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Heiligkeit und Heiligung des Namens Gottes

Heiligkeit und Heiligung des Namens Gottes
Wie wir Gott in seinem Wort begegnen

a) Die Taufe

Wenn wir nun bedenken, wie wir Gott in seinem Wort begegnen, dann müssen wir zuerst von der Taufe, von unserer Taufe, reden. Das ist vielleicht für manchen überraschend.Doch hier geht es nicht um irgendwelche Vorgänge außerhalb von uns, sondern um uns selbst. Das beginnt mit der prüfenden Frage: Kennst du deinen Tauftermin? Kennst das Wort, das dir vermutlich in der Taufe fürs Leben mitgegeben wurde? Weißt du, was du als Eltern, als Pate bei der Taufe versprochen hast, nämlich die christliche Erziehung im Hören auf das Wort Gottes, im Gebet, im Lebenswandel nach den Geboten Gottes? Wenn wir das bedenken, dann werden wir auch nicht mehr über die Heilige Schrift reden und diskutieren, sondern es geht ganz praktisch darum, daß wir als Kinder Gottes auf das Wort unseres himmlischen Vaters in Vertrauen und Gehorsam hören. Manche Probleme in unserem Leben erwachsen oft genug daraus, daß wir diesen Gehorsam verweigern. Dann heißt es z. B.: Ich habe keine Zeit. Doch im Klartext heißt das: Die Zeit, die doch von Gott geschaffen ist, ist der Gott, der mich beherrscht.

Die Taufe geschieht auf den Befehl und unter der Verheißung des auferstandenen Herrn: „Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Mt 28, 16-20)

Durch die Taufe auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes werden wir Kinder Gottes. Wir werden leiblich, nicht nur gedanklich, mit dem lebendigen Gott verbunden. Das hörbare Zeichen dafür ist die Gabe des Geistes der Kindschaft, die sich in dem Recht und der Freiheit äußert, daß wir Gott im Gebet als Vater unser im Namen des Sohnes Gottes anrufen dürfen: „Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. (Röm 8, 14-17; vgl. Gal 4, 5). Die aramäische Gebetsanrede „abba“ ist ausdrücklich in der Sprache Jesu beibehalten.

Die Anrede Gottes als Vater ist also nicht die Übertragung unserer Vater-Vorstellungen auf Gott, sondern Manifestation der durch die Taufe begründeten Gemeinschaft mit Gott. Das Verhältnis von Vater und Kind wird überhaupt erst von Gott her erkannt, wie der Apostel Paulus im Brief an die Epheser schreibt: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden (Eph 3, 14f).

So sind wir durch die Taufe Kinder Gottes. Wir sind Glieder am Leib Christi und so miteinander verbunden. Wir haben die Verheißung des ewigen Lebens durch Tod und Gericht hindurch. Denn so spricht der Herr: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ (Mk 16, 16).

So lehrt und mahnt daher auch der Apostel Paulus: „Oder wißt ihr nicht, daß alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, daß unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so daß wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden, und wissen, daß Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod kann hinfort über ihn nicht herrschen. Denn was er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben ein für allemal; was er aber lebt, das lebt er Gott. So auch ihr, haltet dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid und lebt Gott in Christus Jesus. So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet seinen Begierden keinen Gehorsam. Auch gebt nicht der Sünde eure Glieder hin als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch selbst Gott hin, als solche, die tot waren und nun lebendig sind, und eure Glieder Gott als Waffen der Gerechtigkeit.“ (Röm 6, 3-13)

Alle rechte Verkündigung richtet sich auf die Taufe, geht von ihr aus und führt zu ihr hin. Die Taufvergessenheit jedoch ist der größte, aber vermutlich am wenigsten beachtete geistliche Schaden im Leben der Kirche und im Leben von Christen. Denn es wird dann das geistliche Wesen der Kirche und die geistliche Wirklichkeit christlicher Existenz überhaupt nicht mehr erkannt. Man bleibt an rein äußerlichen, menschlichen Dingen und Erscheinungen hängen. Die Kirche ist dann nur noch eine gesellschaftliche oder kulturelle Größe. Hier wird der Heilige Geist in seinem Wirken nicht nur nicht erkannt; er wird geradezu verleugnet!

