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Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“ – Teil I

Dienstag 13. Februar 2007 von Bischof i.R. Prof. Dr. Ulrich Wilckens (1928-2021)


Bischof i.R. Prof. Dr. Ulrich Wilckens (1928-2021)

Theologisches Gutachten zur „Bibel in gerechter Sprache“ – Teil I

Der Übersetzung der Bibel „in gerechter Sprache“ liegt ein dreifaches Leitinteresse zugrunde: ein „geschlechtergerechtes“, ein Interesse des gegenwärtigen christlich-jüdischen Dialogs und ein Interesse an der Bedeutung der biblischen Texte für die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit (1).

Das folgende Gutachten betrifft weder sprachwissenschaftliche noch allgemein-hermeneutische Aspekte der Übersetzungskunst; auch nicht die tiefgreifenden Probleme, die diese Übersetzung für jedwede kirchliche Praxis in Gottesdienst, Unterricht und im Umgang einzelner Christen mit der Heiligen Schrift aufwirft, vor allem was ihre Verständlichkeit angeht. Es konzentriert sich vielmehr ganz darauf, welche Folgen für die Glaubenslehre der Kirche durch die konsequente Durchsetzung dieser drei Leitinteressen bei der Übersetzung des Neuen Testaments (ob bewusst oder unwissentlich) angerichtet worden sind: Diese Übersetzung beraubt das Neue Testament der Wahrheit der beiden Grundbekenntnisse aller christlichen Kirchen, die sie in ihrer Heiligen Schrift begründet wissen: Der Wahrheit der Gottessohnschaft Jesu Christi und damit der Wahrheit des Drei-einen Gottes.

Dies springt dem Leser der „Bibel in gerechter Sprache“ vor allem in der Übersetzung von Joh. 1,14 ins Gesicht: statt „Das Wort ward Fleisch“ ist hier zu lesen: „Die Weisheit wurde Materie“!

Statt der „großen Freude“ (Luk. 2,14) darüber, dass der lebendige Gott „in unser armes Fleisch und Blut“ eingegangen und uns in dem neugeborenen Menschenkind in der Krippe „der Heiland geboren ist“, durch den wir „leben nun und ewiglich“ (Martin Luther, EG 24,4), wird hier als Gegenbotschaft verkündet, dass der lebendige Gott tote Materie geworden sei (2).

Wir sollen es nicht mit dem Weihnachtswunder zu tun haben, dass Gott Mensch geworden, dass dieses Menschenkind der einzig-geborene Sohn des einzig-einen Gottes selbst ist, sondern damit, dass Gottes Weisheit als Schöpferin und Ursprung allen Lebens Materie geworden sei. Der „Glanz“, der von ihr ausgeht (wie immer das auch vorzustellen sein mag) ist vielmehr lediglich wie der „eines einzig-geborenen Kindes von Mutter und Vater“. Wenn dieser textfremden (3) Übersetzung von Johannes 1,14 überhaupt ein Sinn abzugewinnen ist, dann der, dass Jesus ganz und gar nichts anderes sei als ein sterblicher Mensch unter sterblichen Menschen. Wieso er als solcher voller „Gnade und Wahrheit“ ist, ist ganz unerfindlich.

Sieht man nun näher zu, dann zeigt sich: Dass Jesus ein Mensch sei, der von Gott erwählt und gesandt worden ist, ist ein Aspekt, der in einem Großteil der „Bibel in gerechter Sprache“ zu finden ist. Vor allem das Interesse an einer „geschlechter-gerechten Sprache“ ist so konsequent zum primären Gebot des Übersetzens aller neutestamentlichen Texte (4) geworden, dass überall dort eine Rücksichtslosigkeit gegenüber deren eigenem Sinn in Kauf genommen ist. Vor allem geht es den Übersetzerinnen darum, bestimmte Wörter, Begriffe oder Namen, die Menschen auszuschließen oder gar zu kränken scheinen, die sich „bestimmten Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte“ (S. 9) zurechnen, durch andere neu gewählte Wörter, Begriffe und Namen zu ersetzen, die solche Assoziationen nicht auslösen. Zwar soll dabei der biblische „Ausgangs(!)text“ (S.11.) keine sachlich-inhaltliche Veränderung erfahren. Aber das gelingt den Übersetzerinnen nicht nur an vielen Einzelstellen nicht – das ist auch in anderen Übersetzungen der Fall – vielmehr kann es dort nicht gelingen, wo die Eigeninteressen gegenüber dem Interesse der Texttreue dominieren sollen. Dieser Vorwurf ist gegenüber dieser Übersetzung als ganzer zu erheben. Der Text der neutestamentlichen Schriften ist eben nicht „Ausgangstext“ für das, was in einer „gerechten“ Bibel daraus gemacht wird, sondern er ist als Wortlaut Heiliger Schrift Grundtext für alle Christen aller Kirchen.

Dies gilt vor allem für die Rede vom Verhältnis zwischen Gott und Jesus Christus.

1. Gott als der Vater

Entscheidend im ganzen Neuen Testamen ist, dass der einzig-eine Gott der Vater Jesu Christi als seines einzig-einen Sohnes ist. Weil diese Rede ein ausschließlich maskulines Verständnis Gottes als eines rein männlichen Wesens assoziieren kann und dies dann auf das Verständnis Jesu und seines Verhältnisses zu Gott zurückschlägt, werden diese beiden theologisch und christologisch zentral wichtigen Wörter, sowohl „Vater“ wie auch „Sohn“, in der Übersetzung weithin gemieden und durch andere Bezeichnungen ersetzt. Daraus ergeben sich jedoch zwangsläufig inhaltliche Veränderungen: zunächst was die Rede von Gott als Vater betrifft.

Häufig ist von Gott als „Vater und Mutter“ die Rede (5).

Nirgendwo jedoch wird im Neuen Testament Gott als eine Mutter oder auch nur sein Handeln oder Verhalten als mütterlich bezeichnet. (6)

Am häufigsten wird „Vater“ allgemein durch „Gott“ wiedergegebenen (7), hier und da auch abstrakt als „Ursprung“ umschrieben (8).

Sehr umständlich heißt es z. B. in Eph. 3,14: „Deshalb beuge ich meine Knie vor der schöpferischen Kraft, die jedes Volk im Himmel und auf Erden benannt hat.“ – statt: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater (pater), von dem jeder Volksstamm (patria) seinen Namen hat.“ Das feine Wortspiel im Urtext zwischen „Vater“ und „Vaterland“ wird so zerstört, nur weil „Vater“ nicht vorkommen darf. In 1. Petr. 1,17 wird in so weitschweifend-pathetischer Formelhaftigkeit von Gott als „dieser heiligen Macht“ geredet, dass man an „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ erinnert wird; vgl. ebenso auch Jak. 1,17. Im Urtext ist schlicht vom „Vater“ die Rede“.

