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Predigt über Philipper 2,5.6: Von der Herzensdemut

Ich will noch geringer sein denn also, und will niedrig sein in meinen Augen, und mit den Mägden, davon du geredet hast, zu Ehren werden. Dies war ein Teil der Antwort, welche David nach 2. Sam. 6,22 seinem Weibe Michal gab. Er hatte mit großer Freude die Bundeslade in die Stadt kommen lassen, und vor dem Herrn gesprungen und getanzt, getanzt wie außer ihm noch kein König getanzt hatte, und wer so wie David tanzen kann, der unterlasse es ja nicht, wie er auch nicht tun wird, möchte die Michal auch noch so sauer dazu sehen, wie hier. Wer aber hier eine Rechtfertigung des weltüblichen, für Leib und Seele gefährlichen Tanzens findet, der vergleiche doch eben Luk. 6,25 wo es heißt: Wehe euch, die ihr voll seid: denn euch wird hungern! wehe euch, die ihr hier lachet: denn ihr werdet heulen und weinen; und rechtfertigt es lieber mit dem Exempel der gottlosen Herodias, der irre sich nicht, denn Gott lässt sich nicht spotten, und verwechsele heilige und sündliche Dinge mit einander.

Michal sah aus dem Fenster den frommen König, in der vom heiligen Geist entzündeten Freude seines Herzens, springen und tanzen und verachtete ihn darüber. Als er nach Hause kam, empfing sie ihn mit höhnendem Spott und sagte beißend: Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen, der sich vor den Mägden seiner Knechte entblößet hat, wie sich die losen Leute entblößen. David tat nun erst sehr vornehm gegen sie, indem er sagte: Ich will vor dem Herrn spielen, der mich erwählet hat vor deinem Vater und vor allem seinem Hause, dass er mir befohlen hat, ein Fürst zu sein über das Volk des Herrn, über Israel, und setzte dann hinzu: Ich will noch geringer werden, denn also, und will niedrig sein in meinen Augen, und mit den Mägden, davon du geredet hast, zu Ehren werden. David suchte und kannte eine Ehre, wovon die stolze und blinde Michal eben so wenig begriff, als von der Freude, die sein Herz belebte, und die er selbst durch Hüpfen und Springen an den Tag legte. Es ist aber wirklich eine schwere, oder doch eine unsrer Natur sehr widrige Sache, welche der Fürst in den Worten ausspricht: Ich will noch geringer werden; die Bereitwilligkeit dazu hatte er aus der nämlichen Quelle, aus welcher ihm auch die Freude zugeflossen war, und der Nämliche, der ihn sein Tanzen lehrte, hatte ihn auch den Segen des Geringwerdens einsehen gelehrt. Wir suchen anders nur groß zu werden an Macht, Herrschaft, Reichtum, Einfluss auf andere, Ehre, Achtung, Gelehrsamkeit, Kunst u. dgl. Gern tun wir’s andern gleich oder auch zuvor, und es ist uns leid, wenn’s nicht fort will. Diese Art klebt uns auch im Geistlichen an. Gottes Weg aber geht ganz anders. Er will uns geringer, noch geringer, ganz geringe haben, die Natur schaudert davor, bis man glauben kann, dann will man aber geringe, noch geringer werden. David stand jetzt in der Freude seines Herzens, aber als es an’s wirkliche Geringerwerden ging, sollte ihm schwerlich so fröhlich zu Mute sein. Es ist aber nicht anders. Wollen wir hinauf, so müssen wir herunter.

„Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.“ (Philipper 2,5.6)

Auf eine sehr bewegliche Weise ermahnt der Apostel im Vorhergehenden zur Einmütigkeit, wenn er im 1. und 2. Verse sagt: Ist nun bei euch Ermahnung in Christo, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so erfüllet meine Freude, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habet, einmütig und einhellig seid. Darauf warnt er vor der Eigenliebe, und nichts zu tun aus Zank, um andere zu demütigen, oder aus Ehrgeiz, um sich selbst zu erheben, ebenso verwirft er den Eigennutz, der nur auf seine persönlichen, nicht aber auf den Vorteil anderer sieht und empfiehlt eine Demut, nach welcher einer den andern nicht geringer, sondern höher achtet als sich selbst, und o! eine glückliche Gesellschaft, eine glückliche Gemeine, wo man nach solchen Grundsätzen handelte. Die Demut, als eine Wurzeltugend, empfiehlt er nun durch das erhabenste Vorbild, dasjenige nämlich, welches wir in Christo selbst antreffen, und sagt: Ein jeglicher sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Wir finden hier

  1. einen Christo gleichförmigen Sinn überhaupt empfohlen,
  2. insbesondere ein Stück dieser Gleichförmigkeit hervorgehoben.

