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Das Schweigen der Bischöfe zu Corona

Je län­ger die Zeit der Pan­de­mie dau­ert, um­so stär­ker be­un­ru­higt mich die Sprach­lo­sig­keit un­se­rer Kir­chen­obe­ren. Auf der Ebe­ne der Ge­mein­den ge­schieht viel und Er­staun­li­ches. Di­gi­ta­le An­dach­ten und Got­tes­diens­te hal­ten die Ver­bin­dung auf­recht zu den Ge­mein­de­glie­dern, Brie­fe und Ge­sprä­che ge­ben seel­sor­ger­li­chen Zu­spruch. Das ist nicht ge­nug zu lo­ben. Aber die­je­ni­gen, die sich sonst an Stel­lung­nah­men zu al­lem und je­dem über­bie­ten, fin­den kein geist­li­ches Wort. Sie re­den und wie­der­ho­len, was an­de­re auch sa­gen, dan­ken den Ärz­ten und Kran­ken­schwes­tern, freu­en sich über die prak­ti­zier­te So­li­da­ri­tät.

Theo­lo­gisch ver­si­chern sie, die Krank­heit sei wie al­le Krank­hei­ten kei­ne Stra­fe Got­tes. Rich­tig ist, dass man die Keu­le vom Zorn Got­tes und sei­ner Stra­fe für un­se­re Ver­feh­lun­gen im­mer wie­der miss­braucht hat und viel­leicht auch jetzt, al­ler­dings ha­be ich nie­man­den so re­den hö­ren. Lu­ther hat, als die Pest 1525 und 1527 zu­erst in Bres­lau und spä­ter auch in Wit­ten­berg wü­te­te, in sei­ner nicht aus­schöpf­ba­ren, noch heu­te un­mit­tel­bar zu uns spre­chen­den Schrift „Ob man vor dem Ster­ben flie­hen mö­ge“ ganz selbst­ver­ständ­lich und oh­ne Scheu von ei­ner Stra­fe Got­tes ge­spro­chen. Ist das in­zwi­schen als theo­lo­gisch über­holt zu ta­deln? Den bi­bli­schen Sach­ver­halt darf man frei­lich nicht mit dem Nach­sit­zen in der Schu­le oder der Rach­sucht ei­nes Mäch­ti­gen ver­wech­seln. Des­halb trifft die Sa­che bes­ser das lei­der aus der Spra­che ver­schwun­de­ne Wort Heim­su­chung. Man kann doch nicht gan­ze Be­rei­che des Le­bens dem Wal­ten Got­tes ent­zie­hen und aus­schließ­lich na­tür­lich er­klä­ren wol­len. In, mit und un­ter al­lem, was ge­schieht, will Gott ge­fun­den wer­den, auch wenn wir nur müh­sam oder gar nicht ver­ste­hen, was er uns sa­gen will. Wer je­doch nicht vom Zorn Got­tes zu spre­chen ver­mag, ver­dirbt auch die Re­de von Got­tes Lie­be. Sie wird dann zu ei­ner dif­fu­sen Ge­fühls­du­se­lei, ei­ner nicht be­last­ba­ren Al­ler­welts­weis­heit oh­ne kon­kre­ten An­halt in der Le­bens­er­fah­rung. Der Lauf der Welt ist auch im Blick auf das, was Gott tut, kon­kret.

An­de­re Re­li­gio­nen ken­nen Göt­ter des Se­gens und Göt­ter des Fluchs. Sie ver­tei­len, was auf der Welt ge­schieht, auf ver­schie­de­ne Prin­zi­pi­en. Jü­di­scher und christ­li­cher Glau­be ha­ben das auf­grund ih­rer Got­tes­er­kennt­nis von der Ein­zig­keit und Ein­zig­ar­tig­keit ih­res Got­tes nicht ver­mocht. Sie ha­ben viel­mehr die All­kau­sa­li­tät ih­res Got­tes be­haup­tet, zum Bei­spiel in dem gran­dio­sen und zu­gleich un­heim­li­chen Spruch des Pro­phe­ten Amos: „Ist et­wa ein Un­glück in der Stadt, das der Herr nicht tut?“ (3,6). Oh­ne den Glau­bens­satz von der All­wirk­sam­keit Got­tes gä­be es das Buch Hi­ob nicht, in un­se­rer ge­gen­wär­ti­gen La­ge be­son­de­rer Be­ach­tung und Be­trach­tung wert. Ge­fühls­du­se­lei, auch theo­lo­gi­sche, ver­liert das wirk­li­che Ge­sche­hen aus dem Blick. Im Kreuz Je­su Chris­ti, dem Fun­da­ment christ­li­chen Glau­bens, zei­gen sich die Lie­be und der Zorn Got­tes als zwei Sei­ten ei­nes Han­delns. Man kann nicht die ei­ne oh­ne die an­de­re ha­ben. Die lei­der nur noch sel­ten ge­sun­ge­nen Pas­si­ons­lie­der un­se­res Ge­sang­buchs wis­sen das noch.

