- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Predigt: Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz
(Predigt zum 400. Geburtstag Paul Gerhardts)

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud…“ Liebe Gemeinde, so also der Titel des berühmtesten Liedes des berühmtesten Liederdichters Paul Gerhardt. „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ – so auch die Überschrift über unseren Gottesdienst.

Gestern beim wunderschönen Ausflug des Frauenkreises nach Lemförde und Münster haben wir natürlich auch bei strahlendem Sonnenschein dieses herrliche Lied gesungen. Auswendig, denn es stand merkwürdigerweise nicht in unseren Liedmappen. Ich gebe zu, daß ich nicht ganz so textsicher dabei war, gut, daß meine Frau neben mir den Text gut zu kennen schien. Etwas stutzig wurde ich jedoch bei der dritten Strophe. Ich hatte etwas von einer „hochbegabten Nachtigall“ in Erinnerung, meine Frau sang jedoch inbrünstig: „Die hochbetagte Nachtigall…“ Ich mußte schmunzeln, dachte aber nach: Eigentlich treffend: Gleichen die Paul-Gerhardt-Lieder nicht einer Nachtigall, die fröhlich trällert, obwohl sie an die 400 Jahre auf dem Buckel hat? Die „hochbetagte Nachtigall“ namens Paul Gerhardt – was hat sie uns heute zu sagen, besser: zu singen?

Ich möchte einmal den Titel jenes so bekannten Liedes nehmen, um nicht nur über dies eine Lied, sondern über das Leben und Werk des Dichters insgesamt nachzudenken und dies im Lichte des Wortes Gottes auf unser eigenes Leben zu beziehen. Drei Gedanken zu diesem kleinen Sätzchen:

1) „Geh aus“ – Das Leben ist ein Wandern

2) „Mein Herz“ – Kleine Herzenskunde für Christenmenschen

3) „Und suche Freud“ – Von der Freude, die nie vergeht

1. „Geh aus“ – Das Leben ist ein Wandern

Merkwürdig: Paul Gerhardt beginnt sein Sommerlied mit der Aufforderung: Geh aus! Na ja denkt man, klar ein Sommerspaziergang eben. Nur – er redet nicht seine Füße an, sondern sein Herz! Soll das Herz spazieren gehen? Paul Gerhardt hat das biblische Menschenbild vor Augen, und da steht das Herz als Bild für das Zentrum unsrer ganzen Person, in dem Fühlen, Wollen und Denken verbunden sind. Und wenn das Herz ausgeht, dann meint das nicht nur einen Spaziergang, sondern dahinter steckt die Vorstellung, daß eigentlich unser ganzes Leben ein Wandern ist. Wir sind ein Leben lang unterwegs. Auf einer Wegstrecke von der Geburt bis zum Tod. Und dieser Weg führt mal durch wunderbare, sonnendurchflutete Landschaften, mal aber auch über kalte, harte, steinige Pfade, durch finstere Täler und über schwere Wegstrecken. Und ob ich schon wanderte durchs finstere Tal… Geh aus mein Herz: Paul Gerhardts Wanderung ging los auf dem so oft dunklen Weg seines Lebens am 12. März 1607 in Gräfenhainichen. Als der Junge erst 12 Jahre alt war, verlor er seinen Vater und zwei Jahre später schon seine Mutter.

Dann die schlimme Zeit des 30jährigen Krieges. Gleich nach Ostern 1637 waren die Schweden vor Gräfenhainichen erschienen. Die Kunde von ihren Gräueltaten in der Umgebung war ihnen schon vorausgeeilt. Nun forderten sie die ungeheure Summe von 3000 Gulden als Lösegeld. Andernfalls sollte die Stadt vollständig niedergebrannt werden. Die verzweifelten Bürger von Gräfenhainichen gingen auf die Forderung der Erpresser ein und brachten unter gewaltigen Opfern die Riesensumme zusammen. Kaum hatten die Schweden das Lösegeld erhalten, zündeten sie die Stadt dennoch an. Paul Gerhardt verlor an diesem einen Tag seinen gesamten von den Eltern ererbten Besitz mit Gasthaus, Wohnhaus und Landwirtschaft. Kurz danach starb sein Bruder an der Pest.

Ein Lebensweg – gepflastert mit Leid. Ein Weg, auf dem er immer wieder Geduld lernen mußte und Gott oft nicht verstand. Nach seinem Theologiestudium mußte er lange Jahre warten, bis er erst mit 44 Jahren seine erste Pfarrstelle bekam. Später wurde er zeitweise des Amtes enthoben, weil er gegen den Willen seines Landesherren, dem preußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, an seinem biblisch-lutherischen Bekenntnis festhielt. In seinem vielleicht persönlichsten Lied „Ich bin ein Gast auf Erden“ beschreibt er seinen Lebensweg:

2. Was ist mein ganzes Wesen
von meiner Jugend an
als Müh und Not gewesen?
Solang ich denken kann,
hab ich so manchen Morgen,
so manche liebe Nacht
mit Kummer und mit Sorgen
des Herzens zugebracht.