1.

Der heilige Apostel empfiehlt zuvor überhaupt einen Christo gleichförmigen Sinn, wenn er sagt: Sei gesinnet wie Jesus Christus auch war. Vielleicht ist es dem einen oder andern nicht gleichgültig zu hören, dass die Worte, wenn man sie buchstäblich übersetzen könnte, also lauten würden: Das Nämliche, was in Christo, war auch in euch gesinnet, oder uns deutscher auszudrücken: Christi Sinn sei auch in euch. Auf diese Weise wird Christus zwar allerdings als ein Exempel, Muster und Vorbild, zugleich aber auch als die Quelle und der Urheber der guten Gesinnung vorgestellt, und ohne dies letztere könnte uns das erstere ohnehin nichts mehr nützen, als überhaupt das Gesetz, welches niemand lebendig macht und woraus höchstens Erkenntnis der Sünde kommt. Gleichwie sich aber die Sünde zuerst in Adam gleichsam entwickelt hat, und sich von ihm herab in alle seine Nachkommen ergießt, dass sie alle Sünder sind: eben so ist die gute Gesinnung zuerst in Christo als unserm Haupte, und ergießt sich von da in alle seine Glieder, dass sie heilig werden, gleichwie der Saft zuerst im Weinstock ist und sich von da aus den Reben mitteilt. Dies ist der große Unterschied zwischen dem Exempel Christi und jedem sonstigen, da jenes auch die Quelle der Nachfolge und nicht bloß eine Aufforderung dazu ist; deswegen sagt der Apostel: Christi Sinn sei auch in euch, oder – wie der heilige Mann 1. Korinther 9,21 sagt: Ich bin im Gesetz Christi und 2,16: Wir aber haben Christi Sinn, das Nämliche, was er sonst den neuen Menschen nennt.

1.1 Dieser Sinn Christi nun ist etwas Ganzes und Unteilbares. Es ist eine gute Wurzel, aus welcher nur Gutes erwächst, ein guter Baum, welcher gute Früchte trägt, der Geist, welcher wider das Fleisch streitet. Wer Christi Sinn hat, ist nicht nur in einigen, sondern in allen Stücken gesinnet wie er, und es ist unmöglich nur in einigen Stücken wie er gesinnet sein und in andern nicht, denn Christus lässt sich nicht teilen. Es ist etwas Ganzes, das Verstand, Willen und alle Kräfte der Seele durchdringt, ein Sauerteig, welcher drei Scheffel Mehl durchsäuert, ein Licht, wodurch der ganze Leib licht wird, dass er kein Stück der Finsternis hat (Luk. 11,36), eine Kraft, die nach und nach alle Hülsen und Schalen sprengt. Es heißt darum auch ein Mensch, weil es ihm an keinem Gliede mangelt. Jedoch äußert sich dieser Sinn Christi da, wo er ist, zu einer Zeit mehr und klarer wie zur andern, so wie auch in diesem Stücke mehr wie in jenem, auch ringt er bei einigen Personen und unter besondern Umständen mit mehr Schwierigkeiten und Hindernissen, wie bei andern, ja es kann andern und der Seele selbst vorkommen, er sei untergegangen und erloschen wie David einmal Ps. 65,4 sagt, wo er einem rauchenden Docht gleicht. Es gibt in dieser Hinsicht teils einen in diesem Leben nie aufhörenden Streit des Fleisches und des Geistes, welche wider einander sind, teils besonders böse Stündlein, Tage eines heißen Kampfes, wo, wie Paulus 2. Kor. 7,5 schreibt, auswendig Streit, inwendig Furcht ist, und wo man absonderlich der ganzen Waffen bedarf, um das Feld zu behalten. Der Sinn Christi hat auch in der Seele eine staffelweise Entwicklung, Gestaltung und Ausbildung, weshalb Paulus die Galater abermals (Gal. 4,19) mit Ängsten gebiert und die Korinther fleischlich und junge Kinder in Christo nennt. Hierauf gründen sich die Ermahnungen zum Wachstum, zum Ablegen des Bösen, zum Anlegen der Waffen des Lichts, die Ermahnung noch völliger, noch vollkommener zu werden, sich von Gott offenbaren zu lassen, wenn man sonst noch was halten sollte, und zu dem Ende begierig zu sein nach der vernünftigen, lautern Milch des Evangeliums.

