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„Dein Wort bleibt noch im Tod gewiss“ – Über das Leben von Jochen Klepper

In jeder Nacht, die mich umfängt, / darf ich in deine Arme fallen, /  und du, der nichts als Liebe denkt, / wachst über mir, wachst über allen. / Du birgst mich in der Finsternis. /  Dein Wort bleibt noch im Tod gewiß.

Die letzte Strophe von Jochen Kleppers ‚Trostlied am Abend’ fasst in wenigen Zeilen das Leben, den Glauben und den Tod des bedeutendsten evangelischen Liederdichters im 20. Jahrhundert zusammen. Kein anderer Dichter – mit Ausnahme von Martin Luther und Paul Gerhardt – hat so viele Lieder zum Gesangbuch beigesteuert wie er. Zahllosen Christen haben seine Dichtungen Zuversicht und Hoffnung geschenkt, wenn sie ängstlich, verzweifelt oder  geistlich angefochten waren.

Dies hängt eng mit seiner Persönlichkeit und seiner Überzeugung zusammen: Jochen Klepper hatte zeitlebens mit Depressionen zu kämpfen; er erlebte die Welt, zumal nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland, als finstere Nacht.

Aber über dieser Nacht der Welt und über seinem eigenen, verdunkelten Gemüt steht das leuchtende Antlitz Jesu, der sich den Verzweifelten liebevoll zuwendet.

Selbst im Tod steht Jesu Wort fest – das Wort der Gnade.

Weil Jesu Wort Gnade ist, verdammt es seinen gebrochenen Jünger auch dann nicht, wenn dieser in auswegloser Lage freiwillig aus dem Leben scheidet: Klepper wählte am 11. Dezember 1942 gemeinsam mit seiner Frau und Stieftochter den Tod, weil diesen als Juden die Deportation ins Konzentrationslager drohte: Sein letzter Tagebucheintrag lautet: „Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In seinem Anblick endet unser Leben.“

Das Leben Joachim Georg Wilhelm Kleppers hatte 39 Jahre vorher am 22. März 1903 in Beuthen an der Oder in Schlesien begonnen. Jochen wurde in ein evangelisches Pfarrhaus geboren: Sein Vater, zweiter Pfarrer in Beuthen, hieß Georg Klepper, seine Mutter Hedwig, geborene Weidlich. Die Familie war – durch Erbschaft – wohlhabend: Schon früh besaß sie Auto und Filmkamera, ein repräsentatives Haus, vielfältige gesellschaftliche Verpflichtungen und eine gut sortierte Bibliothek. Pfarrer Klepper war ein leidenschaftlicher Jäger, musizierte begeistert, ging aber auch gerne mit Jochen und seinen vier Geschwistern an die Oder zum Schwimmen. Neben gediegener Bildung und einem gehobenen Lebensstil erlebte Jochen zu Hause einen von der Jesus-Frömmigkeit des Vaters durchdrungenen Glauben – und (auch dies gehörte zu seiner Kindheit) eine von Streit geprägte Ehe der Eltern.

Dem empfindsamen Kind, das noch dazu von so schwacher Gesundheit war, dass es bis zum 14. Lebensjahr nicht auf die Schule ging, sondern vom Vater zu Hause unterrichtet wurde, bildeten sich diese verschiedenenartigen Eindrücke tief ein.

Mit der achten Klasse trat er in das Gymnasium in der nahen Kreisstadt Glogau ein. Weil sich das Pendeln mit dem Zug auf Dauer als zu beschwerlich erwies, wurde er bei seinem Französischlehrer einquartiert, einem Freund des Vaters. Die Beziehung zu dem nationalistischen und antisemitischen Lehrer dominierte für Jahre Jochens Leben, der zwischen Bewunderung und Abgrenzung schwankte – möglicherweise wurde er sexuell missbraucht. Mit eher schwachen Noten legte Jochen Klepper im März 1922 das Abitur ab und nahm anschließend das Theologiestudium im fränkischen Erlangen auf.

