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„Weniger an, aber mehr drauf“

Samstag 18. Februar 2006 von Frankfurter Allgemeine Zeitung


Frankfurter Allgemeine Zeitung

Felix Grigat
„Weniger an, aber mehr drauf“. Ãœber das aktuelle Ãœbersetzungsprojekt „Bibel in gerechter Sprache“

Mit einer neuen Bibelübersetzung in „gerechter Sprache“ entfernen sich einige Protestanten zusehends vom reformatorischen Schriftprinzip (sola scriptura), wonach die Bibel allein Richtschnur für kirchliche Lehre und Tradition ist. Bei einer von vielen evangelischen Gruppen getragenen und von den Bischöfinnen Margot Käßmann und Bärbel Wartenberg-Potter, Bischof Ulrich Fischer, den Kirchenpräsidenten Eberhard Cherdron und Peter Steinacker sowie der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland geförderten Bibelübersetzung „Die Bibel in gerechter Sprache“ werden neben dem griechischen und hebräischen Urtext („sola scriptura“) zusätzliche Kriterien und Traditionen anerkannt.

So haben sich die 52 Ãœbersetzer der „Bibel in gerechter Sprache“ darauf verpflichtet, neben der historisch-kritischen und literaturwissenschaftlichen Exegese Einsichten der feministischen Theologie und der Befreiungstheologie, des christlich-jüdischen Dialogs sowie „Wahrnehmungen aus der Sicht von gesellschaftlichen Minderheiten“ zu berücksichtigen. Ein Hauptanliegen sei, die in den biblischen Texten genannten oder „mitgemeinten“ Frauen „sichtbar“ und Frauen als „heute angesprochen“ erkennbar zu machen. Die Bibel in gerechter Sprache sei die „erste christliche Ãœbersetzung, die die jüdische Abfolge der alttestamentlichen Bücher“ respektiere. Damit werde schon äußerlich sichtbar, daß der erste Teil der christlichen Bibel kein „pseudochristliches Buch“ sei, sondern die Geschichte Gottes mit Israel, wie sie in Israel selbst, also in der jüdischen Bibel bezeugt sei.

Seine Wurzeln hat das Projekt in amerikanischen Bibelübersetzungen der politisch-korrekten „inclusive language“ und deren Aufnahme beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Finanziert wurde die Ãœbersetzung durch private Spenden.

Peter Steinacker, Präsident der hessen-nassauischen Landeskirche und Vorsitzender des Beirates, begründet die Neuübersetzung in gerechte Sprache damit, daß es „in Christus keine Diskriminierung nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Schicht“ gebe. Diese „Ãœberwindung der Diskriminierung“ müsse sich auch in der Ãœbersetzung der Bibel widerspiegeln und deshalb die in der Bibel gebrauchte Sprache „kritisch“ überprüft werden. Die Sprache der Bibelübersetzungen sei „nicht gottgegeben“. Die heutige Aufgabe bestehe in der „sachgemäßen Ãœbersetzung in die heutige Sprach- und Denkform“.

Vor dem geplanten Erscheinen der „Bibel in gerechter Sprache“ zum Reformationstag in diesem Jahr haben Exegeten auf der Grundlage bekanntgewordener Texte der Ãœbersetzung kritisiert, daß Grundsätze der klassischen Philologie hermeneutischen Interessen untergeordnet würden.

Der Präsident der Cansteinschen Bibelanstalt und Professor für Neues Testament, Andreas Lindemann, sagte, einige der bisher bekanntgewordenen Ãœbersetzungen verfälschten den biblischen Text. Es würden Auslegungen vorweggenommen, die in dieser Form nicht in den Texten selbst zu finden seien. Es sei ein Unterschied, ob Diskriminierungen durch die Ãœbersetzung zustande kämen oder ob sie bereits im Text enthalten seien. Es dürfe nicht versucht werden, einen nicht als „korrekt“ eingeschätzten Text durch die Ãœbersetzung inhaltlich zu korrigieren. Wenn im Matthäusevangelium gegen Pharisäer polemisiert werde, dann sei es unzulässig, dies mittels einer „gerechten Ãœbersetzung“ richtigstellen zu wollen. Es sei nicht angemessen, den Matthäustext durch die Ãœbersetzung so umzuformen, daß er den heutigen Ansprüchen und Einsichten genüge. So werde der Evangelienvers in Matthäus 23, 2, die Luther mit „Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer“ wiedergibt, in der „Bibel in gerechter Sprache“ übersetzt mit: „Auf dem Stuhl des Moses sitzen Toragelehrte und pharisäische Männer und Frauen.“ Pharisäische Frauen auf dem Lehrstuhl des Mose habe es aber „sicherlich nicht“ gegeben, wie es bis heute auch keine orthodoxen Rabbinerinnen gebe.

