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Im Gespräch: Prof. Dr. Markus Zehnder

Donnerstag 26. September 2019 von Gemeindehilfsbund


Gemeindehilfsbund

Markus Zehnder studierte von 1983 bis 1990 Theologie an der Universität Basel, wo er auch im Jahr 1997 promoviert wurde. Von 1998 bis 2001 studierte er an der Hebräischen Universität von Jerusalem und der Harvard University in Boston (USA.). 2003 habilitierte er sich an der Universität Basel. Er lehrte als Professor für Altes Testament an verschiedenen theologischen Fakultäten in Belgien, Deutschland, Norwegen und der Schweiz. Seit 2016 ist er Professor für Altes Testament und Semitische Sprachen an der Biola-Universität, La Mirada, Kalifornien (USA.). Prof. Zehnder ist Autor zahlreicher Bücher und Fachartikel.

Die Biola-Universität ist nach ihrem Selbstverständnis eine christliche Universität. In welcher Hinsicht unterscheidet sie sich von staatlichen Universitäten? Welches sind die Grundsätze und Ziele der Theologischen Fakultät?

Der inhaltliche Hauptunterschied einer christlichen Universität wie Biola im Vergleich zu staatlichen Universitäten besteht darin, dass in jedem Fachgebiet danach gefragt wird, welches Licht die Bibel auf die entsprechenden Themen wirft und wie der christliche Glaube mit den Fragestellungen, mit denen sich die jeweiligen Fachgebiete beschäftigen, in Beziehung gebracht werden kann. Organisatorisch/administrativ besteht der Hauptunterschied darin, dass Biola wie die übrigen nicht-staatlichen Universitäten von Spenden abhängig ist, die die aus den Studiengebühren fließenden finanziellen Beiträge ergänzen.

Was die Theologische Fakultät von Biola (Talbot School of Theology) betrifft: Grundsätze und Ziele unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen konservativen theologischen Ausbildungsstätten in den USA. Von diesen gibt es zwei Hauptrichtungen: denominationell gebundene und interdenominationelle. Talbot gehört zur zweiten Klasse. Zwei inhaltliche Besonderheiten lassen sich benennen. Die erste: Seit kurzem gibt es, aufgrund einer zweckgebundenen Spende, ein Institut zur Erforschung des Wirkens des Heiligen Geistes. Die zweite: Seit den Anfängen von Biola (damals noch: Bible Institute of Los Angeles) gibt es eine starke Verbindung zur Judenmission. Chosen People Ministries ist eng mit dem New Yorker Zweig von Talbot verbunden. Talbot ist zudem eine Art Pateninstitution für das Kyev Theological Seminary in der Ukraine.

Ist es für Dozenten, die an der göttlichen Urheberschaft der biblischen Bücher festhalten, in den USA leichter als in Mitteleuropa, eine Anstellung zu finden?

Auf alle Fälle, da es eine ganze Reihe von theologischen Ausbildungsstätten in den USA gibt, für die die göttliche Inspiration der Bibel Teil ihres Selbstverständnisses ist. Allerdings ist die Konkurrenz zwischen Kandidaten, die diese Sicht teilen, auch groß, da die Anzahl der Stellen nicht unbegrenzt ist.

In den deutschen Medien hört man wenig Gutes über den derzeitigen amerikanischen Präsidenten. Wie sieht es in der Medienlandschaft der USA. aus? Wie schätzen die evangelikalen Christen seine Präsidentschaft ein?

Die deutschen, wie allgemein die westeuropäischen Mainstream-Medien, berichten über Trump fast ausschließlich negativ. Seine Weltanschauung passt nicht zu der der westeuropäischen Journalisten, und da diese überwiegend Meinungsjournalisten sind und ihre Aufgabe in der Erziehung des Publikums, nicht in einer möglichst neutralen Berichterstattung sehen, hat er keine Chance. In der Medienlandschaft der USA sieht das ähnlich aus, oft sogar noch aggressiver, soweit es die Mainstream-Medien betrifft. Mit Fox-News gibt es in den USA aber einen wichtigen Medienkonzern, der diesem Muster nicht folgt. Zudem gibt es in den USA eine große Anzahl von unabhängigen Radiostationen, die viele Menschen erreichen und die ebenfalls ein breitgefächertes Meinungsbild spiegeln. Hinzu kommen Internet-Seiten auf beiden Seiten des Atlantiks, die in ihrer Berichterstattung nicht so voreingenommen gegen Trump sind wie die Mainstream-Medien. In Deutschland gehören z.B. freiewelt.net oder achgut.com dazu.

