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Die abgesagte Reformation

Zum 500. Reformationsjubiläum letztes Jahr erweckte der Apparat der evangelischen Kirche den Eindruck, dass er sich der Reformation, vor allem Martin Luthers (1483–1546) schämte. Dabei verband sich mit der Reformationsdekade die Hoffnung auf eine Vergewisserung im Glauben und eben nicht auf eine Selbstbespiegelung in wohlfeiler Hypermoral. So war ausgerechnet der Glaube der große Verlierer des Kirchentags in Berlin 2017. Der Journalist Ferdinand Knauss fragte in seiner Kolumne in der Wirtschaftswoche: „Ist es ein purer Zufall, dass es in keiner dieser Veranstaltungen um Seelsorge, die Bibel, Jesus, Gottvater oder sonst ein religiöses Thema geht?“

 Wo das Jubiläum gelang und wo nicht

Dort, wo glaubensferne Großveranstaltungen oder die Weltausstellung rot-grüne Gesellschaftspolitik, Genderismus und Esoterik in den Mittelpunkt stellten, misslang das Jubiläum. Im Gegenzug stießen die historischen Stätten der Reformation und Veranstaltungen, die Glauben und lutherische Spiritualität zum Thema wählten, auf ein reges Interesse. Wo Glauben und Geschichte konkret und erlebbar wurden, leistete das Jubiläum Hervorragendes. Nur stand das auf der Agenda der EKD eher weiter unten als ganz oben. Bis zur Grenze des Ge­schichtsrevisionismus und oft anachronistisch thematisierte die Reformationsbeauftragte der EKD, Margot Käßmann, Luthers angeblich „dunkle Seiten“ und verstiegen sich Kirchenhistoriker wie Thomas Kaufmann zu der Vorstellung, dass Luther für uns heute fremd und unverständlich, ein Mensch des beginnenden 16. Jahrhunderts wäre. Wer das Gegenwartspotenzial Martin Luthers übersieht, ist als Historiker geschichtsblind und wer als Kirchenleitung Politik und Moral, statt den Glauben in den Mittelpunkt stellt, säkularisiert sich selbst.

Auf die Hauptaufgaben konzentrieren

Die Vergewisserung im Glauben und die Überwindung der Krise der Kirche hätten von der Reformationsdekade starke Impulse erhalten, wenn man sich konsequent von dem Grundsatz hätte leiten lassen, dass der Grund der Kirche im Glauben besteht. Es wird also Zeit, dass die Kirche sich wieder auf den Glauben und auf ihre sechs Hauptaufgaben (Gottesdienst, Seelsorge, Bibellesung, Diakonie, Bildung, Mission) konzentriert. Doch nach den Erfahrungen der Reformationsdekade ist das vom Apparat der EKD, der lieber Sonderpfarrerstellen schafft und parteiische Propagandabereiche finanziert, nicht zu erwarten, auch nicht, dass die Ortsgemeinden gestärkt und der Beruf des Pfarrers aufgewertet wird.

Der Apparat der Kirche hat zu viel Geld

Eine Lehre des Reformationsjubiläums scheint indes auch darin zu bestehen, dass dem Apparat der Kirche zu viel Geld zur Verfügung steht. Vielleicht gelingt die Erneuerung der Kirche im Glauben nur noch über eine „arme“ Kirche, die sich am Glauben als Gnade und an Christus allein orientiert. Das Reformationsjubiläum endete, die Notwendigkeit einer neuen Reformation bleibt bestehen und wird von Tag zu Tag unabweisbarer.

Dr. Klaus-Rüdiger Mai (Zossen) ist promovierter Historiker und Literaturwissenschaftler sowie Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Buch „Geht der Kirche der Glaube aus?“

Quelle: ideaSpektrum, Nr. 43/2018 (www.idea.de [1])

Mit freundlicher Genehmigung von ideaSpektrum