Die Wahl von Studienfach und –ort beschäftigt die Biographen Kleppers bis heute. Wollte er – der sich später so sehr vor dem Pfarramt grauste, dass er das Studium kurz vor dem Abschluss abbrach – ursprünglich von sich aus Pfarrer werden? Studierte er aus Bewunderung für seinen Vater Theologie? Aber wenn ja, warum dann in Erlangen, das mit seinem scharfen lutherischen Profil so gar nicht zur theologischen Richtung von Georg Klepper passte?

Die Fragen lassen sich aus dem Rückblick nicht beantworten – zu unterschiedlich sind die Äußerungen, die Klepper im Laufe seines Lebens selbst zum Thema gemacht hat.

Tatsache ist: Das Theologiestudium gab Jochen Klepper sehr viel, besonders nach seinem Wechsel von Erlangen nach Breslau im Frühjahr 1923. Die Liste der damaligen Professorenschaft umfasst etliche Größen des Faches, deren Ruhm auch neun Jahrzehnte später kaum verblasst ist: Ernst Lohmeyer, Erich Seeberg, Rudolf Hermann. Vor allem der letztere wurde für Klepper ein Lehrer für’s Leben – bis zu seinem Tod hielten sie Kontakt.

Jochen Klepper wohnte während der Breslauer Studienjahre im Konvikt – einem Heim für angehende Theologen, in dem Andachten und gemeinsame Studien ebenso selbstverständlich zum Tagesablauf gehörten wie gesellige Zeiten. Klepper brachte sich in die Gemeinschaft ein, fiel aber auch durch einige Eigentümlichkeiten auf, z.B. seine außergewöhnliche Höflichkeit, sein ausgeprägtes Stilempfinden, seine Liebe zu sorgsam ausgewählter Kleidung und dadurch, dass er sein Zimmer nicht ungeschminkt verließ. Eine weitere Besonderheit Kleppers war, dass er sich stark zu kultivierten älteren Frauen hingezogen fühlte, die von ihrem Typ seiner Mutter ähnlich waren.

Klepper wurde in Breslau fasziniert von der vielfältigen Theaterlandschaft, er knüpfte Kontakte zu Schauspielern, aber auch zu Musikern und Artisten. Abend für Abend notierte er akribisch sämtliche Begegnungen und Gespräche des Tages – sie sollten ihm Stoffe liefern für sein eigenes künstlerisches Schaffen. Seit seiner Jugend hatte er immer wieder dichterische Versuche gemacht und mehr und mehr nahm er bei sich selbst den Drang zum Schreiben wahr. Klepper stürzte sich in die Arbeit an der Universität und in die Schriftstellerei – und das, obwohl sein körperlicher und psychischer Zustand sich zunehmend verschlechterte.

Gegen andauernde Schlaflosigkeit verbunden mit heftigen Kopfschmerzen wurde ihm ärztlicherseits ein starkes Schlafmittel verordnet, das zwar seine eigentlichen Beschwerden kaum minderte, aber bei ihm Wahnvorstellungen auslöste. Einem ersten Zusammenbruch 1924, von dem er sich in seinem Elternhaus erholte, folgte ein ungleich heftigerer ein Jahr später – nun wurde er zur Kur geschickt. Aber seine psychische Krise dauerte fort, Todesphantasien, Ängste, Hysterie plagten ihn.

Klepper brach endgültig mit dem Berufsziel Pfarrer, im Herbst 1926 brach er sein Studium ab, er brach mit dem immer noch in seinem Denken präsenten alten Französischlehrer, er brach mit seinen frühen Schreibversuchen … Und je mehr Druck dadurch von seiner Seele genommen wurde, desto mehr besserte sich sein Zustand.

1927 war er „hindurch“ – und wurde gleich gefordert. Sein Vater hatte einen Schlaganfall erlitten, nun brauchte die Mutter ihren ältesten Sohn vorerst in Beuthen. In Vertretung des Vaters bestieg der gescheiterte Pfarramtsanwärter einmal, ein einziges Mal, die Kanzel und predigte über Jesu Stillung des Seesturms.