Eine der wenigen Stellen, an denen das Wort „Vater“ in dieser „gerechten Übersetzung“ stehen geblieben ist, ist das gewichtige Offenbarungswort Jesu in Lk. 10,22: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater und niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater; und wer der Vater ist, weiß nur der Sohn, und wem der Sohn sich (9) offenbaren will.“ Diese Übersetzung entspricht, was „Vater“ und „Sohn“ betrifft, dem griechischen Urtext. Dafür kann man sehr dankbar sein, denn ganz anders dagegen wird die nahezu wörtlich gleich Parallele in Mt. 11,27 übersetzt: „Du hast mir alles mitgeteilt, niemand kennt mich als dein Kind so wie du, väterlich und mütterlich. Niemand kennt dich so väterlich und mütterlich wie ich als dein Kind, und wie alle Geschwister, die ich darüber aufkläre.“ Hier verschwindet nicht nur „der Vater“ dadurch, dass die Übersetzerin Jesus ihn als „Du“ anreden lässt. Vielmehr lässt sie Jesus zugleich als einen Menschen sprechen, der als „Gotteskind“ mit der mütterlichen und väterlichen Umgangsweise Gottes persönlich vertraut ist, und zwar im „Geschwisterkreis“ mit anderen Gotteskindern, die er über seine Gotteserfahrung lediglich aufklärt. An Jesus, der als der Sohn des Vaters seinen Jüngern dieses einzigartige Verhältnis wechselseitigen „Wissens“ zwischen Gott und ihm durch besondere Offenbarung mitteilt, ist ein menschlicher Lehrer geworden, der andere Menschen an seiner besonderen kindlichen Vertrautheit mit Gott teilhaben lässt, und sie darüber aufklärt, wie mütterlich und väterlich Gott doch mit seinen Kindern umgeht.

Mit der Vermeidung des biblischen „Vaternamens“ Gottes wird das Wesen des biblischen Gottes und seine fundamentale Bedeutung für alle Christen mutwillig verändert.

Dies liegt zwar sicherlich nicht in der Absicht der Übersetzerinnen, die vielmehr ‚nur’ in das die biblische Sprache beherrschende einseitig maskulin-zentrierte Gottesverständnis Züge der Gotteserfahrung von Frauen einbringen wollen. Sie treten damit jedoch, wohl unbemerkt, in die Falle ideologischer Blindheit für die Folgen ihres Tuns. Denn eben als der Vater Jesu Christi seines einzigen Sohnes, unseres Erlösers, lässt sich der biblische Gott weder durch männliche noch durch weibliche Hörinteressen von Menschen in der völligen Eigenheit seines Vaterseins bestimmen.

2. Jesus als der Sohn des Vaters

Damit ist der Übergang zum Jesusbild der „gerechten Bibelübersetzung“ gegeben. Denn Mt. 11,17 ist ein besonderes Beispiel dafür, wie nicht nur durch die Beseitigung des Vaterseins Gottes die Theo-logie zerstört wird, sondern ebenso grundstürzend durch die Beseitigung der Gottessohnschaft Jesu Christi auch die Christologie.

Vielfach ist von Jesus statt von Gottes Sohn von Gottes Kind die Rede (10). Damit soll ein besonderes Verhältnis Gottes zu Jesus nicht ausgeschlossen werden. Wenn jedoch die Gottesstimme Jesus nach seiner Taufe zuspricht: „Dies ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung“ (Mt. 3,17 = 17,5) oder: „Über dich freue ich mich“ [Mk. 1,11; 9,7; ähnlich Lk. 3,22 (11)], so verwandelt sich die Atmosphäre des feierlichen Zuspruchs Gottes aus dem geöffneten Himmel in die irdisch-familiäre einer Liebesbezeugung von Eltern zu ihrem Kind. Auch ist es ein anderes, ob die Versuchung des Teufels im Streitgespräch mit Jesus dem „Sohn Gottes“ gilt (Mt. 4,3.6) oder Gottes „Kind“, wie die Übersetzung die Szene verniedlicht. Das gilt erst recht für Joh. 1,14: Ein „Glanz“ auf dem Gesicht „wie dem eines (!) Kindes von Mutter und Vater“ soll hier von „uns“ zu sehen sein – man hört hier geradezu „Stille Nacht“.

Den gleichen Eindruck vermittelt die Übersetzung von Joh. 5,19: „Das Kind kann nichts von sich aus tun, wenn es nicht die Eltern etwas tun sieht. Was nämlich jene machen, das macht genauso auch das Kind.“ Aus einer Schlüsselaussage johanneischer Hochchristologie, die von der Übereinstimmung alles Tuns Jesu als „des Sohnes“ mit Gott, „dem Vater“, spricht, wird hier ein Bildwort von der Vorbildhaftigkeit von Eltern für ihre Kinder. Von daher wird dann freilich die folgende Aussage in Joh. 5,21 schlechterdings unverständlich: Wieso kann Jesus als ein „erwähltes Kind“ seiner göttlichen Eltern Tote lebendig machen, wie diese? Und wieso kann Gott sein Endgericht über alle Menschen einem „erwählten Kind“ übergeben (Joh. 5,22.)?

In den johanneischen Schriften wird „Sohn Gottes“ am häufigsten mit „der Erwählte Gottes“ übersetzt (12), wobei darauf hingewiesen wird, dass die Erwählung Gottes Kind gilt (13), nämlich Jesus als irdischem Menschen. An solchen Stellen wird die Wirklichkeit des Mysteriums der Inkarnation zu einer menschlichen Familienidylle.

Im Matthäusevangelium ist allerdings an zwei wichtigen Stellen, in Mt. 14,33 und 16,16, „Sohn Gottes“ stehen geblieben (14), ebenso auch in Lk. 9,35; Apg. 9,20; 13,33. Vor allem aber ist dies in einigen Paulusbriefen der Fall (15); nur im Galater und Kolosserbrief ist „Sohn Gottes“ durch „Kind Gottes“ ersetzt (16). Ich kann in dieser Unstimmigkeit keinen Sinn erkennen und es nur für einen glücklichen Zufall halten, dass uns der für die Theologie des Neuen Testamentes so zentral wichtige Titel „Sohn Gottes“ wenigstens an vereinzelten Stellen in dieser „gerechten Bibelübersetzung“ überhaupt noch erhalten geblieben ist.

Als weiteres Beispiel für die Tendenz dieser „Übersetzung“, Jesus als einen bloßen Menschen erscheinen zu lassen, sind noch folgende Stellen zu benennen: Mt. 7,29: Jesus „lehrte das Volk wie ein Mensch, der Vollmacht hat, nicht so wie seine Gelehrten“. In Mt. 8,10 sagt Jesus: „Nicht einmal in Israel habe ich solches Vertrauen gefunden“ (ähnlich 9,28). Im Urtext aber steht: „solchen Glauben“! In Mt. 10,24 kann man lesen: „Jüngerinnen und Jünger können kein besseres Schicksal erwarten als ihr Lehrer.“ Der Urtext dagegen lautet: „Nicht ist ein Jünger über dem Lehrer noch auch ein Sklave über seinem Herrn“!

