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Warum lässt Gott das zu? – Mit Leid leben

Leiden gehört zu dieser Weltzeit, ist Teil der menschlichen Existenz – auch heute. Jeder kann dies ganz persönlich in einer unheimlichen Tiefe erleben. Jede Generation hat daran Anteil, zu jeder Zeit. Ob es uns passt oder nicht: Gott lässt Leid zu. Es mag viele Fragen auslösen, aber es ist wahr. Jeder Mensch – ob Christ, Atheist oder religiös – muss es wissen. Auch wir Christen sind dem Leiden nicht entnommen. Für uns bleibt sogar mehr als für alle andern dieser dem Tod verfallene Leib eine besondere Not, die oft genug auch unseren Glauben hart anficht. Darum tragen wir schwer an persönlichen Niederlagen, am Kampf mit der Sünde und Versuchungen, aber auch an Krankheit und Schwachheit.

Wie in keinem anderen Buch der Weltliteratur drückt die Bibel am ergreifendsten die unheimlichen Tiefen des Leidens aus bis hin zu den Schrecken der Angst und Schwermut1. Das macht die Bibel, Gottes Wort, durch die Jahrhunderte hin für Menschen aller Nationen, Rassen und Kulturen und Traditionen so anziehend und aktuell, eben wahr.

Was überrascht, ist, dass ausgerechnet in der westlichen Christenheit – besonders in Deutschland – Leiden der blinde Fleck ist. Ein großes Manko. Darauf hat Ajith Fernando, der Leiter von Jugend für Christus in Colombo, Sri Lanka, mitten in seinen großen Bedrängnissen durch eine buddhistische Christenverfolgung hingewiesen. Er schreibt: „Das gute Leben, Komfort, Bequemlichkeit und ein schmerzfreies Leben sind so – für die Christen im Westen – zur Notwendigkeit geworden, dass die Menschen das als Grundrecht ansehen. Wenn sie diese Dinge nicht haben, meinen sie, es wäre etwas schiefgelaufen.“ Darin sieht Ajith Fernando eine große Einschränkung des geistlichen Wachstums.2

Ohne Leiden aber gibt es nach dem Neuen Testament keinen Dienst am Reich Gottes. Ohne dass man in der Gemeinde zusammen mit schwer geschlagenen Menschen das Leiden aushält, bekommt das Zeugnis des Evangeliums keine Glaubwürdigkeit, gibt es auch keine Frucht und auch kein Gemeindewachstum. Schließlich wird man ohne Schmerzen, Herzeleid und Ärger keine neue Freude an Jesus finden, der nie enttäuscht.

Viele Christen im Westen leben ihr gutes Leben mit einer Rundum-Sorglos-Versicherung unangefochten. Ihre Probleme werden von Heilern weggebetet oder von Therapeuten und Trainern weitgehend weggecoacht. Kein Wunder, wenn viele dem Leiden entfremdet sind. So bleibt Leiden ein ärgerliches Rätsel, völlig unverständlich. Lust und Genuss wird als das Wichtigste im Leben empfunden. Gutes Essen, Wohlstand, Bequemlichkeit und Komfort, Wellness, Gesundheit, zumindest Schmerzfreiheit gilt oft als das höchste Ziel im Christenleben. Für Christus zu leiden bleibt ausgeklammert.

Deshalb fordert Paulus seinen jungen Mitarbeiter Timotheus auf: Leide mit mir für das Evangelium! (2.Timotheus 1,8) Calvin bemerkt dazu: Je verhasster die Lehre des Evangeliums in der Welt ist, desto tapferer muss er sich dazu durchkämpfen, es freimütig zu bekennen. Er soll sich darauf vorbereiten, die Schläge zu ertragen, die mit dem Evangelium nun einmal verbunden sind. Wer nämlich vor dem Kreuz erschrickt und flieht, wird sich immer des Evangeliums schämen3.

Jeder von uns ist auch ganz persönlich betroffen. Auf der Krebsstation einer Kinderklinik. Oder eine befreundete Familie, Mitarbeiter der SMD: Kurz vor der Ausreise als landwirtschaftliche Missionare nach Mosambik wird das Baby mit schwerem Herzfehler geboren. Monatelang auf der Intensivstation in großer Dunkelheit und ungewissem Ausgang.

