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Stellungnahme der IFTCC zum Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages „zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“

Donnerstag 7. Mai 2020 von International Federation for Therapeutic and Counselling Cho


International Federation for Therapeutic and Counselling Cho

Diese Stellungnahme wurde zuerst veröffentlicht am 4.5.2020 bei der IFTCC unter: https://tinyurl.com/y93bejtb. Die „International Federation for Therapeutic and Counselling Choice“ (IFTCC) ist eine interdisziplinäre Organisation. Sie setzt sich für die Rechte und Selbstbestimmung von Personen ein, die ihre sexuelle Anziehung oder ihre empfundene geschlechtliche Identität als konflikthaft und ungewünscht erleben, und ebenso für die Rechte von Beratern und Therapeuten, die sie respektvoll, evidenzbasiert und einfühlsam unterstützen möchten.

Der Begriff „Konversionsbehandlung“ wird von der IFTCC in Anführungsstriche gesetzt; er ist ein ideologisch gefärbter Begriff und vermischt unethische Praktiken wie Elektroschocks und Aversionstherapien (die seit vielen Jahren nicht mehr durchgeführt werden) mit üblichen Standardtherapien und -beratung, die offen dafür sind, dass es in Beratung und Therapie auch zu Veränderungen von Gefühlserleben und sexueller Anziehung kommen kann.

Die IFTCC lehnt Elektroschocks, Aversionsmethoden und manipulative Methoden kategorisch ab. Sie setzt sich für die Freiheit und Würde jedes Menschen ein.

Die IFTCC unterstützt Menschen in verschiedenen Ländern und nimmt wie folgt Stellung zum Gesetzentwurf (vom 19.2.2020) des Deutschen Bundestages:

Im Februar 2020 hat der Deutsche Bundestag einen Gesetzentwurf „zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ vorgestellt, der weitreichende Freiheitsbeschneidungen für Menschen mit ungewünschter sexueller Orientierung oder konflikthaft erlebter geschlechtlicher Identität (Geschlechtsdysphorie) vorsieht. Diese Freiheitsbeschneidungen sind sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere da eine der Hauptbegründungen für den Gesetzentwurf, es gebe eine grundsätzliche Schädlichkeit der „Konversionsbehandlungen“, wissenschaftlich nicht haltbar ist. Für die Behauptung im Gesetzentwurf, „schädliche Effekte von Konversionsbehandlungen“ seien „wissenschaftlich nachgewiesen“, fehlt jeder Beleg.

Im dem Gesetzentwurf zugrundeliegenden Gutachten (erstellt unter der Federführung von Prof. Dr. med. Peer Briken, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf) heißt es, dass die „nicht-experimentellen Studien“, also die neueren Studien, allesamt methodisch ungeeignet sind, um wissenschaftlich begründete Kausalaussagen über Wirksamkeit oder Schädlichkeit von „Konversionsbehandlungen“ zu machen.1 Das Gutachten bezieht sich explizit auf den Bericht der „APA Task Force“ (2009), in dem es heißt: „Es gibt keine wissenschaftlich gründlichen Studien bei den neueren [Konversionsbehandlungen], die eine endgültige Aussage darüber erlauben, ob [Konversionsbehandlungen] unschädlich oder schädlich sind und für wen.“2 Es ist nicht nachvollziehbar, wieso der Gesetzentwurf dann als einen Hauptgrund für die Notwendigkeit des Gesetzes angibt, schädliche Effekte seien nachgewiesen.3

Vereinzelte Berichte über empfundene Schädlichkeit (die es bei 5%-10% der Erwachsenen und bei bis zu über 20% der Minderjährigen in sämtlichen Therapien gibt4) reichen nicht aus, um ein generelles staatliches Verbot auszusprechen. Einerseits verwirft Prof. Dr. Briken die zahlreichen individuellen Berichte über positive Effekte von „Konversionsbehandlungen“ als nicht wissenschaftlich genug; gleichzeitig scheint er die individuellen, ebenso wenig wissenschaftlich abgesicherten Berichte über empfundene schädliche Effekte als maßgeblich zu akzeptieren. Das ist insofern gravierend, als es hier nicht um eine rein akademische Auseinandersetzung geht, sondern darum, ohne wissenschaftliche Grundlage ein Gesetz zu verabschieden, durch das Menschen, die sich eine Veränderung ihrer sexuellen Anziehung oder (bei Geschlechtsdysphorie) eine psychische Akzeptanz ihres biologischen Körpers wünschen, keine entsprechende Hilfe mehr erhalten sollen.5

Seit Erstellung des Gutachtens hat sich die Forschungslage dynamisch verändert. Über die Ätiologie der sexuellen Orientierung heißt es im Gutachten noch, dass „konstitutionelle Faktoren in den Erklärungen überwiegen (z.B. Genetik, Gen-Umwelt Interaktion).“6 Die im August 2019 in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichte, bisher umfangreichste Genstudie kommt zu einem anderen Schluss: „Verhaltensmerkmale wie sexuelles Verhalten und Orientierung sind nur teilweise genetischer Natur. Zu einem großen Teil werden sie auch durch das Umfeld und die