Zusammenfassend ist zu sagen: mit der weitgehenden Vermeidung des biblischen „Sohnes“prädikats wird Jesus Christus seiner völligen Einheit mit Gott und Gottes mit ihm beraubt, kraft derer er allein unser Erlöser ist und sein kann. Stattdessen erscheint er als vorbildlicher Mensch, der uns Menschen als seinen „Geschwistern“ die weiblichen Züge seiner Gotteserfahrung nahe bringen möchte, wozu ihm die Übersetzerinnen endlich zur Sprache zu kommen helfen wollen. Dass sie ihre Leserinnen und Leser damit einen anderen Jesus (2. Kor. 11,4) hören lassen als den Deus-Homo des Grundbekenntnisses aller christlichen Kirchen, den Martin Luther uns in der Auslegung des 2. Glaubensartikels im Kleinen Katechismus in so eindrücklicher Sprache nahe bringt, – das haben sie möglicherweise über der Dominanz ihres „geschlechtergerechten Übersetzungsinteresses“ nicht einmal bemerkt.

3. Jesus als „der Menschensohn“

Es ist eine Eigenart der Verkündigung Jesu, dass er vielmals von sich als „der Menschensohn“ spricht. Dabei steht die Vision des Propheten Daniel im Blick, in der Gott ihm die aufeinander folgenden Weltreiche der Menschheitsgeschichte in Gestalt von verschiedenen Tieren, dagegen das Reich Gottes am Ende der Geschichte in der Gestalt eines Menschen schauen lässt (Dan. 7,13). Von daher ist deutlich, dass Jesus, wenn er von „dem Menschensohn“ spricht, eine himmlische Gestalt an Gottes Seite meint, ob er nun deren zukünftiges „Kommen“ oder Handeln im Zusammenhang der Endereignisse ankündigt, oder ob er von sich selbst in seiner irdischen Gegenwart als von „dem Menschensohn“ spricht. Sprachlich ist immer von einer bestimmten Einzelgestalt die Rede: „dieser Mensch“. Menschensohn ist also nicht im genealogischen Sinne zu verstehen, als wäre der Menschensohn der leibliche Sohn eines Menschen, so dass sein irdisches Menschsein hervorgehoben würde, sondern es ist im Gegenteil von einer himmlischen Person in Menschengestalt die Rede.

Insofern haben die Übersetzerinnen der „Bibel in gerechter Sprache“ zunächst Recht, wenn sie „der Menschensohn“ mit „der Mensch“ übersetzen; und wenn sie an den Stellen, wo Jesus von dem endzeitlich-zuküftigen Handeln „des Menschensohnes“ spricht, diesen als „himmlischen Menschen“ charakterisieren. (17)

Dort jedoch, wo Jesus von sich selbst in seiner irdischen Gegenwart als von „dem Menschensohn“ spricht – und das ist die Mehrheit der Stellen -, drückt er das besondere Geheimnis seiner Person aus: dass er in seinem Wirken und Geschick als der Mensch Jesus von Nazaret bereits jetzt und hier jene göttliche Gestalt der endzeitlichen Zukunft ist und als solcher in göttlicher Vollmacht handelt. An allen diesen Stellen jedoch ist in der „Bibel in gerechter Sprache“ von Menschen allgemein (18) oder von Jesus als „Mensch“ (19) die Rede; oder „Menschensohn“ wird einfach mit dem „Ich“ Jesu wiedergegeben (20). Im Johannesevangelium wird der Titel durchweg als „der erwählte Mensch“ übersetzt (21). Damit soll wohl zum Ausdruck kommen, dass Gott Jesus als seinen Gesandten in besonderer Weise erwählt hat (vgl. Joh. 6,27).

All diese Aussagen gelten jedoch in dieser „Übersetzung“ von Jesus als einem Menschen, der sich zwar vor anderen Menschen in bestimmter Weise auszeichnet, dem jedoch selbst keinerlei Göttlichkeit eigen ist. Der Menschensohntitel dient so der Gesamttendenz dieser Übersetzung, in Jesus nur einen Menschen zu sehen. Die göttlich-himmlische Würde an der Seite Gottes, die im Urtext mit dem Titel durchweg assoziiert wird, ist in der „Bibel in gerechter Sprache“ ausgeblendet. (22)

An einigen Stellen kommt das besonders krass zum Ausdruck. In Mk. 2,5 / Mt. 9,6 / Lk. 5,24 geht es im Urtext um die Vollmacht Jesu als des „Menschensohns“, Sünden zu vergeben. In der „gerechten Bibel“ wird daraus eine Vollmacht, die „Menschen“ haben. Eben damit bekommen aber die jüdischen Partner Recht gegen Jesus, wenn sie ihm Gotteslästerung vorwerfen, weil ja doch allein Gott Sünden vergeben kann (Mk. 2,7).

Gleiches gilt für Mt. 12,8, wo Jesus im Urtext für sich als den „Menschensohn“ die Vollmacht beansprucht, „Herr über den Sabbat“ zu sein. (23) Die Übersetzerinnen verändern dies, indem sie den Ausspruch Jesu auf alle Menschen verallgemeinern: „Die Menschen sind wichtiger als der Sabbat.“ Dies werden übrigens etwaige jüdische Leser der „Bibel in gerechter Sprache“ sicherlich mit Befremden hören.

Ferner ist es natürlich richtig, wenn die Übersetzerin in Lk. 19,10 Jesus sagen lässt: „Ich bin gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ging.“ Doch warum Jesus die Macht dazu hat, sagt im Urtext der Würdetitel „der Menschensohn“, der darum nicht durch einfaches „ich“ ersetzt werden darf. Und wenn Jesus in Lk. 22,48 seinen Verräter fragt: „Judas, mit einem Kuss lieferst du mich aus?“, dann verliert diese Frage ihr Gewicht; denn nach dem Urtext ist es „der Menschensohn“ den sein Jünger Judas den Bewaffneten ausliefert.

Extrem problematisch wird es, wenn die drei Leidensankündigungen in Mk. 8,31; 9,31; 10,33f (und Parallelen) nicht vom Geschick des „Menschensohnes“ sprechen, sondern von dem „des Menschen“. Im Urtext sind diese Aussagen Jesu deswegen so außerordentlich spannungsreich, weil es „der Menschensohn“ in seiner endzeitlichen Würde an Gottes Seite ist, dem Gott diesem Todesleiden durch Menschengewalt anheim gibt.