Was die Stellung der Evangelikalen zu Trump betrifft: Wirklich mit Begeisterung stehen kaum welche hinter ihm. Aber etwa 80% der Evangelikalen haben ihn gewählt. Das hat v.a. drei Gründe: Die Alternative war aus evangelikaler Sicht deutlich schlechter, nicht zuletzt was die Fragen der Abtreibung und des Gender-Mainstreaming betrifft; Trump hat versprochen, konservative Richter in das mächtige Oberste Gericht zu berufen, was für evangelikale Anliegen ebenfalls von großer Bedeutung ist; und Trump ist generell den Evangelikalen gegenüber freundlich eingestellt, auch wenn er selbst natürlich kein Evangelikaler ist. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass Trumps Wählerbasis viel breiter ist als die Evangelikalen und dass unter den Evangelikalen mit hoher akademischer Ausbildung seine Unterstützung eher bei 50% als bei 80% liegt.

Wir haben im Medienangebot des Gemeindehilfsbundes die Broschüre „Die Autorität der Bibel“. Sie geht zurück auf einen Vortrag, den ich vor etlichen Jahren im Geistlichen Rüstzentrum Krelingen hörte und der mich sehr angesprochen hat. Wie kann man die wissenschaftliche Forschung am Alten Testament und die Glaubensüberzeugung, dass die ganze Bibel das Wort des lebendigen Gottes ist, zusammenhalten?

Die ausführlichere Antwort findet der Leser am besten in der Broschüre selber. Kurz gesagt: Als wissenschaftlicher Bibeltheologe untersucht man mit Mitteln der historischen Forschung (einschließlich Archäologie und Sprachanalyse) die biblischen Texte. Erfreulicherweise ist das Resultat dieser Untersuchungen, dass es für einen prinzipiellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der biblischen Berichte keinen Grund gibt. Im Gegenteil, die zentralen historischen Zeugnisse, die in der Bibel überliefert sind, dürfen mit Fug und Recht als „bewiesen“ angesehen werden. Das gilt etwa für die Auferstehung Jesu: Es gibt keine andere mögliche haltbare Erklärung für die Auferstehungsberichte des Neuen Testaments als die, dass Jesus wirklich auferstanden ist!

Welchen Einfluss haben die Theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten in Deutschland und in der Schweiz auf den Pfarrernachwuchs?

Natürlich einen sehr bedeutenden – aber keinen ausschließlichen. Es gibt ja Ausbildungsstätten, die unabhängig sind von Staat und Landeskirchen, in der Regel mit einem deutlich konservativeren Profil. Zu denken wäre hier besonders an die FTH in Gießen und die STH in Basel. Hier werden Theologen ausgebildet, die über Zusatzwege über die staatlichen Universitäten schließlich auch ihren Weg in das Pfarramt finden. Aber es bleibt eine große Not, dass an vielen staatlichen Universitäten Dinge gelehrt werden, die für die Gemeinden „nicht hilfreich“ sind, und Pfarrerinnen und Pfarrer produziert werden, die dem traditionellen biblischen Verständnis dessen, was es heißt, Reich Gottes zu bauen, sehr fern stehen.

Beim Jahrestreffen des Gemeindehilfsbundes am 22. Juni 2019 haben wir den Vortrag „Migration in der Bibel“ gehört. Herzlichen Dank dafür! Mir ist dabei klargeworden, dass es zur Zeit des Alten Testaments zwei Haupttypen von Zuwanderern nach Israel gab, solche, die nur für eine bestimmte Zeit Handel treiben wollten, und solche, die aus Not kamen und bereit zur Assimilation sein mussten. Können wir aus dieser Sachlage für die Migrationsprobleme in Europa etwas lernen?

Ich denke, zwei generelle Punkte können wir aus diesem Befund lernen. Erstens: Zuwanderer müssen je nach ihren Motiven und Zielen verschieden behandelt werden. Es ist nicht dasselbe, ob jemand flieht, weil er an Leib und Leben unmittelbar persönlich bedroht ist, oder in ein westliches Land emigriert, weil er seinen Lebensstandard erhöhen will. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass Letzteres per se verwerflich ist – aber es ist eben nicht dasselbe wie Ersteres. Das Zweite: Assimilation sollte das normale Ziel sein für alle, die sich dauerhaft – aus welchen Gründen auch immer – in einem fremden Land niederlassen wollen. Das war in westlichen Einwanderungsländern bis in die 60er Jahre selbstverständlich. Wird dieses Ziel aufgegeben, entstehen Parallelgesellschaften, mit allen negativen Folgen, die das hat.