Der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski sagte, die Neuübersetzung liefere sich an den Zeitgeist aus und sei ein „Dokument des sich selbst aushöhlenden Protestantismus“. Es sei „beschämend“, daß es überhaupt von kirchenleitender Stelle aus protegiert werde. Problematisch sei insbesondere der Anschluß an jüdische Auslegungstraditionen. So sei die derzeit vorliegende Ãœbersetzung der Antithesen der Bergpredigt mit „Ich lege euch das heute so aus…“ statt „Ich aber sage euch…“ eine „schlichte Verbiegung des griechischen Originals“ und nicht „textgerecht“. Denn im griechischen Text steht zwar das nicht-übersetzte Wort „aber“, nicht aber das übersetzte Wort „heute“. Die Neuübersetzer versuchten, dem Judentum „Gerechtigkeit“ widerfahren zu lassen und sich gegen die Möglichkeit einer „antijüdischen Deutung Jesu, der etwas ,Neues'“ bringe, zu wenden. Nach den Worten der Ãœbersetzerin des Matthäusevangeliums gehe es „um eine aktuelle Auslegung durch den Toralehrer Jesus“, der „Gottes Wort in der Schrift hört und in seine Zeit übersetzt – ohne den Anspruch auf überzeitliche Gültigkeit seiner Auslegung“.

Dem Anliegen der Ãœbersetzer, das Neue Testament „neu auch als jüdisches Buch“ erkennbar zu machen, soll auch die Vielfalt von Ãœbersetzungen des Gottesnamens dienen. Anstelle des von Luther für das von Juden nicht ausgesprochene Tetragramm gewählte „der HERR“ sollen in Kopfzeilen für die ersten beiden Kapitel der Bibel angeboten werden: „die Ewige/Schechina/GOTT/Adonaj/ha-Schem/der Lebendige“. Diese Zeile wechselt auf jeder zweiten Seite und enthält aus der begrenzten Zahl von Ãœbersetzungsmöglichkeiten des Tetragramms eine „zufällige Auswahl“. Dies soll auch auf das Neue Testament übertragen werden, wo etwa für Kapitel im Römerbrief des Paulus vorgesehen ist: „der Name/der Lebendige/SIE ER/der Heilige“. An diesen Stellen steht allerdings im griechischen Urtext des Römerbriefes durchweg „kyrios“, was aber in deutscher Ãœbersetzung nur „Herr“ zuläßt.

Ein Beispiel für eine umgangssprachliche Ãœbersetzung ist Genesis 3, 1. Luther übersetzt den Beginn der Sündenfallgeschichte mit „Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde…“ In der Bibel in gerechter Sprache steht: „Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes…“ Damit solle das hebräische Wortspiel zwischen „nackt“ (Gen. 2, 25) und „klug“ (Gen. 3, 1) wiedergegeben werden.

Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert, sagte, es gehe nicht an, den Text mit seinen für Leser aller Jahrhunderte schwierigen und dunklen Stellen in ein „Alltagsdeutsch“ zu übersetzen. Der Text müsse auch sein Geheimnis und seinen Zauber wahren – eben alles, was nicht gewöhnlich sei. Auch sei es mehr als problematisch, das „angeblich Mitgemeinte“ auch mitzuübersetzen. Die Sprache der Neuübersetzung sei nicht angemessen. Die Herausgeber der Bibel in gerechter Sprache streben nach eigener Aussage „keinen liturgischen Gebrauch dieser Ãœbersetzung“ an. Gleichwohl liegt bereits ein mehrbändiges Gottesdienstbuch in gerechter Sprache vor.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2006, Nr. 42, S. 10
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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 18. Februar 2006 um 19:39 und abgelegt unter Theologie.