Ein Vater wandert mit seinem 16jährigen Sohn in den Alpen. Da stürzt der Sohn in eine Gletscherspalte. Stundenlang hören die Retter das Rufen, aber er stürzt immer tiefer. Und als er schließlich geborgen wird, ist der Sohn im kalten Eis erfroren. „Schaut doch und seht, ob irgendein Schmerz sei wie mein Schmerz, der mich betroffen hat“ (Klagelieder 1,12).

1. Es geht ein tiefer Riss durch diese Welt

Die wunderbar herrliche Schöpfungswelt, in der wir leben, ist zwiespältig und hat eben auch eine unheimlich finstere Nachtseite. Da sind Schmarotzer, Viren, Bakterien, qualvolles Sterben, Kampf aller gegen alle. Immer neue und gefährlichere Krankheiten und Seuchen. Unheimlich wütet der Tod. Aber auch Erdbeben, Vulkane und Unwetterkatastrophen. Dazu kommen vom Menschen gemachte schreckliche Kriege, Unterdrückung, Ausbeutung, Korruption. Lüge und Gewalt. Egoismus und Habsucht.

Wie kann man überhaupt mit Leid leben? Das ist die wesentliche Frage. Tatsächlich wird niemand damit fertig. Im Gegenteil, das Leiden macht uns fertig.

Ins Krankenhaus zu einem 77jährigen mit schwerem Krebs gerufen. Seine Anklage: Nie beim Discounter Obst oder Gemüse gekauft. Immer im eigenen Garten. Nie krank. Und jetzt. Wenn es Ihren Gott gibt, mit dem will ich mal reden, was der sich erlaubt.

Wer versteht das nicht? Bei jedem Menschen bricht der Schrei durch: Gott, wie kannst du das zulassen? Doch dies ist weder weise noch weiterführend. Die in diesem Schrei enthaltene Anklage muss verstummen, weil wir den ewigen Gott nicht vor unser Gericht ziehen können. Im Leid wird unsere totale Ohnmacht bewusst. Wir sind nur Staub. Der Weg zu Gott ist versperrt. Die Macht des Bösen wütet in der Welt. Auch Jesus hat ausdrücklich bestätigt, dass die ganze Welt im Einfluss- und Machtbereich Satans liegt. Er ist der Fürst der Welt (Joh 12,31; 14,30; 16,11). Auch in der Versuchungsgeschichte wird uns gezeigt, wie alle Weltreiche in der Hand des Herrschers der Finsternis liegen. Satan hat Macht, sie zu geben, wem er will (Mat. 4,1-11).

Gefährlich, dass wir uns überheben. Keine Antwort, wenn ich Gott anklage. Was ist das für ein lächerlicher Gott, den ich anklagen und vor mein Gericht zerren kann? Völlig den lebendigen Gott aus den Augen verloren. Das ist furchtbar, dass Gott schweigen kann. In all den schrecklichen Geschehnissen ist am schlimmsten, dass Gott kein Wort für uns hat. Darüber erschrecken. Alle reden von Gott, aber finden ihn nicht mehr. Schlimmster Satz in der Bibel: Gott hat diese Welt dahingegeben in ihre Gottlosigkeit. Unreinheit der Herzen. In Leidenschaften und Begierden. Nichtige Gedanken, verfinstertes Gewissen (Römer 1).

Das Leid wird aber durch das Evangelium zu einem Anruf Gottes, der uns zu sich ziehen will. Paulus erlebte in Asien eine solch tiefe Bedrängnis, in der er mit seinem nahen Tod rechnete. Bis er begriff, dass alles Leid nur zu einem neuen Vertrauen auf Gottes Rettungskraft führen sollte (2.Kor.1,8). In der Nichtigkeit und Leere dieser Welt muss man wach werden und mit Gottes Gnade und Erbarmen rechnen. So sehr hat Gott diese Welt geliebt… (Joh 3,16). Das ganze irdische Leben wird im Glaubensbekenntnis umschrieben: gelitten. Und es erbarmte Jesus. In der tiefsten Verlassenheit des Leidens am Kreuz hat Jesus die Vaterhand Gottes erfasst: In deine Hände befehle ich meinen Geist! So wie es einst schon Jeremia in seinen Klageliedern betete: „Ich rief aber unten in der Grube deinen Namen an, Herr, und du erhörtest meine Stimme. Du nahtest dich zu mir, als ich dich anrief, und sprachst: Fürchte dich nicht!“ (3,55 ff.) Und darum gilt für alle vom heftigen Leid geprüften Menschen: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jesaja 43,1)