Das Jahr 1927 wurde auch das Jahr seines beruflichen Neuanfangs. Klepper begann – zunächst als freier Mitarbeiter – für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben: gehobene Feuilletons waren sein Metier. Anfang April erhielt er zusätzlich eine feste Anstellung beim Evangelischen Presseverband für Schlesien in Breslau. Hier machte er sich besonders einen Namen, indem er Radio-Sendungen besprach – und damit ganz am Puls des beginnenden Medienzeitalters arbeitete. Und er schrieb nicht nur über das Radio, sondern bald auch für das Radio, ja, er ging sogar gelegentlich selbst auf Sendung.

In diese Zeit fiel auch eine eher überraschende Entscheidung Kleppers: Er trat in die SPD ein. Obwohl von seinem (angestrebten) Lebensstil gehoben bürgerlich, von seinem Interesse eher unpolitisch, von seiner Herkunft monarchistisch, von seiner Theologie lutherisch, verstand sich Klepper in dieser Phase als religiöser Sozialist und veröffentlichte von nun ab auch gelegentlich im „Vorwärts“.

Sein Leben verlief nun nach einem festen Schema: Seine Rundfunkkritiken schrieb Klepper daheim, gegen Mittag kam er in die Redaktion des Evangelischen Presseverbandes, um seine Texte abzuliefern, dann ging er eine Stunde schwimmen, aß in der Badeanstalt, arbeitete hinterher daheim als freier Schriftsteller (zeitweise verfolgte er gleichzeitig Pläne für sechs Romane, von denen jedoch nur einer fertig wurde) und ging früh zu Bett, um jede Nacht neun Stunden zu schlafen.

Am 26. April 1929 machte sich Jochen Klepper auf, eine zur Vermietung ausgeschriebene Wohnung in Breslau zu besichtigen. Aber noch mehr als die Wohnung beeindruckte ihn die neununddreißigjährige Hausbesitzerin, Johanna Stein. Johanna Stein entstammte der jüdischen Modedynastie Gerstel und war in erster Ehe mit dem Juristen Dr. Felix Stein verheirat, mit dem sie zwei Kinder, Brigitte und Renate, hatte. Nach dem Tod ihres Mannes vermiete sie Zimmer in ihrem geräumigen Haus. Jochen Klepper berichtete später den Töchtern, er habe den Entschluss, Mann ihrer Mutter zu werden, schon in dem Moment gefasst, als diese die Haustür öffnete. Hanni Stein war eine kluge, kultivierte, modebewusste Frau, sie entsprach ganz Kleppers an seiner Mutter gebildetem Ideal – und sie war dreizehn Jahre älter als er.

Ein halbes Jahr nach dem Einzug in der neuen Wohnung waren Hanni Klepper und ihr Untermieter ein Liebespaar. Aber die Liebesbeziehung wurde von Jochens Familie nicht gut geheißen: Pfarrer Klepper berief sich auf die kirchliche Ordnung, dass ein Christ, der eine Jüdin heiratet nicht getraut werden darf – dies fand er für seinen Sohn unvorstellbar. Mutter Klepper mochte Hannis Töchter sehr, blieb jedoch zu ihr auf Distanz. Heftige antisemitische (also rassistisch, nicht religiös motivierte Ablehnung) schlug Hanni Stein von Jochen Kleppers älteren Schwestern entgegen. Es dauerte zehn Jahre, bis sich die Familie mit der Ehe abfand. Trotzdem stand Klepper zu seiner Liebe – obwohl er mit dem Erstarken der Nationalsozialisten zunehmend auch öffentlich angefeindet wurde. Am 28. März 1931 schlossen Jochen und Hanni die Ehe standesamtlich in Breslau, seine Familie blieb der Hochzeit fern.

