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Die verändernde Kraft der Liebe Gottes – Eine Kurzgeschichte

Montag 21. Januar 2019 von Astrid Borower


Astrid Borower

Mein Name ist Rico. Ich arbeite als Schuldeneintreiber für King Chuck. Die Leute sagen, da kommt King Chuck mit seinem Gorilla. Mir gefällt das. Ich werde respektiert. Man hat Angst vor mir. Früher war ich nur Abschaum für alle, aber das ist jetzt anders. Jeder in Johannesburg kennt King Chuck. Die Leute kommen zu King, wenn sie Geld brauchen. Er stellt keine Fragen. Aber er hat recht hohe Zinsen und frühe Rückzahlungstermine. Wenn die Leute nicht spätestens am nächsten Tag mit der Kohle ankommen, schickt King mich los. Ich bin nicht höflich, aber direkt. Meist brauche ich nur mal vor diesen Typen meine Muskeln spielen und die Finger knacken zu lassen, dann beeilen die sich, ihre Schulden zu bezahlen. Denn im nächsten Moment könnten es ihre Finger sein, die knacken. Und das tut dann richtig weh. Wenn alles nicht hilft, halte ich mich an ihre Frauen oder Kinder. Es gibt viele Möglichkeiten, einen säumigen Zahler an seine Verpflichtungen zu erinnern. Ich bin nicht zimperlich.

An jenem Morgen schickte King mich zu einem säumigen Klienten nach Soweto. Der Mann hieß Eric Lekabe und wohnte an der Durban Road 116 in den Meadowlands. Er schuldete King 60.000 Rand. Ich lernte alles auswendig und verbrannte den Zettel. Es ist nicht gut, irgendwelche möglichen Beweisstücke zu hinterlassen. King meinte noch, kurz vor Zehn wäre eine gute Zeit, da würde ich den Klienten zuhause antreffen können. Dann fuhr ich los.

Bis nach Soweto war die Fahrt kein Problem, gut ausgebaute Straßen, wenig Verkehr. Aber die Meadowlands sind geteilt und Eric wohnt auf der falschen Seite, wo es nur Armut, Holzhütten, Geröll und Dreck gibt. Die gravel roads waren ausgefahren und staubig, mit heftigen Schlaglöchern. Das Fahren wurde zur Tortur. Wie kommt einer von denen hier an King Chuck? Ich begreife es nicht.

Durban Road ist eigentlich ein viel zu großer Name für das, wo ich jetzt einbog. Hier standen nur noch Baracken, zusammengehämmert aus allem, was die Besitzer irgendwo finden konnten. Die Nr. 116 entpuppte sich als Halle aus Wellblech, direkt ein Glanzstück in dem ganzen Elend und sichtlich neu. Direkt daran schloss sich ein kleines Holzhaus. Durchhängende Kabel, die in diese Gebäude hinein führten, zeugten davon, dass es hier sogar Strom gab. Ich parkte mein Auto am Rand und stieg aus und reihte mich ein unter viele Menschen, die trotz der Armut sauber gekleidet der Wellblechhalle zuströmten. Aus dem kleinen Haus daneben trat ein Mann, ganz in schwarz, mit einem dicken Buch unterm Arm. Das musste Eric sein. Ich scherte aus und trat auf ihn zu und baute mich vor ihm auf.

„Eric Lekabe?“
„Ja, Sir, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?“
„Sie sind meinem Boss die Rückzahlung schuldig geblieben, und das hat er gar nicht gern.“ Drohend sah ich ihn an und ließ meine Finger knacken.
„Sie bekommen das Geld. Nur jetzt habe ich dafür keine Zeit, denn ich muss in den Gottesdienst. Kommen Sie einfach mit rein.“ Er nickte mir lächelnd zu, machte eine einladende Handbewegung zu dem komischen Blechhaus hin und ging voran, als ob ihn meine Drohgebärden überhaupt nicht interessierten.

Gibt es das? Einen Menschen, der keine Angst hat vor mir? Einen Menschen, der sich nicht einschüchtern ließ? Ich war so perplex, dass ich ihm tatsächlich folgte. Erst drinnen merkte ich, dass er mich ausgetrickst hatte. Das Haus war rappelvoll mit Menschen, Zeugen, die ich nicht gebrauchen konnte. Eric wandte sich mir zu und wies auf einen billigen Plastikstuhl in der ersten Reihe, der sofort für mich frei gemacht wurde. Ich setzte mich wohl oder übel hin. Er sollte merken, dass er mir nicht entkommen konnte. Dann kam die Abrechnung eben ein wenig später.

Einen Gottesdienst hatte ich zuletzt als Kind besucht. Da waren alle weiß, so wie ich. Und alles war steif und man musste stillsitzen und letztlich gab es dann doch Zoff, weil ich das eben nicht so drauf hatte. Ich habe es gehasst. So früh wie möglich hab ich mich davon abgeseilt und mir geschworen, nie wieder eine Kirche zu betreten. Daran habe ich mich gehalten, bis heute. Aber, nun ja, das heute war ja sozusagen dienstlich, hatte mit mir nichts zu tun. Und überhaupt war hier auch alles ganz anders.