2. Die Passionsgemeinschaft mit Jesus

Im Morgenglanz der Ewigkeit fügt der Glaube sich in die Passionsgemeinschaft mit Jesus. Wegen Christus! Das allein macht mutig, sich im Glauben der Realität dieser Welt zu stellen. Christen sehen die Not der gefallenen Schöpfung realistischer als manche Weltverbesserer. Nüchtern, ohne idealistische oder ideologische Verbrämung, können sie um Christus willen das Leiden dieser aus vielen Wunden blutenden Schöpfung tragen. Sie sehen sie nicht mehr als eine Wirklichkeit. Material für die neue Schöpfung von Jesus.

Es ist der auf Jesus vertrauende Gehorsam – das ist Glauben, der auf die Verheißung von Jesus hin lebt, kann diese Spannung aushalten. Er stellt sich den Tränen, dem Leiden, der Einsamkeit, der Ungerechtigkeit, dem Hass dieser Welt und richtet in Geduld den Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde, in der Gerechtigkeit wohnt. Das macht nicht untätig, sondern eröffnet eine Vielzahl neuer Energien schon heute. Das aber ist das Martyrium um Christus willen, das die Herausforderungen der heutigen Welt geduldig erträgt.

Die Kraft zum Aushalten dieser Spannung hat der Glaubende vom Ostersieg von Jesus her. Gott hat schon sein neues Schöpfungswort „Es werde!“ in diese Welt des Todes gerufen. Und der auferstandene Jesus hat es fest versprochen: Ich mache alles neu! (Offenbarung 21,5) Die Welt darf nicht mehr bleiben, wie sie ist. Und selbst wenn ich heute diese Welt im Leiden als Bedrohung meines Lebens erfahre, so weiß ich doch gewiss, dass diese Bedrohung vergänglich und zeitbedingt ist. Und ich weiß ebenso zuverlässig, dass die neue Schöpfung durch Jesus Christus kommt.

Das neue Leben des Glaubens erlebt die Todesmacht noch als Anfechtung des letzten Feindes, der überwunden wird. Der Sieg von Jesus hat die Todesruhe dieser sterbenden Schöpfung durchbrochen. Daher der Kampf.

Wir hören immer häufiger, wie selbst die Androhung der Todesstrafe in Islamländern Muslime nicht zurückhält, sich zu Christus zu bekennen: Es ist ein Geheimnis Gottes, dass in dem Maße, wie der Druck auf christliche Minderheiten zunimmt, es auch in den letzten Jahren vermehrt Menschen gab, die vom Evangelium angesprochen, den beschwerlichen Weg der Nachfolge von Jesus Christus auf sich nahmen. Ich kenne eine Reihe bemerkenswerter Persönlichkeiten, die sich trotz lebensbedrohender Entwicklungen in ihrem Umfeld nicht abschrecken ließen, Jesus Christus als ihren Herrn und Heiland zu bekennen.4

Der Geborgenheit des Glaubens in Christus steht die Unsicherheit der äußeren Lebensumstände gegenüber. Jeden Tag widerspricht dieses notvolle Erleben den Verheißungen des Glaubens. Wie können dann Glaubende Schmähungen und Bedrückungen von Seiten anderer Menschen so willig ertragen?

Sie kennen die Zusammenhänge: Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. (1. Petrus 4,14).

