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Die Heilige Schrift – Das Wort des Dreieinigen Gottes

Freitag 29. Juni 2007 von Prof. Dr. Reinhard Slenczka (1931-2022)


Prof. Dr. Reinhard Slenczka (1931-2022)

Die Heilige Schrift – Das Wort des Dreieinigen Gottes
Wie Gott uns begegnet in seinem Wort

Da ich annehme, daß Sie den Text meiner „dogmatischen Stellungnahme zur ‚Bibel in gerechter Sprache’“ vor Augen haben, will ich nicht wiederholen, was man dort besser lesen und bedenken kann. Vielmehr möchte ich auf die Grundprobleme in Theologie und Kirche eingehen, für die diese Bibelausgabe lediglich ein Symptom ist.

a) Der Name und das Wort Gottes

Das Grundproblem bei der vorliegenden Bearbeitung biblischer Texte liegt darin, daß der Name Gottes nicht aus der Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wort erkannt wird, sondern als ein Produkt aus menschlichen Erfahrungen, Wünschen oder Mängeln.

Das heißt, wie etwa auch ein Philosoph wie Ludwig Feuerbach (1804-1872) den christlichen Glauben verstanden hat: Die Glaubensvorstellungen sind „erfüllte Herzenswünsche“.

Denselben Ansatz finden wir in der Religionskritik von Karl Marx (1818-1883), der schreibt: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Religion ist Ausdruck der materiellen Basis, und der gesellschaftlichen Verhältnisse. „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist Opium des Volks.“ (1)

 Es ist nicht zu bestreiten, daß die verbreitete Auffassung von der Geschichtsbedingtheit der Heiligen Schriften, des Wortes Gottes und der Theologie von denselben weltanschaulichen Voraussetzungen geprägt wird. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn selbst in der theologischen Fachsprache immer wieder die Rede ist von Gottesbegriffen, Gottesbildern und Gottesvorstellungen, die zeitbedingt und daher wandelbar sind, Interpretamente, die aus der jeweiligen Situation erwachsen oder für sie entwickelt werden oder auch „Theologien“, deren Eigenart mit dem Namen ihres jeweiligen Autors verbunden sind.

An diesem Punkt muß nach dem Wort Gottes eine klare und scharfe Unterscheidung vollzogen werden: Gott begegnet seinem erwählten Volk nicht im Bild des Geschaffenen, sondern in seinem gesprochenen und geschriebenen Wort. Dazu Dtn 4, 9-19, und ich lese bewusst den ganzen Textzusammenhang:

9 Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, daß du nicht vergißt, was deine Augen gesehen haben, und daß es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun

10 den Tag, da du vor dem HERRN, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb, als der HERR zu mir sagte: Versammle mir das Volk, daß sie meine Worte hören und so mich fürchten lernen alle Tage ihres Lebens auf Erden und ihre Kinder lehren.

11 Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da war Finsternis, Wolken und Dunkel.

12 Und der HERR redete mit euch mitten aus dem Feuer. Seine Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da.

13 Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln.

14 Und der HERR gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, daß ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen.

15 So hütet euch nun wohl – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der HERR mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb -,

16 daß ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder Weib,

17 einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel,

18 dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde.

19 Hebe auch nicht deine Augen auf gen Himmel, daß du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen. Denn der HERR, dein Gott, hat sie zugewiesen allen andern Völkern unter dem ganzen Himmel“.

Dies ist ein Kommentar zu dem Bilderverbot, das in Luthers Katechismen keineswegs, wie gelegentlich selbst von Theologen zu hören ist, ausgelassen wurde, sondern es erscheint im Großen Katechismus als Anhang zum ersten Gebot und im Kleinen Katechismus als Beschluss und Zusammenfassung aller zehn Gebote. Nach Ex 20, 3-6 lautet es:

3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist:

5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,

6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.

Wir halten fest: Name und Wort sind, unterschieden von allen anderen Religionen, in denen natürliche, von Gott geschaffene Dinge verehrt werden, die besondere Weise der Gemeinschaft Gottes mit seinem Volk. So spricht er zu uns, und so können wir zu ihm sprechen.