Die Übersetzung der „gerechten Bibel“ lässt Jesus dagegen als bloßen Menschen, als Märtyrer, leiden und sterben. In Mk. 9,12 heißt es sogar: „Was steht über den Menschen geschrieben? Dass er viel leiden muss…“: Aus der christologischen Aussage wird hier eine allgemein-menschliche Sentenz, aus Jesus „dem Menschensohn“ ein besonders krasses Beispiel eines Menschen, dem das Menschengeschick widerfährt, von Menschen Gewalt zu leiden.

Wieder ist zu sagen: Diese Verkehrung von Christologie in Anthropologie ist gewiss nicht als solche die Absicht der Übersetzerinnen. Aber sie ist der Preis dafür, dass sie auch hier lediglich das maskuline Wort „Sohn“ beseitigen wollen, das aber in dem festen Ausdruck „der Menschensohn“ in der hebräischen Sprachheimat des Urtextes nicht einmal geschlechtliche Bedeutung hat, sondern lediglich die besondere Einzelgestalt dieses „Menschen“ benennt.

4. Gott und Jesus Christus als der Herr

Die Einheit und Gemeinschaft zwischen Jesus und Gott wird im Neuen Testament im Gebrauch des Wortes „Herr“ (Kyrios) besonders augenfällig. Im griechischsprachigen Judentum der damaligen Zeit gibt „Kyrios“ den Namen Gottes wieder, in dem in der Bibel Gott sich selbst offenbart: „Ich bin da“, was zugleich heißt: „Ich werde immer da sein“ (Ex. 3.14). So lässt sich dieser Name, der in der hebräischen Sprache einzigartig ist: „Jahwe“, am angemessensten übersetzen. Die griechische Bibel übersetzt dies im Geist griechischer Philosophie als „der, der ist“. Gemeint ist aber auch hier das konkrete „Dasein“ des Gottes Israels in seinem Handeln an seinem Volk und für sein Volk. Daher interpretiert Gott selbst in der Einleitung zu den Zehn Geboten (Ex. 20,2) seinen Namen durch sein Rettungshandeln in der Herausführung Israels aus der Sklaverei in Ägypten und verallgemeinert dies hernach (Ex. 34,6f) in äußerster Verdichtung: „Jahwe“ ist er selbst, indem er „barmherzig und gnädig“ an seinen Erwählten handelt, seinen „Zorn“ gegen sie (wenn sie ihm die Treue brechen) zurückhält, und in der grenzenlosen Fülle seiner „Liebe“ grenzenlos „treu“ ist. So ist er ein Gott, der wohl alles Zuwiderhandeln gegen ihn als Bruch seines Bundes mit seinem Volk ernst nimmt und es daher ahndet, sehr viel mehr aber Sündern vergibt, die sich zu ihm bekehren. Weil dies das einzigartige Geheimnis seines heiligen Wesens ist, hat Israel dieses später dadurch zu schützen gesucht, dass Gottes Name nicht selbst ausgesprochen werden durfte, sondern mit „Adonaj“ (Herr) oder ähnlichen Worten umschrieben werden musste. (24) Wenn Juden dafür das griechische Wort „Kyrios“ benutzten, so war ihnen natürlich aus der Bibel bekannt und vertraut, welche Inhalte im Sinn von Ex. 34,6 sich damit verbinden und wie der Name ihres Gottes am angemessensten im Lobpreis seiner wunderbaren Rettungs- und Heilstaten zu ehren ist.

Dies muss hier in aller Kürze vorweggeschickt werden, damit zu verstehen ist, welch zentrale Bedeutung es hat, dass die ersten Christen als gute Juden von Gott als „Kyrios“ gesprochen haben wie alle Juden sonst auch, dass sie aber zugleich als Christen, die an Jesus als den Messias und Sohn Gottes glaubten, auch von diesem als dem Kyrios oder „unserem Herrn“ reden. Das Glaubensbekenntnis, das jeder Getaufte nach dem Taufakt vor der Gemeinde aussprach, lautete: „Herr ist Jesus“ (Röm. 10,9). Diese einzigartige Würde, Gottes eigenen Namen zu tragen, kommt Jesus dadurch zu, das Gott selbst ihn, den für uns Gekreuzigten, aus dem Tod auferweckt hat (vgl. 1. Kor. 15,3-5). Mit diesem Bekenntnis fällt so auch die ganze Gottesdienstgemeinde in Ehrfurcht und Dank vor ihm nieder: „Herr ist Jesus Christus zur Ehre Gottes des Vaters“ (Phil. 2,11).

Für die Übersetzerinnen der „Bibel in gerechter Sprache“ jedoch ist dieses zentrale Bekenntniswort, das sich im Neuen Testament in großer Fülle findet, ein besonderes ‚Sprachgreuel’, weil nach ihrer Meinung moderne Frauen, die endlich eine jahrhundertelange Sklaverei unter Männerherrschaft losgeworden sind, so auch nicht mehr in der Bibel von Gott und Jesus als von „Herren“ hören wollten.

Doch diese Entscheidung, zusammen mit „Vater“ und „Sohn“ und „Menschensohn“ besonders auch „Herr“ aus dem Text der neuen „Übersetzung“ auszumerzen, hat zwangsläufig tiefgreifende inhaltliche Folgen für den wahren biblischen Glauben an Gott und an Jesus Christus. Das ist aufgrund des eben Ausgeführten zu verstehen: Ist doch die Herrschaft des biblischen Gottes ganz und gar anderer Art als jede Herrschaft von Menschen über Menschen: als die Herrschaft seiner rettenden, heilschaffenden Liebe; und dass diese Liebe allmächtig ist und über alle Menschen herrscht, daran hängt unser aller Heil!

Nach genauer Durchsicht aller Stellen, an denen „Kyrios“ vorkommt, ergibt sich das folgende Gesamtbild:

4.1. In allen alttestamentlichen Zitaten wird „Kyrios“ als Umschreibung des Gottesnamens oft mit „Adonaj“ (25) wiedergegeben. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, obwohl nicht alle heidenchristlichen Adressaten mit jüdischer Tradition so vertraut gewesen sein dürften, dass sie bei jeder Nennung des ihnen vertrauten „Kyrios“ das zugrunde liegende hebräische Wort Adonaj mitgehört haben.

Dies gilt noch vielmehr dort, wo im Text der neutestamentlichen Schriften selbst „Kyrios“ steht. (26)

Zweifellos ist auch hier an vielen Stellen Gott gemeint. Aber es ist die Eigenart urchristlicher Rede vom „Kyrios“ dass sehr oft auch der auferstandene, erhöhte Jesus Christus im Blick steht. An manchen Stellen lässt sich nicht eindeutig erkennen, ob von Gott oder von Christus die Rede ist. Solches Oszillieren der Sprache hat inhaltlich-theologischen Grund: „Herr ist Jesus“, weil Gott sich in seiner Auferweckung vollauf mit ihm identifiziert hat (siehe oben Röm. 10,9f). Diese entscheidende Einheit von Theologie und Christologie wird in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“, dadurch aufgehoben, das „Kyrios“ nicht nur zumeist durch andere Worte oder Ausdrücke ersetzt wird, sondern zugleich auch die Tendenz herrscht, christologisch gemeintes „Kyrios“ zur Rede von Gott zu machen.

