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Predigt aus Markus 2,13–17: Die Berufung des Levi – Warum die Gnade nur der versteht, der Gott als den Dreieinigen erkennt

Hören Sie hier die Audio-Aufzeichnung der Predigt. [1]

13 Und er ging wieder hinaus an den See; und alles Volk kam zu ihm, und er lehrte sie. 14 Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach. 15 Und es begab sich, daß er zu Tisch saß in seinem Hause, da setzten sich viele Zöllner und Sünder zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern; denn es waren viele, die ihm nachfolgten. 16 Und als die Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, daß er mit den Sündern und Zöllnern aß, sprachen sie zu seinen Jüngern: Ißt er mit den Zöllnern und Sündern? 17 Als das Jesus hörte, sprach er zu ihnen: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde!

Am heutigen ersten Sonntag nach Pfingsten feiert die Christenheit seit rund 700 Jahren das Fest der Dreieinigkeit. Wir haben Trinitatissonntag. Was wird gefeiert, bedacht, angebetet? Daß Gott in all seiner Herrlichkeit und Heiligkeit nicht einsam ist, sondern in der ewigen Gemeinschaft dreier Personen lebt und regiert. Das Trinitatisfest schließt die Reihe der kirchlichen Feste ab, die alle mit dem Leben und Wirken des menschgewordenen Sohnes Gottes zu tun haben: wie eine Zusammenfassung! Gott als Dreieinigen zu erkennen, faßt sein Wesen und Wirken zusammen. Ab jetzt zählen wir die Sonntage immer nach dem Trinitatisfest: 1. So. n. Trin., 2. So. n. Trin., 3. So. n. Trin. usw.

Wir würden kaum diesen Anlaß haben und ein halbes Jahr nur nach diesem Fest zählen, wenn nicht jede christliche Wahrheit irgendwie mit der Wahrheit des dreieinigen Wesens Gottes verknüpft wäre. Erinnern Sie sich? In der Weihnachtszeit singen wir „Tochter Zion, freue dich“ – und warum soll sie sich freuen? Antwort: „Siehe, dein König kommt zu dir“. Das ist das Besondere: Der dreieinige Gott will auch als Dreieiniger nicht einfach bei sich selbst bleiben, sondern der Vater sendet den Sohn aus sich heraus zu den Menschen. Der Sohn kommt zu uns, um uns zu retten aus Sünde, Tod und Teufel. Gott der Vater und Gott der Sohn senden Gott den Heiligen Geist, um bei uns zu sein und zu bleiben, damit die Gemeinde als Leib Christi das Sammlungswerk Gottes fortsetzen kann.

Vom Kommen des Königs, vom Kommen des heiligen Gottes zum Sünder erzählt der Bibeltext, der in der Predigtreihe für heute vorgesehen ist.

Drei Teile: Nr. 1 und 3 handeln von Levi, Nr. 2 vom Kommen des Dreieinigen Gottes.

I – Levis „Bewegnung“ mit Jesus

Es geht um einen ganz besonderen Sünder: Levi mit Namen. Vom Namen her sollte er es mit dem Gesetz genau nehmen („Levitikus“). Aber alle wußten: Nein, für den ist Gottes Wort egal. Der futiert sich darum! Der arbeitet mit den Römern zusammen! Denn er pachtet eine Zollstation. Das funktioniert so: Wer den Römern am meisten bieten konnte, dem wurde die Station überlassen. Die Investition wurde dann bei denen, die man kontrollierte, wieder eingetrieben.

Und so dachten die Vorübergehenden, erst recht die, die für ihre Waren einen übertriebenen Zoll zahlen mußten: dieser Mann ist bei Gott verworfen. Und Levi selbst, was dachte er? Er wußte wohl, was die Leute dachten. Die Pharisäer riefen ihn zur Buße. Aber er konnte nicht anders. Oder sogar: Er wollte nicht anders. Er dachte vielleicht: Ihr denkt, ich komme in die Hölle? Na wartet, vorher dürft ihr mir noch etwas zahlen.

Doch als Jesus kam, veränderte sich die Situation grundlegend. Das ging so: Bei der Heilung des Gelähmten, von der ihr am 9.Mai gehört habt, zeigte Jesus seine Vollmacht: Er kann nicht nur heilen, sondern er kann tun, was nur Gott tun kann: nämlich Sünden vergeben. Das, liebe Freunde, ist die köstliche, trostreiche Botschaft des Neuen Testaments.

„Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodaß sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.“ (Mk 2,10–12)

Jesus hat Macht, zu vergeben und zu heilen: Denn in ihm kommt Gott zu uns. „Siehe, dein König kommt zu dir!“

Die Geschichte von der Berufung des Levi führt nun ein Stück weiter: Dazu verläßt Jesus Kapernaum und geht hinunter zum See. Nur im Vorübergehen – er hatte wohl nichts zu verzollen – sieht er Levi an seinem Zolltisch sitzen. Aber wenn es bei Jesus extra heißt, daß er jemanden „sieht“, dann ist das eine besondere Zuwendung, bei Petrus und Nathanael gar die Erwählung zum Jünger und Apostel (Joh 1,42.47). So auch bei Levi. Die Begegnung zwischen ihm und Jesus wird von Markus äußerst knapp geschildert.

„Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.“ (Mk 2,14)

Keine Silbe davon, was wohl in Levi vor sich gegangen ist. Auf die Pharisäer hatte er nicht gehört. Jetzt plötzlich läßt er für einen obskuren Wanderprediger alles stehen und liegen? Ob er von seiner Arbeit frustriert war? Ob er schon von Jesus gehört hat und einmal etwas anderes probieren wollte? Das ist alles Spekulation und führt nicht weiter. Das starke psychologische Interesse, mit sich dem heutige Ausleger, gerade auch evangelikale Ausleger, dem Text nähern, teilt der Evangelist Markus offenbar nicht.

Nur eines zählt: Jesus ruft, und Levi folgt. Im Lukasevangelium ist es noch eine Spur stärker: „Und er verließ alles (!), stand auf und folgte ihm nach. Und Levi richtete ihm ein großes Mahl zu …“ (Lk 5,28).

Das zählt: „Jesus, dir nach, weil du rufst! Dir folgen, weil du bist, der du bist!“ Weil mir in Jesus Gott selbst begegnet, darf ich vertrauen, daß sein Ruf gut ist, kann ich loslassen, aufstehen, und mit ihm eine neue Richtung einschlagen. Wer im Ruf Jesu den Ruf Gottes hört, für den ist Loslassen leicht – das gilt für alle Wendepunkte unseres Lebens. Und das ist der Haken, mit dem sich Gottes Wort in unserem Herzen festsetzen will: Wenn wir diese Erzählung hören, wird der Weg Jesu zu Levi (bzw. der Weg Levis zum Glauben) auch zur Einladung an jeden von uns: Hast du den Ruf des Herrn gehört? Hast du schon ganze Sache mit ihm gemacht oder meinst du noch, in deinem ungerechten Zollbüro bleiben, auf Kosten anderer leben zu können?

Levi holte Jesus und seine Jünger zu sich nach Hause und machte ihnen ein großes Mahl. Es heißt ausdrücklich, daß es viele waren, die ihm nachfolgten. Levi war nicht der einzige, der als Zöllner und Sünder schief angesehen wurde. An Levi zeigt sich: Jesus kann nicht nur heilen und Sünden vergeben, wie beim Gelähmten zuvor in Kapernaum. Er will auch in die Gemeinschaft führen. Trinitatis! Dein König kommt zu dir!

Die Ermahnungen der Pharisäer hatten nichts gefruchtet. Wer nur das Gesetz vorgehalten bekommt, aber Gott nicht kennt, also den Heiligen Geist nicht hat, kann es nicht halten. Er wird immer seine eigene Gerechtigkeit definieren und versuchen, sie zu leben, oder seine Beschreibung von Gerechtigkeit dem eigenen Leben anzupassen. Kennen wir nicht solche Gedanken aus dem eigenen Herzen? Reden wir nicht gerne vom Guten, Wahren und Gerechten so, daß es möglichst zu unserem faktischen Leben stimmt?

II – „Mit den Zöllnern und Sündern ißt er?“ (V. 16)

Die Schriftgelehrten gelangen an die Jünger … Hintenherum?! Erst mal das Gelände abtasten?

Von den Jüngern keine Antwort. Ist nicht relevant.

