Das Fortbildungsheft der württembergischen Landeskirche 2020 ist nicht mehr für Pfarrer bestimmt. Nein. Sondern für Pfarrer*innen. Das Anschreiben der Prälatur richtet sich nicht mehr an Pfarrerinnen und Kollegen. Nein. Sondern an Pfarrer*innen. Die Ausschreibung einer Stelle für eine Erzieherin im evangelischen Kindergarten richtet sich nicht mehr an mögliche Interessentinnen. Nein. Sondern an Personen männlichen, weiblichen oder diversen Geschlechts (m-w-d). Gemäß einer Empfehlung der Kirchenverwaltung. Dieser „Neusprech“ bzw. „Neuschreib“ von orwellscher Qualität taucht nicht nur vermehrt in der württembergischen Landeskirche auf, sondern in allen Kirchen der westlichen Welt.
Macht das Lesen Spaß, wenn man plötzlich lauter Sternchen sieht?
Wie soll der neue Sternchenbegriff ausgesprochen werden?
Wer hat die neue Sternchen-Schreibweise verordnet?
Es gibt Menschen, die normal sprechen. Es gibt Menschen, die deutsch schreiben. Es gibt Menschen, die sich mit der Gender-Ideologie genauer befasst haben. Und die sie genau deswegen ablehnen. Könnte es sein, dass eine Minderheit, die diese Ideologie befürwortet, eine Mehrheit bevormundet, die diese Ideologie zurückweist?
Vielleicht möchten die Befürworter einer Schreibweise, die zuerst von der grünen Partei aufgebracht und beschlossen wurde, das Bundesverfassungsgericht ins Feld führen. Das höchste deutsche Gericht hat erklärt, im Personenstandsregister müsse ein Geschlechtseintrag möglich sein auch für Personen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen. Die Kategorie „divers“ soll diese Not beheben, die Richterin Frau Susanne Bär, 2003 bis 2010 Gründungsrektorin des Gender-Kompetenzzentrums der Berliner Humboldt-Universität, damit amtlich bestätigt hat. Doch welche konkreten Menschen sollen damit gemeint sein? Wer bezeichnet sich als „divers“?
Vielleicht haben wir uns schon einmal mit einer Person unterhalten, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Gerade für sie spielt die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern eine große Rolle; nur das eigene Geschlecht ist partnerschaftsrelevant. Vielleicht hat sich uns schon jemand vorgestellt, der das Geschlecht gewechselt hat. Gerade der Wechsel signalisiert ein starkes Bewusstsein für die unterschiedliche Eigenart der Geschlechter. Wenn diese Personengruppen also definitiv nicht gemeint sein können, wer dann?
Es ginge um „Intersexuelle“, wird argumentiert, bei denen die Zuordnung zu einem Geschlecht medizinisch nicht möglich sei. Ein Kinderarzt einer Universitätsklinik erklärt auf Nachfrage, dass auch bei Störungen der geschlechtertypischen Entwicklung des Menschen eine Zuordnung zu einem Geschlecht immer möglich sei. Zudem trete das Phänomen sehr selten auf. Demnach beschreibt der Begriff „Intersexualität“ keine biologische Gegebenheit. Sondern ein Problem auf einer anderen Ebene.
Eine verschwindend kleine Personengruppe hat das Problem, sich weder als Mann noch als Frau verstehen zu können oder verstehen zu wollen – obwohl das Geschlecht laut Biologielehrbuch durch den Chromosomensatz jeder einzelnen Körperzelle unveränderbar definiert ist. Deswegen ist eine neue Kategorisierung der Menschheit nötig?
Das glauben diejenigen, die es fordern, selber nicht. Vorkämpfer der Gender-Ideologie sagen offen, dass es ihnen nicht um das medizinisch Feststellbare geht. Auch nicht um die Überwindung von leidvollen Irritationen im Blick auf die eigene Identität. Sondern um die grundsätzliche Infragestellung der Binarität, sprich: des Menschseins als Mann und als Frau. Diese natürliche Vorgabe für jedes Menschengeschöpf wird als Problem und als Einengung empfunden. Also denkt man sich den Menschen als ein Wesen, das unabhängig sei von der Zuordnung zu einem Geschlecht. Die bisherige allgemeine Sichtweise sei ein kulturelles und denkerisches Konstrukt, wird behauptet.
In Wahrheit ist es ganz genau umgekehrt. Wer meint, dem Menschen dutzende verschiedener Geschlechtsidentitäten zuschreiben zu können, wie etwa Facebook das eilfertig-zeitgeistig präsentiert, lebt in der Scheinwelt seiner denkerischen Konstrukte. Die Genom-Forschung, die Gehirnforschung, die Verhaltensforschung und damit das wissenschaftlich Objektive spricht eine andere Sprache. Der Alltag einer 7,7 Milliarden-Menschheit sieht anders aus. Männer und Frauen nehmen sich als Männer und Frauen wahr: charakteristisch unterschiedlich, aber gerade deshalb wertvoll, interessant und schön. Perfekt geeignet, sich gegenseitig zu ergänzen.
Die jederzeit in jedem sozialen Gefüge erfahrbare Polarität der Geschlechter stimmt überein mit der Information des lebendigen Gottes für seine Erdbewohner: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (1.Mose 1,27) Keine Silbe findet sich in dieser Information über ein angebliches drittes Geschlecht. Schmerzliche Defizite im Blick auf ein männliches oder weibliches Identitätsbewusstsein begründen keinen neuen Menschentypus. Wer solches dennoch behauptet gegen die klare biblische Auskunft, weiß offenbar besser Bescheid als der Schöpfer.