Den sich rasch steigernden Antisemitismus bemerkte Klepper vor allem bei seinem Versuch, für seinen ersten Roman „Die große Directrice“ einen Verleger zu finden. Obwohl er das Werk viermal völlig umarbeitete, wollte niemand es annehmen: Die Verleger störten sich daran, dass eine der beiden Hauptpersonen Jüdin ist.

Die wirtschaftliche Lage von Familie Klepper wurde zunehmend schwierig – in der Wirtschaftskrise ging es mit den Gerstel-Modehäusern steil bergab – Hannis Einnahmen aus den Firmenbeteiligungen schwanden dahin. Jochen Kleppers Arbeitgeber, der Evangelische Presseverband, stand vor der Zahlungsunfähigkeit. Außerdem waren seine Eltern auf Unterstützung angewiesen: die Wirtschaftskrise hatte die Rücklagen aufgezehrt, durch die Erkrankung des Vaters war es endgültig unmöglich, den bisherigen gehobenen Lebensstil weiter zu führen. Trotz der Entfremdung zwischen Klepper und seiner Familie – angesichts der Ablehnung seiner Frau –, fühlte er sich moralisch verpflichtet, sie nach Kräften zu fördern.

Im Sommer 1931 sah das junge Ehepaar keine Alternative mehr zu einer Trennung auf Zeit: ab September lebte Jochen Klepper in Berlin, suchte hier nach einer passenden Arbeit, während die Familie noch in Breslau zurück blieb. Klepper arbeitete als freier Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, bekam auch den einen oder anderen Beitrag beim Rundfunk unter. Unter Aufbietung aller finanziellen Möglichkeiten gelang es im März 1932 eine bezahlbare familiengeeignete Wohnung zu mieten, die zugleich den Ansprüchen der Familie entsprach.

Hier fand er die Atmosphäre, um sich einem neuen literarischen Werk zu widmen: „Der Kahn der fröhlichen Leute“ entstand in nur sechs Wochen. Ein Buch, angesiedelt an der heimatlichen Oder, in der Welt der Flussschiffer, mit einer eher ungewöhnlichen Heldin: 12 Jahre ist Wilhelmine Butenhof alt, trinkfest und fluchfreudig, muss sie sich als Erbin des Flusskahns „Helene“ in einer rauen Welt behaupten. Dieses Buch wurde endlich der lang ersehnte Erfolg – und wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. Klepper mochte es aus einem überraschenden Grund unter seinen Werken besonders: es hatte kein religiöses Thema.

Überhaupt, die Religion – seit September 1932, als Klepper begann, Tagebuch zu führen, wird deutlich, welchen überragenden Raum der Glaube in seinem Denken einnimmt – und wie er sich zunehmend in Verse ergießt: „Ohne Gott bin ich wie ein Fisch am Strand, / ohne Gott ein Tropfen in der Glut, / ohne Gott bin ich ein Gras im Sand / und ein Vogel, dessen Schwinge ruht. / Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft / bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft“ – so ein Eintrag.

Im Herbst 1932 fand Klepper auch wieder eine feste Anstellung – beim Rundfunk. Um nicht von vornherein seine Bewerbungschancen zu schmälern, hatte er unter Gewissensbissen seine Mitgliedschaft bei der SPD gekündigt. Dieser Schritt war in gewisser Weise charakteristisch für ihn – und wird auch sein Verhalten im Dritten Reich bestimmen, das wenig später mit der Machtübernahme Hitlers beginnt: Jochen Klepper steht mit letzter Konsequenz für seine Familie, seine Freunde, selbst für ihm wenig bekannte Kollegen ein – aber das Leitthema lautet doch: Überleben. So scharf er sich in seinen Tagebüchern auch gegen den Nationalsozialismus wandte, wie sehr er sich auch als religiöser Sozialist verstand, wie wichtig ihm Zuspruch aus der Bekennenden Kirche auch war – um seine Familie, seine Arbeit, seine Hilfsmöglichkeiten nicht zu gefährden, passte er sich äußerlich an die herrschende Macht an. Zugleich litt er darunter: „Es ist eine furchtbare Unruhe, ein furchtbarer Druck, eine furchtbare Isolierung – eine furchtbare Schwächlichkeit, eine furchtbare Angst um die Existenz. Das alles möchte ich auf die eine Seite schreiben. Auf die nächste: Hanni. Die Kunst. – Auf die nächste: Gott.“ In seiner Zerrissenheit hält sich Klepper an seine theologische Überzeugung: Christus hat am Kreuz jede, wirklich jede, Sünde auf sich genommen, damit der Sünder gerettet werde.

