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Moralapostolat – die zivilreligiöse Pervertierung Evangelischer Kirchen

Mittwoch 19. Dezember 2018 von Dr. Dieter Müller


Dr. Dieter Müller

Wir begegnen einer zunehmenden Transformation protestantischer Landeskirchen in zivilreligiös agierende Institutionen, die das befreiende Evangelium Jesu Christi in das Gesetz eines gesellschaftlich brauchbaren Moralapostolats pervertieren.

1. Was ist Zivilreligion?

  • Der Begriff „Zivilreligion“ stammt von Rousseau. Zivilreligion ist also ein Gewächs der „Aufklärung“, die erkenntnistheoretisch durch die menschliche Vernunft Gott eingrenzt und weithin aus der Wirklichkeit ausschließt. Höchste Loyalität gilt dem von Menschen konstruierten „Gesellschaftsvertrag“ (z.B. dem Grundgesetz) und nicht dem Willen Gottes (z.B. dem Ersten Gebot).
  • Zivilreligion ist um den Menschen zentriert. Sie stellt Gott in den Dienst des Menschen, nicht den Menschen in den Dienst Gottes. Das Gebot universaler Menschenliebe hat Vorrang vor dem Gebot der Gottesliebe; universale Diakonie wird wichtiger als anbetender Gottesdienst im Namen Jesu Christi.
  • Zivilreligion kennt keine „Erbsünde“. Die universale Schuldverfallenheit der Menschheit wird verdrängt oder bagatellisiert. Statt sich den massenmordenden Kulturbrüchen des 20. Jh. als dem Menschen innewohnender unkalkulierbarer Sünde zu stellen, werden diese universal in der Menschheit lauernden Abgründe zur Entlastung abgespalten und historischen Sündenböcken zugewiesen.
  • Gegenwärtige Zivilreligion enthält eschatologisch-utopische Perspektiven, die der kreativen menschlichen Vernunft die innovative Entwicklung des „Neuen Menschen“ in einem irdischen Reich umfassenden Friedens zutrauen. Nach historischer Erfahrung und christlichem Glauben ist dies Gott vorbehalten.
  • Die tolerante Offenheit von Zivilreligion tendiert zum Synkretismus. Die drei monotheistischen Religionen werden gegenwärtig religionsgeschichtlich aus gemeinsamer Wurzel hergeleitet und theologisch gleichgestellt. Interreligiöse Gebete schaffen verbindende Gemeinschaftserfahrungen, die mit dem ersten Gebot grundsätzlich unvereinbar sind.
  • Zivilreligion bedarf nicht unbedingt eines jenseitigen Gottes, sie kann auch atheistisch auftreten. Der Marxismus mit seinem zivilreligiösen Totalanspruch ist dafür ebenso beispielhaft wie der Nationalsozialismus, deren Kultfeiern „religiöse“ Bindungen schufen und zelebrierten.
  • Zivilreligion setzt interpretationsoffene moralische Werte vor das verläßlich kodifizierte Recht, das Wesensmerkmal von Demokratie ist. Diese Orientierung an Werten, die dem Recht voraus liegen und durch Interpretation sich konstruktiv verändern lassen, verleiht Zivilreligion ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, aber auch irritierender Beliebigkeit.
  • An der Spitze zivilreligiöser Wertehierarchien stehen die universalen Individualrechte der Menschen. Weithin werden aus ihrem Geist in der Gegenwart einerseits natürlich gewachsene und historisch bewährte Organisationsformen wie Nationalstaaten, Familien und Ehen aufgelöst; andererseits werden ideologische Konstrukte und Institutionen entwickelt, die den Gesetzen der Natur und Schöpfung widersprechen, wie beispielsweise die „Ehe für alle“ oder die Gendertheorie.

2. Beispiele für diese zivilreligiöse Aufladung von gesellschaftlichen Bedürfnissen durch die Kirche sind:

  • Der willfährige Verzicht auf Moslem-Mission im Namen der Toleranz und des gesellschaftlichen Zusammenhalts;
  • die Auflösung des biblischen Menschenbildes durch die schöpfungswidrigen Konstrukte der Gender-Ideologie unter dem Diktat der Gleichstellung des Ungleichen;
  • die segnende Akzeptanz des schöpfungswidrigen Konstrukts der „Ehe für alle“ unter Berufung auf die grenzenlose Liebe Gottes und die unverlierbare Menschenwürde;
  • das lebensfremde Gebot von grenzenloser Toleranz und Akzeptanz, das die Fremdheitserfahrung verbietet, welche die eigene Identität schützt. Kirche Christi jedoch überwindet Fremdheit allein durch missionarisch liebende Integration in den weltweiten „Leib Christi“;
  • der moralische Mißbrauch der allein im geistmächtigen Evangelium lebbaren Bergpredigt Jesu beispielsweise zur menschenrechtlichen Rechtfertigung der die Gesellschaft spaltenden Migrationspolitik;
  • der gleichsam „heilige Krieg“ für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der die kirchlichen Ressourcen bindet, die Christus in seinem Wort für die Werbung von Kandidaten des ewigen Lebens fordert;
  • der hetzende Kreuzzug von EKD-Repräsentanten auf allen Ebenen gegen Rechts;

Die zivilreligiös moralpolitische Umformung des Auftrags Christi begegnet nicht nur in kirchenleitenden Worten und Handlungen, sie bestimmt längst weite Teile der kirchlichen Basis in Gebet, Predigt und Gemeindeprogramm.

3. Die Ursachen für die zivilreligiöse Politisierung von Kirche

Es sind drei geistesgeschichtliche Entwicklungen, welche die Ev. Kirche in Deutschland zivilreligiös transformierten:

Vor allem die Aufklärung, die im ökonomisch prosperierenden Nachkriegsdeutschland zunehmend ihre traditionskritische Macht in die Öffentlichkeit hinein entfaltete, dann die Wendung weiter Teile der protestantischen Ökumene hinein in das antikapitalistische Dritte-Welt-Ethos und schließlich wirkungsmächtig die Übernahme der deutschen Kollektivschuld-Zuweisung durch die alliierten Sieger. Verbunden mit der im Kern atheistischen kulturmarxistischen Bewegung im Gefolge von 1968 entfalteten sie eine offenbar unwiderstehliche zivilreligiöse Transformation in herrschenden Teilen des landeskirchlichen Protestantismus.

  • Die Aufklärung hat über die sich entwickelnden Wissenschaften zweifellos einen enormen Reichtum an medizinischer Gesundheit, materiellem Wohlstand und damit Lebensqualität erbracht. Das verleiht ihr eine geradezu unwiderstehliche Wucht. Aber der „Aufklärung“ wohnt zugleich eine grenzenlose Tendenz inne, die gesamte Wirklichkeit eindimensional dem Primat der Vernunft zu unterwerfen. Dabei verliert sie zwangsläufig den Freiheit gewährenden und lebensnotwendige Grenzen ziehenden Gott. Denn Gott wird zwar in Christus wahrhaftig Mensch, läßt sich aber niemals in das Gefängnis der nicht nur grundsätzlich eingeschränkten sondern auch mißbrauchbaren menschlichen Vernunft sperren.
  • Die von Gott emanzipierte, vernunftgelenkte Aufklärung hat dadurch im Raum des protestantischen Glaubens seit 250 Jahren verheerend gewirkt, daß sie das stets gefährdete reformatorische „sola scriptura“ – die Bibel allein – tief verwundete. Das „sola scriptura“ ist im Protestantismus weder durch den Glauben der Kirche und eine zureichende überlieferte Erfahrungsgeschichte geschützt, noch durch ein verbindliches Lehr- und Bischofsamt, auch nicht durch eine angemessene umfassende Lehre von der Kirche oder zureichende Erfahrung des Heiligen Geistes. In den Forschungswerkstätten der historischen Kritik lösten „aufgeklärte“ Wissenschaftler die Heiligen Schriften vom Heiligen Geist und gewannen in diesem Prozeß antike Dokumente, geschrieben von Menschen, und das naturgemäß mit reduzierter Offenbarungsqualität.
  • In diesem aufgeklärten Forschungs-Prozeß wurde aus Jesus Christus, der zweiten Person der Heiligen Dreieinigkeit, der reine Mensch Jesus von Nazareth, der nicht die Erlösung brachte, sondern eine bewegende „Neue Moral“ verkündete. Dieser in der „Aufklärung“ konstruierte Moralapostolat Jesu und seiner Nachfolger ist eine logische Konsequenz aus der Auflösung der Teilhabe Jesu an der heiligen Drei-Einigkeit Gottes. Ist Jesus nicht Gott, wird er bestenfalls zum einzigartigen Prediger einer universalen Liebe, die nie wirklich Mensch wird, die gesichtslos bleibt und in ihrer illusionären Beliebigkeit keine Gewißheit des Glaubens zu wirken vermag.
  • Der Protestantismus hat zugelassen, daß die Naziverbrechen aus dem Kontext der Erbsünde – aus dem die Menschheit bestimmenden Radikalbösen – herausgelöst, enthistorisiert und als allein gestellte kollektive deutsche Schuldlast zivilreligiös aufgeladen wurden.