4.2. Damit verbindet sich jedoch noch dazu die Absicht, im Alten wie im Neuen Testament von Gott als einem zugleich männlichen und weiblichen Wesen zu sprechen. Bei der Übersetzung des maskulinen Wortes Kyrios werden im Neuen Testament besonders häufig feminine Ersatzworte gewählt: „Die Ewige“ oder „Die Lebendige“, und zwar sowohl in alttestamentlichen Zitaten (27) wie auch sonst (28). Das geschieht in philologischer Willkür – an keiner einzigen dieser Stellen gibt es auch nur ein sprachliches Anzeichen dafür, die Rede von Gott dem „Herrn“ sei weiblich zu verstehen.

Zwar scheuen sich die Übersetzerinnen davor, aus dem „Herrn“ eine „Herrin“ (Kyria) zu machen. Aber wenn Maria im Magnificat durchweg von Gottes rettendem Handeln an ihr (Lk. 1,47-49) und besonders an den Machthabern der Welt (1,50-53) als von „der Göttlichen Macht“ singt, „deren Name heilig ist“, dann klingt dies fatal nach einem „Jubel“ über weibliche Macht im Himmel, mit der sich Maria als Frau auf Erden – statt als der Mutter des Sohnes Gottes (1,35) (29) – identifizierte. Immerhin, anstatt von: „Er hat mir Großes getan, der Mächtige, heilig ist sein Name“ (so der Urtext von 1,49), heißt es jetzt: „Großes hat die göttliche Macht an mir getan und heilig ist ihr Name.“ Entsprechend hat die Übersetzerin in 1. Kor. 1,31 das Zitat aus Jer. 9,22f so übersetzt: „Wer groß sein will, preise die Größe der Ewigen“. Im Urtext aber steht: „Wer sich rühmt, rühme sich des Herrn.“ Der Kontext zeigt deutlich, dass Paulus mit dem Kyrios, von dem der Prophet als von Gott spricht, in völliger Selbstverständlichkeit den Herrn Jesus Christus meint, „in dem“ wir nach 1,30 von Gott her Christen sind. Wenn jedoch Gott Kyrios ist als „die Ewige“, ist für Christus als Kyrios kein Platz. Als der Messias „verkörpert“ er nur die Macht und Weisheit „der Ewigen“ (1,24 – im Urtext ist Christus „Gottes Macht und Gottes Weisheit“); und so sind „wir“ nach 1,30 lediglich „durch Gott… mit dem Messias Jesus verbunden“, statt „in ihm“ zu leben. Wie alle Juden den Messias als einen Menschen mit besonderem göttlichen Auftrag erwarten, so ist nach dieser Übersetzung auch Jesus als Messias ein Mensch, dem es „von Gott“ gegeben ist, uns seine „Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Befreiung“ (die hier zum Text einfach hinzugefügt wird) in seiner Person nahe zu bringen. Paulus jedoch schreibt: Durch seinen Kreuzestod (2,2) hat Christus in der Taufe unsere ganze Existenz verändert: Aus den Toren, die wir waren, hat er uns zu Weisen gemacht, aus Ungerechten zu Gerechten, aus Unheiligen zu Heiligen. Entsprechend wird auch 2. Korinther 5,21 so übersetzt, dass Gott Jesus zu einem sündigen Menschen gemacht habe, statt stellvertretend für uns zu unserer Sünde.

Gleiches gilt auch z. B. für Röm. 10,11, wo Paulus das Zitat von Jes. 28,16 zweifellos auf Gott und Christus zugleich bezogen verstanden wissen will: „Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ Daraus macht die Übersetzerin eine allgemeine anthropologische Sentenz. „Wer auf Gott vertraut, wird nicht scheitern“! Und im folgenden lässt sie Paulus von Gott als „der Lebendigen“ reden (10,12f.16) und löst damit die Einheit von Gott und Christus im Heilsgeschehen der Rechtfertigung schlichtweg auf. Ganz schlimm wirkt sich das auf das „Mahl des Herrn“ (1. Kor. 11,20) aus, das hier zum „Mahl der Gemeinschaft derer, die zu Christus gehören“, wird und seinen Sinn als Gemeinschaft mit dem in diesem Mahl gegenwärtigen Christus als dem für uns gestorbenen und auferweckten Herrn verliert.

Zuvor wird in 1. Kor. 10,21 parallel vom „Kelch Christi“ und vom „Tisch der Ewigen“ gesprochen (so auch in 10,22.26), wohingegen Paulus vom „Kelch des Herrn“ und vom „Tisch der Herrn“ spricht und (nach 10,16) beidemal Christus als den Sohn Gottes meint. Die Einsetzungsworte in 1. Kor. 11,24f werden dann so verändert, dass es sich in der Brothandlung um einen symbolischen Akt handelt („so ist mein Leib für euch“), während in der Kelchhandlung „der neue Bund durch mein Blut mit diesem Becher da ist“. Realpräsenz eignet hier also nicht Christus selbst, sondern Gottes Bund. (30)

In dem wichtigen Basissatz zur Charismenlehre in 1. Korinther 12, 4 – 6 wird gar Kyrios in Vers 5 zu einem Gottesprädikat verändert („die Ewige“). Damit wird die wohlbedachte trinitarische Struktur dieser drei parallelen Sätze mutwillig zerstört: Die Charismen als Wirkungen „der Geistkraft“ sollen eben ganz und gar auf „die Ewige“ als der alleinigen Geberin zurückgeführt werden. Darum wird Jesus hier eliminiert, in dem statt von ihm als dem Kyrios, von Gott als „der Ewigen“ gesprochen wird.