In der „Bibel in gerechter Sprache“ sind die Einsetzungsworte für die Taufe nach Mt 28 völlig entstellt, wenn man dort liest: „Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft“. Das zeigt, wie jedes Verständnis für Grund und Wirkung der Taufe fehlt. Es ist ein Ritus ohne Inhalt, ein Mittel, um eine bestimmte Ideologie zu verbreiten. Hier spricht nicht der auferstandene Herr zu seinen Jüngern, sondern ideologische Verblendung versucht sich einer gesellschaftspolitischen Bewegung anzupassen.

Ebenso steht es mit dem zweiten Einsetzungswort und Taufbefehl von Mk 16, 16, der kleingedruckt als spätere Einfügung ausgegeben wird.

Und schließlich wird in den Erläuterungen glatt behauptet: „daß ohne Taufe kein Heil bei Gott zu finden sei, ist ein Gedanke, der dem NT fremd ist, aber in einigen Handschriften später eingetragen wurde“(2335).

An diesem entscheidenden Punkt wird deutlich, daß hier jedes Verständnis für die reale Gemeinschaft von Gott und Mensch fehlt. Es wird alles reduziert auf eine menschliche Symbolhandlung in einem Verhältnis von Verstehen und Zustimmung. Das hat freilich dann auch zur Folge, daß der Glaube nicht als Neuschöpfung durch die Gabe des Geistes erkannt wird. Das wird an dem Vers 2 Kor 4, 6 deutlich, der in unserer Bibel lautet: „Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ In der Textbearbeitung von BigS liest man das so: „Denn Gott sprach: Licht soll aus der Dunkelheit aufstrahlen, und Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so daß wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen.“

Der Vergleich beider Texte zeigt, daß vom Glauben als Gabe und Wirkung des Geistes Gottes überhaupt nicht mehr zu reden ist. Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus ist dann nicht eine Neuschöpfung aus dem Nichts durch das befehlende Wort Gottes wie bei der Erschaffung des Lichts am Anfang, sondern es geht lediglich darum, Verstehen zu ermöglichen und Zustimmung zu gewinnen.

Allerdings ist auch hier festzustellen, daß es nicht um Irrtümer einzelner geht, sondern um eine tiefgreifende und weit verbreitete Taufvergessenheit in Kirche und Theologie. Das beginnt damit, daß die Einsetzungsworte nicht mehr als Worte des Herrn bei der Taufe, ebenso beim Abendmahl, anerkannt werden, sondern als „Gemeindebildung“, d.h. als Erfindung der Gemeinde. (1) Es zeigt sich weiterhin darin, daß in der Taufpraxis, allerdings auch in Taufagenden wie der Agende der VELKD, das auf Rettung und Gericht hinweisende Einsetzungswort von Mk 16, 16: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden,“ einfach ausgelassen wird, weil man den „Gerichtsgedanken“ mehr fürchtet als das angekündigte Gericht Gottes, aus dem die Taufe und der Glaube an das Evangelium von Jesus Christus rettet.

Die Taufvergessenheit zeigt sich aber weitverbreitet auch dort, wo beim Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes nicht mehr die geistliche Wirklichkeit der versammelten Gemeinde erkannt wird, die auf diesen Namen getauft ist oder zur Taufe geführt werden soll, sondern als Publikum, dessen Interesse man wecken und dessen Bedürfnisse man befriedigen will. Die Gemeinde wird dann menschlich-einfühlsam begrüßt, der Pfarrer als Veranstalter freut sich über die Anwesenheit oder ist enttäuscht über die Abwesenheit. Doch das ganze Heilshandeln Gottes in Wort und Sakrament durch die Kirche und am Menschen wird auf diese Weise zu einem bloßen Kommunikationsproblem oder Theater.

