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Ein Bischof und der Primat der Selbstbestimmung

Der wohl bekannteste Suizid des Alten Testament wird am Ende des ersten Samuelbuches berichtet. Um nicht lebend in die Hände der Philister zu fallen, „nahm Saul das Schwert und stürzte sich hinein“ (1 Sam 31,4). Saul hatte Hand an sich selbst gelegt, nachdem sein Waffenträger die Suizidassistenz aus Furcht verweigert hatte. Noch bekannter ist das Ende des Jüngers, der Jesus verriet. Matthäus berichtet über Judas Iskariot: „Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich“ (Mt 27,5). Beide Männer wählten den Ungehorsam und wandten sich von Gott ab; beide Männer suchten und fanden ein schreckliches Ende. Ihr warnendes Beispiel trug mit dazu bei, dass die christliche Ethik in den letzten zweitausend Jahren die Selbsttötung untersagte.

Mit dem Gebot: „Du sollst nicht morden“ (2 Mose 20,13) schützt Gott den Menschen auch vor sich selbst. Augustinus schlussfolgerte: „Auch wer sich selbst tötet, tötet einen Menschen.“ Lebensanfang und Lebensende stehen in Gottes Hand, darum sagt der Psalmist: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Ps 31,16). Und weil Gott die Sterbestunde bestimmt, heißt es in Psalm 90: „Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: ‚Kommt wieder, Menschenkinder!‘“ (Ps 90,3). Adolf Schlatter (1852-1938) brachte die biblische Sicht zum Thema Selbsttötung so auf den Punkt: „Mit dem Gott erfassenden Glauben steht die Vernichtung des eigenen Lebens immer im Streit; denn sie ist Verzicht auf Gottes Hilfe, Griff nach der schrankenlosen Verfügungsmacht über uns selbst, Auflehnung gegen das uns beschiedene Los“ (Adolf Schlatter, Christliche Ethik, 5. Auflage, Stuttgart 1986, S. 391).

Wie stark die Ideologie der Selbstbestimmung die Kirchenleitung der Ev.-luth. Kirche Hannovers im Griff hat, tritt auf diesem Hintergrund deutlich zu Tage. Landesbischof Ralf Meister hatte im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (10.8.2020) gesagt: „Der Mensch hat ein Recht auf Selbsttötung, wobei ich hier Recht nicht juristisch meine, sondern theologisch als eine Möglichkeit verstehe.“ Meister erklärte: „Wenn mir Gott das Leben schenkt, hat er mir an dem Tag, ab dem ich Erdenbürger bin, auch die Berechtigung zur Gestaltung dieses Lebens gegeben.“

Meister schloss sich damit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes an, das am 26. Februar 2020 das in § 217 StGB geregelte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gekippt hatte. Die Richter des zweiten Senats urteilten, dass „das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ umfasse. Dieses Recht schließe „die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.“ Staat und Gesellschaft müssten diese Entscheidung des Einzelnen, seiner eigenen Existenz ein Ende zu setzen, als Akt autonomer Selbstbestimmung respektieren.

Anstatt sich der gemeinsamen Kritik der Deutschen Bischofskonferenz sowie der EKD anzuschließen, verlieh Bischof Meister dem Karlsruher Urteil kirchliche Weihen. Der Zeitschrift „Christ und Welt“ sagte er, wenn ein Mensch sterben wolle und die Unterstützung von Dritten wünsche, müsse das ernst genommen werden. Unter bestimmten Bedingungen könne der assistierte Suizid ein „Akt der Barmherzigkeit“ sein. Jesus hat allerdings im Gleichnis vom barmherzigen Samariter eindeutig festgelegt, was ein Akt der Barmherzigkeit ist. Der Samariter gab dem sterbenden Mann am Straßenrand nicht den Todesstoß, sondern verband seine Wunden und sorgte auf eigene Kosten dafür, dass dieser ein Dach über den Kopf, ein warmes Bett und fürsorgliche Pflege bekam. Diese Art von Barmherzigkeit reicht nicht den tödlichen Trank, sondern pflegt den alten und siechen Menschen bis zur von Gott gesetzten Todesstunde. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat vor 15 Jahren auf einer Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz gesagt, was Meister als Bischof seiner Kirche eigentlich hätte sagen müssen: „Nicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen.“ Ein Bischof, der sich in entscheidenden Fragen wiederholt gegen das Wort Gottes gestellt und sich dem Primat der Selbstbestimmung unterworfen hat, ist fehl am Platz. Unsere Landeskirchen brauchen wieder Bischöfe, auf die dieses Maleachiwort zutrifft: „Denn des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, dass man aus seinem Munde Weisung suche, denn er ist ein Bote des Herrn Zebaoth“ (Mal 2,7).

Johann Hesse

Quelle: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes (3/2020)

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