3. Mich hat auf meinen Wegen
manch harter Sturm erschreckt;
Blitz, Donner, Wind und Regen
hat mir manch Angst erweckt;
Verfolgung, Haß und Neiden,
ob ich’s gleich nicht verschuld’t,
hab ich doch müssen leiden
und tragen mit Geduld.

„Geh aus“ – Auf welchen Wegen gehen wir ein und aus? Sind es auch so harte Wege wie bei Paul Gerhardt oder doch eher sanftere, fröhlichere… Sicher führt Gott jeden von uns auf unterschiedlichen Wegen und es gibt keine Antwort auf die Frage, warum manchmal gerade gute oder auch gläubige Menschen viel Schweres erleiden. Doch welche Wege wir auch gehen, wir wollen uns an die durch eigene Lebenserfahrung besiegelte Botschaft Paul Gerhardts erinnern, die er aus Psalm 37,5 gewonnen hat: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen.“

1. Befiehl du deine Wege
und was dein Herze kränk
der allertreusten Pflege
des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann.

2. Dem Herren mußt du trauen,
wenn dir’s soll wohlergehn;
auf sein Werk mußt du schauen,
wenn dein Werk soll bestehn.
Mit Sorgen und mit Grämen
und mit selbsteigner Pein
läßt Gott sich gar nichts nehmen,
es muß erbeten sein.

 2. „Mein Herz“ – Kleine Herzenskunde für Christenmenschen

In den meisten Paul-Gerhardt-Liedern ist vom Herzen die Rede. Warum? Weil das, was wirklich wichtig ist, einem immer zu Herzen geht. Für uns moderne Menschen ist oft der Kopf viel wichtiger. Verstand und Vernunft – das ist doch das, worauf’s ankommt, oder? Nein, sagt Paul Gerhardt, das Herz ist wichtiger!

Und hier kommt wieder das biblische Menschenbild zum tragen: Wenn also unser Personenzentrum von Fühlen, Wollen, Denken nicht im Kopf, sondern im Herzen verankert wird, was bedeutet das dann? Das Herz ist ja auch Symbol für Liebe, für Beziehung! Die Bibel sagt uns klipp und klar: Der Mensch ist von Gott als Beziehungswesen geschaffen, aus Liebe gemacht, auf Liebe hin gedacht. Liebe zu anderen Menschen, aber vor allem Liebe zu Gott! Wo diese Beziehungen gestört oder zerstört werden, da tut das Herz besonders weh. Menschliche Beziehungen sind sehr zerbrechlich, schnell kann der Tod sie zerstören, aber auch Schuld und Versagen. Paul Gerhardt erlebte ersteres auf schreckliche Weise mehrfach. Wie wichtig ist da die Beziehung zu Gott, die unzerstörbar ist!

Paul Gerhardt verliebte sich in eine junge Frau Anna Maria, die er 1655 heiratete. Er war 48, sie 32 Jahre jung. Ein Jahr später – genau am Geburtstag von seiner Frau Anna Maria wurde ihr erstes Töchterchen Maria Elisabeth geboren. Was für eine Freude! Doch nur 8 Monate dauerte das Elternglück. Dann starb das Kindchen. Die Mutter schrieb in ihre Bibel: „Maria Elisabeth stirbt. Herr, nun nimmst du meines Herzens Freude.“

Doch es kommt noch schlimmer: 1658 wird das 2. Töchterchen geboren: Anna Katharina. Kurz nach ihrem 1. Geburtstag stirbt auch sie. Wieder schreibt die Mutter Herzergreifendes in ihre Bibel: „Ich weiß, Herr, du hast Macht, zu tun mit den Deinen, was du willst; aber lass mich klagen und weinen!“

Von insgesamt 5 Kindern überlebt nur ein einziges die Eltern. Und zu allem Überfluss stirbt auch noch nach nur 13 Jahren Ehe Paul Gerhardts geliebte Ehefrau Anna Maria!

Ich denke, jeder von uns hätte vollstes Verständnis, wenn Paul Gerhardts ein Mann mit gebrochenem Herzen gewesen wäre. Und doch – wie kommt es, daß dieser Mann bei so viel Leid ein so fröhliches Herz haben kann?

Er gibt uns selber die Antwort in einem seiner Weihnachtslieder:

Jesus Christus hat sein Herz aus der tiefen Todesnacht herausgeholt!

Ich lag in tiefster Todesnacht,
du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht‘,
wie schön sind deine Strahlen!

