- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Gottes Wort in der Hölle

Die Geheimpolizei stürmt in das Haus, in dem Pastor Houmayoun gerade ein Gebetstreffen leitete, und verhaftet ihn, seine Frau, seinen 17jährigen Sohn sowie vier andere Gemeindeleiter. Den Christen werden die Augen verbunden, man stößt sie in Fahrzeuge und fährt sie zum Verhör in ein Gefängnis des Geheimdienstes. Das war vor sieben Jahren in Shiraz, dem Iran. Nach tagelangen Verhören verlegte man die Gläubigen in ein öffentliches Gefängnis mit dem Verbot, irgendjemandem den Grund ihrer Festnahme zu verraten. Zu Recht fürchteten die Wachen, der christliche Glaube könnte sich sonst noch unter den 6.000 Gefängnisinsassen verbreiten.

Doch Houmayoun und die anderen fühlten sich einer höheren Macht verpflichtet. „Es wäre sehr bequem gewesen, einfach zu schweigen und nicht von Jesus zu erzählen.“, sagt der Pastor. „Dann wäre es im Gefängnis sicherlich besser für uns gelaufen.“ Aber anstatt an ihrer Haft zu verzweifeln, sahen die Christen darin eine Chance, Mitgefangenen das Evangelium zu verkünden. Heimlich teilten sie jedem einzelnen Mithäftling nach und nach ihr Glaubenszeugnis mit. Dabei erhielten sie die unterschiedlichsten Reaktionen. Einige drohten damit, sie umzubringen, während viele einfach nur zuhörten. Manche jedoch zeigten ein ehrliches Interesse. Ein Mann kam sogar von sich aus auf sie zu, fragte, ob sie Christen seien und erklärte, dass er mehr darüber wissen wolle. „Ich habe einfach aus meinem Leben berichtet, über biblische Geschichten und das Evangelium geredet“, erinnert sich Houmayoun.

Die Wachen waren über das missionarische Engagement der Christen verärgert. Houmayoun erhielt 20 schriftliche Warnungen, er solle sofort damit aufhören. Ungeachtet der Drohungen erfüllten die Gläubigen trotzdem treu das, was sie als ihre Aufgabe sahen: Gottes Reich im iranischen Gefängnis zu bauen.

Bibeln im Gefängnis

Bald wurde den Christen allerdings klar, dass sie Gottes Wort brauchten, um im Gefängnis durchzuhalten. Also begannen sie, auswendig gelernte Bibelverse auf jedes Stück Papier zu schreiben, das sie finden konnten. Sie ermutigten sich damit gegenseitig. „In den Zeiten, in denen wir besonders unter Druck standen, erinnerte uns Gott an diese Verse und stärkte uns durch die Passagen, die wir auswendig gelernt hatten“, erklärt Houmayoun. Die Aussage aus Apostelgeschichte 14,22 „Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen“ ermutigte sie ebenso wie der Vers 71 aus Psalm 119, der ihnen Sinn und Ziel ihrer Gefangenschaft vor Augen führte: „Es ist gut für mich, dass du ich gedemütigt hast, damit ich deine Gebote lerne.“ Auch Markus 9, 43-49 bekam eine besondere Bedeutung für sie. Für Houmayoun war es, als ob Gott ihm durch diesen Bibeltext sagte: „Ich habe dich hierhergebracht, um dich zu reinigen und sicherzugehen, dass dein Leben ganz mir gehört. Das Feuer, durch das du gerade gehst, soll dich läutern.“

Nach 37 Tagen wurde Nima, Houmayouns Sohn, aus dem Gefängnis entlassen. Er kümmerte sich anschließend um seine zehn Jahre alte Schwester, die nach der Verhaftung ihrer Eltern und ihres Bruders bei Verwandten untergekommen war. Weitere sieben Monate später wurde auch Houmayouns Frau, Fariba, wieder auf freien Fuß gesetzt.

Schließlich erlaubte man den restlichen fünf Christen, die noch hinter Gitter saßen, mit ihren Verwandten und Freunden zu telefonieren. Die Gläubigen baten ihre Angehörigen darum, Bibelpassagen auf Englisch abzuschreiben und einem Imam zu geben, der die Gefangenen regelmäßig besuchte. Weder der Imam noch die Wachen konnten Englisch, also wussten sie auch nichts über den Inhalt dieser „Briefe“. Die Christen, die Englisch konnten, übersetzten die Verse anschließend auf Persisch, so dass ihre Mitgefangenen sie lesen konnten. Nach einigen Monaten besaßen die Gläubigen ganze handgeschriebene Bücher der Bibel. Während es jenseits der Gefängnismauern im Iran nur sehr wenige Bibeln gab, wurden es im Gefängnis immer mehr.