In der chinesischen Kulturrevolution nach 1966 ließ Mao Tse Tung alle christlichen Kirchen schließen, viele verwüsten und zerstören, alle Bibeln, die man finden konnte, verbrennen. Unzählige Christen wurden umgebracht oder über 20 Jahre in Straflager verbannt. Aus diesen dunklen Tagen erzählt Liu Yambo, damals einer der Leiter der Roten Garden, wie sie überall im Land Christen jagten und öffentlich anklagten. Auch einen alten Prediger hatten sie aufgespürt. Liu Yambo formulierte die Anklage und befahl dann den Rotgardisten, auf den alten Mann einzuschlagen. Je mehr sie schlugen, desto mehr betete er: Vater vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Liu Yambo erzählt, wie dieses Gebet in Erfüllung ging und er sich selbst 1978 bekehrte und eine heimliche christliche Hausversammlung ins Leben rief. Daraus erwuchsen in kürzester Zeit 70 Hausversammlungen in fünf Ortschaften mit schließlich über 3000 Gläubigen. Gleichzeitig begann er mit Bibelkursen, aus denen dann 40 Gemeinde-Bibelschulen erwachsen sind.5

Wegen Christus!

Christen starren nicht mehr auf die Schikanen und den Tod. Ihnen ist der Blick auf das unzerstörbare Leben geöffnet. Noch im Sterben freuen wir uns des Sieges Jesu. Was vergehen will, soll vergehen. Geben wir es dahin! Die Welt ist von Jesus schon überwunden. Und er trägt auch uns hindurch. Darum können sie andere trösten, weil sie selbst in ihrem Leid reichlich getröstet werden durch Christus. (2.Korinther 1,5)

Johann Christoph Blumhardt d. Ä. schenkte uns ein Lied, das er auf dem Heimweg von einem Missionsfest 1844 dichtete. Er stand unter dem Eindruck der schweren Kämpfe und Leiden bei der Ausbreitung des Reiches Gottes in Übersee und er sehnte sich nach der Erlösung der Welt von allem Bösen durch Jesus Christus:

Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht. Auch wenn die Finsternis im Trotzen wütend schnaubt.

3. Ausgerechnet das Leiden als Quelle der Freude

Freut euch, wenn ihr mit Christus leidet! Eindeutiger kann man es nicht formulieren, als es der von schweren Krankheiten, Enttäuschungen, Mühen und Verhaftungen heimgesuchte Missionsapostel Paulus tat. Immer hat er in seinen Briefen ausgerechnet das ärgerliche Leiden mit Freude verknüpft: Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde. (Kolosser 1,24)

Nicht als ob man sich zum Leiden drängen sollte! Wenn aber der schwere Kelch des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, vor uns steht, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.6

Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich. (2. Korinther 6,10) Es ist eine anhaltende Freude in dem Herrn, die nur deshalb möglich ist, weil Jesus seine Leute dazu ermächtigt. (Philipper 4, 4 und 13) Weil das Evangelium Leiden mit Freude verbindet, darum werden bedrängte Christen auch im Leiden nicht müde. Ihr Leib kann von Schmerzen gequält, sie mögen der Willkür fanatisch hassender Menschen ausgesetzt sein, nirgendwo zeichnet sich eine Erleichterung ab, und doch wird es plötzlich ganz hell in der unheimlichen Dunkelheit bedrückter Christen, dort, wo man erkennt: Das alles geschieht wegen Christus.

Das entdecken Christen, wenn sie krank sind, Misserfolg haben, Gemeinden durch schwere Krisen gehen, sie persönlich am Ende mit ihrer Kraft sind. Allein dies ist Grund zur Freude, dass im Leiden der bedrängten Christen immer mehr das neue Leben von Christus sichtbar wird: Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben von Jesus an unserm Leibe, damit auch das Leben von Jesus an unserm Leibe offenbar werde. (2.Korinther 4,8-10)

Wegen Christus!

Sie bleiben dann nicht an dem stehen, was sie verloren haben. Sie begreifen vielmehr, dass das alles ihnen weggenommen werden musste – wegen Christus! Er will umso größer offenbar werden an seiner bedrängten Gemeinde. Es darf alles in ihrem Leben zu Scherben geschlagen werden. Nichts ist davon ausgenommen.