Wenn wir aber nun von der Taufe als Grundlage für die Erbauung der Kirche als Leib Christi und für die geistliche Existenz eines Christen ausgehen, dann werden wir bei unserer Begegnung mit Gott nun fragen und vor allem prüfen müssen, wie wir aus der Taufe leben, wie wir täglich neu zur Taufe zurückgeführt werden und wie wir auf diese Weise im Geist wachsen, um durch unseren Tod zur Auferstehung und zum ewigen Leben durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus und durch das Bekenntnis zu ihm durch das Gericht hindurch zur Schau der Herrlichkeit Gottes geführt und getragen werden.

Wenn wir davon ausgehen und darauf vertrauen, daß wir durch die Taufe mit Gott verbunden sind und daß uns Gott in seinem Wort begegnet, dann kann es für uns keinen Grund und keinen Weg geben, Gott und sein Wort zu verteidigen. Es hat auch keinen Sinn, daß wir uns um Auslegungsmethoden streiten und eine gegen die andere setzen, etwa historisch-kritisch oder biblisch-theologisch oder dergleichen. Abgesehen davon, daß solche Kontroversen meist sehr bald in hilflosen Emotionen stecken bleiben, zeigt sich aber dabei auch, daß wir auf die Wirkung Gottes in seinem Wort nicht vertrauen.

Die Gabe und Wirkung der Taufe aber ist, daß „Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt“ (Eph, 3, 17), daß „wir wiedergeboren sind zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1 Petr 1, 3; Eph 5, 26; Ti 3, 5; Joh 3, 3 ff). Und so kann der Apostel Paulus bekennen und bezeugen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben“ (Gal 2, 20) und Phil 1, 21: „Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“.

So halten wir fest: Beim Glauben geht es nicht einfach darum, Texte vergangener Zeiten für unsere Zeit verständlich zu machen. Vielmehr geht es darum, daß Gott durch sein Wort Menschen ruft, erleuchtet und sie erneuert, indem er den Glauben an Jesus Christus schenkt.

b) Geist und Buchstabe – Gesetz und Evangelium

Das Wort „Inspiration“, zumal „Verbalinspiration“ wird vielfach, wie das Karl Barth einmal gesagt hat, als „Kinderschreck“ empfunden. Das liegt aber nur daran, daß man nicht weiß, vielleicht auch nicht wissen will, um was es dabei geht. Es geht einfach und klar darum, daß die Heiligen Schriften durch die Wirkung des Heiligen Geistes entstanden sind, daß sie durch diesen Geist bewahrt, gesammelt und verbreitet sind und daß sie schließlich in aller Welt und auch bei uns gegenwärtig und wirksam sind. Kurz: Der Heilige Geist des Dreieinigen Gottes handelt in diesen Schriften und durch sie.

Doch für die Begegnung mit Gott in seinem Wort müssen uns die Augen durch diesen Heiligen Geist geöffnet werden. Dann stehen wir vor dem Wunder, daß die Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments in einer menschlich gesehen höchst wechselvollen Geschichte entstanden sind, daß sie bewahrt wurden, daß sie immer wieder und bis heute in viele Sprachen übersetzt wurden, daß sie kunstvoll ausgeschmückt und verziert wurden, daß viele eifrige Schreiber sie kopiert haben, daß viele Gelehrte mit großer Mühe und Sorgfalt sie übersetzt und ausgelegt haben. Diese Schriften haben die Sprachen vieler Völker bereichert. Sie haben ihren Niederschlag in Bildern, in Dichtung und Kirchenmusik gefunden (man denke nur bei seinem 400. Geburtstag am 12. März 2007 an Paul Gerhardt). Daß von den Heiligen Schriften Ethik und Recht, also was man unter der Bezeichnung „Werte“ zusammenfaßt, geprägt sind, wird leicht übersehen. Die Menschenrechte mit der Gewissens- und Glaubensfreiheit sind keineswegs, wie es oft heißt, eine Errungenschaft der Aufklärung, sondern sie erwachsen aus der Tatsache, daß in christlichen Verständnis Glaube als Gabe des Geistes nicht erzwungen oder befohlen, sondern immer nur erbeten und geschenkt werden kann. Dies bezeugt der Apostel Paulus von seiner Predigt und ihrer Wirkung in der Gemeinde von Korinth: „…und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (2 Kor 2, 4f).

