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Der Koran als drittes Testament der Bibel?

Der Kulturbeauftragte der EKD, Johann Hinrich Claussen, bezeichnet in einer Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Oktober den Koran als „drittes Testament“. Dazu ein Kommentar des Historikers und Buchautors Klaus-Rüdiger Mai:

In einer etwas schlichten, nicht weiter bemerkenswerten Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verblüfft der Kulturbeauftragte der EKD mit einer gewichtigen Feststellung. Johann Hinrich Claussen wirft dem Bibelwissenschaftler John Barton vor, dass in dessen Buch über die Bibel der Koran fehlt, „den man doch als drittes Testament auffassen müsste“.

Seit der Kanonisierung des Neuen Testaments besteht die christliche Bibel aus dem Alten und dem Neuen Testament. Vom jüdischen Standpunkt aus gilt das Alte Testament, die Hebräische Bibel, als die Heilige Schrift. Die Christen sehen das Alte und das Neue Testament als ihre Heilige Schrift an, und zwar in dem Sinn, dass im Neuen Testament die Vorhersagen des Alten Testaments erfüllt werden. Der von Jesaja verheißene Messias kommt im Neuen Testament in die Welt, um den Tod zu besiegen und den Weg zum ewigen Leben zu weisen. Martin Luther (1483–1546) bezieht Gesetz und Gnade aufeinander. Die Unfähigkeit des Menschen, das Gesetz des Alten Testaments zu erfüllen, führt zur Buße und über die Buße zur Rechtfertigung, denn der Christ wird im Glauben gerechtfertigt, der eine Gnade Gottes ist. In Matthäus 5,17 sagt Jesus Christus klar und deutlich: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“

Was hat der Kulturbeauftragte der EKD an diesem Diktum nicht verstanden? Wenn etwas erfüllt ist, bedarf es keiner Erfüllung mehr. Welche Funktion sollte aus christlicher Perspektive ein drittes Testament also haben? Die Erfüllung infrage zu stellen? Der spätmittelalterliche Philosoph Nikolaus von Kues (1401–1464) sah im Einklang mit dem Wissen seiner Zeit als eine Quelle des Korans die christliche Häresie der Nestorianer an. Die Approbation eines dritten Testaments aus christlicher Perspektive wäre noch nicht einmal eine Häresie, weil sie mit dem Christentum nichts mehr zu tun hat. Aus welcher Perspektive urteilt der Kulturbeauftragte?

Originalitätssehnsucht oder Orientierungslosigkeit?

Aus muslimischer Sicht wurde es notwendig, die wahre Offenbarung Gottes richtigzustellen. Es bedurfte eines neuen Propheten, der dann gleichzeitig als Siegel der Propheten, als letzter Prophet auftrat. Nach ihm, verkünden die Autoritäten des Islams, wird kein anderer mehr kommen. Die Vorstellung, dass Christus Gottes Sohn sei, das Konzept der Trinität, stufen sie als Ketzerei ein, als Polytheismus. Daran kann man glauben – nur wäre dies kein christlicher Glaube.

Wenn Claussen den Koran als drittes Testament einstuft, dann beurteilt er die Bibel von einem muslimischen Standpunkt aus mit der Konsequenz der Ablehnung der Gottessohnschaft Christi, der Trinität, die Grundlage christlichen Glaubens ist, oder er bemüht sich, arianische oder nestorianische Positionen wiederzubeleben. Man fragt sich nach dem Sinn dieser Unternehmung und kommt, wenn man nicht Originalitätssehnsucht unterstellen will, auf eine um sich greifende Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit in der EKD.