Houmayoun besitzt immer noch seine handgeschriebene Bibel aus dem Gefängnis

Gottes Wort wirkt Wunder

Die handgeschriebenen Bibeln befeuerten die Missionsaktivitäten, was die Wachen noch mehr erzürnte. Sie trennten die Christen daraufhin voneinander in der Absicht, ihre evangelistische Tätigkeit einzudämmen, aber der Plan ging nach hinten los. Jeder der Gläubigen hatte inzwischen eine handgeschriebene Bibel getarnt als Tagebuch bei sich. „Anfangs hatten wir zu vielen Gefangenen keinen Zugang. Aber weil sie uns als Strafe von einem Trakt des Gefängnisses in andere versetzten, hatten wir plötzlich Zugang zu fast allen Gefangenen“, sagt Houmayoun. „Und wenn einer in ein anderes Gefängnis überstellt wurde, nahm er sein Notizbuch mit. In dem neuen Gefängnis angekommen, wurden dann wiederum Abschriften davon gemacht, so dass sich Gottes Wort auf diese Weise immer weiter in den Gefängnissen verbreitete.“

Monatelang gab Houmayoun im Gefängnis Christi‘ Liebe und Gottes Wahrheit an die Muslime in der neuen Zelle weiter. Den Wachen fiel auf, wie positiv die Mitgefangenen darauf reagierten, und wurden immer frustrierter. Schließlich brachten sie den Pastor in den härtesten Teil des Gefängnisses – auch als „Die Hölle“ bekannt. Dort, im Keller der Haftanstalt, saßen etwa 200 gewalttätige Gefangene ihre lebenslangen Strafen ab oder warteten auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Insassen bastelten sich Messer aus Dosen und anderen Metallstücken, um sich verteidigen zu können. Fast jede Woche gab es einen Mord.

Die Wachen in der „Hölle“ hatten eine ganz eigene, zerstörerische Waffe entwickelt: Sie nutzten die Schwäche eines jeden einzelnen Gefangenen aus, um ihn kontrollieren zu können. Nachdem sie herausgefunden hatten, dass Houmayoun etwa 30 Jahre lang drogenabhängig gewesen war, verlegten sie ihn in eine kleine, dunkle Zelle voller Rauschgiftsüchtiger. Die Insassen wurden mit Heroin und Crystal Meth versorgt; Drogen, die in den letzten Jahren im Iran immer stärker konsumiert werden. Mehr als drei Millionen Iraner sind drogenabhängig – vor allem von Heroin. Das Opium dafür kommt hauptsächlich aus dem Nachbarland Afghanistan.

Ausgerüstet mit seiner handgeschriebenen Bibel und ständigem Gebet konnte Houmayoun der Versuchung widerstehen. „Gott war gnädig mit mir“, sagt er. „Und nicht nur das – Gott gebrauchte mich sogar, um einigen der Gefangenen zu helfen, vom Rauschgift loszukommen.“ Houmayoun wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, den Insassen von Jesus zu erzählen. Viele von ihnen wurden in der Regel nach wenigen Wochen in der „Hölle“ exekutiert. Er erlebte nicht nur, dass manche von ihrer Drogensucht frei wurden, sondern auch, dass etliche die ewige Freiheit in Jesus Christus fanden – darunter Gefangene, die für ihre Verbrechen lebenslänglich bekommen hatten.

Freilassung und Flucht

Zwei Jahre nach ihrer Verhaftung, von denen Houmayoun fünf Monate in der „Hölle“ verbracht hatte, wurden die fünf Christen rückwirkend angeklagt, gegen den iranischen Geheimdienst gearbeitet zu haben und in Verbindung zu oppositionellen Gruppen außerhalb des Landes zu stehen. Sie wurden jeder zu drei weiteren Jahren Gefängnis verurteilt und Houmayoun bekam noch einmal acht Monate zusätzlich, weil er während der Verhaftung noch wegen vorangegangener evangelistischer Tätigkeiten auf Bewährung war.

Die Männer legten Einspruch gegen die Urteile ein, um eine verkürzte Haftzeit zu erwirken. Schließlich wurde Houmayoun nach drei Jahren und fünf Monaten hinter Gittern im Juli 2015 entlassen – ungefähr zur gleichen Zeit kamen auch die anderen vier Christen frei.