Wir begegnen aber Gott dadurch, daß er in seinem Wort gegenwärtig ist und handelt. Das sind nicht Texte vergangener Zeiten, sondern die Heilige Schrift und die Verkündigung des Wortes Gottes geschieht auch in unserer Zeit.

Wie das geschieht, wird uns auf verschiedene Weise durch Gottes Wort gezeigt:

Zum einen geht es um die zweifache Wirkung von Geist und Buchstabe, von Gesetz und Evangelium. Der Apostel Paulus erklärt das seiner Gemeinde so (2 Kor 3, 2-6), indem er sagt: „Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen! Ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen. Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott. Nicht daß wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“.

Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu Christi verkündigt wird und daß dadurch Menschen zum Glauben an Jesus Christus kommen. Damit wird die Erfüllung der Verheißung aus dem Alten Bund im Neuen Bund erkannt: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ (Jer 31, 31 ff; vgl. Ez 11, 19; 36, 26).

Dieser neue Bund, der an die Stelle des durch menschlichen Ungehorsam gebrochenen alten Bundes tritt, besteht in einer Erneuerung der Herzen, in die Gottes Gebote eingeschrieben werden.

Der Buchstabe auf den Tafeln des Gesetzes tötet. Denn das Gesetz klagt uns an, wenn es sagt: „Du sollst nicht…“ Solche Verbote sind immer dann notwendig, weil die Neigung in uns besteht, sie zu übertreten. Gottes Nein warnt und schützt.

Das gilt seit Anfang der Menschheit und wiederholt sich auch wohl bei jedem Menschen, als Gott dem Menschen sagte: „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm issest, mußt du des Todes sterben“ (Gen 2, 16f). „Du darfst…“ das ist Evangelium, frohe Botschaft. „Du sollst nicht…“ Das ist Gesetz, also ein Verbot, eine Warnung zum Schutz des Lebens.

Was aber macht die Schlange daraus? Sie problematisiert, ja sie verdreht sogar das klare Wort Gottes: „Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Damit verdreht sie das Evangelium, das die Früchte von allen Bäumen zu essen erlaubt, in ein Verbot.

Eva stellt nicht nur den Urtext wieder her: „Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten“; sie verschärft sogar das Verbot: „…aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet!“

Daraufhin verdreht die Schlange das Verbot mit der Warnung vor dem Tod in eine Verheißung, in das Evangelium, indem sie zu Eva sagt: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (Gen 3, 1-5).

In dieser Geschichte vom Sündenfall, in der eigenartiger Weise das Wort Sünde überhaupt nicht vorkommt, wird uns unser menschheitliches Verhältnis zu Gott aufgedeckt. Die skeptische Frage „Sollte Gott gesagt haben…?“ ist der Anfang kritischer Exegese und der Situationsethik; es wird gefragt, ob das Gebot Gottes in unsere Zeit paßt. Die Vertauschung von Gesetz und Evangelium aber besteht darin, daß der Mensch selbst zu wissen und zu bestimmen meint, was für ihn gut und böse, recht und nützlich ist. Diese ethische Unterscheidung von Gut und Böse ist also nicht die besondere Fähigkeit menschlicher Vernunft, sondern die sichtbare Folge des Sündenfalls, d.h. der zerbrochenen Vertrauensbeziehung zwischen Gott und Mensch.

Was hier am Anfang der Menschheitsgeschichte geschieht, wiederholt sich immer wieder, zuerst in unserem Gewissen, dann aber auch in Theologie und Kirche: „Sollte Gott gesagt haben…“ Damit richten wir über das Wort Gottes und setzen uns an die Stelle Gottes.

Genau darauf aber richtet sich die im Neuen Bund durch Jesus Christus erfüllte Verheißung des Alten Bundes: „Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn“ (Röm 6, 23). Nach dem Gesetz sind wir dem Gericht Gottes verfallen; durch das Evangelium, die frohe Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu Christi für uns, werden wir zu neuen Menschen, die durch den Glauben an Jesus Christus und die Gemeinschaft mit ihm aus dem Gericht gerettet werden.

c) „ Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen
und aus ungefärbtem Glauben“

Hören wir dazu, was der Apostel Paulus seinem Schüler Timotheus (1 Tim 1, 5ff) schreibt: „Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben. Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnützem Geschwätz, wollen die Schrift meistern und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten. Wir wissen aber, daß das Gesetz gut ist, wenn es jemand recht gebraucht, weil er weiß, daß dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, sondern den Ungerechten und Ungehorsamen, den Gottlosen und Sündern, den Unheiligen und Ungeistlichen, den Vatermördern und Muttermördern, den Totschlägern, den Unzüchtigen, den Knabenschändern, den Menschenhändlern, den Lügnern, den Meineidigen und wenn noch etwas anderes der heilsamen Lehre zuwider ist, nach dem Evangelium von der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut ist.“

Herz, Gewissen und Glaube sind hier gleichbedeutend. Damit wird alles umfasst, was einen Menschen physisch und psychisch in seinem Fühlen, Denken und Handeln ausmacht. Dies aber betrifft das Verhältnis zu Gott, und zwar genau so, wie es durch das Wort der Heiligen Schrift begründet und uns aufgedeckt wird. Das erinnert uns sogleich an das erste Gebot nach der ersten Hälfte des Doppelgebots, wo es Dtn 6, 4-7 (vgl. Mt 22, 37-40) heißt: „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.“

Nicht nur beiläufig, sondern ausdrücklich greife ich hier auf, was in der Heiligen Schrift immer wieder von den Kindern und Kindeskindern gesagt wird. Sie sollen unterwiesen werden in Gottes Wort. Wie aber wird Gottes Wort ins Herz gegeben, wie das für den Neuen, erneuerten Bund geschieht? Das heißt ganz schlicht und eindeutig: auswendig lernen (by heart, par cœur). Wenn es dagegen immer wieder heißt: Das geht – heute – nicht mehr, so ist das einfach ein Zeichen für Nachlässigkeit, wodurch genau das versäumt wird, was einen Menschen in seinem Herz, Gewissen und Glauben im Leben und im Sterben trägt und leitet. Ich will hier nicht darauf eingehen, was bei uns im Konfirmanden- und im durch die Verfassung garantierten Religionsunterricht geschieht, wenn Bibelworte, Katechismus und Gesangbuchlieder nicht mehr auswendig gelernt werden, sondern alles nur problematisiert („problemorientiert“) wird. Weder Naturwissenschaften noch Sprachen können gelernt werden, wenn man nicht Regeln und Vokabeln auswendig kann. Der Glaube stirbt ab, ja er wird sogar getötet, wenn Herz und Gewissen ohne Inhalt bleiben. Dies aber hat ganz praktische und vor allem schädliche Konsequenzen für menschliches Leben und Zusammenleben.

Herz, Seele, Kraft, im Neuen Testament wird dafür ausdrücklich auch das Denken (dianoia) erwähnt – alles gehört zur Gemeinschaft mit Gott. Glaube betrifft also nicht einen Teilbereich des Menschen, sondern den ganzen Menschen in allem, was er ist, was er denkt, was er tut. Dies aber betrifft alle Menschen ohne Unterschied mit dem, was im Gewissen des Menschen vorgeht in Anklage und Verteidigung, wie der Apostel Paulus das beschreibt: „Denn wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun, was das Gesetz fordert, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie beweisen damit, daß in ihr Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert, zumal ihr Gewissen es ihnen bezeugt, dazu auch die Gedanken, die einander anklagen oder auch entschuldigen an dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Christus Jesus richten wird, wie es mein Evangelium bezeugt“ (Röm 2, 14-16).