Dabei wird immer wieder, worauf später zurückzukommen ist, auch eingeschärft, daß dies den Kindern weitergesagt werden muß und das daran das Wohlergehen durch Generationen abhängt, während eine Übertretung des Bilderverbots Straffolgen für weitere Generationen, dritte und vierte, hat.

b) Die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf

Dies ist eine ständige Versuchung für das Volk Gottes. Doch damit wird genau das aufgehoben, was Inhalt und Grund der besondern Gemeinschaft Gottes mit seinem erwählten Volk ist. Gott begegnet nicht im Bild des Geschaffenen, sondern in seinem geschriebenen und verkündigten Wort. Das ist, wie wir gehört haben, heilsentscheidend für zeitliches Wohlergehen und ewiges Heil.

Im Alten Bund erwächst die Versuchung, das Geschöpfliche zu verehren, anzubeten und zu fürchten aus den Naturreligionen der Umwelt, in denen die Gestirne, die Fruchtbarkeit und die Sexualität oder auch Menschen, Könige und Kaiser, verehrt und angebetet wurden. So wendet sich der Prophet Jeremia gegen einen feministischen Kult, in dem eine „Himmelskönigin“ angebetet und ihr geopfert wird (Jer 7, 17-19; 44, 15-27). Fremde Kulte und Religionen gewinnen immer wieder Einfluß durch Bündnisse oder auch Mischehen aus politischen und wirtschaftlichen Interessen in einer multikulturellen und multireligiösen Umwelt. Das von den Propheten angekündigte Strafgericht Gottes soll das Volk zur Umkehr rufen. Daß die Propheten dann von ihren Kollegen und den Amtsträgern am Tempel verfolgt, angezeigt und geschlagen, ja sogar umgebracht werden, zeigt gerade das Beispiel des Propheten Jeremia (z. B. Jer 7; 19,14-20,6).

Wie im Alten Testament, so werden wir auch im Neuen Testament darauf hingewiesen, daß die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf das göttliche Strafgericht schon in dieser Zeit zur Folge hat, wie es uns Röm 1, 18-32 gezeigt wird. Dreimal hören wird: „Gott hat sie dahingegeben“. Denn wo der wahre Gott nicht angebetet und verehrt wird, da gewinnen die Kräfte und Triebe der Natur die Herrschaft. Auch hier wollen wir den ganzen Text hören:

18 Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.

19 Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart.

20 Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, so daß sie keine Entschuldigung haben.

21 Denn obwohl sie von Gott wußten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert.
(Wir halten fest, daß rechte Gotteserkenntnis im Gebet, Lob und Dank, besteht)

22 Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden

23 und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.

24 Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in die Unreinheit, so daß ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden,

25 sie, die Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient haben statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen.

26 Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen;

27 desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein mußte, an sich selbst empfangen. (Aids, HIV)

28 Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, so daß sie tun, was nicht recht ist,

29 voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Zuträger,

30 Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam,

31 unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig.

32 Sie wissen, daß, die solches tun, nach Gottes Recht den Tod verdienen; aber sie tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun.

Wir halten fest, daß zwangsläufig die von Gott geschaffenen Dinge, in Röm 1 ist das die Sexualität mit allen ihren Perversionen, eine religiöse Macht gewinnen, wo der wahre Gott nicht in rechter Weise angebetet wird. Den Sexualitätskult haben wir heute allenthalben vor Augen. Was geschieht aber, wenn seit Jahren in kirchlichen Erklärungen immer wieder nicht der Sünder durch den Ruf zur Umkehr und Empfang der Vergebung gerechtfertigt und vom Strafgericht Gottes befreit wird, sondern die Sünde wird gerechtfertigt, und die Strafe Gottes wird als Krankheit und Leiden bagatellisiert?

c) Die Prüfung und Scheidung der Geister

Die Prüfung und Scheidung der Geister ist nach 1 Kor 12, 10 eine Gabe und Wirkung des Geistes. Diese Gabe ist keineswegs an ein bestimmtes Amt, seien es nun Bischöfe, Kirchenleitungen oder Theologieprofessoren, oder an bestimmte Institutionen wie die Mehrheiten von Synoden oder Kommissionen gebunden oder darauf beschränkt ist. Vielmehr geht es gerade auch hier um die Stimme des guten Hirten, die zu erkennen und zu unterscheiden ist. Das ist also auch nicht das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung. Es sind im Gegenteil Ereignisse und Einzelpersonen in der Geschichte der Kirche, durch die solche Einsicht und Unterscheidung im wörtlichen Sinne geschenkt, nämlich durch den Geist geschenkt wird.