Hier wä­re theo­lo­gisch und geist­lich an­zu­set­zen. Was sagt uns in die­sem Ho­ri­zont die schreck­li­che Pan­de­mie über un­se­ren so häu­fig tri­vi­al und be­lang­los ge­wor­de­nen Glau­ben? Es ist ja nicht ver­kehrt, sich für die Öff­nung der Kir­chen für Got­tes­diens­te ein­zu­set­zen. Aber wenn man dort nur zu hö­ren be­kommt, was im­mer oh­ne­hin schon al­le sa­gen, kön­nen wir sie ent­beh­ren. Viel be­drü­cken­der ist doch, dass land­auf, land­ab, von we­ni­gen Aus­nah­men ab­ge­se­hen, das jetzt ge­for­der­te Ab­stands­ge­bot in Kir­chen­räu­men längst schon be­kla­gens­wert selbst­ver­ständ­lich ist. Je­den­falls lässt es sich Sonn­tag für Sonn­tag leicht her­stel­len.

Was trägt der christ­li­che Glau­be zum Aus­hal­ten der ge­gen­wär­ti­gen Kri­se bei? Was sagt er uns über na­tur­wis­sen­schaft­li­che, öko­no­mi­sche und so­zia­le Fest­stel­lun­gen hin­aus? Der Glau­be wi­der­spricht ih­nen nicht und wie­der­holt nicht die Ein­sich­ten der Wis­sen­schaf­ten. Er ist auch kei­ne Er­gän­zung auf der­sel­ben Ebe­ne. Der Glau­be kennt den de­us ab­s­con­ditus (ver­bor­ge­nen Gott) und den de­us reve­la­tus (of­fen­ba­ren Gott). Ver­liert er den ei­nen aus dem Blick, ver­liert er den an­de­ren.

Kul­tur­pro­tes­tan­ti­sche Be­lang­lo­sig­kei­ten ver­sa­gen in der Kri­se, die über uns ge­kom­men ist. Hier muss theo­lo­gisch und geist­lich tie­fer ge­gra­ben wer­den. Ver­mö­gen das un­se­re Kir­chen­obe­ren in ih­rer Ge­schäf­tig­keit noch? Bis­lang ha­ben wir öf­fent­lich da­von nichts ge­hört.

Ei­ne Be­mer­kung am Schluss. Wel­chen Rang der Le­bens­schutz ge­nie­ßen muss und wor­an er sei­ne Gren­zen fin­det, dar­über soll­ten nicht erst un­se­re Po­li­ti­ker nach­den­ken müs­sen. Groß­ar­tig, wenn sie es tun. Aber das ist doch zu­vör­derst ei­ne ge­nu­in theo­lo­gi­sche Auf­ga­be und ent­schei­det dar­über, ob wir die Zeit­ge­nos­sen mit dem Kern des christ­li­chen Glau­bens er­rei­chen. In der ein­gangs zi­tier­ten Schrift Lu­thers lässt sich auch dar­über man­ches nach­le­sen.

Mit die­sen Zei­len will ich nur ei­ne Be­sorg­nis aus­drü­cken, un­se­ren Kir­chen­obe­ren ei­ne Fra­ge stel­len. Wol­len sie in die­ser Si­tua­ti­on wei­ter schwei­gen oder ha­ben sie uns et­was vom In­ners­ten des Glau­bens her zu sa­gen?

Dr. Hartmut Löwe

Der Au­tor ist evan­ge­li­scher Theo­lo­ge und ehe­ma­li­ger Mi­li­tär­bi­schof der Bun­des­wehr.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

Quelle: www.FAZ.de