Das Schweigen der Bischöfe zu Corona
Sonntag 17. Mai 2020 von Militärbischof a. D. Dr. Hartmut Löwe

Je länÂger die Zeit der PanÂdeÂmie dauÂert, umÂso stärÂker beÂunÂruÂhigt mich die SprachÂloÂsigÂkeit unÂseÂrer KirÂchenÂobeÂren. Auf der EbeÂne der GeÂmeinÂden geÂschieht viel und ErÂstaunÂliÂches. DiÂgiÂtaÂle AnÂdachÂten und GotÂtesÂdiensÂte halÂten die VerÂbinÂdung aufÂrecht zu den GeÂmeinÂdeÂglieÂdern, BrieÂfe und GeÂspräÂche geÂben seelÂsorÂgerÂliÂchen ZuÂspruch. Das ist nicht geÂnug zu loÂben. Aber dieÂjeÂniÂgen, die sich sonst an StelÂlungÂnahÂmen zu alÂlem und jeÂdem überÂbieÂten, finÂden kein geistÂliÂches Wort. Sie reÂden und wieÂderÂhoÂlen, was anÂdeÂre auch saÂgen, danÂken den ÄrzÂten und KranÂkenÂschwesÂtern, freuÂen sich über die prakÂtiÂzierÂte SoÂliÂdaÂriÂtät.
TheoÂloÂgisch verÂsiÂchern sie, die KrankÂheit sei wie alÂle KrankÂheiÂten keiÂne StraÂfe GotÂtes. RichÂtig ist, dass man die KeuÂle vom Zorn GotÂtes und seiÂner StraÂfe für unÂseÂre VerÂfehÂlunÂgen imÂmer wieÂder missÂbraucht hat und vielÂleicht auch jetzt, alÂlerÂdings haÂbe ich nieÂmanÂden so reÂden höÂren. LuÂther hat, als die Pest 1525 und 1527 zuÂerst in BresÂlau und späÂter auch in WitÂtenÂberg wüÂteÂte, in seiÂner nicht ausÂschöpfÂbaÂren, noch heuÂte unÂmitÂtelÂbar zu uns spreÂchenÂden Schrift „Ob man vor dem SterÂben flieÂhen möÂge“ ganz selbstÂverÂständÂlich und ohÂne Scheu von eiÂner StraÂfe GotÂtes geÂsproÂchen. Ist das inÂzwiÂschen als theoÂloÂgisch überÂholt zu taÂdeln? Den biÂbliÂschen SachÂverÂhalt darf man freiÂlich nicht mit dem NachÂsitÂzen in der SchuÂle oder der RachÂsucht eiÂnes MächÂtiÂgen verÂwechÂseln. DesÂhalb trifft die SaÂche besÂser das leiÂder aus der SpraÂche verÂschwunÂdeÂne Wort HeimÂsuÂchung. Man kann doch nicht ganÂze BeÂreiÂche des LeÂbens dem WalÂten GotÂtes entÂzieÂhen und ausÂschließÂlich naÂtürÂlich erÂkläÂren wolÂlen. In, mit und unÂter alÂlem, was geÂschieht, will Gott geÂfunÂden werÂden, auch wenn wir nur mühÂsam oder gar nicht verÂsteÂhen, was er uns saÂgen will. Wer jeÂdoch nicht vom Zorn GotÂtes zu spreÂchen verÂmag, verÂdirbt auch die ReÂde von GotÂtes LieÂbe. Sie wird dann zu eiÂner difÂfuÂsen GeÂfühlsÂduÂseÂlei, eiÂner nicht beÂlastÂbaÂren AlÂlerÂweltsÂweisÂheit ohÂne konÂkreÂten AnÂhalt in der LeÂbensÂerÂfahÂrung. Der Lauf der Welt ist auch im Blick auf das, was Gott tut, konÂkret.
AnÂdeÂre ReÂliÂgioÂnen kenÂnen GötÂter des SeÂgens und GötÂter des Fluchs. Sie verÂteiÂlen, was auf der Welt geÂschieht, auf verÂschieÂdeÂne PrinÂziÂpiÂen. JüÂdiÂscher und christÂliÂcher GlauÂbe haÂben das aufÂgrund ihÂrer GotÂtesÂerÂkenntÂnis von der EinÂzigÂkeit und EinÂzigÂarÂtigÂkeit ihÂres GotÂtes nicht verÂmocht. Sie haÂben vielÂmehr die AllÂkauÂsaÂliÂtät ihÂres GotÂtes beÂhaupÂtet, zum BeiÂspiel in dem granÂdioÂsen und zuÂgleich unÂheimÂliÂchen Spruch des ProÂpheÂten Amos: „Ist etÂwa ein UnÂglück in der Stadt, das der Herr nicht tut?“ (3,6). OhÂne den GlauÂbensÂsatz von der AllÂwirkÂsamÂkeit GotÂtes gäÂbe es das Buch HiÂob nicht, in unÂseÂrer geÂgenÂwärÂtiÂgen LaÂge beÂsonÂdeÂrer BeÂachÂtung und BeÂtrachÂtung wert. GeÂfühlsÂduÂseÂlei, auch theoÂloÂgiÂsche, verÂliert das wirkÂliÂche GeÂscheÂhen aus dem Blick. Im Kreuz JeÂsu ChrisÂti, dem FunÂdaÂment christÂliÂchen GlauÂbens, zeiÂgen sich die LieÂbe und der Zorn GotÂtes als zwei SeiÂten eiÂnes HanÂdelns. Man kann nicht die eiÂne ohÂne die anÂdeÂre haÂben. Die leiÂder nur noch selÂten geÂsunÂgeÂnen PasÂsiÂonsÂlieÂder unÂseÂres GeÂsangÂbuchs wisÂsen das noch.