Wie ist das Argument einzuschätzen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen grundsätzlich ein Gebot christlicher Nächstenliebe sei?

Das Gebot christlicher Nächstenliebe ist, den Nächsten zu lieben. Wie das im konkreten Fall geschehen soll, ist ganz offen. Im Kontext von Migration ist zunächst zu klären, ob wir es wirklich mit „Flüchtlingen“ im herkömmlichen engeren Sinn des Wortes zu tun haben oder nicht. Im Falle der gegenwärtigen Massenmigration nach Europa ist nach allen Schätzungen in mindestens 4 von 5 Fällen die Frage mit Nein zu beantworten. Weiter ist zu fragen, wie – bei welcher Kategorie von Migranten auch immer – am besten geholfen werden kann. In der Mehrzahl der Fälle wird die beste Hilfe nicht in der Migration bestehen, sondern in verschiedenen Formen der Hilfe vor Ort oder nah am Herkunftsort der Migranten. Die Schätzungen hinsichtlich der höheren Effizienz der Hilfe vor Ort im Vergleich zu Hilfe durch Migration schwanken, sind aber eindrücklich. Ein z.B. in einem syrischen Flüchtlingslager im Libanon oder der Türkei ausgegebener Euro bewirkt zwischen 12 und 70 mal mehr als ein für die Integration eines syrischen Flüchtlings in Deutschland ausgegebener Euro. Hinzu kommt, dass Migration immer ein Prozess mit problematischen Seiten ist, sowohl für die Migranten selbst, als auch für die Herkunfts- und Zielgesellschaften. Sie sollte deshalb nur in Frage kommen, wenn es keine Alternativen gibt. Auch das gehört zur Perspektive der christlichen Nächstenliebe.

Schließlich muss christliche Nächstenliebe umsichtig sein und sich deshalb nicht nur auf eine Gruppe – die Migranten – konzentrieren, sondern auch „die schon länger hier Lebenden“ nicht aus dem Blick verlieren: Alte, Minderbemittelte, Obdachlose, Einsame, Kranke usw. Das ist deshalb wichtig, weil die Ressourcen – sowohl finanziell wie auch sonst – begrenzt sind. In der politischen Debatte gehen diese Einsichten oft verloren. Der Satz, dass durch die für Flüchtlinge aufgewendeten Mittel „keinem etwas genommen wird“, ist blanker Hohn und praktisch der Gipfel des Versuchs, das Volk für absolut dumm zu verkaufen. Zwei Punkte zum Schluss: Im Neuen Testament ist Nächstenliebe gestaffelt: zuerst die Hilfe für die Brüder und Schwestern im Herrn, dann die Anderen. Und: christliche Nächstenliebe kann nicht verengt werden auf das Materielle, wie es in der gegenwärtigen Diskussion fast immer geschieht, sondern hat immer auch das geistliche Wohl des Nächsten im Blick.

Wie stellt sich die Krise der Europäischen Union aus der Sicht eines Schweizers dar, der seit einigen Jahren in den USA lebt?