Das war das große Ziel, das Paulus beschreibt: Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tod gleich gestaltet werden. (Philipper 3,10)

Das meint Paulus mit dem Hinweis auf Jesus Christus: „Um seinetwillen werden wir wie Schlachtschafe angesehen“ (Römer 8,36). Und: Mitten im Leben werden wir immerfort in den Tod gegeben um Jesus willen. Aber wir bleiben nicht an den Trümmern unseres Lebens stehen. Gott ist kein Kaputtmacher. Er will, dass auch das Leben von Jesus an unserem sterblichen Fleisch offenbar werde (2. Korinther 4,11).

Das Leben wird jetzt im unheimlichen Prozess des Sterbens entdeckt. Und ausgerechnet im Leiden wird der Sieg über das Leiden gefunden. Darin liegt der Schlüssel: Wegen Christus! Das macht das kurze irdische Leben ganz weit.

„Ewigkeit in die Zeit leuchte hell hinein, dass uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine. Selge Ewigkeit.“7

Es wird alles auf dem Hintergrund der Ewigkeit gemessen. Und es sind die Tränen, die Schmerzen, die Angst – eben wegen Christus -, die jene weitgespannte Hoffnung hervorbringen, die jede irdische Hoffnung weit hinter sich lässt.

Oder mit den Worten des Paulus: Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ (2. Korinther 4,17 f.)

Deshalb müssen Glaubende – um Christus willen — anders von ihrem Leben sprechen. Sie können nicht beim Unrecht stehenbleiben. Sie dürfen sich nicht in ihren zerbrochenen Hoffnungen begraben, im Schmerz und im erlittenen Unrecht untergehen. Ihr Denken muss auf Jesus hin ausgerichtet sein, der alles neu machen will. Die Enge ihres wunden Lebens, die Mauern von Hass und Bitterkeit, wurden durchbrochen. Die durch Jesus neu geschenkte Weite muss gefunden werden. Da gibt es wohl viel Not unter den Christen, Leiden, Einsamkeit, Bedrückung. Trotzdem singen diese Menschen jubelnd das Lied von der großen Freude mitten in der unheimlichen Nacht (Apostelgeschichte 16,25) Mitten im Kampf singen sie ihre Lieder von Jesus, von dem sie wissen, dass er alle Leiden ertragen hat und Sieger blieb. Ihre Augen bleiben um Jesu willen nicht an den bedrückenden Leiden hängen. Die Leiden vergehen. Schon längst ist ihr Blick auf die neue Schöpfung Jesu gerichtet. So heißt es auch im jubelnden Siegeslied „In dir ist Freude in allem Leide“ von Cyriakus Schneegass aus dem Jahr 1598:

Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not.
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle
zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja8

Glaubende Christen durchbrechen im Leiden die letzten Grenzen, die man von unserer sichtbaren Welt erfassen kann. Oft sind es ganz schwere Lasten, die auf ihrem Leben liegen. Und doch sagen sie, es sei alles neu geworden in der Hoffnung und gewissen Zukunft des angebrochenen Reiches Gottes.

Sie weinen zwar. Es sind aber keine Tränen des Selbstmitleids und des Jammers. Es sind die Tränen mit der Freude vermischt: Jesus lebt – Er ist wahrhaftig auferstanden!

So wird es uns auch im Neuen Testament von bösen Erfahrungen der Apostel berichtet. Da werden gar nicht viele Worte vom schweren Leiden und den Misshandlungen gemacht. Vielleicht hätte man heute aufregende Geschichten darüber geschrieben, wie die schrecklichen Peitschenhiebe auf den zerschlagenen Rücken knallten. Und wie das Blut über den Rücken lief. Wir hätten sicher bewegt die Striemen gezählt. Aber im Neuen Testament wird das gleichsam nur nebenbei erwähnt. Prügel, Schmerz, Hass – so weh das tut – sind für Christen nicht das entscheidende Thema mehr. Auch als in der großen Verfolgungswelle Christen aus Jerusalem bis nach Antiochien fliehen mussten, redeten sie nicht von allem, was sie verloren hatten, sondern predigten allein das Evangelium von Jesus (Apg.11,19 f.).