Die gleiche Tendenz zeigt sich auch bei der Übersetzung von 2. Korinther 3,16 – 18. Im Voranstehenden geht es um eine sehr eigenartige Auslegung des Berichts in Exodus 34, 29 – 35. Dort ist von einer Decke die Rede, die Mose, von der Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai zum Volk herabkommend, über sein von Gottes Herrlichkeit wiederstrahlendes Gesicht legen musste, weil die Lichtfülle die Augen des Volks blendete. Paulus deutet dies aus auf die Unfähigkeit des gegenwärtigen Israels, in der Verlesung der Tora als des „alten Bundes“ die darin verbundene Wahrheit Jesus Christi zu hören. Nur wer sich – wie Mose – „dem Herrn zuwendet“, nämlich sich zum Glauben an Jesus Christus als dem Herrn bekehrt, wird von der Decke über der Tora frei und kann das strahlende Licht der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi (4,6) schauen und sich in sie hinein „verwandeln lassen“. In diesem Sinn fasst Paulus seine Auslegung jenes alttestamentlichen Berichts zu dem berühmten Grundsatz christlicher Schriftauslegung und zugleich christlicher Freiheit zusammen: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit“. Die Übersetzerin dagegen bezieht zwar richtig den Kyrios auf den Kyrios des voranstehenden alttestamentlichen Zitats in Vers 16, macht jedoch dessen paulinische Auslegung auf Christus nicht mit und bezieht Kyrios in beiden Sätzen auf Gott als „den Ewigen“. So verändert sich der christologische Sinn von Vers 17 in einen rein theo-logischen: „Der Ewige ist Geistkraft, und wo die Geistkraft des Ewigen ist, da ist Freiheit.“ Entsprechend dann auch Vers 18: „Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen der Gegenwart Gottes wider (Urtext: „die Herrlichkeit des Kyrios“) und wir werde in dasselbe Ebenbild verwandelt von einem Aufleuchten zum anderen, wie es von der Geistkraft des Ewigen kommt (Urtext: „wie von dem Kyrios-Geist“).“ Das nach 4,4 Christus das „Ebenbild Gottes“ (von Genesis 1,26f) ist, wie die Übersetzerin dort richtig wiedergibt, hat sie in dem unmittelbar voranstehenden Satz 3,18 entweder nicht bemerkt oder sie wollte diesen christologischen Bezug von Kyrios dort noch nicht bestimmend sein lassen. So oder so – mit der christologisch begründeten „Freiheit“ in der Auslegung des Alten Testaments ist es hier aus. (31)

5. Jesus Christus als unser Herr

Das Taufbekenntnis zu Jesus als dem Herrn, das Paulus in Röm. 10,9 anführt, wird dort und an vielen anderen Stellen in der „Bibel in gerechter Sprache“ oft einseitig allein unter dem Aspekt der Zugehörigkeit der Christen zu Christus umschrieben: Der Kyrios erscheint so nur als „Der, dem wir gehören“. (32) Der ‚Herzton’ dieses urchristlichen Bekenntnisses zu Jesus als dem Kyrios liegt jedoch darin, dass der auferstandene und zu Gott erhöhte Jesus Christus Gottes Herrschaft über uns in seiner Person inne hat und sie uns zum Heil ausübt (33). Nur wenn dies zuerst und grundlegend bekannt wird, ist es dann auch notwendig hinzuzufügen, dass wir seine Herrschaft über uns anerkennen und uns als seine Jünger erweisen sollen, die ihm mit der gleichen Ganzheit, Entschiedenheit und Treue als ihrem Herrn zugehören wollen, mit der es nach dem jüdischen und christlichen Grundgebot von Dtn. 6,4f gilt, Gott zu lieben und ihm allein zu dienen. (34)

In der großen Mehrheit der Stellen, an denen im Urtext von Jesus Christus als unserem Herrn die Rede ist, zeigt sich in der „Bibel in gerechter Sprache“ also eine deutliche Tendenz, das Moment der Herrschaft Christi über uns als dessen, der Gottes Kyrios-Namen trägt, zurücktreten zu lassen oder ganz auszublenden zugunsten unserer Zugehörigkeit zu ihm als dem Messias, dessen jüdisches Verständnis als eines Menschen zwar nirgendwo direkt ausgesprochen, aber doch überall vorausgesetzt wird. (35)

Umso mehr gilt es, den wenigen Übersetzerinnen mit Lob und Dank „gerecht zu werden“, die entgegen jener vorherrschenden Tendenz ihrer Kolleginnen den Mut gehabt haben, Kyrios mit „Herr“ zu übersetzen. Voran ist hier Phil. 2,11 zu nennen: „… damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen … und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist“. (36) Zu Vers 10ff wird der Leser überdies ausdrücklich darüber informiert, dass es sich bei dem Kyrios-Namen als dem Namen, „der über jedem Namen erhaben ist“, um den Namen des einzig-einen Gottes handelt. (37) Das Gleiche ist der Fall in 2. Kor. 4,5 und an einigen anderen Stellen. (38)

Aufs Ganze gesehen aber haben diese wenigen Ausnahmefälle tatsächlich „gerechter“ Übersetzung leider nicht das Gewicht, gegenüber dem breiten Strom durchaus „nicht gerechter“, schlicht falscher Übersetzung, den Lesern den richtigen Sinn dieses zentralen christologischen Prädikats zu vermitteln und sie wach zu machen für die Erkenntnis, welche tiefe Häresie diese Bibelübersetzung als Ganze durchzieht.

Anmerkungen

1 Dieses dreifache Interesse wird sowohl im Vorwort des Vorsitzenden des „Beirats zur Förderung, Unterstützung und Begleitung des Projektes Bibel in gerechter Sprache“, des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Dr. h. c. Peter Steinacker herausgestellt (S.5) als auch in der Einleitung ausgeführt (S. 10 f.)

2 Wohlgemerkt: nicht in dem Sinne, dass Gottes „Wort“ die Schöpferkraft hat, aus toter Materie Leben entstehen zu lassen! Diese Botschaft von Joh. 1,3 gehört zwar wesentlich zum Glauben an Gott, sie wird aber in Joh. 1,14 durch das schöpferische Heilswunder der Menschwerdung des Schöpferwortes Gottes überboten. Dass jedoch in einem Gott, der Materie „geworden“ ist, ein „Glanz voller Gnade und Wahrheit“ zu sehen sein soll, wird jeder glaubende Christ als nichts anderes hören können als blanken Zynismus. Dieser liegt zwar sicherlich der Absicht der Übersetzerin fern, aber er entsteht durch ihren Willen, sich ‚modern’ auszudrücken. Ihre Kollegin dagegen hat die parallele Aussage in Tim. 3,16 textgemäß übersetzt: „Christos erschienen als Mensch von Fleisch und Blut“.

3 Meines Wissens gibt es nirgendwo in der altgriechischen Literatur einen Beleg dafür, dass das griechische Wort „Sarx“ (Fleisch) je in einem Sinn gebraucht worden ist, der mit dem griechischen Wort für Materie ( Hylä) verbunden wäre. Im Hebräischen gibt es bezeichnenderweise kein Wort mit dieser Bedeutung; und in der griechischen Bibel (LXX) steht das Wort Hylä nirgendwo als Bezeichnung von „Fleisch“. Im „Glossar“ der „Bibel in gerechter Sprache“ (S. 2335 f) findet sich überdies eine durchaus zutreffende Gegenüberstellung von biblischem und griechisch-hellenistischem Sprachgebrauch. Woher die Übersetzerin von Joh. 1,14 die Wiedergabe von „Sarx“ als „Materie“ hat, die sie auch in Joh. 3,6 und 6,63 bietet, ist wissenschaftlich unerfindlich.

