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Mutig in der Zumutung – Ein Gesetz, das uns umtreibt

Im Salzkorn 2/2019 haben wir Ihnen von einer Gesetzesinitiative des Bundesgesundheitsministeriums zu einem Verbot von seelsorgerlichen bzw. thera­peutischen Angeboten zur Bearbeitung eines Konfliktes in der eigenen sexuellen Orientierung berichtet. Inzwischen liegt ein Gesetzentwurf vor, der vom Bundeskabinett am 18. Dezember 2019 angenommen wurde und voraussichtlich Mitte 2020 vom Bundestag verabschiedet wird. Das neue Gesetz ist nicht nur für ­Werke relevant, die beratend in diesem Bereich ­tätig sind, sondern wird Konsequenzen für die Verkündigung, Seelsorge und Begleitung in Gemeinden und christlichen Einrichtungen haben.

Zum Gesetz

Der Entwurf des Gesetzes zum „Schutz vor Konver­sions­behandlungen“ sieht folgendes Verbot vor:

  1. 
Das Gesetz „gilt für alle am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf eine Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung … gerichtet sind“. Unter Behandlung fällt demnach alles, was zu einer Veränderung oder Unterdrückung führen könnte, unter Umständen auch einzelne Gespräche, Gebete, Empfehlungen, Therapie und Seelsorgegespräche. Dem Verbot unterliegt „jedermann“, nicht nur aus anerkannten Heilberufen, sondern ebenso Gemeindeleiter, Pfarrer, Priester, Pädagogen und Privatpersonen.
  2. 
Die „Behandlungen“ von Personen unter 18 Jahren sollen mit einer „Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe“ geahndet werden. Fürsorge- oder Erziehungsberechtigte, die ihre Pflicht nicht gröblich verletzen, sind davon ausgenommen. An Volljährigen darf eine Behandlung nur durchgeführt werden, sofern deren Einwilligung nicht auf einem „Willensmangel“ beruht.
  3. 
Wer für so eine Behandlung wirbt, sie anbietet oder vermittelt, muss mit ­einer Geldbuße bis zu 30.000 Euro rechnen. Dabei wird unterschieden: Bei Personen unter 18 Jahren darf grundsätzlich nicht für Behandlungen geworben, vermittelt oder angeboten werden. Bei Volljährigen darf man nur im „nicht-öffentlichen“ Bereich für Behandlungen werben, sie vermitteln oder anbieten.

Zur Klarheit

Das Anliegen des Gesundheitsministers, Menschen vor Übergriffen und schädlichen Maßnahmen im Bereich ihrer sexuellen Orientierung zu schützen, ist grundsätzlich zu befürworten. Dieses Anliegen teilt die OJC mit ihrem dazugehörigen Arbeitszweig, dem Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG). Das DIJG hat sich mehrfach öffentlich von schäd­lichen Maßnahmen eindeutig und klar distanziert.

Zur Problematik

Gesetzestext und Begründung enthalten zahlreiche diffus verwendete Begriffe, was zu einer erheblichen Handlungs- und Rechtsunsicherheit führt. So mag zwar das seelsorgerliche oder psychotherapeutische Gespräch über die eigene Lebenssituation und den „Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung“ gestattet sein, unklar aber ist, ab wann eine „Behandlung zu einer Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung“ führt. Ab wann gilt das Gespräch mit oder das Gebet für eine Person als Behandlung? Was gilt als nachweislicher „Willensmangel“ beim Betroffenen? Was geht noch als „nicht-öffentliche

Werbung“ durch, was nicht? Man spürt dem Gesetzesentwurf das Bemühen um Klarheit ab, er bleibt aber letztlich ebenso diffus wie der Gegenstand, an dem er sich abarbeitet. Folglich werden sich Berater und ­Werke in Zukunft auf eine ganze Reihe von Denunziationen, Anklagen und Gerichtsprozessen einstellen müssen, denn konkrete Anwendung und Auslegung wird letztlich an den Gerichten ausgefochten. Widersprüchlich bleibt auch der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. So erscheint „selbstempfundene Geschlechtsidentität“ als zu schützendes Gut, und Maßnahmen, die mithilfe therapeutischer, medizinischer und chirurgischer Mittel eine „Geschlechtsumwandlung“ vollziehen, werden gutgeheißen. Das neue Gesetz diskriminiert hingegen diejenigen, die ­etwa in ihren homosexuellen oder transsexuellen Empfindungen Konflikte oder Widersprüche wahrnehmen, eine Beratung wünschen und nach Perspektiven suchen, die sich nicht in der uneingeschränkten Bestätigung ihrer diesbezüglichen subjektiven Empfindungen erschöpfen. Hier wird einer massiven Ungleich­behandlung Vorschub geleistet.