Hier waren außer mir nur Schwarze, und keiner von denen saß still auf dem Sitz, oh nein. Hier ging voll die Post ab. Sie sangen ein Lied nach dem anderen, tanzten dabei und klatschten. Ich kannte von allen Liedern nur „Nkosi Sikelele“, aber selbst das sangen sie mit einer Inbrunst, die mir völlig fremd war. Ehrlich, wenn ich nicht so ein harter Bursche wäre, könnte es mir glatt eiskalt den Rücken runter laufen. Ich fand es fast schön, musste mich immer wieder daran erinnern, dass ich nicht zu meinem Vergnügen hier war. Und ich konzentrierte mich darauf, Eric nicht aus den Augen zu lassen.

Sie sangen lange, sehr lange. Danach setzten sie sich. Und dann stellte sich Eric vor die Leute hin und fing an zu reden: „Wir sind einen weiten Weg gegangen gemeinsam!“
„Amen“, rief die Menge.
„Und wir haben gesehen, wie Gott Wunder wirkt!“
„Hallelujah!“
„Wir haben uns getroffen unter dem alten Baobab!“
„Amen“
„Wir haben uns getroffen dort bei Sonne und bei Regen!“
„Yes Lord!“ Die Menge wurde immer ekstatischer.
„Wir haben uns dort getroffen im Sommer und im Winter!“
„Yes Lord!“
„Und wir haben zum Herrn gebetet, gib uns eine Kirche!“
„Yes Lord!“
„Und haben wir eine Kirche bekommen?“
„Yes Lord, Amen, Halleluja!“ Die Menschen schrieen nun verzückt alle durcheinander.
„Haben wir eine Kirche bekommen?“
„Yeah, yeah, praise the Lord, praise Him, Hallelujah!“ Es gab kein Halten mehr.
„Heute“, Eric legte eine Pause ein und sah die Menge eindringlich an, „heute sind wir hier in unserer Kirche!“
„Amen, Amen, Hallelujah!“

Mich amüsierte das Ganze. Der Kerl hatte es wirklich drauf. Die Leute hingen nur so an seinen Lippen. Plötzlich deutete Eric auf mich: „Seht ihr meinen Freund dort?“

„Yeah.“
„Wisst ihr, wer das ist?“

Die Menge schwieg. Mir wurde ganz mulmig. Jetzt würde er es den Leuten sagen. Mein Gott, es sind so viele! Sie werden mich auseinander nehmen. Eric dreht den Spieß um, was soll ich nun tun?“

Er redete weiter: „Ja, Herr, wir sind einen weiten Weg gegangen. Wir wollten eine Kirche, aber wir hatten kein Geld. Wir hatten einen guten Platz dafür. Wir hatten viele Menschen, die mit anfassen konnten. Wir haben zusammengelegt was wir konnten. Aber es reichte nicht. Und Gott sagte, er wird uns das Geld geben.“

Ich war so gebannt von Erics Worten, dass ich völlig vergaß, auf die anderen zu achten. Ich saß wie auf Kohlen. Wann ließ er die Katze aus dem Sack?

„Gott sagte, geh in die Stadt, nach Johannesburg, geh zu einem Mann, der Geld verleiht, geh und leih dir das Geld und dann kaufe ein, was du für die Kirche brauchst.“

Ich schüttelte den Kopf. Meinte der das ernst? Aber es kam noch besser:

„Und ich ging nach JoBurg, und ich fand einen Mann, der mir das Geld lieh, und ich kaufte ein, was wir benötigten. Wisst ihr noch?“
„Yes, Amen, du hast es gekauft.“
„Und als das Material hier ankam, wisst ihr noch? Wir haben jeden Tag gebaut, jeder von uns hat mit angepackt. Wir wollten eine Kirche, und Gott gab das Geld, und wir haben unsere Kirche gebaut, mit unseren eigenen Händen.“
„Yes Lord, Praise the Lord, praise the name of Jesus.”

Was redet der denn da? Nicht Gott hat ihnen das Geld gegeben, sondern King Chuck, und ich bin heute hier, um zu kassieren!

„Seht ihr diesen Mann dort?“ Ich schrak hoch. Alle blickten mich an. „Dieser Mann ist der Vertreter dessen, der uns das Geld geliehen hat!“ Jubel brach los. Jemand klopfte mir auf die Schulter. Ich fühlte mich sehr unwohl und stand unter Hochspannung.