Mit dem „Kahn der fröhlichen Leute“ war Klepper ein beachteter Schriftsteller geworden. Die Deutsche Verlagsanstalt nahm ihn im März 1933 auf ihre Gehaltsliste, um sich vorab den Zugriff auf weitere literarische Produktionen Kleppers zu sichern. Während es für ihn als Schriftsteller bergauf ging, machte die nationalsozialistische Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben, die sich immer weiter verschärfende Diskriminierung und die zunehmende Gewalt das Leben von Familie Klepper immer schwieriger. Im Juni 1933 wurde ihm wegen seiner jüdischen Familie vom Rundfunk gekündigt.

Im September wurde ihm schlagartig sein nächstes Buchprojekt bewusst: Einen Roman über König Friedrich Wilhelm I. von Preußen wollte er schreiben unter dem Titel „Der Vater“. Drei Jahre arbeitete Klepper wie besessen an dem Riesenwerk, das schließlich in zwei Bänden von zusammen mehr als 1000 Seiten erschien – machte Recherchereisen, arbeitete sich durch Fachliteratur und Quellen, zog sich immer wieder aus den Schrecken der Gegenwart in die Welt seines Romans zurück. Am 24. Februar 1937 erschien „Der Vater“ und wurde ein grandioser Erfolg, bis heute hat sich das Buch mehr als eine Halbe Million Mal verkauft. Und das Wichtigste: Das Buch durfte überhaupt erscheinen – trotz Kleppers jüdischer Familie, trotz der unverkennbar christlichen Prägung des Romans, trotz der Tatsache, dass der König bei Klarsichtigen wie ein Gegenentwurf zum „Führer“ Adolf Hitler anmuten musste. Klepper bekam sogar die Erlaubnis, weiterhin zu schreiben – wenn auch unter großen Schwierigkeiten, denn die zuständige Reichschrifttumskammer hatte Klepper als – wie es in der menschenverachtenden Diktion der Nationalsozialisten hieß – „jüdisch versippt“ ausgeschlossen. Aber weil Kleppers „Vater“ in der Wehrmacht für große Begeisterung sorgte, sogar unter Spitzenfunktionären mit Interesse gelesen wurde, bekam Klepper eine Sondererlaubnis direkt von oben: von Propagandaminister Goebbels. Und wieder vertraute Klepper sich nur seinem Tagebuch an: schilderte Skrupel und Ekel, weil er sich als Bittsteller an den Minister gewandt hatte, in einem mit „Heil Hitler“ unterschriebenen Brief.

Einerseits machte Klepper Zugeständnisse – andererseits ließ er keinen Zweifel aufkommen, dass für ihn zweierlei unverhandelbar sei: die Scheidung von seiner Hanni und die Auswanderung aus Deutschland. Und er setzte ein Zeichen: nachdem die Familie schon 1935 im Berliner Südende ein eigenes Haus bezogen hatte, wurde 1938 in Berlin-Nikolassee neu gebaut. Und weil Klepper Deutschland nicht verließ und weil er kein Veröffentlichungsverbot riskierte, darum konnte er zahllosen Menschen Trost und Kraft schenken – nicht als der bekannte Unterhaltungsschriftsteller des „Kahn der fröhlichen Leute“, auch nicht als der berühmte und gerühmte Autor des „Vater“, sondern als Dichter christlicher Lieder. In rascher Folge schrieb er im Jahr 1937-1938 seine Lieder zum Kirchenjahr – die Weihnachtslieder: „Die Nacht ist vorgedrungen“, „Sieh nicht an, was du selber bist“ und „Du Kind, zu dieser heilgen Zeit“ entstanden innerhalb von nur drei Tagen. Lieder von großem geistlichen Ernst und Tiefgang, die von einem starken Kontrast leben: Der Finsternis der Welt wird das Licht Christi gegenüber gestellt – noch leben die Menschen in der Dunkelheit von Leid und Schuld, aber das Licht Christi bescheint sie, auch wenn sie es (noch) nicht sehen: „Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und –schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld. / Beglänzt von seinem Lichte, / hält euch kein Dunkel mehr. / Von Gottes Angesichte / kam euch die Rettung her.“