Wenn also dein Herz finster ist, öffne es für die Sonnenstrahlen der Liebe Jesu. Das gelingt nur, wenn wir die Vergänglichkeit von allem, was uns lieb und wert ist, wahrnehmen, und sie gegenüber stellen der Unvergänglichkeit des ewigen Lebens. Dann kann unser Herz auf einmal wieder leichter werden. Paul Gerhardt wusste etwas von der ewigen Herrlichkeit, die Paulus in Römer 8 so bewertet: Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Deshalb konnte er mitten im Leid so fröhlich sein Herz mit dem Lob Gottes füllen wie in Lied 324:

 1. Ich singe dir mit Herz und Mund,
Herr, meines Herzens Lust;
ich sing und mach auf Erden kund,
was mir von dir bewußt.

10. Wenn unser Herze seufzt und schreit,
wirst du gar leicht erweicht
und gibst uns, was uns hoch erfreut
und dir zur Ehr gereicht.

12. Du füllst des Lebens Mangel aus
mit dem, was ewig steht,
und führst uns in des Himmels Haus,
wenn uns die Erd entgeht.

13. Wohlauf, mein Herze, sing und spring
und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
ist selbst und bleibt dein Gut.

 Wenn das Herz so mit Dank und Lob erfüllt ist, dann wird Gottes Lob nur so aus unserm Herzen rinnen.

8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.

3. „Und suche Freud“ – Von der Freude, die nie vergeht

Und suche Freud… Ich wage zu behaupten, daß dieser Satz auf jeden Menschen, der über dieser Erde geht, zutrifft! Wir alle wollen Freude im Leben haben, wir suchen Freude. Heutzutage wird Freude oft mit Spaß verwechselt. Spaß ist auch gut, und ich hab gerne Spaß. Spaß ist vielleicht so etwa wie die kleine Schwester der Freude. Spaß ist etwas, was man meint, relativ leicht erzeugen zu können, manchmal vielleicht mit Alkohol ein bisschen nachzuhelfen. Spaß auf einer Party, Spaß mit ein paar netten Witzen. Aber Spaß berührt oft nur die Oberfläche unserer Seele, und sobald er erlebt ist, ist er auch schon wieder weg. Freude ist etwas Tieferes. Ein Glück, daß uns tief im Inneren unserer Seele, erreicht. Etwa eine tiefe Freude über die Geburt eines Kindes ist so etwas. Oder die Freude, die man empfindet beim Betrachten der Schönheit der Schöpfung – etwa im zauberhaften Farbenspiel eines Sonnenaufgangs. Oder im Wiedererwachen der Natur im Frühling – wie in dem Lied „Geh aus mein Herz“ so anschaulich beschrieben. Und eine noch umfassendere Freude kannst du spüren, wenn du dein Leben in Gottes Hand geborgen weißt durch alle Zeiten hindurch, egal, was passiert, beruflich, schulisch, privat, gesundheitlich, familiär… Weil du weißt: Das schlimmste in dieser Welt ist der Tod – und selbst der kann mich nicht mehr trennen von der Liebe Jesu, von der Verbundenheit mit Gott. Wenn ich Jesus habe, habe ich ewiges Leben, und damit eine Freude, die nie vergeht.

 11. Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
du bist mein, ich bin dein,
niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut mir zu gut
in den Tod gegeben;

12. du bist mein, weil ich dich fasse
und dich nicht, o mein Licht,
aus dem Herzen lasse.
Laß mich, laß mich hingelangen,
da du mich und ich dich
leiblich werd umfangen.

Als Paul Gerhardt 1676 im Alter von 69 Jahren in Lübben/Spreewald stirbt, hat er der Nachwelt etwa 139 Lieder hinterlassen. Geh aus, mein Herz, und suche Freud – das ist die tiefste Sehnsucht eines jeden Lebens. Paul Gerhardt hat im Glauben an Jesus Christus diese Freude gefunden und durch seine Lieder über die Jahrhunderte unzähligen Menschen in allen Kontinenten weitergegeben. Der berühmte Urwaldarzt Albert Schweitzer berichtet 1916 aus dem Dschungel von Lambarene: Das, was den Eingeborenen dort im tiefsten Busch Afrikas am meisten hilft aus ihren Ängsten vor den Geistern und Ahnen, das, was ihnen am meisten Freude schenkt, sind die Lieder von Paul Gerhardt, z.B. „Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los.“ So finden die Eingeborenen Afrikas in diesen Liedern ebenso zur Freude wie die Eingeborenen Hohnhorsts. Singen wir nun noch wie eine Zusammenfassung von allem von der hochbetagten Nachtigall das Lied: 351,13

 13. Mein Herze geht in Sprüngen
und kann nicht traurig sein,
ist voller Freud und Singen,
sieht lauter Sonnenschein.
Die Sonne, die mir lachet,
ist mein Herr Jesus Christ;
das, was mich singen machet,
ist, was im Himmel ist.