Hier wäÂre theoÂloÂgisch und geistÂlich anÂzuÂsetÂzen. Was sagt uns in dieÂsem HoÂriÂzont die schreckÂliÂche PanÂdeÂmie über unÂseÂren so häuÂfig triÂviÂal und beÂlangÂlos geÂworÂdeÂnen GlauÂben? Es ist ja nicht verÂkehrt, sich für die ÖffÂnung der KirÂchen für GotÂtesÂdiensÂte einÂzuÂsetÂzen. Aber wenn man dort nur zu höÂren beÂkommt, was imÂmer ohÂneÂhin schon alÂle saÂgen, könÂnen wir sie entÂbehÂren. Viel beÂdrüÂckenÂder ist doch, dass landÂauf, landÂab, von weÂniÂgen AusÂnahÂmen abÂgeÂseÂhen, das jetzt geÂforÂderÂte AbÂstandsÂgeÂbot in KirÂchenÂräuÂmen längst schon beÂklaÂgensÂwert selbstÂverÂständÂlich ist. JeÂdenÂfalls lässt es sich SonnÂtag für SonnÂtag leicht herÂstelÂlen.
Was trägt der christÂliÂche GlauÂbe zum AusÂhalÂten der geÂgenÂwärÂtiÂgen KriÂse bei? Was sagt er uns über naÂturÂwisÂsenÂschaftÂliÂche, ökoÂnoÂmiÂsche und soÂziaÂle FestÂstelÂlunÂgen hinÂaus? Der GlauÂbe wiÂderÂspricht ihÂnen nicht und wieÂderÂholt nicht die EinÂsichÂten der WisÂsenÂschafÂten. Er ist auch keiÂne ErÂgänÂzung auf derÂselÂben EbeÂne. Der GlauÂbe kennt den deÂus abÂsÂconÂditus (verÂborÂgeÂnen Gott) und den deÂus reveÂlaÂtus (ofÂfenÂbaÂren Gott). VerÂliert er den eiÂnen aus dem Blick, verÂliert er den anÂdeÂren.
KulÂturÂproÂtesÂtanÂtiÂsche BeÂlangÂloÂsigÂkeiÂten verÂsaÂgen in der KriÂse, die über uns geÂkomÂmen ist. Hier muss theoÂloÂgisch und geistÂlich tieÂfer geÂgraÂben werÂden. VerÂmöÂgen das unÂseÂre KirÂchenÂobeÂren in ihÂrer GeÂschäfÂtigÂkeit noch? BisÂlang haÂben wir öfÂfentÂlich daÂvon nichts geÂhört.
EiÂne BeÂmerÂkung am Schluss. WelÂchen Rang der LeÂbensÂschutz geÂnieÂßen muss und worÂan er seiÂne GrenÂzen finÂdet, darÂüber sollÂten nicht erst unÂseÂre PoÂliÂtiÂker nachÂdenÂken müsÂsen. GroßÂarÂtig, wenn sie es tun. Aber das ist doch zuÂvörÂderst eiÂne geÂnuÂin theoÂloÂgiÂsche AufÂgaÂbe und entÂscheiÂdet darÂüber, ob wir die ZeitÂgeÂnosÂsen mit dem Kern des christÂliÂchen GlauÂbens erÂreiÂchen. In der einÂgangs ziÂtierÂten Schrift LuÂthers lässt sich auch darÂüber manÂches nachÂleÂsen.
Mit dieÂsen ZeiÂlen will ich nur eiÂne BeÂsorgÂnis ausÂdrüÂcken, unÂseÂren KirÂchenÂobeÂren eiÂne FraÂge stelÂlen. WolÂlen sie in dieÂser SiÂtuaÂtiÂon weiÂter schweiÂgen oder haÂben sie uns etÂwas vom InÂnersÂten des GlauÂbens her zu saÂgen?
Dr. Hartmut Löwe
Der AuÂtor ist evanÂgeÂliÂscher TheoÂloÂge und eheÂmaÂliÂger MiÂliÂtärÂbiÂschof der BunÂdesÂwehr.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Quelle: www.FAZ.de
Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 17. Mai 2020 um 6:24 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche.