Predigt über Römer 1,1-7: Geschenke-Auspacken
Montag 24. Dezember 2018 von Pfr. Dr. Tobias Eißler

Dreiundneunzig Weihnachtspäckchen für Osteuropa wurden dieses Jahr bei uns in Ruit gepackt – ein neuer Rekord. Vor dem 1. Advent kam ein Mitarbeiter von „Licht im Osten“ vorbei und schaffte es, alle 93 Schuhkartons in seinem Audi-Kombi unterzubringen. Der Mensch, der die vergleichbare Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ von Berlin aus organisiert, heißt Robert Tepaß und stammt aus Rumänien.
Er wuchs in Deutschland in einem Kinderheim auf. Ein Erzieher erklärte ihm, was es mit dem Kind in der Krippe auf sich hat. Robert, der Jugendliche, wurde Christ. Er siedelte in die USA über, ließ sich zum Banker ausbilden und arbeitete bei einem großen Finanzinstitut 13 Stunden pro Tag. Das Geld füllte sein Denken und Leben aus. Für den Job putschte er sich mit Drogen auf. Dann kam der Zusammenbruch, zweieinhalb Monate künstliches Koma im Krankenhaus. Robert Tepaß kehrte nach Deutschland zurück. In Heilbronn lief ihm die Frau seines Lebens über den Weg. 2015 heiratete er Natascha. Sie brachte ihn zurück zu dem Glauben seiner Jugendzeit. Es war ihre Idee, er könne sich in Berlin bei „Weihnachten im Schuhkarton“ bewerben. Tatsächlich erhielt er die Stelle des „Mr. Weihnachtswerkstatt“. Auch 2018 hat er dafür gesorgt, dass hunderte und tausende Kinderaugen unterm Weihnachtsbaum strahlen, von Estland bis Moldawien.
Dafür, dass es überhaupt ein strahlendes Christfest gibt, hat freilich nicht der Organisator in Berlin gesorgt, sondern der Weihnachtsmann aus Tarsus. Ich meine unsern wohlvertrauten Freund und Bruder Paulus. Er ist schuld daran, dass wir Weihnachten feiern. Er hat das Evangelium nach Europa gebracht. Er hat es angeliefert wie der Postbote das Weihnachtspäckchen. Am Anfang des Römerbriefs fordert der Apostel uns dazu auf, das wundervolle Geschenk auszupacken, anzunehmen und zu teilen. Wer macht mit, liebe Zuhörer?
1. Das große Geschenk auspacken.
Wenn wir Kinder an Heiligabend endlich das Weihnachtszimmer stürmen durften, mussten wir zuerst noch „Ihr Kinderlein kommet“ singen. Das war schwierig. Dort drüben prangten die Päckchen in Goldglanzpapier. Unausgepackt. Später wurde eingeführt, dass auch die Weihnachtsgeschichte verlesen wurde. Das war noch schwieriger. Dort unterm Lichterbaum lockten die Träume unter roten Schleifen. Noch verborgen. Irgendwann kam meine Schwester auf die Idee, selbsterfundene Sprechszenen aufzuführen. Wunderschön, aber entnervend. Jetzt mussten doch endlich mal die Päckchen dran glauben! Ich habe von Verwandten gehört, dass bei ihnen nur eins nach dem andern ausgepackt werden durfte, sehr geordnet und feierlich. Bei uns war das nicht so. Wildes Kriegsgeheul, siebenfacher Frontalangriff auf das Geschenk-papier, Eroberung der Beute in Gestalt von Playmobil-Zirkus und Plastikpistole.
Das große Geschenk soll ausgepackt werden – darauf drängt der Missionar, der uns Weihnachten beschert hat. Außen trägt es die Aufschrift: „Evangelium Gottes“. Gott selbst ist der Absender. Gott selbst hat das Päckchen gepackt. Gott selbst schickt uns gute Nachricht. Die weltbeste Nachricht, „die er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift, von seinem Sohn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch“. Die Weihnachtsüberraschung war angekündigt. Z.B. durch den Propheten Jesaja, 800 Jahre vor der Bethlehemgeburt: „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären.“ Wer kann wissen, was in einer 800 Jahre fernen Zukunft passiert? Niemand. Niemand, außer dem Herrn über Welt und Zeit. Tatsächlich bringt um das Jahr 0 eine junge Frau ihr erstes Kind zur Welt. Sie ist verlobt mit einem Mann aus der hochberühmten Davidssippe. Verlobt, nicht verheiratet. Die Jungfrau trägt ein Baby. Die junge Mutter wickelt ihren Sohn in Windeln. Es ist sein Sohn, Gottes Sohn, weiß der Postbote Paulus. Sein tatsächlicher Vater ist der himmlische Vater. Jesus kommt von ganz oben. Und landet hier ganz unten.