Man möchte den Sinn Christi und die Sünde mit einander vergleichen. Diese letztere liegt wie der ganze Baum im Keim, schon in dem neugebornen Kinde und äußert sich doch wenig oder gar nicht an demselben, wiewohl es nicht lange dauern wird, oder man merkt schon Eigensinn u. dgl. So wie aber das Kind sich entwickelt, kommen auch mehr Unarten zum Vorschein, wenigstens kann mit Jahren die Bosheit groß werden und ausbrechen wie Wasserfluten. Auf eine ähnliche Weise verhält es sich auch mit dem Sinne Christi. Als der neue, göttliche Lebenskeim wird derselbe in der Wiedergeburt in die Seele gelegt. Vielleicht äußert sich derselbe anfänglich kaum merkbar nur in einem Sehnen, Hungern und Verlangen, dessen sich die Seele selbst so wenig klar bewusst ist, als ein Kind, das zu Saugen begehrt, noch eigentlich weiß, was es verlangt. Er fühlt sich unbehaglich und verlangt nach einem Gute, das er selbst nicht versteht und angeben kann. So kann jemand wiedergeboren sein, ohne es selbst zu wissen. Dennoch wird der neue Mensch, wenn einer da ist, erstarken, sich mehr und mehr entwickeln und sich in der Seele so offenbaren und kundtun, dass sie sich des wirklichen Daseins desselben auf eine unbezweifelte Weise bewusst werden und sagen kann: Sonst war ich blind, nun aber sehe ich.

Der Sinn Christi nun ist ein heiliger Sinn, welcher sich mit der Sünde durchaus nicht vertragen kann, so dass entweder sie oder er weichen, einer von beiden das Feld behalten muss. Christus und Belial stimmen nicht zueinander, so wenig wie Licht und Finsternis.

Der Sinn Christi ist auch ein tätiges, lebendiges Wesen, und obschon er sich nicht immer auf einerlei Weise und in gleichem Maße äußert, so ist er doch ein Leben, dass nie untätig sein kann, und sollte sein herrschender Durchbruch auch so gehemmt und niedergehalten werden, dass er nur zu seufzen vermöchte.

Es ist ein endlich triumphierender und emporstrebender Sinn, der über dem Ringen erstarket. Möchten dem Simson auch die Haare abgeschnitten sein, sie wachsen doch wieder und wehe dann den Philistern.

Es ist ein durchaus notwendiger Sinn, und wer Christi Geist und Sinn nicht hat, der ist nicht sein. Darin besteht die Herrlichkeit der menschlichen Natur, wenn in ihr das Nämliche, was in Christo gesinnet wird, wenn er in ihr lebt, wohnt, wandelt, wirkt, schafft und ihr höchster Gipfel besteht darin, nicht sich zu leben, sondern Christum in sich wohnend haben, sein Knecht und Sklave zu sein, und so von ihm regiert zu werden, wie die Glieder eines gesunden Leibes von dem Willen der Seele.

1.2 Wer sollte denn nicht begehren, gesinnet zu sein wie Jesus Christus? Jedoch sieht der Apostel hier nicht so sehr auf das Allgemeine, wie Christus z. B. gesinnt war gegen Gott und gegen Menschen und die verschiedenen Gattungen derselben, Stolze und Demütige, gegen die Welt, ihre Güter, Lob und Tadel, in Leiden und Freuden u. d. m., sondern er hebt hier ein einzelnes, aber ein vornehmstes Stück aus dem Ganzen hervor. Und dies ist die Demut. Diese empfiehlt er durch das erhabenste Vorbild, das es gibt und geben kann. Er nennt hier keinen Abraham, den er anführt, wenn er den Glauben in seiner Herrlichkeit darstellen will, keinen Moses, den er nennt wenn erzeigen will, wie dieser Glaube alle weltlichen Güter gegen Christum nichts achtet, keinen Hiob, dieses Muster der Geduld, keinen David, der noch geringer werden will, keinen Johannes, der sich unwürdig achtet, sich auch nur zu bücken, um Jesu die Schuhriemen zu lösen, er nennt auch sich selbst nicht, wie er 1. Kor. 4,16 tut und sagt: Folget mir, und in seinem 2. Briefe an den Timotheus, wo er von seinem Glauben, seiner Langmut, seiner Liebe, seiner Geduld rühmet, – sondern er nennt Jesum Christum selber. Seine Demut ist um soviel leuchtender und herrlicher, da er den höchsten Anlass zur Undemut hatte, wenn man sich so ausdrücken könnte, und dessen ungeachtet die allertiefste Demut bewies.