Jesus aber hört die Frage, und sie ist so wichtig, daß er sie sofort beantwortet, ebenfalls in aller Kürze, wie das bei Markus typisch ist:

„Die Starken bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“ (V. 17)

Hier ist der Punkt, der die Schriftgelehrten stört: Sie denken, der Messias würde die Reinen und Gerechten sammeln, den heiligen Rest stärken und von allem Unreinen absondern. Ein Schriftgelehrter versucht, sich selbst auf das Kommen des Messias vorzubereiten, ja, dieses Kommen durch gerechtes Tun zu beschleunigen!

Doch sie haben Gott nicht als den Dreieinigen erkannt und können daher auch nicht seine Gnade verstehen. Es hat wieder mit Trinitatis zu tun: Wäre Gott nur eine Einzelperson, die sich selbst genügt, und nicht in sich eine Gemeinschaft, so käme es ihm auf Absonderung, Reinheit usw. an. Weil er aber Gemeinschaft in sich selbst ist, und die Seinen ihm gleich werden sollen, will er, daß die Seinen trotz aller Unterschiedlichkeit in ihm ein Leib werden, ja daß sie eins werden unter ihm als seinem Haupt. Hören wir zu, was Jesus betet:

Johannes 17:

17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. 18 Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. 19 Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. 20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.“

Aus der Gemeinschaftlichkeit Gottes folgt der Gemeinschaftscharakter seiner Geschöpfe – nicht erst der Gemeinde. Es gibt ja praktisch kein Geschöpf, das ausschließlich für sich selbst in der Umwelt da ist. Jedes Geschöpf, jedes Geschaffene hat seinen Zusammenhang mit anderen Geschöpfen, und zwar nicht nur hinsichtlich Fressen und Gefressenwerden, sondern hinsichtlich eines je speziellen Nutzens: Insekten, Vögel und Wind helfen den Pflanzen beim Verbreiten des Samens, Bäume halten mit ihren Wurzeln den Erdboden fest, gerade an Berghängen, und werden selbst vom Boden gehalten usw. Die Konstellationen der Sterne sind äußerst präzise aufeinander abgestimmt, damit das Universum überhaupt bestehen kann[1] [2] usw. Bei den Menschen ohnehin.

Aus der Sünde folgt die Vereinzelung des Menschen, aus Einzigartigkeit wird Einzelgängertum, Egoismus usw.

Nein, nicht zur Absonderung, sondern gerade um auch die Unheiligen und Sünder in die heilige, heiligende und heilende Gemeinschaft Gottes hineinzuführen, dazu ist der König, der gute Hirte gekommen. Er sucht und findet das Verlorene. Dazu kehrt der König in meine Hütte, in mein Herz ein. Dazu führt mich der gute Hirte auf rechter Straße und weidet mich auf grüner Aue.

„Richte dir auch eine Bahn, Herr, in meinem Herzen an!“ Wie geschieht das? Wir müssen zuerst erkennen, daß wir es selbst nicht können. Hören wir eine frühe Predigt Martin Luthers dazu (1516):

„Es steht das ganze Heil darin, nicht daß wir Sünder werden, sondern daß wir ohn alle Blindheit wissen und erkennen, daß wir Sünder sind, wie Psalm 51 geschrieben steht: vor dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan.“[2] [3]

Zu erkennen ist also, was wirklich Sünde ist! Zu einer solchen Erkenntnis kommen die nicht, die nur Tatsünden kennen, die also Sünde nur vom weltlichen Sprachgebrauch her verstehen als Parksünder, Verkehrssünder, Klimasünder, Eßsünder usw., und die dann auch die Buße, die Gott von uns will, von der in der Welt zu zahlenden Buße her verstehen: Buße für zu schnelles Fahren, Buße für Nichteinhaltung der Hygieneauflagen, Einzahlung in den Klimafonds (der weltliche Ablaßhandel) usw. usw. Nein, die Sündenerkenntnis, und die Buße, um die es Gott geht, reicht viel tiefer, auch viel tiefer, als jeder Psychologe bei uns hineinblicken könnte. Zu den Tatsünden kommt die Personsünde, oder Grundsünde hinzu: Unsere grundsätzliche Entfernung von Gott, die kein Mensch überwinden kann. Man kann es mit einem Baum vergleichen: Die Tatsünden betreffen die Zweige und Blätter, die Personsünde betrifft Stamm und Wurzelwerk. Man kann wohl an den Blättern da und dort ein wenig herumschneiden. Aber wegen der Personsünde ist der Stamm verkehrt, und haben sich die Wurzeln in ein giftiges Erdreich eingesenkt und müssen deswegen immer verdorbene Früchte tragen. Aus welchem Boden ziehst Du Deinen Saft? Auf welchem Boden reifen deine Früchte?