„Kann Gott Wunder tun?“
„Yes Lord, Amen, Hallelujah!“
„Können wir Gott dieses Geld zurückzahlen?“
Schweigen. Alle blickten fragend.
„Wir können das Meiste zurückzahlen. Wir haben eine Spende bekommen von Freunden aus Deutschland und USA, die gesammelt haben für unsere Kirche. HABEN WIR EINEN WUNDERBAREN GOTT?“

Es brach ein Tumult los, begeisterter Jubel, alle schrien, priesen Gott, weinten gleichzeitig. Ich war wie vom Donner gerührt. Währenddessen kam Eric auf mich zu, reichte mir einen Umschlag und sagte: „Darin sind 50.000 Rand. Für die restlichen 10.000 Rand wird sich jemand finden, der das aufbringt, hat Gott gesagt. Nun geh, Gott segne dich.“

Glaubten die das wirklich? Ist es wirklich so einfach? Sprachlos nahm ich das Geld, um es dem King zu bringen. Ich wusste, er würde damit nicht einverstanden sein. King will immer die ganze Summe. Aber was kann ich hier ausrichten? Es sind ja so viele, und sie sind so ekstatisch. Sie glauben an einen Gott, dem ich offensichtlich nicht gewachsen bin. Sie fürchten sich nicht vor mir. Und sie werden sicher noch ewig zusammen bleiben.

Unter dem Jubel der Massen wandte ich mich dem Ausgang zu. Eine altes Mütterchen trat mir in den Weg, schlang ihre Arme um mich, sah mir in die Augen und sagte sichtlich bewegt: „Du bist ein guter Mensch!“ Dann ließ sie mich los und war einen Moment später in der Menge verschwunden. Ich schluckte. Ich flüchtete. Nur raus hier, aus diesem Irrenhaus.

Als ich wieder in meinem Auto saß, atmete ich erst einmal tief durch. Ich war völlig fertig. Ein guter Mensch – noch nie hatte das jemand über mich gesagt. Und tief in mir drinnen wusste ich, dass das auch nicht stimmt. Die haben echt keine Ahnung hier! Selbst meine Mutter hatte nur Verwünschungen für mich übrig, unter denen „Balg“ und „Nichtsnutz“ noch die freundlichsten waren. Ein guter Mensch – weiß die eigentlich, in was für einen Gefühlstaumel die mich damit stößt? Ich rammte den Schlüssel ins Zündschloss, startete, ließ den Motor aufheulen und trat das Gaspedal durch. Nur weg hier!

King war gar nicht begeistert, das könnt ihr mir glauben. Er verlangte nach einer Erklärung. Er wollte wenigstens wissen, dass ich Eric ordentlich Dampf gemacht habe. Ich gab mich einsilbig. Was hätte ich ihm denn sagen sollen? Letztlich bekam ich meinen Restlohn und einen Tritt in den Hintern. Ich kann es verstehen. Wenn ich zum Weichei mutiere, bin ich für jemanden wie King nicht mehr zu gebrauchen.

In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Immer wieder hörte ich die Worte: „Du bist ein guter Mensch.“ Ich wünschte, es wäre wahr. Ich wünschte, die hätten die ganze Summe gehabt. King würde wieder jemanden dorthin schicken um aufzuräumen, ist doch klar. Irgendwie gefiel mir der Gedanke gar nicht. Was war nur mit mir los?

Am nächsten Tag lief ich herum wie Falschgeld. Ich dachte andauernd an diese Menschen dort in der Wellblechkirche in den Meadowlands von Soweto. Was die für einen Glauben hatten! Zehntausend Rand fehlten denen noch, aber niemanden schien das zu beunruhigen. Was hatte Eric gesagt? Jemand würde dieses Geld für sie aufbringen? „Sie sind ein guter Mensch“, klang es in mir nach. Ich hatte das Geld. Ich hatte gestern Geld bekommen, und auf dem Konto lag auch noch etwas. Kurz entschlossen fuhr ich zur Bank und hob es ab. Dann brachte ich es King.

„Was ist los, Rico, warst du noch einmal dort?“ King sah mich irritiert an. Ich zuckte mit den Schultern.
„Okay, sie haben auch noch den Rest herausgerückt. Du hast es wieder gut gemacht. Du kannst deinen alten Job wieder haben.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte ich, „es wird Zeit für etwas Anderes. Ich will so etwas nicht mehr machen.“
King sah mich überrascht an. „Na, dann eben nicht. Glaub ja nicht, dass ich dir das noch einmal anbiete. Du bist ein Nichts, dich brauche ich nicht. Leute wie dich gibt es wie den Sand am Meer.“

Ich sah ihn nur an, sagte: „Mach’s gut“, und ging. Aber in meinem Kopf jubelte es: „Du bist ein guter Mensch!“

Am nächsten Sonntag machte ich mich fein und zog zeitig los, wieder in die Meadowlands von Soweto. Irgendjemand musste ihnen doch sagen, dass sie keine Schulden mehr hatten. Nicht, dass ich plötzlich gläubig geworden wäre. Aber diese Menschen dort waren etwas Besonderes. Ich habe viele Fragen. Und ich habe die Vermutung, Eric wird sie mir beantworten können.

Astrid Borower, Astrid@Borower.de

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 21. Januar 2019 um 12:04 und abgelegt unter Predigten / Andachten.