2.

Eigentlich wäre Demut die Sache des Sohnes Gottes so sehr nicht gewesen, wie man ja auch an einem menschlichen Könige zwar den Stolz mit Recht tadelt, aber doch grade nicht die Demut zu den königlichen Tugenden rechnet. Jesus hatte allen Anlass, alle Ursache und alle Befugnis zu einem Benehmen, das zwar von allem Hochmut, dessen er ohnehin nicht fähig war, weit entfernt war, woraus aber doch lauter Majestät und eine, die tiefste Ehrfurcht gebietende Hoheit hervorgeblitzt, die jeden in einer geziemenden Entfernung gehalten hätte. Zuweilen, jedoch sparsam, benahm er sich auch so mit Worten und Taten. So sagte er zu seinen Jüngern: Ihr nennet mich Herr, tut, was ich euch gebiete. Er gebot Krankheiten, Teufeln, dem Sturm, dem Meer und es gehorchte. Er sprach: Alle sollen den Sohn ehren wie den Vater, und meinte sich selbst, wenn er sagte: Hier ist mehr als Salomo, als der Tempel, ein Herr des Sabbaths. Wenn er nicht wollte, so durfte ihn niemand nicht nur nicht anrühren, sondern ihm auch nichts sagen noch ihn fragen. Obschon gebunden würdigte er doch den König Herodes keiner einzigen Antwort auf alle seine Fragen, und auch seinen Richter nicht, als er mehr fragte, als zur Sache gehörte, und als er ihm antwortete, kam’s ganz königlich heraus, eben so als der Hohepriester ihn beschwur. Er tat dies sparsam. Aber er hatte allen erdenklichen, ja ausdenklichen Grund, sich beständig in höchster Majestät zu zeigen, und wenn er’s gewollt, hätte er’s ohne Tadel gekonnt, wenn sich auch nie eine Spur von Demut an ihm gezeigt hätte.

Dass er allen Grund dazu hatte, gibt der Apostel in dem Ausdruck zu erkennen: Er war in göttlicher Gestalt oder in der Gestalt Gottes und Gott gleich. Der Gestalt Gottes steht die Gestalt eines Knechts oder Sklaven gegenüber und eins erläutert das andere. Nach unserer Art zu reden, verstehn wir oft unter Gestalt das Gegenteil von der Wirklichkeit, wie wenn wir sagten, die Wolke hat die Gestalt eines fliegenden Adlers, doch verstehen wir auch unter Gestalt das Äußere, die Erscheinung, wie es sich für Personen von diesem oder jenem Range schickt. Wir würden von einem Könige sagen, er erschien in königlicher Gestalt, und würden damit eine der königlichen Würde angemessene Pracht meinen, oder er erschien in der Gestalt eines Privatmannes und würden dadurch anzeigen, dass er nichts an sich gehabt, was ihn von seinen Untertanen unterschieden hätte. In der Gestalt Gottes sein heißt also sich so zeigen, wie es der Gottheit entspricht. So sagte der Herr 2. Mose 24 zu Mose: Steige herauf auf den Berg, und alles Volk betet an von ferne. Und sie sahen den Gott Israels, unter seinen Füßen war es wie ein schöner Saphir. So sah ihn auch Jesajas sitzen auf einen hohen und erhabenen Stuhl und sein Saum füllete den Tempel, und als der Herr vor dem Elias überging, ging Sturm, Feuer, Erdbeben vor ihm her. Auf Pathmos zeigte sich Jehovah dem Johannes in göttlicher Gestalt, da sein Angesicht leuchtete wie die Sonne in ihrer Macht und seine Stimme war wie groß Wasserrauschen. Er war in der Gestalt Gottes im Besitz aller göttlichen Rechte und Eigenschaften, die ganze Fülle der Gottheit wohnte leibhaftig in ihm. Es war also aller erdenkliche, ja unausdenkliche Grund zur Undemut vorhanden.