Zur Lüge

Wiederholt wird behauptet, es gäbe keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit von Maßnahmen, die eine Veränderung der sexuellen Orientierung bewirken könnten. Darüber hinaus wird unisono gefolgert, dass jede Form der „Behandlung“ ­schädliche Effekten habe. Doch während es in der Tat schädliche Behandlungen gibt, die verboten gehören, ist die Behauptung wissenschaftlich unhaltbar und unwahr, dass jede qualifizierte Beratung und Begleitung, jede therapeutische Intervention Schäden verursache. Selbst Klienten, die keine Veränderung ihrer sexuellen Orientierung erleben, können von einer professionellen Therapie für den Umgang mit ihren inneren Konflikten durchaus profitieren. In dieser Klientel löst das neue Gesetz folglich einen neuerlichen „Minderheitenstress“ aus. Ihre Existenz wird entweder ausgeblendet oder ihnen wird unterstellt, nicht richtig zu empfinden, nicht richtig zu sein. Wer „seine/ihre Orientierung“ nicht ausleben möchte, muss sich pauschal vorwerfen lassen, seine „Sexualität zu unterdrücken“, und wer von einer Veränderung der sexuellen Orientierung oder Identität berichtet, dem wird unterstellt, dass er in Wahrheit keine Veränderung erlebt hat.

Zur Wahrheit

Es gehört zur Wahrheit, dass sich viele Menschen, die mit ihrer sexuellen Orientierung ringen, in den Gemeinden nicht ernstgenommen fühlten, unter Druck und Zwang gesetzt, alleine gelassen wurden oder durch gutgemeinte ungute Maßnahmen noch tiefer in die Krise rutschten. Hier bedarf es einer gründlichen Aufarbeitung, die wir in der OJC und im DIJG begrüßen und der wir uns gerne stellen. Wir ­nehmen auch  wahr, dass die Aussagen und ­Ergebnisse in ­Publikationen des DIJG häufig verkürzt und missverständlich dargestellt worden sind – da ist enormer Klärungsbedarf. Als Christen können wir nicht achtsam genug vorgehen und müssen heikle Punkte und die Gefährdung der Betroffenen im religiösen Umfeld nachdrück­licher thematisieren. Wir bleiben Lernende und ermutigen unsere Mitchristen, ebenfalls Lernende zu sein.

Zu den Folgen

Nicht nur für die Beratungspraxis, auch für die Gemeindepraxis bedeutet dieses Gesetz einen massiven Einschnitt und Verunsicherungsmoment. Zwar darf im Kontext der Meinungs- und Religionsfreiheit gelebte Homo­sexualität, Transsexualität usw. als Sünde und die Mann-Frau-Ehe als das biblische Grundkonzept ­einer schöpfungsgemäßen Gestaltung des Sexual­lebens bezeichnet werden. Doch da hört es schon auf. Strafbar macht sich z. B. ein Prediger, wenn er in der Verkündigung oder im Ausüben seiner pastoralen ­Tätigkeiten darauf hinweist, dass es Hilfe für Menschen gibt, die ihre sexuelle Orientierung als konflikthaft erleben, sofern Jugendliche anwesend sind. Auch das seelsorgerliche Gespräch oder Gebet, das den Hilfe­suchenden darin bestärkt, sich fragend mit seinen Empfindungen auseinanderzusetzen und dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann zur Straftat werden. Befindet sich ein Betroffener diesbezüglich in einem inneren Konflikt, dann ist es von Seiten des Gesetzgebers erwünscht und erlaubt, ihn an Stellen zu verweisen, die das homo- oder transsexuelle ­Coming-Out fördern, wohingegen es strafrechtlich sanktioniert werden soll, wenn Betroffene an Werke, Therapeuten oder Berater verwiesen werden, die von einem raschen, festlegenden Coming-Out abraten und eine Auseinandersetzung mit tieferliegenden Wünschen, Gefühlen und Erlebnissen empfehlen.

Zur Bewertung der Situation

In Zuge der Entstehung dieses Gesetzes gab es weitaus krassere Forderungen, die das Erziehungsrecht, die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit massiv einschränken wollten. Wir sind dankbar, dass der Entwurf an einigen Stellen entschärft wurde.. Es wäre allerdings illusorisch anzunehmen, dass mit dem Gesetz Ruhe einkehrt und der Forderungskatalog der LGBTTIQ*-Bewegung abgearbeitet wäre. Die Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt, dass es kein ­Genug gibt. Die Forderung nach Gesetzen, die weitere „Orien­tierungen“ in den Mainstream stellen und die Bewegungsräume von Christen oder von Menschen mit nicht LGBT-konformen Erfahrungen und Vorstellungen weiter beschneiden, reißt weltweit und in unserem Land nicht ab.

Zum Bestehenbleiben

Auch uns als OJC-Gemeinschaft bringen diese Entwicklungen in Bedrängnis. Angriffe und Sanktionsmaßnahmen konnten wir bislang glücklicherweise abwenden und uns gegen Falschmeldungen juristisch wehren – die eine oder andere Verleumdung haben wir in Geduld ertragen. All dies war zwar unan­genehm, aber noch nicht wirklich bedrohlich. Das neue Gesetz stellt uns vor nie dagewesene Herausforderungen. Wir müssen ernsthaft fragen, wie ein Bestehen und Wirken unter solchen Umständen möglich bleibt.

Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Wer Einfalt und Klugheit miteinander zu verbinden vermag, kann bestehen. Aber was ist Einfalt? Was ist Klugheit? Wie wird aus beiden eins?“ Auf diese spannende Frage gibt es keine fertigen und einfachen Antworten. Bonhoeffer schreibt weiter: „Einfältig ist, wer in der Verkehrung, Verwirrung und Verdrehung aller Begriffe allein die schlichte Wahrheit Gottes im Auge behält.“ Neben aller juristischer, politischer und wissenschaftlicher Verwirrung, die sich in diesem Gesetz manifestiert, ist folgende Verdrehung die fundamentalste: Wenn Mann und Frau gemeinsam das Ebenbild Gottes sind, strahlt in ihrer Geschlechtlichkeit, die sie auf einzigartige ­Weise aufeinander verweist, diese Ebenbildlichkeit in einzigartiger Weise auf. Ein Gesetz, das es Männern und Frauen verbieten will, sich nach dieser Strahlkraft auszustrecken, auch wenn ihre sexuellen Gefühle oder ihr Geschlechtsempfinden ihnen dies nicht auf Anhieb erschließen, und dafür Begleitung und Unter­stützung in Anspruch zu nehmen, ist das im Letzten ein Angriff auf das Mysterium der Gottebenbildlichkeit in Mann und Frau. Hier wird gesetzlich verankert, was mit einer christlichen Sexualethik nicht vereinbar ist, während Hilfsangebote, die im Einklang mit der christlichen Sexualethik stehen, kriminalisiert werden. Bonhoeffer fährt fort: „Klug ist, wer die Wirklichkeit sieht, wie sie ist, wer auf den Grund aller Dinge sieht. Klug ist darum allein, wer die Wirklichkeit in Gott sieht. Der Kluge verschafft sich das bestmög­liche Wissen um die Vorgänge, ohne doch davon abhängig zu werden.“ Dazu brauchen wir Weisung und Führung. Erst recht angesichts der Tatsache, dass, wie der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila formuliert, „bereits die schonendste Wahrheit dem modernen Menschen eine unerträgliche Anmaßung“ scheint. Die dem biblischen Zeugnis zugrundeliegende Sexualethik war für den Menschen schon immer Anmaßung und Zumutung. Kommt sie prüde und streng daher, rebelliert er gegen sie; kommt sie als sanfter Anruf, quittiert er sie mit Hohn und Sanktionen. Was ist hier klug? Dagegen angehen, im Strom mitgehen oder einfach im Abseits stehenbleiben? Was bedeutet es, in einer Zeit zu leben, in der offenbar die beste Botschaft – geschaffen nach dem Bilde Gottes – nicht mehr verstanden wird?

Zur Hoffnung

Wir möchten dem, was auf uns zukommt, mit einem offensiven, „befreiten Blick auf den lebendigen Gott und auf die Wirklichkeit, wie sie in Gott allein Bestand hat“, begegnen. Denn wir vertrauen darauf, dass er die Geschicke dieser Welt in Händen hält. Mann und Frau sind im Bilde Gottes aufeinander hin erschaffen, um seine Herrlichkeit in die Welt zu tragen. Was bleibt, wenn sogar diese, unserem Leib eingeschriebene Ur-Botschaft der Schöpfung relativiert, dekonstruiert und veruneindeutigt wird? Gerade im Wissen um die Gebrochenheit unserer Existenz möchten wir an dieser Botschaft festhalten und in „Einfalt und Klugheit“ tun, was Jesus segnet. „Konstruktive Realitäten lassen aufhorchen“, heißt es in einem Urdokument der OJC. Wir möchten weiterhin Menschen ermutigen, sich im Vertrauen auf Jesus Christus diesen Realitäten zu stellen. Dazu brauchen wir einander, dazu brauchen wir als Offensive­ Junger Christen Sie, unsere Freunde, Ihre Fürbitte, guten Rat, Korrektur und die Erinnerung, dass die Wirklichkeit Christi die Konstrukte der Klugen und Mächtigen dieser Welt überdauert und schon jetzt, mitten unter uns, begonnen hat.

Konstantin Mascher, Prior der Offensive Junger Christen (OJC), Reichelsheim

Aus: Salzkorn 1/2020 Selbst.bestimmt – Im Fadenkreuz der Identitätspolitik

Die OJC ist eine ökumenische Kommunität, die sich offensiv für eine Erneuerung in Kirche und Gesellschaft einsetzt. Sie gibt das Heft „Salzkorn“ heraus, das wir sehr empfehlen. Mehr Informationen finden Sie hier [1]