Krippenbetreuung aus wissenschaftlicher Sicht
Donnerstag 15. November 2018 von Stiftung Zukunft CH
Immer mehr Parteien und Politiker setzen auf den Trend der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den Ausbau ausserfamiliärer Betreuungsangebote für Kinder. Vernachlässigt wird in dieser Diskussion jedoch oft der aktuelle Forschungsstand zu den Auswirkungen ausserfamiliärer Kinderbetreuung. Spielt es für die Entwicklung des Kindes eine Rolle, ob es in der eigenen Familie oder fremdbetreut wird?
Forschungsergebnisse der letzten 20 Jahre zeigen, dass für den Einfluss der Fremdbetreuung auf die Entwicklung des Kindes vor allem das Alter und die Betreuungsdauer massgeblich sind. Je mehr nicht-verwandtschaftliche Betreuung Kinder bis 4,5 Jahre erleben, desto mehr treten zum Zeitpunkt der Betreuung, aber auch in der späteren Kindheit Verhaltensprobleme wie Trotz und Wutanfälle, Zerstörung von Sachen, Lehrer-Schüler-Konflikte, Schwächen im Sozialverhalten und mangelnde Empathie auf. Auch Kontaktschwäche, Rückzug in sich selbst und Depressionen werden als Konsequenz beobachtet. Der Einfluss der Betreuungsqualität ist dabei gering. (NICHD-Studie, USA 2007). Je kleiner und daher verletzlicher das Kind, desto dramatischer die Auswirkungen der häufigen Trennung von der Mutter (primäre Bindungsperson). Während bei 70 bis 90 Prozent der Krippenkinder stark erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol nachgewiesen werden (Werte wie bei gestressten Managern oder Lehrern mit Burn-Out), sinken diese Werte v.a. bei Kindern unter zwei Jahren nach fünf Monaten in der Kita wieder („Wiener Krippenstudie“ 2012). Sie gleichen sich jenen Werten an, die in den 90er-Jahren bei gleichaltrigen Kindern in rumänischen Waisenhäusern nachgewiesen wurden. Es handelt sich hier um das sog. Erschöpfungssyndrom: Früher interpersonaler Stress führt zur dauerhaften Herabsetzung der Cortisolwerte und zu bleibenden Funktionsstörungen des Stressverarbeitungssystems (HPA-Achse), was wiederum die Anfälligkeit für seelische Störungen im späteren Leben erhöht.
Was die Folgen sind, wenn eine Gesellschaft flächendeckend auf Fremdbetreuung setzt, zeigt sich derzeit in Skandinavien, wo Krippenbetreuung schon seit Jahrzehnten die Regel ist. Die Pädagogin Erja Rusanen (Uni Helsinki) berichtet nach 40 Jahren Gruppenerziehung in Finnland: Die Risiken der mangelnden Bindungsfähigkeit dieser Kinder werden ignoriert, obwohl Statistiken eine massive Zunahme von Aggressivität, Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen bei Jugendlichen nachweisen. Der schwedische Naturwissenschaftler Christian Sörlie Ekström meldet, dass die fehlende Bindungsentwicklung und elterliche Erziehung bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und drei bis vier Jahren zu mangelnder Stressbewältigung führt, die sich u.a. in asozialem Verhalten äussert. Depressionen bei Mädchen hätten in den vergangenen 20 Jahren um 1000 Prozent zugenommen, Angststörungen um 250 Prozent. Die norwegische Psychologin Anne Brudevold beklagt, dass liebevolle Grenzsetzung bei Kleinkindern in der Gruppenerziehung kaum oder gar nicht stattfinden kann. Dies führe zu einer Zunahme von Selbstzentriertheit und einem Mangel an Empathie bei Kindern und Jugendlichen.
Selbst die links-liberale Leiterin von „Swiss Education“ Margrit Stamm warnt: „Damit…krippenbetreute Kinder keinen Nachteil hätten, müsste ein Betreuungsschlüssel von 1:3 (für Kinder von 0 bis 2 Jahren), eine konstante Bezugsperson sowie eine feinfühlige Erzieherin garantiert werden können. Viele Studien belegen jedoch, dass dies nur in den seltensten Fällen zutrifft. Hohe Wechselraten erhöhen indes die Wahrscheinlichkeit einer unsicheren Bindung und die Entwicklung von Verhaltensproblemen.“
Quelle: www.zukunft-ch.ch (Informationsblatt Oktober 2015)
Neuere wissenschaftliche Studien zum Thema Krippenbetreuung – Zusammenfassung zum Download.Â
Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 15. November 2018 um 15:53 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.