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Gott hebt seine Stiftungen nicht auf. Theologische Anmerkungen zum neuen Buch von Martin Grabe

Der Verfasser des Buchs „Homosexualität und christlicher Glaube: ein Beziehungsdrama“ ist Ärztlicher Direktor der Klinik Hohe Mark und Chefarzt der dortigen Abteilung Psychotherapie und Psychosomatik. Er blickt auf eine reiche Erfahrung im Umgang mit homoerotisch empfindenden Menschen. Insofern ist gerade das 3. Kapitel seines Buchs, wo er „Homosexualität aus therapeutischer Sicht“ darstellt, durchaus lesenswert. Hier spricht er auch seine therapeutische Grundüberzeugung aus, „dass die sexuelle Orientierung in der Regel in der Persönlichkeit eines Menschen verankert ist und nicht geändert werden kann“ (32f.). Dr. Grabe wagt sich aber auch an grundlegende theologische Fragen heran, vor allem an die biblische Ablehnung homosexueller Betätigung und an die „Schöpfungsordnung“, und er diskutiert im Blick auf sein Thema die Souveränität Gottes. Was er hier äußert, fordert deutlichen Widerspruch heraus. In den folgenden Anmerkungen will ich diesen Widerspruch in fünf Abschnitten formulieren.

1.) Die beiden großen Stiftungen Gottes für die Menschen

Man sollte über die Gabe der menschlichen Sexualität nicht reden, ohne an die Stiftung der Ehe von Mann und Frau zu denken. Dass Martin Grabe die göttliche Einsetzung der Ehe viel zu wenig in den Blick nimmt, ist ein großes Manko. Gott führt das erste Menschenpaar zueinander und begründet damit die Ehe als einen lebenslangen Treuebund, in dem die menschlichen Grundsehnsüchte nach Heimat, Treue und Geborgenheit gestillt werden können. Er segnet die beiden Geschlechter mit Fruchtbarkeit und adelt sie mit der großartigen Fähigkeit, Menschen zu zeugen. Warum will er eigentlich auf der Erde so viele Menschen haben? Das Neue Testament hat die Antwort: damit das Erlösungs- und Versöhnungswerk Jesu möglichst vielen zugutekommt. Deswegen ist jede Abtreibung eine zu viel. Dr. Grabe greift zu kurz, wenn er die Ehe nur eine „Tradition“ nennt (18). Nein, sie ist viel mehr! Sie ist der Ort, wo in einer ungeborgenen Welt Mann und Frau Geborgenheit erleben können, wo Heimat als Vorgeschmack auf die ewige Heimat erfahrbar wird und wo das hohe Gut zwischenmenschlicher Treue täglich geschenkt und weitergegeben werden kann. Als jemand, der – zusammen mit meiner Frau – fast 40 Jahre in der Eheberatung tätig ist, weiß ich natürlich, dass diese Potentiale der Ehe nicht einfach abruf- oder einklagbar sind. Wer sich aber mit den biblischen Eheleitlinien beschäftigt und Jesus konkret und persönlich um Hilfe bittet, der ist an den Ehesegnungen schon sehr nahe dran.

Die zweite wunderbare Stiftung Gottes ist die Gemeinde der Christen, die durch die geistliche Neugeburt miteinander zum Leib Christi verbunden sind. Das ist zwar hier nicht das Hauptthema, aber immer wieder taucht die Frage auf, was eigentlich mit denen ist, die noch nicht oder nicht mehr verheiratet sind bzw. gar keine Ehe anstreben. Können sie keine Heimat, Treue und Geborgenheit erleben? Die Antwort ist schnell gegeben: sie können diese Grunderfahrungen in der Gemeinde Jesu machen. Sie werden dort Menschen finden, die ihnen auch in Notzeiten die Treue halten. Und sie können in der Gemeinde innere Heimat und Geborgenheit erfahren. Es sind natürlich nicht die Menschen, die ihnen das alles geben. Es ist Jesus, der durch die Menschen handelt. Wir sind hier schon ganz dicht am Thema des Buchs. Wer aufgrund seiner homoerotischen Empfindungen die Ehe von Mann und Frau nicht als erstrebenswertes Ziel ansieht, kann in einer – funktionierenden – Gemeinde seine seelischen Grundsehnsüchte stillen. Er kommt nicht zu kurz. Es ist schade, dass Dr. Grabe diesen existentiellen und therapeutischen Wert der Gemeinde nur dann gewährleistet sieht, wenn homoerotisch empfindende Menschen „eine verbindliche, treue Ehe unter dem Segen Gottes und der Gemeinde eingehen“ (76). Was er hier formuliert, entspricht zwar seiner therapeutischen Grundüberzeugung, bleibt jedoch ein bloßes Gedankenkonstrukt, weil es keine Basis in der biblischen Offenbarung hat. Gott hat keine „Ehe für alle“ gestiftet, sondern die Ehe zwischen Mann und Frau.