Wenn er gewollt, so hätte er auch seine Herrlichkeit überall hervorstrahlen lassen können, und nicht nötig gehabt, es für einen Raub, eine ungebührliche Anmaßung zu halten, Gott gleich zu sein, weil er wirklich Gott war über alles, hochgelobet in Ewigkeit. Beim Adam war es ein großes Verbrechen, dass er den Versuch machte Gott gleich zu werden, und die ihm, als einem Geschöpf, geziemenden Schranken zu überschreiten, so wie es immer eine schwere Beleidigung Gottes ist, wenn sich jemand etwas von seiner Ehre anmaßt. Darum wurde Sanherib geschlagen und Nebukadnezar vom Throne gestoßen, weil sich ihr Herz erhob und Tyrus zerstört, weil es sich für weise hielt, und Herodes musste sterben, weil er dem Volk nicht wehrte, als es seine Stimme für die eines Gottes erklärte. Bei Jesus aber wäre es keine ungebührliche Anmaßung gewesen und konnte es nicht sein, denn alles, was des Vaters war, war auch sein. Oder sollte ein König nicht das Recht haben, in jedem Dörflein seines Reichs, in königlicher Gestalt zu erscheinen?

Wie aber, wenn ein solcher voll Demut einhergeht, was wird sich dann für uns geziemen, die wir nicht den geringsten Grund haben, uns selbst etwas zu dünken, und alle erdenklichen Gründe uns für Nichts zu halten, da wir wirklich ein Nichts, oder vielmehr ein unseliges Etwas sind, das noch weniger ist als Nichts. Alles ladet uns zur äußersten Demut ein, und wir müssen es augenblicklich für einen Raub halten, wenn wir uns das Allermindeste, was gut genannt werden mag, als unseres eignen anmaßen, freuen, rühmen und dafür angesehen, geehrt, gelobt sein wollen, dies Gut mag bestehen worin es will, oder so bedeutend und unbedeutend sein, wie es kann. Von welcher Seite wir uns auch betrachten, so fordert uns alles zur Demut und Niedrigkeit auf. Betrachten wir nur unser Dasein, so haben wir zu demselben nicht das Allergeringste beigetragen noch beitragen können, und hätten es nicht andere durch ihre mühsame, lange fortgesetzte Pflege verhütet, so hätten wir unser Dasein bald, nachdem wir’s empfangen, wieder verloren, indem nichts hilfsloser auf die Welt kommt, als der Mensch voll Eigendünkels. Bedenken wir unsern anfänglichen Ursprung, so war etwas Erde der Stoff, woraus der bewundernswürdige Bau unsers Körpers bereitet ist. Wir begreifen uns selbst nicht einmal. Unbegreiflich ist es ja, wie aus Erde solche Augen u. dgl. haben bereitet werden mögen, und sehen uns genötigt, den Künstler zu bewundern, der so etwas zu bereiten weiß. Wir sehen, hören, und es ist uns ganz unbegreiflich, wie es zugeht und wissen nicht, wie die körperliche Bewegung geschieht, noch auch, wie wir an Gedanken und Wollen kommen. Dass wir bis auf diesen Augenblick noch sind, haben wir eben so wenig unserer Vorsicht zu danken, da wir kein Bewahrungsmittel gegen Krankheiten haben, – als dass wir noch gesund sind und den Gebrauch unserer Sinnen noch haben, der uns so gut genommen werden kann als andern. Sehen wir auf unsere Ende, wie demütigend ist das. Mögen wir sein wer und was wir wollen, mag jemand noch so stark, munter, wohlgebildet und schön sein, er muss sich doch am Ende in die Erde verscharren lassen und wieder Erde werden, ja kann schon vorher sich und andern zum Ekel sein. So wenig als unser Dasein, haben wir unsern Verstand, Gedächtnis und andere Seelenkräfte uns selbst angeschafft, zu welcher Anschaffung es ja auch gar keine Mittel gibt, wenn sie gleich durch Unterricht u. dgl. ausgebildet werden können. Die Erhaltung dieser Kräfte hängt eben so wenig von unserm freien Willen ab, als deren Erwerbung. Ja das Vermögen zu sprechen ist ja nicht unser Eigentum, und wir können es verlieren, wie alles andere, könnten ja sogar taub und sprachlos geboren sein. Auch die äußern Umstände, worin wir uns befinden, sind ja nicht der Erfolg unserer Berechnung, der Schrift nicht einmal zu gedenken, welche uns versichert, des Menschen Tun stehe nicht in seiner Macht. O, welche arme Geschöpfe sind wir Menschen, wie viel wir uns auch zu sein dünken! Der arme Mensch trotzt und pocht auf sich selbst, und weiß sich ungemein viel mit seinem freien Willen Gutes zu wählen und Böses zu verwerfen, mit seinem Wissen und Können. Er dünket sich eine Art von Gott zu sein, von dessen Bestimmung und Anordnung das Meiste abhängt, wiewohl eins und das andere dem Zufall angehört. Hören wir aber die Schrift, so müssen wir unsere Saiten etwas niedriger spannen. Sie ermahnt den Weisen, sich nichts auf seine Weisheit, den Starken, sich nichts auf seine Stärke einzubilden. Sie stellt sich ungebärdig gegen solche, die sich weise, stark und klug dünken. Sie unterwirft selbst die Sperlinge, selbst das Los, selbst das Haupthaar samt der Könige Herz der festen göttlichen Regierung, und nennt sogar Raupen und Geschmeiß ein Heer des Herrn. Sie fragt, wer es sei, der verständige Gedanken gebe. Sie sagt, wir seien nicht tüchtig etwas zu denken, und Christus lehrt ganz allgemein, dass wir das Geringste nicht vermögen, und fragt: Warum sorgt ihr für das andere? (Luk. 12,36) Sollen wir uns gleich nach seiner Anweisung für besser halten, als viele Sperlinge, und daraus schließen, dass, so er die versorgt, er dies vielmehr uns tun werde, so wird doch alle unsere Herrlichkeit des Grases Blume verglichen, und von allen Menschen gesagt: Wie sind sie doch so gar nichts! Sie gehn dahin wie ein Schemen, und machen sich viel vergebliche Unruhe. Selbst die Fürsten wiegen alle auf einem Haufen weniger als nichts.