Als sehr ernst. Bei all ihren Problemen scheinen die USA besser gerüstet, mit den gegenwärtigen Herausforderungen fertig zu werden. Als politische Zwangsunion halte ich die EU für eine vollständige Fehlkonstruktion. Die „Harmonisierung“ der Zustände in den Mitgliedstaaten bedeutet die schrittweise Zerstörung ihrer Identität – dabei ist gerade die Verschiedenheit der Identitäten auf relativ kleinem Raum der besondere Reichtum und die besondere Schönheit Europas. Die Regulierungswut der Brüsseler Bürokraten und die beachtlichen Demokratiedefizite der EU-Institutionen sind schockierend. Allzu oft wird aus Brüssel auf einzelne Mitgliedsländer Druck ausgeübt, der eine für Christen problematische Tendenz aufzeigt, etwa die Durchsetzung liberaler Abtreibungsgesetzgebung oder des Gender-Mainstreaming und der LGBT-Agenda. Ebenfalls erweist sich die EU als Förderer von Massenmigration und Islamisierung, mit allen negativen Folgen, die diese Entwicklungen haben. Dafür, dass diese Defizite durch einzelne sanfte Reformen behoben werden können, spricht m.E. wenig. Es ist wohl kaum zufällig, dass außerhalb der EU stehende Staaten wie die Schweiz oder Norwegen in praktisch jeder Hinsicht besser dastehen als die EU. Ebenfalls missfallen mir die Arroganz und die Großmachtallüren, die die EU gegen kleine Staaten wie die Schweiz oder im Gegenüber etwa zu den USA an den Tag legt. Wirtschaftlich fatal ist das Konstrukt des Euro, wie man leicht sehen kann und wie es schon oft analysiert wurde. Merkels Ausspruch: „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, könnte falscher nicht sein und zeigt die Verachtung der „Eliten“ für die Folgen ihres ideologisch motivierten Handelns für die kleinen Leute. Nie in den letzten Jahrzehnten ging es großen Teilen der Bevölkerung in den südlichen EU-Staaten so schlecht wie jetzt – zu einem guten Teil als Folge der Einführung des Euro; und zugleich zahlen deutsche Steuerzahler und Sparer ebenfalls einen horrenden Preis für diese rein politisch motivierte Fehlkonstruktion. Es wäre m.E. besser, den Weg der „vertieften Integration“ aufzugeben und umzukehren zu einem losen Vertragswerk, das es den Staaten erlaubt, in enger wirtschaftlicher Kooperation ihre Eigenständigkeit zu bewahren und gut nachbarschaftlich miteinander verbunden zu sein. Alle Voraussetzungen dazu wären heute gegeben, und die Idee, dass die Alternative zur engen politischen Integration ein erneuter Krieg wäre, ist absurd.

Hat das Christentum in Mittel- und Westeuropa gegenüber dem Islam noch eine Chance?

Wir werden es sehen. Jedenfalls nicht, wenn die Entwicklungen unverändert so weitergehen wie in den letzten Jahrzehnten. Rein demographisch betrachtet wird, nach den gegenwärtigen Trends, der Islam weite Teile West- und Mitteleuropas in nur wenigen Jahrzehnten übernehmen. Aber wer weiß: Vielleicht geschehen Dinge, die den Trend abbrechen. Dass das unblutig geschehen könnte, ist allerdings schwer vorstellbar.

Was sind unsere Aufgaben als Christen angesichts der fortschreitenden Säkularisierung in Europa? Wie können wir im Sog der Verführung und Verweltlichung fröhliche Christenmenschen bleiben?

Ich sehe unsere Aufgabe als eine doppelte: das Evangelium verkünden und so Reich Gottes bauen, wie immer in der Geschichte der Christenheit. Dafür müssen wir selber die Bibel so gut wie möglich kennen, so dass wir ihren Inhalt auch so gut wie möglich weitergeben können. Das Zweite ist die genaue Erfassung der Zustände, in denen wir uns befinden. D.h. wir brauchen genaue Kenntnisse der Fragen, die unsere Zeit bewegen, damit wir sie richtig bewerten und – soweit möglich – beantworten können. Kenntnis der Bibel allein reicht also nicht, sondern es braucht fundiertes Wissen in allen Gebieten. Natürlich kann das nicht der Einzelne leisten, sondern hier brauchen wir auch Spezialisten – und deshalb brauchen wir ja auch Gemeinde, damit wir uns gegenseitig in diesen Fragen helfen können. Die Fragen rund um die Migration sind ein gutes Beispiel: Zum einen braucht es eine gute Kenntnis des gesamten biblischen Materials zum Thema. Zum andern braucht es dann aber auch Wissen über die psychologischen, ökonomischen, soziologischen, historischen und alle möglichen weiteren Dimensionen, die mit Migration verbunden sind, um Wege zu finden und Antworten zu geben, die wirklich hilfreich sind.

Die Fragen stellte Pastor Dr. Joachim Cochlovius.

Leseempfehlung:

Markus Zehnder
Die Autorität der Bibel
Gemeindehilfsbund, Walsrode 2006, 2. Auflage, 48 Seiten, 2,00 €

Markus Zehnder
Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien –
Ein Beitrag zur Anthropologie des „Fremden“ im Licht antiker Quellen
Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament
Kohlhammer, Stuttgart 2005, 614 Seiten, 45,00 €
ISBN: 978-3-1701-8997-3

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 26. September 2019 um 9:49 und abgelegt unter Christentum weltweit, Gesellschaft / Politik, Kirche.