Im Propagandaministerium machte man Klepper unmissverständlich klar, dass man eine Veröffentlichung nicht gerne sehen würde, ohne sie zu jedoch förmlich verbieten. Der Grund für die Kritik an Kleppers geistlichen Lieder war nichts weniger als ein Großangriff auf den christlichen Glauben als ganzen: Man lehnte die „knechtische Haltung … der Gestalt Christi gegenüber“ ab. Trotzdem erschien am 18. September 1938 eine Sammlung von Kirchenliedern Kleppers unter dem Titel „Kyrie“ – ein Bändchen von 80 Seiten aber einer bis heute ungebrochenen geistlichen Wirkung. In Verse gebrachte Bibel; Schwarzbrot für die Seele, das geistlichen Hunger stillt:

„Herr, dass wir dich so nennen können, / präg unseren Herzen heißer ein. / Wenn unsere Feste jäh zerrönnen, / muß jeder Tag noch Christtag sein. / Wir preisen dich in Schmerz, Schuld, Not / und loben dich bei Wein und Brot.“

Und nicht nur Fremde empfanden die Kraft dieser Worte – auch Kleppers geliebte Hanni wurde durch die Lieder ihres Mannes endgültig für Christus gewonnen. Am 18. Dezember 1938 empfing sie durch Pfarrer Max Kurzreiter die heilige Taufe.

Aber der Druck auf seine jüdische Familie nahm im gleichen Zeitraum, in dem Klepper zum geachteten Dichter wurde, immer stärker zu: Verbot des Besuchs von Theater, Konzert und Badeanstalten durch Juden; Pflicht von Juden, als Zweitnamen Sara bzw. Abraham anzunehmen; Ausschluss von den Universitäten; Vermögenserfassung; Reichspogromnacht; erste Verschleppungen in Konzentrationslager … Schließlich fasste Ehepaar Klepper den Entschluss, die Emigration der Kinder Brigitte und Renate zu betreiben. Während sich die Pläne für Renate wieder zerschlugen, reiste Brigitte im Frühjahr 1939 nach England aus – zur Freude, aber auch zum Schmerz von Mutter und Stiefvater.

Mit einer schweren Sorge weniger machte sich Klepper daran, sein nächstes literarisches Projekt intensiver zu verfolgen: einen Roman über Katharina von Bora unter dem Titel „Das ewige Haus“. Aber der Roman blieb letztendlich ungeschrieben, nur das erste Kapitel stellte Klepper bis zu seinem Tod fertig. Immer mehr setzte die dunkle Zeit die Prioritäten im Leben Kleppers.

Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 01. September 1939 begann der II. Weltkrieg – und mit ihm endeten alle Überlegungen, dass Renate doch nach England würde ausreisen können. Kleppers konzentrierten sich jetzt auf ein mögliches Exil in der Schweiz oder in Schweden. Ohne Erfolg! Aber es entstanden in dieser Zeit auch Verbindungen zu Christen, bzw. vertieften sich, die der nationalsozialistischen „Judenpolitik“ aus Überzeugung nicht zusehen konnten und wollten. Pfarrer Heinrich Grüber in Berlin – er kümmerte sich um sogenannte nicht-arische evangelische Christen und half ihnen bei der Emigration – und besonders seine Breslauer Mitarbeiterin Vikarin Katharina Staritz sind hier besonders zu nennen. Diese menschlichen Erlebnisse führten dazu, dass nun auch bei Renate Stein das Interesse am christlichen Glauben erwachte, das in ihre Taufe am 9. Juni 1940 mündete.