Bei uns ist also nicht der geringste Grund vorhanden, uns auf irgend eine Weise zu erheben. Ja dünken wir uns etwas zu sein, etwas zu wissen, etwas zu haben, etwas zu können, so ist es schon zu viel. Und da dieser Sinn so ganz allgemein ist, so sehen wir daraus unsere Verkehrtheit, die es nicht anerkennt, dass wir in Gott leben, weben und sind, dass außer ihm nichts ist, dass er der Herr ist, der alles tut. Es ist derhalben nichts, als ein Beweis unserer Blindheit und Verkehrtheit, ja Gottlosigkeit, wenn wir nach jener Grundsatz verfahren, den Jakobus verwirft, die da sagen: Heute oder morgen wollen wir gehen in die und die Stadt, und da ein Jahr liegen und gewinnen und hantieren, da sie doch nicht wissen, was morgen sein wird. Denn was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, der bald verschwindet. (Jak. 4,14) Dagegen geziemt uns eine unendliche Demut, die unsere gänzlichste Abhängigkeit von dem einigen Gott aufs Allertiefste anerkennt und in diesem Sinne denkt, redet und handelt. Sagte der, der in göttlicher Gestalt war, und es also nicht hätte für einen Raub anzusehen brauchen Gott gleich zu sein, sagte er Joh. 5,19: Der Sohn kann nichts von ihm selbst tun, was wird sich dann für uns geziemen?