Was sich in unserem Gewissen abspielt, ist also bezogen auf das Gericht über Lebende und Tote, auf das wir und alle Menschen zugehen.

Wenn wir nun bedenken, was wir selbst sind, dann müssen wir verstehen, wie uns überhaupt erst durch das Wort Gottes der Heiligen Schrift aufgedeckt wird, wer wir sind und was wir sind. Manche meinen ja, daß dies nur durch die Psychoanalyse geschehen könne, und dann tritt oft genug der Psychologe mit dem Menschenbild der jeweiligen Schule als Berater an die Stelle des Seelsorgers, der, wenn es recht geschieht, mit Wort und Sakrament im Auftrag und in der Vollmacht Gottes tätig sein sollte. Er hat es mit Getauften zu tun oder auch mit solchen, die auf dem Weg zur Taufe sind. Es geht dann in der Seelsorge nicht um Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung, sondern um Selbstverleugnung im Fleisch der Sünde und Erneuerung durch das Leben im Geist Gottes (Röm 7).

Das Wort Gottes öffnet uns die Augen für die Realität der Menschheit und für unser Selbst. Es zeigt uns, daß jeder Mensch, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Rasse, seines Entwicklungsstandes und seiner Fähigkeiten von Gott zu seinem Bild und Gleichnis (Gen 1, 26 f) geschaffen wurde. Es zeigt uns auch, wie dieser Mensch von Gott abgefallen ist, weil er selbst wie Gott sein wollte. Dadurch geriet er unter die Herrschaft des Bösen, und der Tod ist für alle und jeden Menschen das sichtbare, empirische Zeichen für die aus der Abwendung von Gott erwachsende Strafe. Das Wort Gottes zeigt uns aber dann auch, wie Gott seinen eingeborenen Sohn für die Sünde der Welt als Mensch wie wir gesandt hat, der uns durch sein Leiden und Sterben und durch seine Auferstehung von dieser Herrschaft von Sünde, Teufel und Tod befreit. Das ist in Kürze das Bekenntnis unseres christlichen Glaubens.

„…niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den heiligen Geist“ (1 Kor 12, 3). Daraus erkennen wir, daß dieses Bekenntnis nicht einfach in Worten besteht, die rezitiert werden. Denn wie das Bekenntnis durch den Heiligen Geist gewirkt ist und daher auch Kriterium für diesen Geist ist, so verstehen wir auch, was wir sind und was in uns geschieht, nur durch den Heiligen Geist im Wort der Heiligen Schrift. Es geht also nicht darum, daß wir Gott und sein Wort verstehen im Rahmen, aber auch in den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens, unserer eigenen Gefühle, Bedürfnisse oder Hoffnungen.

Gott wirkt durch Wort und Sakrament in uns. Das wird aber dann übersehen, verdrängt, aber dann auch durch andere Mittel und Methoden ersetzt, wenn das Wort nur als Texte vergangener Zeiten und die Sakramente nur als Riten zur Begleitung und Verzierung der Wechselfälle des Lebens gesehen werden.

Zumal für die Seelsorge muß man wissen, wie Gottes Wort wirkt, auch wenn man nicht wissen kann, auch nicht erforschen soll, wie das im Herzen eines Menschen aussieht und was darin vorgeht. Der Prediger kommt, wie Luther einmal gesagt hat, nur bis zum Ohr; was im Herzen geschieht, ist Gottes Sache. (2) „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“ (1 Sam 16, 7). Jeder weiß, welche Täuschungen es im Verhältnis von Innerem und Äußerem des Menschen gibt, indem Menschen einander täuschen, sich über andere täuschen und enttäuscht werden. Daß Gott in das Herz sieht, daß er „Herz und Nieren prüft“, „die Herzen erforscht und kennt (Ps 7, 10; Jer 11, 20 u.ö.), daß er ein „Herzenskenner“ ist (Apg 1, 24; 15, 8), macht uns deutlich, daß vor ihm nichts verborgen bleibt, weil er alles sieht und weiß, daß er uns daher auch besser kennt, als wir uns selbst und andere kennen. Jeder Seelsorger sollte wissen, ein schlechtes Gewissen ist ein gutes Gewissen, wenn Gott mit seinem Wort fragt: „Adam, wo bist du…?