Lebenserfahrungen einer Person geprägt. … Unsere genetischen Erkenntnisse schließen in keiner Weise zusätzliche Einflüsse durch Kultur, Gesellschaft, Familie oder individuelle Erfahrungen… aus, was die Entwicklung sexuellen Verhaltens und der Orientierung angeht.“7 „Es ist unmöglich, das sexuelle Verhalten oder die sexuelle Orientierung einer Person aus der DNA vorherzusagen oder zu identifizieren… Wenn man die Genetik einer Person kennt, kann man daraus ebenso gut auf das sexuelle Verhalten dieser Person schließen, als wenn man gar keine genetischen Informationen von ihr hat.”8

Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass individuelle Erfahrungen in der Entwicklung und Veränderung der sexuellen Anziehung eine Rolle spielen können.9 Die lesbische Psychologin und Expertin Lisa Diamond schreibt: Neue umfangreiche repräsentative Langzeitstudien zeigen, dass 25% bis 75% der Personen mit nicht-heterosexueller Attraktion im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen ihrer sexuellen Anziehung erfahren.10 In den meisten Fällen geschieht diese Veränderung in Richtung Heterosexualität.11

Wenn solche Veränderungen spontan, möglicherweise durch neue individuelle Erfahrungen12, geschehen, warum soll dann verboten werden, offen darüber zu informieren, dass sie auch innerhalb des Zeitraums einer Beratung vorkommen können, angestoßen durch die Beratung?

Im Gutachten werden die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem „APA Handbook of Sexuality and Psychology“ (2014) nicht berücksichtigt. Das Handbuch der „American Psychological Association“ gilt als autoritative Quelle der APA. Dort heißt es zur Frage der Ätiologie der sexuellen Orientierung: „Biologische Erklärungen können die sexuelle Orientierung allerdings nicht vollständig erklären. Psychoanalytische Möglichkeiten sind evident als Haupteffekte oder im Zusammenspiel mit biologischen Faktoren.“13 Mit Verweis auf umfangreiche Forschung heißt es, dass es bei einigen Personen bezüglich der Entwicklung ihrer nicht-heterosexuellen Orientierung „assoziative und möglicherweise kausale Zusammenhänge“ zu sexuellem Missbrauch gibt.14 Wenn es durch Bearbeitung dieser individuellen Erfahrungen zu Veränderungen im Gefühlsleben, auch in der sexuellen Anziehung, kommen kann, warum sollen diese Veränderungsmöglichkeiten dann verboten werden, nur weil die ratsuchende Person erst 17 Jahre alt ist?

Das Verbot einer „Konversionsbehandlung“ bei Minderjährigen, die an einer Inkongruenz zwischen biologisch basierter Identität und „selbstempfundener geschlechtlicher Identität“ leiden, ist besonders gravierend. Das vorgeschlagene Gesetz wird zu einer weiteren Zunahme von medizinisch hochriskanten Behandlungen15 mit Pubertätsblockern, gegengeschlechtlichen Hormonen und chirurgischen Eingriffen führen. Die Daten zeigen, dass bei den betroffenen Kindern durch die Pubertätsblocker ein Prozess eingeleitet wird, an dessen Ende zumeist die irreversible Sterilisation16 steht.17 Kindern, die durch Pubertätsblocker auf den Weg der Transition geleitet werden, auch das zeigen die Daten, wird fast immer die Möglichkeit genommen, ihre Geschlechtsdysphorie zu überwinden.18 Kinder dagegen, die ihre Pubertät normal durchlaufen dürfen, verlieren in den meisten Fällen ihre Geschlechtsdysphorie.19 Beratung, die eine Versöhnung des Kindes oder Teenagers mit seinem biologischen Geschlecht zum Ziel hat, soll aber nach dem Gesetzentwurf als „Konversionsbehandlung“ unter Strafe gestellt werden.

Die Beispiele zeigen, dass eine politisch nicht reglementierte wissenschaftliche Auseinandersetzung weitergehen muss, ein staatliches Verbot von „Konversionsbehandlungen“ aber keine wissenschaftliche oder sachliche Grundlage hat.

Eine ausführliche Begründung, warum sich die IFTCC gegen die derzeit in verschiedenen Ländern geplanten Therapieverbote wendet, finden Sie hier (in English): https://tinyurl.com/y8j68tdd

International Federation for Therapeutic and Counselling Choice (IFTCC), 4.5.2020

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der IFTCC https://iftcc.org/

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1 Briken, P., Gutachten im Auftrag der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) zur Fragestellung von so genannten Konversionsbehandlungen bei homosexueller Orientierung. 10.7.2019: „Die nicht-experimentellen Studien sind nicht geeignet, um Kausalaussagen zu treffen.“ (S. 21) „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Datenlage zu negativen Folgen von SOCE ähnlich problematisch ist wie zur Wirksamkeit: die Daten lassen kaum Kausalaussagen zu.“ (S.22)

2 „There are no scientifically rigorous studies of recent SOCE that would enable us to make a definitive statement about whether recent SOCE is safe or harmful and for whom.” APA Task Force Report 2009, S. 83. Die Task Force fordert nirgendwo ein Therapieverbot.