Die Pharisäer wollten mit ihrem eigenen Werk Gott den Boden bereiten. Aber sie merkten nicht, daß sie selbst auf giftigem Boden wurzelten. Dort richteten sie ihre eigene Gerechtigkeit auf und maßen die anderen daran. So sind auch oft Menschen unserer Zeit, wenn sie von Gerechtigkeit reden. Das Übel an der Wurzel packen können sie nicht, weil sie den falschen Boden gar nicht erkennen, auf dem sie stehen: Der Boden des Selbstseinwollens, des Ohne-Gott-Seinwollens (gewählter ausgedrückt: eine säkulare Haltung zur Welt), auch der Boden der Staatsgläubigkeit und Staatsergebenheit statt eines gewissen Gottvertrauens.

Christus ruft die, die erkennen: Ich muß woanders einwurzeln, aber als Baum kann ich mich nicht selbst umpflanzen. Ich brauche eine Buße, die ich gar nicht selbst leisten kann, die nur Gott schenken kann. Ich brauche eine Vergebung, die nur jemand schenken kann, der selbst ohne Sünde ist. Das ist der Heiland: Jesus Christus!

Dem Levi wird das Umpflanzen durch den Ruf Jesu zuteil. In einem einzigen Augenblick ist ihm klar: Jetzt oder nie. „Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.“

Wer sich darauf einläßt, erfährt tiefen Frieden und ungekannte Freude. Noch einmal in Anlehnung an Luther gesprochen: Selig sind die, die glauben können, daß ihre Sünde durch Gottes Gnade, durch das Kreuz Jesu geheilt wird – nicht durch ihre eigene Bußleistung, nicht durch ihre selbst zurechtgelegte Gerechtigkeit, sondern durch die Gerechtigkeit Gottes, die in Jesus offenbar wird.

III – Der spätere Weg Levis

Manche wissen es vielleicht: Der Levi des Markusevangeliums ist der Matthäus im Matthäusevangelium. Levi wurde nicht nur in die Nachfolge als Jünger gerufen, sondern er wurde auch Apostel. Und nicht nur das, er wurde der Verfasser des ersten Buches des Neuen Testaments. Es ist das Buch des Neuen Testaments, das den Zusammenhang von Altem und Neuem Testament ganz stark betont, das die unverbrüchliche Gültigkeit und die Erfüllung des Gesetzes durch Jesus einschärft: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen“, „so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“, „trachtet zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen“ usw. – ich glaube, seit seiner Bekehrung hat Levi bzw. hat Matthäus besonders gut aufgepaßt, wenn Jesus über Gerechtigkeit und Gesetz gesprochen hat. Oder nehmen wir Mt 23: Pharisäer schließen den Himmel zu, lassen den Arzt nicht zu den Kranken. Sie haben eben die Dreieinigkeit nicht verstanden: Der Gott, der in Gemeinschaft lebt und Gemeinschaft sucht. Erst kommt dein König zu dir, nicht du zu ihm.

Luther hat 1538 nochmals über die Berufung des Levi gepredigt. Ein paar Abschnitte darf ich uns davon noch nahebringen:

„Es ist auch ein wunderbarer Trost, daß Christus so unwürdige und sündige Apostel erwählt: es sollen sich drum die Apostel des hohen Amts nicht überheben, aber auch kein Sünder an Christus verzagen noch verzweifeln. Denn welche sind’s, die im höchsten Chor und innersten Rat der Heiligen sitzen? Die höchsten Zöllner und Sünder sind’s, die nach ihrer eigenen Gerechtigkeit und ihrem eigenen Verdienst mitten in der Hölle sitzen sollten. Drum hat Petrus [hier denkt Luther wohl an den Papst] keine Ursach, mich zu verachten noch sich wider mich zu rühmen, wiewohl ich ein Sünder bin; denn er weiß, woran er selber denken muß, daran nämlich, daß auch er ein rechter Gesell in höchsten Sünden gewesen ist.