Zivilreligiöse evangelische Kirche transformiert vernünftige Solidarität in grenzenlose Menschenliebe, mischt diabolisch das Reich Christi mit dem Reich dieser Welt, pervertiert Jesu im Evangelium verwurzelte Bergpredigt in ein Programm hypermoralischer Forderungen und bleibt in ihrer zivilreligiösen Beliebigkeit der Welt den Leben rettenden biblischen Ruf schuldig: „Laßt euch in Christus versöhnen mit Gott!“ Ohne den biblischen Gott von Golgatha gibt es keine glaubwürdige Vergebung, die von aufgehäufter historischer Schuld entlastet und neues befreites Leben möglich macht.

4. Der Auftrag der Kirche

  • Auftrag der Kirche Christi ist es, der Raum zu sein, in dem die Menschen Gottes liebenden Lockruf hören: „Laßt euch versöhnen mit Gott!“ Wo Menschen diesem Lockruf Christi glauben, wächst Gottes Reich auf Erden, das nicht von dieser Welt ist. Es ist nicht Christi Auftrag an seine Kirche, zivilreligiös vor dem Jüngsten Tag das Reich Gottes mit den Ressourcen dieser Welt zu schaffen.
  • Evangelische Kirche entstand als Kirche des Wortes. Das Wort ist Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene. Er allein ist „wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels“. Er allein ist der Weg zu Gott. Er allein ist die Wahrheit, ohne die niemand Gott findet. Bei ihm allein gewinnt der Mensch das wahre ewige Leben auf Erden und im Himmel.
  • Auftrag der Kirche Christi ist es Stimme des Heiligen Geistes zu sein, der den sündigen Menschen beruft, erleuchtet, bekehrt und erneuert. Kirche soll der Raum sein, in dem der Heilige Geist sündige Menschen in befreite Kandidaten des geöffneten Himmels verwandelt. In der geistvollen Anbetung des dreieinen Gottes gewinnen sie die Kraft zum Dienst an der Welt in Christi Namen.
  • Luthers Zwei-Reiche-Konzept ist der bibelfundierte Orientierungsrahmen, der hilft, der zivilreligiösen Versuchung zu widerstehen. Hier lernt der Christ darauf zu achten, daß die Welt nicht vergöttlicht und Gott nicht verweltlicht wird. Beides vollzieht sich aber, wo biblischer Glaube sich in Zivilreligion verwandelt.

Statt Christi Evangelium von der Sündenvergebung zu predigen, statt Jesu Christi exklusives Heilsangebot („Niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich“) den Menschen zu verkünden, mißbrauchen weite Teile des Protestantismus die Kirche als Segenspender für den zivilreligiösen Moralapostolat.

Pastor Dr. Dieter Müller, Kiel

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 19. Dezember 2018 um 10:39 und abgelegt unter Kirche, Theologie.