4 Ich beschränke mich in diesem Gutachten auf das Neue Testament.

5 Wenn Jesus im Urtext von „meinem Vater“ spricht, wird dies übersetzt durch „Gott, Vater und Mutter für mich“: Mt. 7,21; 10,32.33; 12,50; 15,13; 16,17; 18,10.17.19.35; 20,23; 25,34; 26,29.39.53; auch 2. Kor. 1,3 („für Jesus“). Vergleiche ferner allgemein Mt. 28,19: „Gott, der wie Vater und Mutter ist“; entsprechend 1. Kor. 15,24; 2. Kor. 6,18; Eph. 2,18; 4,6; Phil. 4,20; 1. Thess. 1,3; 3,11.13; 2. Thess. 2,16; 1. Petr. 1,17.

6 Als vereinzelte Ausnahme könnte höchstens das Bild von der Henne gelten, die ihre Küken unter ihren Flügeln birgt: Lk. 13,34 / Mt. 23,37; doch hier sprich Jesus nicht von Gott, sondern von seinen eigenen Bemühungen, Jerusalem zu gewinnen.

7 So etwa in Lk. 22,29; 23,46; 24,48; Apg. 22,29. Dagegen ist in Apg. 1,4.7; 2,33; 23,34 „Vater“ stehen geblieben. In den johanneischen Schriften wird „Vater“ überwiegend mit „Gott“ wiedergegeben, gerade auch dort, wo im Urtext Jesus von seinem Vater redet: Joh. 2,16; 6,32; 8,49; 10,15.17.27f.36f; 14,7.20-23; 15,1.8.10.23; 16,23f; 20,17; auch dort, wo im Urtext Jesus Gott als „Vater“ anredet: 11,41; 12,27f; 17,1.11.21.24f. „Mein Vater“ im Urtext von 5,43; 6,40; 8,54; 10,25 wird umschrieben durch „Gott, der mir Vater und Mutter ist“; vergleiche auch 1,14.18. „Mein Vater“ ohne solchen Zusatz steht nur dort, wo im Kontext jüdische Gesprächspartner darin Gotteslästerung hören: 5,17f.45; 6,32.40. Die absolute Bezeichnung „der Vater“ im Urtext wird durchweg durch „Gott“ ersetzt: 4,21; 5,22f.30.36-38.45; 6,27.45f.57; 8,27f.40.49; 10,29; 12,26.28; 14,12.16.21-23.26.28.31; 15,16.26; 16,3.15.26-28.32; 18,11; 20,17.21; 1. Joh. 1,2.3; 2,1.14-16.22-24; 3,1; 4,13f; 2. Joh. 4,9. in den Briefen steht „Gott“ für „der Vater“ in Röm. 15,6. „Unsere Mutter und unser Vater“ steht in Phil 2,11; Kol. 3,17; vgl. 1. Tim 1,2; 2. Tim. 1,2; Tit. 1,4: „Gottes fürsorgliche Autorität“.

8 Joh. 8,19; 10,18.32; Röm. 6,4; 8,14; 1. Kor. 8,6; 1. Thess. 1,1; Eph. 1,17; 6,23; Jak. 1,26; 3,9; Offb. 1,6; 2,28; 3,5.

9 Im griechischen Urtext offenbart Jesus sich aber nicht selbst, sondern das vorstehend ausgeführte Verhältnis zwischen Vater und Sohn.

10 So auch in der gewichtigen Überschrift des Markusevangeliums in Mk. 1,2; vgl. Lk. 1,32.35; ferner z. B. Mt. 8,29 ist gleich Mk. 5,6; Lk, 8,38; Mk. 3.11 (gegen Lk. 4,41); Mt. 27,43.54; Mk, 15,39; Joh. 3,16.18; 5,19.21; 8,35f; 10,36; Gal. 1,16; 2,20; 4,4.6; Kol. 1,13.15.18; Hebr. 1,2; 3,6; 4,14; 1. Joh. 4,9; Offb. 2,18.

11 In Lukas 9,35 freilich ist der Wortlaut des Urtextes bewahrt: „Dieser ist mein Sohn, mein „Auserwählter.“

12 Joh. 1,49.51; 3,18; 5,25; 6,40; 11,4.27; 14,13; 17,1; 19,7; 20,31; 1. Joh. 1,3.7; 2,22-27; 3,8.17f.23.36; 4,9f.14.15.17; 5,9f.12f.20; 2. Joh. 3.

13 Vgl. z. B. Joh. 3,18; 1. Joh. 4,9.

14 Zu beachten ist jedoch, dass es in Mt. 26,63 der Hohepriester ist, der Jesus fragt, ob er Gottes Sohn sei, während Jesus selbst im Gegensatz dazu von sich als dem Menschen spricht, der in der endzeitlich Zukunft zur Rechten Gottes sitzen wird: „Du sagst es: Ich jedoch sage euch …“.

15 Röm. 1,3f.9; 5,10; 8,3.29.32; 1. Kor. 1,9; 15,28; 2. Kor. 1,19; Eph. 4,13; 1. Thess. 1,10; Hebr. 6,6; 7,3; 10,29.

16 Vgl. oben Anm. 10.

17 So z. B. in Mt. 10,23; 13,37; 16,13.27.28; 19,28; 24,27; 26,64; Mk. 8,38; 13,26; 14,62; sowie in Lk. 12,8; 17,22; 18,8; 21,30.36.44.

18 Vgl. z. B. Mt. 9,6 / Mk. 2,10 / Lk. 5,24; Mt. 12,8 / Lk. 6,7; Mk. 10,45 / Mt. 20,28; Mk. 14,41 / Mt. 26,24 / Lk 22,22.

19 Vgl. z. B. Mt. 17,9.12; Mk. 10,45 / Mt. 20,28; Mk. 9,31 / Mt. 17,22f / Lk. 9,44.

20 Vgl. z. B. Mt. 12,32 / Lk. 12,10; Lk. 19,10; 22,48.

21 Joh. 1,51; 3,13f; 5,27; 6,27.53.62; 8,28; 9,35; 12,23.34; 13,31f.

22 Die einzige Ausnahme ist die Wiedergabe der Vision des sterbenden Stephanus in Apg. 7,56.

23 Nach dem Kontext Mt. 12,3-6 ist jedoch die christologische Auslegung von „Menschensohn“ in Vers 8 zwingend: was schon für David (Vers 3f) und für die Priester des Jerusalemer Tempels (Vers 5) gilt, das gilt umso mehr (Vers 6) für Jesus als „den Menschensohn“.

24 Das hängt jedoch mit dem Bilderverbot in Ex. 20,4 überhaupt nicht zusammen, wie es in der Einleitung (S. 17) vermutet wird. Denn dort geht es nicht darum, dass Gott in keinerlei bildlicher Gestalt abgebildet und so „verfügbar“ gemacht werden dürfe, sondern um das Verbot der Anbetung von Kultbildern der Israel umgebenden Völker und darum erst recht um das Verbot, Gott selbst in solchen Kultbildern fremder Gottheiten zu verehren.