Aber dies ist … den Pharisäern ein groß Ärgernis; denn sie hassen Sünden und Sünder nach dem Gesetz und meinen, solches alles geschehe gegen das Gesetz.“[3] [4]

Bedenken wir, daß diejenigen, die sich für gerecht hielten, Jesus ans Kreuz brachten.

Zu dem Satz: „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“, predigt Luther:

„Christus spricht hier auch ironisch gegen die Pharisäer, die vielleicht sagen möchten: lehren denn nicht auch wir, daß die Sünder sich sollen zur Buße kehren? was bringst du denn Neues? ruft nicht etwa auch der Dienst Mose’s und des Gesetzes die Sünder zur Buße? Freilich, spricht Christus, seid ihr Sünder, aber ihr wollt gerecht sein und ihr tut nichts andres als daß ihr euch wie auch andre Leute für gerecht erklärt, wiewohl sie doch vor Gott schreckliche Sünder sind; solche Gerechten ruf ich nicht zur Buße, sie bedürfen auch der Buße nicht, denn nach euerm Urteil sind sie ja gerecht; drum fahrt hin, ihr Gerechten, mitsamt euren Gerechten, seid heilig mit euern Heiligen und laßt mich umgehen mit meinen Sündern, bis auch ich sie gerecht mache, aber nicht, wie ihr tut, mit Werken des Gesetzes, sondern durch Gnade und Vergebung der Sünden; ihr ruft die Sünder zur Buße nach der Gerechtigkeit des Gesetzes und macht sie damit zu zwiefachen Sündern, wie ihr selber seid; ich rufe zur Buße mit Vergebung der Sünden und mache zwiefach gerecht, in Gnaden und in Wahrheit, in Gnaden, weil ihnen die Sünden vergeben sind, in Wahrheit, weil sie wirklich anfangen gut zu sein und Gutes zu tun; ihr aber macht sie zwiefach zu Sündern mit eurer Buße, in Schuld und Lüge, in Schuld, weil sie in ihrer Gesetzesgerechtigkeit noch hochmütiger sind, als sie schon als Sünder waren, in Lüge, weil sie erdichtete Werke für gut halten; so sind sie denn inwendig im Herzen viel schuldiger um ihres Unglaubens und ihrer vermessenen Zuversicht willen, auswendig mit der Tat aber sind sie Lügner und Heuchler um des falschen Scheins ihrer Werke willen und um ihres falschen Ruhmes willen; solche Leute seid auch ihr, darum fort mit euch und solchen Heiligen, ihr gehört nicht zu meiner Buße!

Das muß man fleißig merken gegen die Verkehrer und Mißbraucher der Gnade Gottes oder, wie Judas spricht [Judas V. 4], die die Gnade Gottes zum Mutwillen machen. Denn die allermeisten mißbrauchen heutigen Tages die christliche Freiheit und sprechen: Gnade, Gnade, also braucht man nichts Gutes tun und nichts Übles leiden. Solche machen aus der Gnade einen Mutwillen, d.h. eine Lust, zu machen, was man will. Und aus der Vergebung der Sünden machen sie eine Freiheit der Sünden, wie heutigen Tages bei viel zu vielen geschieht. Freilich spricht hier Christus, daß er die Sünder rufe, aber nicht zur Sündenfreiheit oder zur Lust des eigenen Willens, sondern zur Buße d.h. zur Tötung der Sünden, wie Paulus spricht Röm 6,2: wie sollten wir der Sünden wollen leben, der wir doch abgestorben sind?“[4] [5]

(Soweit Luther 1538.)

Er kommt zu dir im Wort und im Mahl. Hast Du ihn eingelassen?

Amen.

Predigt aus Markus 2,13–17, GEC Basel, Trinitatis, 30.5.2021, Pfr. Dr. S. Felber, Ziefen/St. Chrischona

www.stefan-felber.ch [6]

 

[1] [7] Eine wunderbare Illustration liefert dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=p2I7qBArM3E (Ursprung: www.reasonablefaith.org/finetuning).

[2] [8] Mülhaupt, Erwin (Hg.): D Martin Luthers Evangelien-Auslegung. Zweiter Teil: Das Matthäus-Evangelium (Kap. 3–25), Göttingen 1939., S. 319 (zu Mt 9,9–13).

[3] [9] AaO.  S. 321.

[4] [10] AaO. S. 324f.