Weil sie wirklich Wichtigeres zu berichten hatten, nämlich was Jesus in diesen wund geschlagenen, zerbrechlichen Menschen an Herrlichkeit wirkte.

4. Diese Welt mit all ihrer Herrlichkeit kann nie ewige Erfüllung geben

Diese arme Erde ist nicht mehr unsere Heimat. Unsere Voreltern waren sehr wach, wenn sie vom Jammertal sprachen. Ob dies heute nicht mehr als wir ahnen auch noch stimmt, wenn wir an die schweren Erfahrungen vieler Menschen um uns herum denken, die nicht einfach durch den materiellen Wohlstand weggespült sind?

Sehr klar hat dies ein Kirchenmann, der württembergische Prälat und Missionsdirektor Karl Hartenstein, ausgesprochen: Das Reich Gottes auf Erden ist immer nur im Kreuz, im Untergang aller menschlichen Kräfte, wirklich da. Alles, was wirklich groß, wirklich göttlich ist, hat die Welt gehasst und verworfen.9

Auch im Neuen Testament, in der Apostelgeschichte, wird erzählt, wie der ersten Gemeinde über der großen Erweckung, die Tausende erfasste, nie die selbstvermessene Täuschung eigener Stärke kam. Es war für das Überdenken ihrer Machtposition sehr heilsam, dass die Apostel immer wieder verfolgt und geprügelt wurden. Denn das macht nüchtern, dieses Zerbrechen unter den wahnsinnigen Schmerzen.

Der chinesische Märtyrerzeuge David Yang, viele Jahre Mitarbeiter einer Bibelschule in Shanghai, hat uns eine eindrucksvolle Auslegung der Sendschreiben der Offenbarung hinterlassen. Er schreibt dort: Es ist bedauerlich, dass viele Christen unserer Tage nach den Gütern dieser Welt trachten, aber nicht die Kostbarkeiten des Reiches Gottes begehren. Wohl glauben sie an ihre Errettung; doch sie sind nicht bereit, um Christi willen arm zu sein. Für sie bedeuten Bequemlichkeiten und Reichtümer Gnade Gottes. Doch die geistlichen Reichtümer, wie Glaube, Freude, Kraft, Geduld und viele andere, sind nur aus der Armut geboren.

Der leidenden Gemeinde ist alles entzogen, was ihr Mut, Geborgenheit und Hoffnung geben könnte. Leidende Gemeinde ist ins Sterben geführt. Deshalb muss sie – falls sie überhaupt noch leben will – sich völlig an Jesus und seine Verheißungen binden und ihm trauen. Aber durch Jesus ist dann diese schwache und hoffnungslose Gemeinde so geborgen und sicher, dass auch die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen können (Matthäus. 16,18).

So gehören für die Gemeinde von Jesus Christus Armut und Stärke, Leiden und doch Siegen in einem eigentümlichen Verhältnis zusammen, so widersprüchlich das auch klingen mag. Nie wird es aber ein triumphaler Sieg der Gemeinde, sondern es bleibt immer der Sieg von Jesus über eine ohnmächtige, arme Gemeinde. An einer von vielen Seiten geschlagenen und getretenen Gemeinde wird dieser Sieg offenbar.

Paulus fasst das Zusammengehören von Leiden und Siegen so zusammen: „Denn wenn wir mit leiden, werden wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht wert seien der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden“ (Römer 8,17 f.).

Es mag sich bei uns immer wieder der Irrtum einschleichen, es seien der Prediger gewinnender Charme, der imponierende Eindruck oder die flott attraktive Gestalt der Gemeinde und ihrer Glieder, die dem Evangelium das entscheidende Gewicht verleihen. Immer wieder sind Christen versucht zu meinen, sie selbst müssten dem Evangelium in der Welt zur Anerkennung, Glaubwürdigkeit und Geltung verschaffen. Deshalb reden sie meist nur von Kirche, wo sie doch von Jesus reden müssten. Und sie treten, wenn sie ihre Sache vertreten müssten, oft so schüchtern auf, als verträten sie eine ihnen selbst höchst peinliche Sache. Und der Eindruck lässt sich dann oft nicht verwischen, als würden sie mit Worten menschlicher Weisheit den völlig erfolglosen Versuch unternehmen, aus der Tasche einen „faulen, stinkenden Hering“ zu ziehen und an den Mann bringen zu müssen.