Die Heilige Schrift ist voll mit solchen Hinweisen zu einer Psychoanalyse aus dem Wort Gottes. Doch wenn sie nicht als Wort Gottes erkannt und anerkannt wird, dann kann das nur bedeuten, daß der Mensch Adam vor Gott flieht und versucht, sich vor ihm zu verstecken. Doch irgendwann wird ihn unweigerlich Gottes suchende Frage treffen: „Adam, wo bist du?“

Was uns so durch Gottes Wort in uns aufgedeckt wird, führt uns ins Gebet, wozu die Psalmen reichhaltige Anleitung bieten, indem wir von Gottes Wort angeleitet werden, mit Gott zu reden, wie z. B. in Psalm 51, 11-14:

„Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.“

Was wir hier über reines Herz, gutes Gewissen und ungefärbten Glauben gesagt haben, ist nicht mehr als ein Hinweis darauf, wie Gott durch Wort und Sakrament in uns wirkt. Das ist nicht nur eine äußere Zustimmung zu irgendwelchen Traditionselementen einer fremden Vergangenheit. Das ist vielmehr die lebendige, neuschaffende Wirkung Gottes in uns. Durch die Taufe sind wir Heilige; so werden auf Grund der Taufe in den neutestamentlichen Briefen die Glieder der Gemeinde angeredet, gerade auch wo sich in ihrem Leben der Widerspruch zu dem zeigt, was sie durch die Taufe sind.

Wer seine Bibel, sein Gesangbuch, seinen Katechismus kennt, dazu vor allem auch die reichen Schätze in Kirchengesang und Kirchenmusik, der wird sicher auch spüren, wie armselig wir in Theologie und Kirche geworden sind, wenn sich alles nur um die Frage dreht, wie man alte Texte heute verstehen und verständlich machen kann, wie man Menschen interessiert, gewinnt und festhält.

Nein, wir haben es nicht mit einer säkularisierten Neuzeit nach der Aufklärung oder einer Postmoderne zu tun. Wir haben es vielmehr mit dem Menschen zu tun, der von Gott zu seinem Bild und Gleichnis geschaffen ist, der sich von seinem Gott und seinem Gebot abgewandt hat, um selbst zu sein wie Gott.

Doch Gott ruft und sammelt sein Volk aus allen Völkern der Welt, das er sich vor Erschaffung der Welt in Jesus Christus erwählt hat. (Eph 1, 3-10).

So lasst uns schließen und einstimmen in den Lobpreis von Gottes geheimem Ratschluß, der in Jesus Christus offenbart wird nach Röm 11, 31-36:

32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!

34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?«

35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß Gott es ihm vergelten müsste?«

36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Anmerkungen

1 Ein Beispiel neben vielen anderen dafür sind die „Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen“ („Lima-Texte“) zu „Taufe, Eucharistie und Amt“ von 1982. Statt „Einsetzung durch Christus“ heißt es hier: „die christliche Taufe ist im Wirken Jesu von Nazaret, in seinem Tod und seiner Auferstehung verwurzelt…“

2 Martin Luther, Invocavitpredigten 1521: „Ich kann nicht weiter kommen als bis zu den Ohren; ins Herz kann ich nicht kommen, weil ich den Glauben nichts ins Herz gießen kann. So kann und soll ich auch niemand dazu zwingen noch dringen, weil Gott das alleine tut und macht, daß er im Herzen lebt. Darum soll man das Wort frei lassen und nicht unser Werk dazu tun. Denn wir haben wohl das Recht der Wortverkündigung ( jus verbi), verfügen aber nicht über die Wirkung ( executionem).Das Wort sollen wir wohl predigen, doch die Folge soll allein in Gottes Gefallen sein“ (WA X/III, 15).

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D.D.
Spardorfer Strasse 47
D-91054 Erlangen