25 So besonders im Matthäusevangelium: 1,20.22.24; 2,13.15.19; 4,7.10; 21,42; 22,37.44; auch in Apg. 2,21.25.34.39; 3,22; 4,26.29; 7,49; 15,16.18.

26 So besonders in der Apostelgeschichte vgl. 1,24; 3,20; 5,9.19; 7,31.33; 8,26.39; 9,31; 11,21; 12,7.11.23; 13,10.48f; 15,40.

27 Vgl. z. B. Lk. 4,18f; Röm. 4,8; 9,28f; 11,3.34; 12,19; 14,11; 15,11; 1. Kor. 1,31; 14,21; 2. Kor. 3,16; 6,17f; Hebr. 1,10; 7,21; 8,8f.11; 10,30; 12,5f; 13,6. – in 2. Tim. 2,19; 1. Petr. 1,24; 2,3; 3,12 wird dagegen Kyrios mit „Gott“ übersetzt.

28 Im Lukasevangelium steht durchweg „Die Lebendige“: 1,6.8.11.15f.17.25.28.32.45.46.58.66.68.76; 2,9.11.15.23f.39; 3,13; 4,8.12; 19,38; ebenso in Röm. 10,12f.16.18; 12,11; 14,6. Im 1. Korintherbrief herrscht „Die Ewige“ vor: 4,4f; 7,17.22.25.32.34f.39; 9,14; 10,9.21.26; 12,5; 16,7.10.21; 2. Kor. 3,3; auch Hebr. 12,14; „Der Ewige“ in 2. Kor. 2,12; 3,16.17f; 5,11; 8,5.19.21; 10,8.17f; 11,17; 12,1.8; 13,10; „Gott“ in Eph. 4,17; 5,10.17.19; Kol. 1,10; 3,22.24; 1. Thess. 5,2; 2. 2. Thess. 1,9; 2,13; 3,3.5.16; 1. Tim. 6,15; 2. Tim. 1,16; 2,7.19.22.24; 3,11; 4,18.22; Jak. 1,7; 3,9; 4,10.15; 5,4.10f.14f; 2. Petr. 2,9.11; 3,8f.10.15. In der Johannesoffenbarung wird Kyrios umschrieben als “Gott, die Macht (die alles beherrscht)”: 1,8; 4,8.11; 11,4.15; 15,4; 16,7; 18,8; 19,6; 21,22; 22,5f.

29 In Röm. 14,1.11 ist sogar durchweg von „der Lebendigen“ die Rede, während des Paulus’ Text mit dem Kyrios Christus gemeint ist. Hier wird Christus also schlichtweg durch den weiblichen Gott ersetzt.

30 In der Parallelstelle Luk. 22,19 wird das „ist“ zwar in beiden Mahlworten präzise übersetzt; doch statt vom „Leib“ Jesu ist verallgemeinernd von seinem „Leben“ die Rede.

31 Das gilt jedoch nicht für die Übersetzung der gleichartigen christlichen Auslegung der alttestamentlichen Geschichte von Sara und Hagar in Gen. 16, 1 – 16 in Gal. 4,21-31, wo es ebenfalls um die christliche Freiheit geht.

32 So im Eingangsgruß der meisten Briefüberschriften: Röm. 1,4; 2. Kor. 1,2; Eph. 1,2; Phil. 1,2; Kol. 1,2; 1. Thess. 1,1; 2. Thess. 1,1; Phil. 3; (1. Tim. 1,2; 2. Tim. 1,2); 2. Petr. 1,2; sowie im Schlussgruß: Röm. 16,20; Eph. 6,23; Phil. 4,23; 1. Thess. 5,28; 2. Thess. 3,18; Phil. 25. Ferner vgl. Röm. 4,24; 5,1.11.21; 7,25; 10,9; 13,14; 15,6.30; 16,18; 1. Kor. 12,3; 2. Kor. 1,14; 5,14; Eph. 1,17; (Phil. 3,8.20); 1. Thess. 1,3; 2,15.19; 3,11; 5,9.23; 2. Thess. 1,8; 2,14-16; Phil. 5; 1. Petr. 3,15; 2. Petr. 1,8; (Jud. 4).

33 In diesem Sinn wird allerdings mehrfach “Kyrios” auch umschrieben; vgl. z. B. Gal. 6,14 („der über unser Leben gebietet“); 6,18 („dem wir allein unterstellt sind“); 2. Petr. 1,14 („der über uns verfügt“); 1. Thess. 4,2 („der uns leitet“); 1. Tim 1,12; 6,14 („unter dessen Weisung und Schutz wir stehen“); 2. Petr. 1,19; 3,18 („der für uns da ist“, „für uns sorgt“). Im ersten Korintherbrief wird „unser Herr“ durchweg als „unser Befreier“ wiedergegeben: 1. Kor. 1,2.3.7-9; 5,4; 8,6; 9,1; 11,23; 15,57; 16,23; vgl. auch Hebr. 13,20 (Kyrios = „unser Messias“); 2. Petr. 2,20 („der sie gekauft hat“). In der Übersetzung des Jakobusbriefs wird „Kyrios“ schlicht ausgelassen (Jak. 1,1; 5,7).

34 Entsprechend wird der Schlussgruß in Eph. 6,24 zutreffend übersetzt: „Gnade sei mit allen, die unseren Herrn Jesus Christus unvergänglich lieben.“

35 Dies wird verstärkt durch die Übersetzung der Anrede Jesu als „Herr!“ (Kyrie). Diese wird zwar im Lukasevangelium textgemäß mit „Herr“ übersetzt (Lk. 5,8; 7,6; 9,54.61; 10,17; 12,41; 13,23; 17,37; 18,41; 19,8; 22,33;); in Mt. 8,21; 16,22; Lk. 7,28 mit „mein Lehrer“ und entsprechend im Johannesevangelium durchweg jüdisch mit „Rabbi“ (Joh. 4,11ff.49; 5,7; 6,24.68; 11,3ff; 13,6.9.25.36f; 14,5.8.22; 21,20). An einigen Stellen wird aus der Anrede „Herr“ eine Vertrauensbekundung zu Jesus: Mt. 7,21; 8,2.6; 9,28; Lk. 6,46. Oder „Kyrie“ wird durch „Jesus!“ ersetzt: Mt. 8,27; 14,28; 15,22.25; 17,4.30; 26,22; in 15,27 wird „Kyrie“ ganz weggelassen. Durchweg also wird der göttliche „Herr“ zu einem menschlichen Lehrer, besonders deutlich in Mt. 7,21/Lk. 6,46.

36 Es folgt hier freilich gegen den Urtext: „zur Ehre Gottes, unserer Mutter und unseres Vaters“.

37 So in Anm. 749 S. 2322.

 38 Apg. 10,36; Röm. 14,4; 2. Kor. 11,31; 13.13; Eph. 3,24; 6,24; Jud. 21.

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 13. Februar 2007 um 10:23 und abgelegt unter Theologie.