Mission ist der Herzrhythmus der Kirche

Noch im Jahr 1999 wies der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel in seiner großen Rede auf der Missionssynode der EKD darauf hin, dass die 6. Barmer These, „der gemäß es zu den Konstitutiva der Kirche gehört, die Botschaft von der freien Gnade Gottes allem Volk zu überbringen, … noch immer auf ihre ekklesiologische Rezeption“ wartet. In der Mission sah er die Zukunftsfähigkeit der Kirche: „Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen … Einatmend geht die Kirche in sich, ausatmend geht sie aus sich heraus.“ Das Einatmen sieht er im liturgischen Gottesdienst. Doch die „Kirche muss, wenn sie am Leben bleiben will, auch ausatmen können. Sie muss über sich selbst hinausgehen, wenn sie die Kirche Jesu Christi bleiben will.“ Über sich selbst hinauszugehen, verlangt, mit dem Glauben in die Welt zu gehen.

In der EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ aus dem Jahr 2006 wird festgestellt: „Die Kirche Jesu Christi ist gesandt, diese Botschaft zu bezeugen. Es ist ihre Mission, die Botschaft von Gottes Rechtfertigung aller Welt auszurichten. (…) Christliche Mission bedeutet jedoch mehr als respektvolle Begegnung. Sie umfasst das Zeugnis vom dreieinigen Gott, der den Menschen durch Jesus Christus zu wahrer Menschlichkeit befreit. Es ist für die evangelische Kirche ausgeschlossen, dieses Zeugnis zu verschweigen oder es Angehörigen anderer Religionen schuldig zu bleiben.“

Andere Wege außer Christus?

Anscheinend hat die EKD diesen Standpunkt inzwischen revidiert. Der niederländische Theologe Herman Johann Selderhuis schreibt in einer Sammelrezension zu Büchern, die im Jahr 2016 zur Reformation erschienen: „Die deutsche Theologin Margot Käßmann sieht die Relevanz von Luther für heute darin, dass wir als Christen von anderen Religionen lernen können, dass es außer Christus auch andere Wege gibt, Gott zu erreichen. Sie gibt zu, dass Luther das selbst noch nicht so wirklich praktiziert hat, aber ‚zum Glück sind wir heute viel weiter‘.“

Das ist die Absage an die Trinität. Man stuft Christus de facto zu einem Propheten herab, weil man fürchtet, durch das Bekenntnis des dreieinigen Gottes die Muslime zu verärgern.

EKD: Aus Respekt nicht mehr von Christus sprechen

Das Tragen des Kreuzes als Symbol der Trinität wird, wie der Ratsvorsitzende der EKD es auf dem Tempelberg demonstrierte, zur simplen Frage der Opportunität. In dem Text zu „Reformation und Islam“ von 2016 heißt es: „In ähnlicher Weise stellt sich auch im Blick auf das solus Christus die Frage, wie die darin zum Ausdruck gebrachte Exklusivität Jesu Christi in einer religiös pluralen Gesellschaft so bekannt werden kann, dass sie im Dialog nicht als anmaßend oder überheblich wahrgenommen wird.“ Im EKD-Text „Rechtfertigung und Freiheit“ heißt es: „Die Herausforderung besteht darin, von Christus zu sprechen, aber so, dass dabei nicht der Glaube des anderen abgewertet oder für unwahr erklärt wird.“ Das heißt im Klartext, nicht mehr von Christus zu sprechen.

Anbiederung statt Mission?

Im Zukunftspapier „Kirche auf gutem Grund – Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ verabschiedet sich die EKD von der Mission, denn künftig wird nur noch missionarisches Handeln gefördert, das „partnerschaftlich, dialogisch und situativ vorgeht“. Geht es also um Anbiederung statt Mission? Die Kirche verzichtet auf „Einwegkommunikation“, will nicht mehr als „Veranstalter“ oder „Anbieter“ auftreten, sondern in „enger und nachhaltiger Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Partnern die eigenen Angebote … profilieren … konzentrieren und gegebenenfalls … reduzieren“. Mit wem will sie sich künftig bezüglich christlicher Glaubensinhalte abstimmen? Mit dem Zentralrat der Muslime?

Quelle: ideaSpektrum, Nr. 43, 21.10.2020 (www.idea.de [1])