehrer aufladen, nach denen ihnen die Ohren jucken“ (2. Tim. 4,3). Das werden Prediger sein, die im höchsten Maße modern und populär sind und doch eine „Last“, ein Spott Gottes. In alter wie in neuer Zeit ist solche falsche Popularität und Modernität nicht vermieden worden. Wir kennen alle die Predigten und Evangelisationen, wo der Zuhörer seelisch erregt und aufgepeitscht wurde, aber das Gewissen blieb ungetroffen. Oder ich denke an manche moderne Verkündigung, wo man sucht, mit irgendwelchem sozialen oder problematischen Gerede den Beifall der Menge zu erringen und damit die Zeugenstellung aufgab. Fassen wir alles zusammen: Wir brauchen mehr denn je die göttliche Ausrüstung des Heiligen Geistes. Der befestigt uns so im Evangelium, daß wir lieber sterben, als daß wir auch nur ein Stücklein der Botschaft um des Zeitgeistes willen aufgeben. Der gibt uns aber auch die Liebe, die unermüdlich darum ringt, die offene Türe zum Herzen des anderen zu finden, und die der Losung nicht müde wird: „Wir wollen auf sein Kreuz solange weisen, bis es durch ihre Herzen geht.“

Pfarrer Wilhelm Busch (1930)

Aus: Jesus predigen, Aussaat-Verlag, 2002

Zuerst veröffentlicht in: Vom Dienst des Predigers (Wilhelm Busch/August Knorr: Gespräch über das Predigen. Praktische Ratschläge für Prediger und Predigthörer. Berlin: Furche Verlag 1938, S. 5—32) Wie kommt unsere Botschaft heute noch an (Licht und Leben,1963, S. 68—73 — gekürzt) Wahre und falsche Modernität und Popularität in der Verkündigung (Pastoralblätter 1930 — gekürzt)