Jedoch haben wir hier nur noch von dem Geringsten geredet. Das Gesagte würde auch in dem Falle wahr sein, wenn wir keine Sünder, sondern lauter Gerechte wären, nie keine Sünde getan hätten, auch kein Betrug in unserm Munde erfunden wäre. Aber nun kommt noch die Betrachtung unserer Sünderschaft hinzu, welche uns nun vollends zur unergründlichsten Demut, ja zur Verachtung und zum Hass unserer selbst verweiset. Betrachten wir die Namen, die uns gegeben werden, da wir allzumal Sünder, Abtrünnige, Ungehorsame, Unreine, Rebellen, ja gar Feinde Gottes und Kinder des Zorns genannt werden; betrachten wir das, womit wir verglichen werden, als mit Dornen und Disteln, mit Schlangen und andern unreinen und giftigen Tieren; bedenken wir die Beschreibung, welche die Schrift von unserer Natur macht, da sie dieselbe Fleisch nennt, und von demselben nicht nur sagt, es wohne nichts Gutes darin, sondern es auch als die Quelle aller erdenklichen Sünden und Gräuel darstellt, worin der Teufel sein Werk hat; bedenken wir, dass uns alles Vermögen, geistliche Dinge zu erkennen oder etwas wahrhaft Gutes zu üben, gänzlich abgesprochen und das, wovon wir am höchsten halten, nämlich unsere Weisheit und Tugend, gänzlich verworfen wird; erwägen wir, dass Gott das Urteil einer ewigen Verdammnis über diese böse Natur ausgesprochen hat, so muss uns das ja zur äußersten Demut, Nichtachtung, ja Verachtung unserer selbst und alles dessen, was aus uns hervorgeht anweisen, sonderlich wenn wir dabei erwägen, was zur Herstellung dieser Natur erforderlich war und ist. Dazu war nämlich nichts Geringeres erforderlich, als das allerheiligste Opfer des Sohnes Gottes selber, der sich selbst für uns alle dahin gab, auf dass er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, da alle bisherigen Opfer ganz ungültig geblieben waren. Was muss das aber für eine Natur sein, die nicht anders, als durch eine solche saure Arbeit, als durch den Tod des Sohnes Gottes verfolget werden konnte! Dies ist ein Maßstab, worüber alle unsere Gedanken uns zerrinnen, dass wir sagen müssen: Wer kann’s ergründen? Musste unsere Natur durch Blut und zwar durch das Blut des Sohnes Gottes gereinigt werden, wenn sie wieder rein werden sollte, – was musste das denn für eine Unreinigkeit sein! Demnächst schlagen wir unser Verderben viel zu niedrig an, und machen dadurch dessen Heilung unmöglich, wenn wir meinen, demselben werde abgeholfen teils durch äußere Vorstellung, Ermahnung und Belehrung, sonderlich wenn sie früh genug, d. h. schon in der ersten Erziehung gehörig beginnen, teils durch unsere eigenen Vorsätze, Bemühungen, durch angewandtes Nachdenken, Eingezogenheit und Fleiß; – eine Meinung, der wir mehr oder weniger allzumal zugetan sind, oder auch selbst dafür streiten und ihr das Wort reden. Ach! dieser Leviathan spottet dergleichen bebenden Lanzen und frisst solch Eisen wie Stroh. Es gehören ganz andere Waffen dazu, nämlich die göttliche Rüstung selbst. Die Buße, die Bekehrung, die Wiedergeburt, der Glaube, die Heiligung, die Bewahrung, kurz die ganze Erneuerung wird uns als ein Werk Gottes vorgestellt, und zwar nicht als ein solches, wie wir auch etwa den Frühling ein Werk Gottes nennen, sondern im strengsten und allereigentlichsten Sinne. Es wird daher eine Auferweckung, eine Lebendigmachung von den Toten, folglich ein Wunder genannt, abgebildet durch die Wunderwerke, welche Christus verrichtete, wodurch Blinde sehend, Lahme gehend, Taube hörend, Aussätzige rein, Tote lebendig wurden. Deshalb wird von einer überschwänglichen Größe der Kraft Gottes und von einer mächtigen Wirkung seiner Stärke geredet, und dies Werk der Auferweckung Christi von den Toten verglichen. Ja Gott in Christo durch den heiligen Geist wird nicht nur als der Urheber des Größeren, sondern auch des Geringeren, nicht nur des Vollbringens, sondern auch des Wollens, nicht nur der Vollendung, sondern auch des Anfangs dargestellt.

Wo ist also der Ruhm? Er ist aus. Was gehört in unsere Rechnung? Was anders, als unsere Schulden, unsere Blindheit und vermeintliche Weisheit, unsere Ohnmacht und vermeintliche Kraft, unser Verderben und vermeintliche Gerechtigkeit. Wes dürfen wir uns in der Natur, wes in der Gnade, wes wegen des Anfangs und Fortgangs des guten Werks rühmen? Auch keines guten Gedanken, auch keines guten Willens!

War Jesus denn demütig, Er der allen Anlass hatte in Glanz und Hoheit einherzugehen, was wird sich für uns geziemen, die wir nicht den geringsten Grund haben, uns irgend über etwas zu erheben, allen Grund aber, uns selbst in Staub und Asche zu erniedrigen? Der Herr hat sich hochgesetzt, Er erniedrige uns in Gnaden, um uns zu seiner Zeit zu erhöhen!

Amen

Gottfried Daniel Krummacher

Herausgegeben von Thomas Karker, Bremen (www.karker.de [1])