Er macht es so ähnlich wie Günter Wallraff. Die Masche des Journalisten Wallraff war es, in die Rolle des Stahlarbeiters bei Thyssen zu schlüpfen oder in die Rolle des türkischen Gastarbeiter bei McDonald’s oder des Obdachlosen im Übernachtungsheim. Wallraff wollte zeigen, wie es wirklich zugeht auf der untersten Ebene. Nämlich mies. Der Kritiker an denen da oben deckte manche Missstände auf, die zu erhöhter Aufmerksamkeit und positiven Änderungen führten. Gottes Sohn will wissen, wie es wirklich zugeht auf der untersten Ebene. Deshalb schlüpft er in Menschenhaut. Er spürt, was das für uns bedeutet: unruhige Nächte, hektische Tage, anspruchsvolle Ausbildungszeit, anstrengende Arbeitszeit, bedrückende Schwiegermütter und unverbesserliche Besserwisser, Seelennot, Krankheit und Tod. Er spürt das sehr gut. Weil er das Menschsein nie wieder abgelegt hat wie eine Rolle. Es haftet ihm an, es ist ein bleibender Teil von ihm. Auch wenn Jesus jetzt nicht mehr nur in unserer menschlichen Ebene unterwegs ist. Er ist gleichzeitig auf göttlicher Ebene unterwegs: „eingesetzt als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist, der da heiligt, durch die Auferstehung von den Toten“. Aus dem Kind in der Krippe wird der Mann am Kreuz und die Leiche im Grab. Aber Jesus bleibt nicht im Grab. Am Ostermorgen steht er lebendig unter seinen Lieben. Jetzt wird es noch einmal klar: Das ist Gottes Sohn, von Gottes Hand ins Leben zurückgeholt. An Himmelfahrt befördert der Vater seinen Sohn ins himmlische Regierungs-amt. Jesus wird zum Aufsteiger. Gott proklamiert und definiert: Das ist der Herr. Das ist der Heiland. Das ist der Aufsteiger, mit dem ihr, geliebte Erdenbürger, aufsteigen könnt zu Bürgern des Himmelreichs.
Erkennen wir das Geschenk aller Geschenke, liebe Zuhörer? Ist uns das enthüllt, dass er der Allerhöchste ist, der ganz absteigt, um unsretwillen? Liegt das offen vor uns, dass es der zu Spott und Tod Erniedrigte ist, der in den Himmel aufsteigt, in der Absicht, uns dabei an die Hand zu nehmen und mitzunehmen? Wer nur den holden Knaben im lockigen Haar sieht, sieht lediglich eine kitschige Verpackung. Wer das Evangelium Gottes hört, erkennt den mit dem Menschengesicht auf dem Gottesthron. Das Geschenk auspacken bedeutet: Jesus erkennen, Jesus, den Aufsteiger, der uns zu Aufsteigern in Gottes Liga macht.
2. Das große Geschenk annehmen.
Wenn wir Kinder an Heiligabend das schöne Geschenkpapier in Fetzen gerissen hatten, ging es sofort ans Zusammenbauen des Playmobil-Zirkus und ans Ausprobieren der Plastikpistole. Das weniger Brauchbare blieb in der Ecke liegen, also: die selbstgestrickten Socken der Oma und das dicke, lehrreiche Sachbuch des Patenonkels. Was bunt war, verspielt oder einsetzbar im Kampf gegen den Bruder, nahmen wir gerne in Besitz.