2.) Die Frage der „Schöpfungsordnung“

Ich verwende dieses Wort zur Kennzeichnung der Ehe nicht gern, sondern bleibe lieber beim Begriff der „Stiftung“. Dr. Grabe setzt viel Mühe ein, um zu beweisen, dass Gott selber die Ehe relativiert und nicht durchgängig als sein Modell des Zusammenlebens von Mann und Frau hochhält. Er führt drei Argumente an. 1.) Die Mehrehe im Alten Testament. Dieser angebliche Beweis zerfällt sofort, wenn man an die Nöte, Verwicklungen und Verletzungen denkt, die die jeweiligen Mehrehen ausgelöst haben. Nirgendwo hat Gott diese pervertierte Form der Ehe gutgeheißen. Im Gegenteil: Wer sich nicht an die von Gott eingesetzte lebenslange Einehe hält, muss die bitteren Konsequenzen tragen. 2.) Die Ehelosigkeit Einzelner wie z.B. des Apostels Paulus ist ebenfalls kein Beweis für eine Nivellierung der Ehe. Paulus sagt es selbst, dass nur wenige die Gabe der Ehelosigkeit haben (1 Kor 7,7). Wenn aber Gott selber einzelnen Christen die Gabe der Ehelosigkeit gibt, dann wird damit die Ehe nicht degradiert. Im Gegenteil: wer diese Gabe nicht hat, darf mit Zuversicht Gott um einen Ehepartner bitten. 3.) Die Souveränität Gottes. Gott könne nach Einschätzung Dr. Grabes durchaus von seiner eigenen Schöpfungsordnung abweichen (58). Er meint sogar, dass homosexuell empfindende Menschen unter Berufung auf das souveräne Handeln Gottes sich als so von Gott geschaffen verstehen sollten. „Er findet es richtig, dass ich so bin, wie ich bin“ (59). Diese Empfehlung ist theologisch nicht haltbar. Wer den Schöpfungsbericht und auch Jesus dort ernst nehmen will, wo sie die Polarität der Geschlechter als göttliches Schöpfungswerk bezeugen, kann nicht im selben Atemzug sagen, dass Gott in gleicher Weise Menschen für eine gleichgeschlechtliche Sexualität erschafft. Das eine schließt das andere aus.

3.) Das Menschenbild von Röm 1,18-32

Der Römerbrief nimmt im ersten Kapitel grundsätzlich die Gottlosigkeit und Sündhaftigkeit der Menschheit und die reziproke Reaktion Gottes in den Blick. So wie der Mensch die Majestät des unsichtbaren Gottes mit der Anbetung sichtbarer Idole vertauscht, so überlässt ihn Gott der sexuellen Zügellosigkeit, die den natürlichen geschlechtlichen Verkehr mit dem unnatürlichen vertauscht. Und so, wie der Mensch an der wahren Gotteserkenntnis kein Interesse hat, so muss er nun untereinander egoistische Verhaltensweisen, die seiner inneren Blindheit entspringen, tun und erleiden. Was die homosexuellen Handlungen betrifft, meint Dr. Grabe, dass Paulus hier an „römische Orgien und Exzesse“ denkt. (45) Doch diese Vermutung greift zu kurz. Paulus kennt aus dem Griechentum die gleichgeschlechtliche Sexualität in ihren Varianten zur Genüge (vgl. 1 Kor 6,11). Er greift das Problem viel grundsätzlicher auf. Er sieht in der Widernatürlichkeit homoerotischer Verbindungen einen Beweis, dass Gott die Menschen an ihre Begierden ausliefert. Der ganze Abschnitt Röm 1,18-32 ist von der Aussage durchdrungen, dass der unerlöste Mensch seine Mitmenschen zum Spielball seiner sündigen Egoismen macht. Das geschieht auch in allen möglichen anderen sündhaften Verhaltensweisen. Der Mensch steht unter der Verführungs- und Verfügungsmacht der Sünde und kann sich ihr nicht entziehen. Erst die Begegnung mit Jesus Christus, wie es Paulus dann im weiteren Verlauf des Römerbriefs darlegt, gibt dem Menschen die Kraft, seinen vielfältigen Egoismen entgegenzutreten und der Liebe Gottes Raum zu geben. Bedauerlicherweise erwähnt Dr. Grabe 1 Kor 6,11 nicht. Paulus spricht hier von Menschen, die sich mit Gottes Hilfe von ihrer homosexuellen Praxis abgewendet haben. Niemand wird Dr. Grabe seine therapeutischen Erfahrungen bestreiten wollen, dass nur relativ wenige homoerotisch empfindende Menschen eine Veränderung und Abkehr von ihrer Empfindungswelt erleben und heterosexuell werden. Aber von einem christlichen Arzt sollte man doch erwarten können, dass er Röm 4,17 kennt. Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde ist jederzeit in der Lage, Menschen umzuprägen. Wenn Gott das allergrößte Wunder an einem Menschen vollbringen kann, nämlich ihm eine geistliche Neugeburt zu schenken, dann kann er auch das Wunder einer Umprägung sexueller Empfindungen tun.