Es ist die Bibel, die uns dieses wesentliche geistliche Verständnis des Leidens schenkt. Dass die Gemeinde Gottes leidet, ist kein tragisches Verhängnis, sondern voller Verheißung. Im Leiden wird der Weinstock beschnitten, damit er mehr Frucht bringen kann (Johannes 15,6). Im Leiden führt Jesus seine Gemeinde zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurück. Jesus muss oft seine besten Leute zerbrechen, bevor er Großes wirken kann.

Darum erinnert Paulus: Alle, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden (2. Timotheus 3,12).

Vielerorts kann man sich Kirche heute nicht mehr anders denken als von den Mächten anerkannte, geförderte und imponierende Kirche für die Welt. Aber eben das bestreitet die leidende Gemeinde. Sie will zuerst und vor allem anderen Gemeinde Gottes sein. Nur wenn sie ganz rein Gott allein dient, wird daraus auch ein Segen für die Welt. Und mit ihrem Leiden, dem Sterben ihrer Glieder, rührt sie nun an den Lebensnerv der unangefochtenen Kirche.

Denn sie rühmt eine bessere Geborgenheit als die Machtverbindungen in dieser Welt. Sie weiß um verlässlichere Sicherheiten als die finanziellen Polster. Ob die unangefochtene Kirche überhaupt noch weiß, was es heißt, im Glauben zu leben, aus dem Wort Gottes zu leben, aus der Bibel? Die leidende Gemeinde lebt davon – täglich: Und dass alle Taten und Aufgaben allein von Jesus Christus und seinem Sieg her nicht vergeblich sind.

Die leidende Gemeinde weiß es, denn Jesu Sieg ist das einzige, das ihr geblieben ist. Nicht sie, die leidenden und geschlagenen Christen, tragen das Wort und halten seine Gültigkeit fest. Umgekehrt: Das Wort trägt sie.

Die verfolgte und bedrängte Gemeinde macht uns zu allen Zeiten den bleibenden Schatz des Wortes Gottes groß, wie es Nikolaus Selnecker vor 450 Jahren mitten im schrecklichen Psychoterror der Gegenreformation in Rinteln bezeugt hat:

Dein Wort ist unseres Herzens Trutz und deiner Kirche wahrer Schutz.

„Dabei erhalt uns lieber Herr, dass wir nichts anders suchen mehr.“10

Pfr. Winrich Scheffbuch, Vortrag bei der Profilkonferenz des Netzwerkes bekennender Christen – Pfalz (NbC-Pfalz), 16. November 2013, Schweigen-Rechtenbach

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1 Etwa im Psalm 22: Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Große Farren haben mich umgeben, gewaltige Stiere haben mich umringt. Ihren Rachen sperren sie auf gegen mich wie ein brüllender und reißender Löwe. Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub. Denn die Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Ich kann alle meine Gebeine zählen; aber sie schauen und sehen ihre Lust an mir.

2 Aus Tränen werden Sterne, Holzgerlingen 2008, S.53

3 Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Band 17, Neukirchen 1963, S.537

4 Albrecht Hauser, Mission als Leiden in Hoffnung, Leiden am Beispiel des Islam, Jahrestagung der AEM 2000, S. 10

5 Das Kreuz – Jesus in China, Filmbericht China Soul for Christ Foundation 2003, Folge 2

6 Von guten Mächten, Dietrich Bonhoeffer: Werke, Band 8, hrsg. von Eberhard Bethge u.a.; Kaiser,
Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, S. 607f.

7 Marie Schmalenbach, 1835 – 1924 EG Württ., Stuttgart 1996, Nr.680

8 EG Württ., Stuttgart 1996, Nr.396

9 Karl Hartenstein, Das Geheimnis des Leidens in der Mission, Stuttgart und Basel 1936, S. 4

10 Evangelisches Kirchengesangbuch, Stuttgart 1996, Nr. 246,7