Der Weihnachtsmann aus Tarsus legt Wert darauf, dass wir das wundervolle Geschenk annehmen, das er uns frei Haus liefert. Paulus ist von höchster Stelle zum Boten des Evangeliums beauftragt. Unbegreiflich für ihn vom ersten bis zum letzten Tag, dass Gott ausgerechnet ihn ausgewählt hat, den Pharisäer, der Jagd gemacht hat auf die Nazarener-Sekte. Mitten in der Hetzjagd auf die Christen stoppte ihn jene Gestalt im Licht: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Wer Christen verfolgt, verfolgt Christus. Wer die Glaubens-geschwister verletzt, verletzt ihren Herrn. Paulus erkannte: „Das ist kein Sektenglaube, sondern das ist die Wahrheit! Da ist viel mehr als eine religiöse Versammlung, denn in ihrer Mitte ist Gottes Sohn gegenwärtig!“ Paulus wurde zum Lieferanten einer Weltneuigkeit: „Durch Jesus haben wir empfangen Gnade und Apostelamt, den Gehorsam des Glaubens um seines Namens willen aufzurichten unter allen Heiden.“ Der Apostel machte sich auf die Socken, um von Damaskus bis Rom bekanntzumachen: „Liebe Leute, Gott fängt neu mit euch an. Was ihr bisher ohne ihn gelebt habt, war teilweise düster und finster, peinlich und schändlich. Was ihr verdient habt, ist der Zorn Gottes – Römerbrief Kapitel 1: ‚Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Leben der Menschen.’ Aber was euch angetragen wird, liebe Zuhörer, ist die Gnade Gottes – Römerbrief Kapitel 3: ‚Gott ist gerecht und macht den gerecht, der da ist aus dem Glauben an Jesus.’“
Wer den Glauben an Jesus zur Mitte seines Lebens macht, der hat den Zorn hinter sich und die Gnade vor sich; der ist befreit von dem Druck, sich selbst oder Gott etwas beweisen zu müssen; der ist angeschlossen an die Liebe Gottes, von Herz zu Herz. Wer den Glauben an Jesus zur Mitte seines Lebens macht, nimmt das große Geschenk tatsächlich an.
Allerdings gehört zum Glaube auch der Gehorsam, betont Paulus. Jesus ist kein Krippenkind mehr, nein, er ist Herr und König und Tonangeber in seiner Gemeinde. Deshalb ist es recht und billig, wenn der Konfirmand anfängt, sich die Lüge abzugewöhnen, und der Berufstätige den Neid, und der Mitarbeiter den mürrischen Ton und der Nachbar die üble Nachrede. Wer nie gehorcht, brüskiert den Herrn. Wer ihn anerkennt als den Allerhöchsten und Aller-freundlichsten und deshalb gerne von ihm lernt, nimmt das große Geschenk tatsächlich an.
3. Das große Geschenk teilen.
Wenn wir Kinder an Heiligabend unsere Geschenke ein erstes Mal inspiziert und ausprobiert hatten, brachte jeder seine Schätze in einer Ecke des Wohnzimmers in Sicherheit. Nicht dass der Bruder meinen Playmobilmann missbraucht oder gar die Schwester meine Pistole antastet!
Das wundervolle Geschenk aus Bethlehem aber ist für alle da, erklärt der Weltmissionar Paulus. Wie sich im Festzimmer der große Familienkreis um den Weihnachtsbaum versammelt, so soll sich die Gemeinde im großen Kreis versammeln um die Krippe und das Kreuz.
Dass sie sich in Rom versammelt hat, macht den Jesusboten unendlich froh: „An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ Beschenkte Menschen versammeln sich zum Gottesdienst. Sie wissen sich vom Lichtstrahl der Liebe Gottes verfolgt; zu Teilhabern am Gottesreich befördert; zu gotteswürdigen Heiligen gemacht, allein durch die Würde von Jesus. Sie singen dem himmlischen Vater. Sie bekennen den göttlichen Sohn. Jeden Tag leben sie von seiner Gnade, die einen neuen Anfang ermöglicht. Jeden Tag erinnern sie sich an seinen Frieden, der das Überleben in einer so unfriedlichen, bösartigen Welt möglich macht. Ein riesiges Geschenk! So tief und reich, dass die Brüder und Schwestern in Christus es miteinander teilen. Und dass sie es austeilen an die, die draußen stehen. Einer packt ein Weihnachtspäckchen für Sibirien. Einer geht zum Liedersingen ins Krankenhaus. Einer lädt einen Flüchtling ein zu einer Tasse Kaminfeuertee. Vielleicht kommt jemand auf den Geschmack. Vielleicht durchschaut jemand die Verpackung. Vielleicht begreift jemand das Evangelium Gottes: Jesus, den Aufsteiger, der uns zu Aufsteigern in Gottes Liga macht. Welch ein Geschenk! Hat es jemand unter uns noch nicht ausgepackt, angenommen und geteilt? . . .
Pfarrer Dr. Tobias Eißler, Christfest, Ruit am 26.Dezember 2018
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 24. Dezember 2018 um 14:45 und abgelegt unter Predigten / Andachten.