Gut vorstellbar, dass dieser Befund den säkularen Zeitgenossen herzlich wenig berührt. Aber hier ist von der Übernahme eines säkularen Denkschemas in den kirchlichen Raum die Rede. Menschen, die das Wort Gottes erleben als ein Wort, das ihr Dasein durchleuchtet bis auf den Grund, trauen ihm verlässliche Auskunft über ein grundsätzliches Bauprinzip des Menschengeschlechts zu. Menschenworte, die dieses Bauprinzip in Frage stellen, ohne die Aussagen der Biologie, Neurologie, Soziologie und weiterer Wissenschaften über die Polarität von Mann und Frau ernst zu nehmen, erscheinen demgegenüber als leerer Windhauch.
Nehmen wir für einen Augenblick an, der absurde Alptraum der Gender-Ideologie wäre wahr. Unzählige Menschen um uns herum wüssten nicht, welchem Geschlecht sie sich zuordnen sollen. Meines Wissens hat die württembergische Landeskirche weder Mann-Frauen noch Frau-Männer noch sonstige diverse Personen in Dienst gestellt, sondern ausschließlich Männer und Frauen, die als solche in den Personalakten als solche erfasst sind. Was soll angesichts dieses persönlich bekannten Personals die „Innovation“, Männer und Frauen im Pfarrdienst mit identitätsverhüllender Sternchen-Titulierung zu überziehen?
Eine kirchliche Mitarbeiterin stellte in diesen Tagen ihre Briefe flugs auf die neue Sternchen-Dekoration-Schreibweise um. Als jemand sie fragte, ob sie wüsste, was das bedeute, musste sie passen. Man hat keine Ahnung. Aber man macht vorsichtshalber mit. Es ist kirchenüblich. Also muss es ja vernünftig und richtig sein, nicht wahr?
Allerdings gibt es andere Briefschreiber, die sehr wohl wissen, welche Botschaft ihre Sterne transportieren. Sie greifen zu dem neuen „style“ aus missionarischer Überzeugung. Die Massen müssen beeinflusst werden, die Unwissenden müssen belehrt werden. Und solche, die möglicherweise kritische Rückfragen stellen, müssen niedergeschrieben werden. Typisch für Ideologie ist die Vermeidung der kritischen Diskussion. An keiner Stelle wird ein offenes Gespräch über die Pseudowissenschaftlichkeit und den Hintergrund jener Denkbewegung geführt, die wesentlich von der lesbisch lebenden Professorin Judith Butler ausgeht, die übrigens inzwischen das islamische Patriarchat und den Burka-Zwang verteidigt. Es wird nicht erörtert und argumentiert, sondern das Abstruse als Selbstverständlichkeit präsentiert und damit indoktriniert. Jeder, der anderer Meinung ist, muss damit rechnen, mit dem Begriff „Diskriminierung“ angegriffen zu werden.
Sollte jemand eine Stelle für eine Erzieherin in der Ausschreibung nicht ausdrücklich mit „d“ (diverse Personen) kennzeichnen, kann er dem neuen moralischen Urteil ausgeliefert werden, er würde diskriminieren. Als ob immer alle denkbaren Spezifikationen des Menschseins erwähnt werden könnten und müssten. Als ob biblisch gebildete und pädagogisch weise Verantwortliche nicht das gute Recht hätten, eine Person, die sich über ihre eigene Identität nicht im Klaren ist, für die Erziehung von Kindern für ungeeignet zu halten. Der Diskriminierungsbegriff verschleiert seine eigene Intoleranz und Aggressivität: dass er nämlich jemanden, der die Gender-Ideologie aus guten Gründen nicht teilt, als moralisch verwerflich und tendenziell böswillig hinstellt. An die Stelle von offener Meinungsverschiedenheit und Schlagabtausch tritt ein autoritärer Wahrheitsanspruch in Verbindung mit einem absoluten Werturteil. Dieses wird abgesichert und bewehrt durch die Androhung von rechtlichen Schritten. Ideologie lebt vom Geschäft mit der Angst.
Tatsächlich ist es so, dass die Kirche als öffentlich-rechtliche Institution keineswegs jeder staatlichen Sichtweise und Festlegung folgen muss; z.B. hält die württembergische Landeskirche aufgrund des biblischen Befundes daran fest, dass der Begriff „Ehe“ nichts anderes bezeichnet als eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Folglich könnte sie aufgrund des biblischen Befundes auch daran festhalten, Menschen kollektiv als Männer und Frauen anzusprechen, ohne deswegen Einzelpersonen, die sich anders verstehen, in irgendeiner Weise herabzusetzen.
„Fürchtet euch nicht“, sagt Jesus zu seinen Jüngern, als er sie aussendet, um Gottes Herrschaft anzusagen. Zu dieser Ansage gehört die Erinnerung an die Wahrheit über Mann und Frau. „Habt ihr nicht gelesen?“, fragt Jesus diejenigen, die die Eheordnung Gottes in Frage stellen. Der Herr verweist auf 1.Mose 1,27. Die Schrift lehrt. Gottes Wort klärt. Der Leser wird aufgeklärt darüber, dass Gender-Theorie einen Angriff auf den Schöpfer und seine weisen Gedanken darstellt. Und eine Absage an das Natürliche, Erfahrbare und Erforschbare.
Deshalb gehören Sternchen nicht zu einer neuen deutschen Rechtschreibung. Sie gehören überhaupt nicht in Texte. Vor allem nicht in kirchliche. Als Verzierung auf der Weihnachtskarte sind sie akzeptabel. Auch als Erinnerung an den Blick in den Sternenhimmel und damit an das Staunen darüber, wie unermesslich, gewaltig und klug der Schöpfer allen Lebens sein muss: „Weißt du, wieviel Sternlein stehen?“
Pfr. Dr. Tobias Eißler, Ostfildern-Ruit, im Februar 2020