Doch vor ihrer Freilassung mussten die fünf Männer ein Dokument unterzeichnen, in dem sie bestätigten, dass sie, sollten sie dabei erwischt werden, sich einer Untergrundkirche anzuschließen oder irgendeiner anderen christlichen Aktivität beiwohnen, lebenslängliche Haftstrafen erwarteten. Houmayoun unterschrieb. Er tat es in der festen Absicht, seine Arbeit fortzuführen.

Im Laufe der Zeit bemerkte Houmayouns Familie, dass die Behörden ihr Zuhause überwachten und ihre Telefonate abhörten. Gelegentlich bekamen sie sogar den Eindruck, dass jemand in ihrer Abwesenheit in ihrem Haus gewesen sein musste. Sie erhielten immer wieder Drohungen. „Uns wurde bewusst, dass es immer schwieriger für uns werden würde, in diesem Land zu leben“, sagt Houmayoun. Also verließen seine und einige weitere christliche Familien Anfang 2016 den Iran. Weil das Land, in dem sie jetzt sind, den Immigranten vorschreibt, wo sie sich niederzulassen haben, leben sie alle in verschiedenen Städten. Houmayoun wohnt mit seiner Familie einschließlich seiner Schwiegertochter in einer Drei-Zimmer-Wohnung – alle 14 Tage müssen sie sich bei den Behörden melden, um zu bestätigen, dass sie noch immer in der Stadt sind. Sie leben von einem Erbe und dem Geld, das sie durch den Verkauf ihres Autos, ihrer Möbel und anderer Besitztümer erhalten haben. Außerdem vermieten sie einen Teil ihres Hauses im Iran.

Houmayoun leitet in dem Land, in dem er jetzt lebt, eine Hauskirche für Christen aus dem Iran

Die Treue zu Gottes Wort trägt Frucht

Houmayoun und seine Familie waren die ersten Iraner in der Stadt, inzwischen sind weitere Familien aus ihrem Heimatland dazugekommen. Und Houmayoun hat keine Zeit verloren, den Muslimen die Gute Nachricht zu bringen. „Ich versuche dabei, ganz vorsichtig zu sein“, erklärt Houmayoun. Über das Internet spricht er mit iranischen Studenten und hält fast jeden Abend Jüngerschaftskurse.

Er und seine Familie hoffen, eines Tages in den Iran zurückkehren zu können. Oft denkt er an seine ehemaligen Mitgefangenen, vor allem an diejenigen, die sich bekehrt haben. „Einige von ihnen sind inzwischen wieder auf freiem Fuß und wir haben noch regelmäßigen Kontakt“, erzählt Houmayoun. „Andere sitzen ihre lebenslänglichen Haftstrafen ab und wieder andere warten auf den Vollzug ihrer Todesstrafe.“ Ein ehemaliger Drogensüchtiger, dem Houmayoun in der „Hölle“ von Jesus erzählt hatte, kommt nun mit in die kleine Hausgemeinde, die auch Houmayoun und seine Familie besuchen. Houmayoun ist überzeugt, dass die anderen, die noch im Gefängnis sind, die Gute Nachricht ebenfalls weitergeben. „Wir haben etwas in diesem Gefängnis hinterlassen und diese Christen werden es weitergeben“, freut sich Houmayoun. „Ist das nicht wunderbar?!“

Inzwischen ist Houmayoun 60 Jahre alt. Wenn er auf die schwierige Zeit im Gefängnis zurückblickt, dann kann er nur bestätigen, dass Gott sie tatsächlich dazu benutzt hat, ihn zu läutern – so, wie er es in Markus 9, 43-49 versprochen hatte. „Die größte Veränderung war die, dass mein Stolz gebrochen wurde“, erklärt er. „Wir Iraner sind wirklich arrogant und das Gefängnis hat mich demütig gemacht. Ich würde nicht behaupten, dass ich jetzt ein demütiger Mensch bin, aber ich habe mich wirklich zum Positiven verändert.“

Er hat außerdem gelernt, dass Leid ein Segen sein kann – sowohl für den Einzelnen als auch für den Leib Christi als Ganzen. „Zuerst dachte ich, ich hätte die Gefängnisstrafe aufgrund meiner Sünden verdient. Aber dann wurde mir klar, dass das nicht stimmen kann, weil Gott dieses Leid dazu benutzte, um sich selbst zu verherrlichen – und um mich und die Gemeinde Christi außerhalb der Gefängnismauern zu segnen“, und er fügt hinzu: „Immer, wenn die Gemeinde Jesu in der Geschichte gelitten hat, ist sie gleichzeitig gewachsen. Ich bin mir inzwischen sicher, dass Gott sich in Zeiten des Leidens eher verherrlicht, als in Zeiten des Friedens.“

Hilfsaktion Märtyrerkirche (www.verfolgte-christen.de)