4.) „Versündigungsängste“?

In einem Interview mit der Zeitschrift „Pro“ (14.7.20) hat sich Dr. Grabe skeptisch darüber geäußert, ob es innerhalb der evangelikalen Bewegung bald zu einer Einigung in der Bewertung der Homosexualität kommt. Das Hauptproblem sieht er bei denen, die gewissensmäßig an einer Ablehnung festhalten. „Manche Menschen sind so stark durch ihr Gewissen gebunden, dass sie nicht bereit sind, sich auf eine ehrliche und tiefgehende inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen“. In seinem Buch meint er: „Das Gewissen ist kein zuverlässiger Ratgeber“. (84) Paulus ist da anderer Auffassung. Sehr wohl hat das Gewissen die Kraft, dem Menschen den Willen Gottes zu bezeugen (Röm 2,15). Was wäre, so möchte man Dr. Grabe fragen, wenn ein an die Ethik der Apostel gebundenes Gewissen an den beiden Stiftungen Gottes festhält und deswegen mit Röm 1,26 und 27 die gleichgeschlechtliche Lebensweise als Ausdruck des Dahingegebenseins durch Gott ansieht? Ist ein solches Gewissen wirklich von „Versündigungsängsten“ durchdrungen? Hier hat die psychologische Sichtweise des Verfassers die Dimension des Glaubensgehorsams ganz und gar überdeckt. Wenn wir anfangen, uns „Versündigungsängste“ zu unterstellen, ist ein seriöses theologisches Gespräch nicht mehr möglich.

5.) Weder moralischer Zeigefinger noch Glorifizierung. Wie kann ein sachlicher und von der Liebe Gottes geprägter Umgang mit homoerotisch empfindenden Menschen aussehen?

In den westlichen Ländern leben wir in Zeiten, die seit dem Siegeszug des Neomarxismus die Selbstverwirklichung als großes Lebensideal preisen. Dass diese Idee ein völlig verkehrtes Menschenbild transportiert, den Einzelnen isoliert, ihn gemeinschaftsunfähig macht und ihm innere Entwicklungschancen raubt, ist leider immer noch nicht Allgemeingut geworden. Wir leisten uns ein mit großzügigen Finanzen ausgestattetes Mediensystem, das Gewalt verherrlicht, die Ehe madig macht, den Schutz des ungeborenen Lebens nicht thematisiert und die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft ignoriert. Die Aufgabe der großen Kirchen wäre es, die wunderbaren Segnungen von Ehe und Gemeinde hervorzuheben und dem postmodernen Menschen auf diese Weise Heimat, Treue und Geborgenheit zu vermitteln. Ich vermag nicht zu erkennen, dass die Kirchen diese Mammutaufgabe ausreichend anpacken. Solange auf der Ehe politisch und medial herumgetrampelt wird, muss man sich nicht wundern, dass sie an Attraktivität verliert und andere Lebensformen ausprobiert werden. Solange der Familienzusammenhalt kein gesamtgesellschaftliches Ziel ist und Väter und Mütter so wenig öffentlich gestützt werden wie derzeit, haben es Kinder und Jugendliche schwer, zu ihrer geschlechtsspezifischen Identität zu finden. Was ist da zu tun? Es hilft nichts, den moralischen Zeigefinger zu heben. Aber es hilft auch nichts, dem gesellschaftlichen Mainstream hinterherzulaufen und die gleichgeschlechtlichen Lebensformen als Alternative zu preisen. Die Nachfolger Jesu haben andere Möglichkeiten. Sie können ihre eigenen Ehen stabilisieren und sie auf diese Weise attraktiv für die junge Generation machen. Sie können in der Liebe Gottes auf Menschen mit homoerotischen Gefühlen zugehen und ihnen die vielfachen Wege Gottes zu einem sinnvollen Leben in den beiden großen Stiftungen Gottes zeigen, und vor allem, ihnen den Weg zu Jesus Christus eröffnen.

Dr. Grabes Plädoyer für die „Ehe für alle“ höhlt die von Gott gestiftete Ehe von Mann und Frau aus. Sein Buch kapituliert vor dem gesellschaftlichen Mainstream, anstatt Glaube, Liebe und Hoffnung zu vermitteln.

Pastor Dr. Joachim Cochlovius, Walsrode, den 28.8.2020