3 Die andere Hauptbegründung für den Gesetzentwurf, dass Homosexualität keine Krankheit ist, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Anlass einer Beratung oder Therapie hat sehr oft nichts mit Krankheit zu tun. Eheberatung; therapeutische Beratung bei der Frage, ob Ehescheidung ja oder nein; Beziehungsstress, hoher Stress an der Arbeitsstelle; Trauerreaktionen; Konfliktschwangerschaft – dies alles und vieles mehr kann Anlass für das Aufsuchen eines Therapeuten oder Beraters sein.

4 “Any discussion of alleged harms must be placed in the broader context of psychotherapy outcomes in general. Extensive research has shown that 5-10 percent of adult clients across all forms of psychotherapy are worse after treatment and that higher deterioration rates – sometimes exceeding 20 percent – have been reported for children and adolescents in psychotherapy (Lambert 2013; Lambert and Ogles 2004; Nelson et al. 2013). Deterioration rates would need to be established for professionally conducted change allowing therapy significantly beyond 10 percent for adults and 20 percent for youth in order for claims of approach-specific harms to be substantiated. There is no evidence for this.” Siehe Fußnote 21 in “Serious Harmful Implications of Therapy Ban Bills”. https://tinyurl.com/y8j68tdd

5  Zwar sieht der Gesetzentwurf das Verbot vor allem für Personen unter 18 Jahren vor. Da er aber jede öffentliche Werbung für Beratung, die für Veränderung offen ist, verbieten will, gilt die Freiheitsbeschneidung auch für Erwachsene.

6 „Die Ätiologie sexueller Orientierung wird heute überwiegend als multi-kausal angesehen, wobei konstitutionelle Faktoren in den Erklärungen überwiegen (z.B. Genetik, Gen-Umwelt Interaktion).“ Briken, P, a.a.O., S. 23.

7  https://geneticsexbehavior.info/ Hervorhebung hinzugefügt.

8  Ebd.

9  Etwa: Laumann, E., The Social Organization of Sexuality, 1994.

10 Diamond, L., Sexual Fluidity in Male and Females. Curr Sex Health Rep, 2016, 8:249-256.

 11 Diamond, L. et al., Scrutinizing Immutability: Research on Sexual Orientation and Its Role in U.S. Legal Advocacy for the Rights of Sexual Minorities. J Sex Research 2016, 00: 1-19.

 12„Sexuelle Orientierung entwickelt sich kontinuierlich und wird dabei von individuellen sexuellen und emotionalen Erfahrungen, sozialen Interaktionen und kulturellen Rahmungen beeinflusst.“ Kinnish, K., Geschlechtsspezifische Differenzen der Flexibilität der sexuellen Orientierung, Z Sex-Forsch 17, 2004, S. 26-45.

 13 Rosario, M. et al., Theories and Etiologies of Sexual Orientation. In: APA Handbook of Sexuality and Psychology, 2014, Bd. 1, S. 583:

 14 Mustanski, B. et al., Development of Sexual Orientation and Identity. In: APA Handbook of Sexuality and Psychology, 2014, Bd. 1, S. 609-610.

 15 Laidlaw, M., The Pediatric Endocrine Society’s Statement on Puberty Blockers Isn’t Just Deceptive. It’s Dangerous. https://www.thepublicdiscourse.com/2020/01/59422/

 16 Im BGB §1631c zum „Verbot der Sterilisation“ heißt es aber: „1. Die Eltern können nicht in eine Sterilisation des Kindes einwilligen. 2. Auch das Kind selbst kann nicht in die Sterilisation einwilligen.“ – Nach dem Kastrationsgesetz §2 ist eine Kastration erst bei Personen erlaubt, die das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.

 17 In einer wegweisenden Studie aus Holland mit Kindern zwischen 11 und 17 Jahren, die Pubertätsblocker erhielten, entschieden sich sämtliche Kinder (100%), mit gegengeschlechtlichen Hormonen fortzufahren. Die Mehrheit entschied sich dann auch für die chirurgischen Eingriffe. De Vries, A. et al., Puberty suppression in adolescents with gender identity disorder: a prospective follow-up study. J Sex Med. August 2011. De Vries, A. et al, Young Adult Psychological Outcome After Puberty Suppression and Gender Reassignment. Pediatrics, September 2014.

 18 Siehe Fußnote 17.

 19 Kinder mit Geschlechtsdysphorie, die die Pubertät normal durchlaufen dürfen, verlieren ihre Geschlechtsdysphorie in 61% to 98% der Fälle. Laidlaw, M. Letter to the Editor. November 2018. https://academic.oup.com/jcem/article/104/3/686/5198654

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 7. Mai 2020 um 16:32 und abgelegt unter Allgemein, Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik, Sexualethik.