Das Jahr 1940 stand vor allem im Zeichen von Jochen Kleppers Einberufung zum Militär, die ihm ausgesprochen wichtig war. Er hatte nicht nur den Eindruck, dadurch Frau und Tochter besser schützen zu können, er war auch davon überzeugt, als Soldat seinem Vaterland am besten dienen zu können. Etwa ein Jahr war er bei der Wehrmacht, diente in Polen, Rumänien, Bulgarien und Russland – und war gerne Soldat. Als er am 22. September 1941 als – wegen seiner jüdischen Familie – „wehrunwürdig“ aus dem Heer entlassen wurde, wehrte er sich mit Kräften dagegen, mobilisierte Einsprüche von Vorgesetzten bis hinauf zu seinem Divisionskommandanten. Umsonst! Als er nach Deutschland zurückkehrte galt inzwischen eine neue grausame Verordnung gegen Juden – sie mussten den gelben Stern tragen. Zwar blieb dies seiner Frau wegen ihrer „Mischehe“ (wie es im NS-Jargon hieß) erspart, nicht jedoch Renate. Wenigstens gelang es dem heimgekehrten Stiefvater in einem persönlichen Gespräch mit Reichsinnenminister Frick einen „Schutzbrief“ für Renate zu erwirken, denn inzwischen waren die ersten Deportationen in Konzentrationslager im Osten angelaufen und auch Angehörige von Hanni waren betroffen. Und am 20. Januar 1942 fiel in der Villa Marlier am Wannsee – nur wenige Kilometer vom Haus der Kleppers entfernt – die Entscheidung zur systematischen Vernichtung des europäischen Judentums, der Tiefpunkt der moralischen Geschichte der Menschheit.

Klepper erkannte in dieser Zeit: Er konnte nicht mehr schreiben – seine künstlerische Inspiration fehlte, er konnte aber auch nicht mehr dichten – das sichere Gottvertrauen war ihm verloren gegangen. Immer mehr entstand in der Familie das Einvernehmen, angesichts der Gefahr der Deportation für Renate und auch Hanni gemeinsam in den Tod zu gehen.

In den Monaten, die die letzten seines Lebens waren, hat Klepper mit seiner Frau noch einige kürzere Reisen gemacht. Von einer dieser Reisen brachten sie eine gotische Schnitzerei, einen segnenden Christus mit. Am 5. Dezember 1942 keimte noch einmal Hoffnung auf, wenigstens Renate in Sicherheit bringen zu können. Überraschend erteilte das schwedische Außenministerium ein Einreisevisum, gültig für drei Monate. Klepper suchte einmal mehr  Reichsinnenminister Frick auf, um die Ausreise seiner Stieftochter aus Deutschland zu ermöglichen. Aber der Innenminister hatte diese Zuständigkeit verloren und der berüchtigte Adolf Eichmann, zu dem sich Klepper am 9. und 10. Dezember begab, verweigerte Renate Stein die Genehmigung, Deutschland zu verlassen. Am Tag darauf schieden Jochen und Hanni Klepper und Renate Stein zusammen aus dem Leben. Vor ihnen stand die gotische Figur des segnenden Christus, die Jochen eigentlich als Weihnachtsgeschenk für Hanni erworben hatte. Sie starben in der Hoffnung auf Jesu Nähe, der mitten in ihrer Verzweiflung bei ihnen ist, auf seine Liebe, die größer ist als alle Schuld:

„Wer sich nach seinem Namen nennt, / hat er zuvor erkannt. / Er segnet, welche Schuld auch trennt, / die Werke deiner Hand.“

Pfr. Martin Fromm, Rüdenhausen