Das haben rechtgläubige Lehrer der Kirche immer wieder eingeschärft, und dazu führe ich das Wort des Gregor von Nyssa an, das ich aus diesem Grund auch als Motto meiner Stellungnahme vorangestellt habe: „Das göttliche Wort verbietet von vornherein, Gott mit dem gleichzusetzen, was Menschen in ihrer Erfahrung erkennen. Jeder Versuch der Vernunft, das Wesen Gottes mit dem natürlichen Vorstellungsvermögen zu erfassen, macht aus Gott einen Götzen, jedoch verkündigt ihn nicht“ Gregor von Nyssa (335-394). (2)

Wir haben gesehen, wenn der Mensch sich selber Gottesbilder schafft, die er anbetet, dann hat das ganz praktische und vor allem zerstörende Folgen für das menschliche Leben und Zusammenleben. Es ist wohl nicht nötig, auf solche Straffolgen auch in unserer Zeit hinzuweisen. Eine besonders verbreitete Erscheinung in diesem Zusammenhang ist jedoch, daß solche Straffolgen oft schöngeredet werden…

Doch wir müssen sehen, wo die unterscheidende und entscheidende Grenze verläuft. Gott ist nicht ein Bild oder Begriff, von Menschen entwickelt, sondern der Dreieinige Gott, wie er sich in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments offenbart und begegnet als Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist Schöpfer, Erhalter, Erlöser und Richter für alle Welt, für jeden Menschen, für Lebende und Tote. Das ist eine Grundvoraussetzung des Glaubens, wie es Hebr 11, 6 heißt: „Aber ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er ist und daß er denen, die ihn suchen, ihren Lohn gibt.“

Gott ist – aber keineswegs nur in unseren Gedanken und Vorstellungen, sondern auch unabhängig davon, ob Menschen das glauben oder nicht. Er richtet auch in Zeit und Ewigkeit, ganz unabhängig davon, ob uns das gefällt oder mißfällt. Er ist Subjekt oder Person, das heißt, er steht uns gegenüber, er spricht zu uns in seinem Wort, er handelt an uns, an seiner Kirche und in der ganzen, von ihm geschaffenen und erhaltenen Welt. In seiner Allmacht handelt er sogar an seinen und durch seine Widersacher, Verfolger und Verleumder, selbst, wie das Buch Hiob wie auch die Versuchung Jesus (Mt 4, 1-11) in erschütternder Weise zeigt, durch den Satan.

Das gesprochene und geschriebene Wort ist sowohl die Beziehung wie auch die Unterscheidung von Gott und Mensch. Dies aber steht und fällt mit dem Grundsatz, daß die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit Wort des Dreieinigen Gottes ist, in dem er uns begegnet, zu uns spricht und handelt.

Wir werden alle wissen, daß es gerade an diesem entscheidenden Grundsatz keinen Konsens in Theologie und Kirche, ja offenbar auch nicht in evangelikalen Kreisen gibt. Das Schimpfwort des Fundamentalismus ist dann rasch zur Hand. Allerdings sind Schimpfworte auch meist ein Zeichen für die Hilflosigkeit zu rationaler Argumentation.

Hier scheiden sich die Geister, und dabei geht es nicht nur vordergründig um einen Streit zwischen Auslegungsmethoden – historisch-kritisch oder biblisch, sondern es geht um Ort, Form und Mittel der Begegnung von Gott und Mensch im Wort Gottes der Heiligen Schrift.

Viele sind der Meinung, die Heilige Schrift sei Gotteswort im Menschenwort. Welches aber sind dann die Kriterien, nach denen wir in der Schrift zwischen beidem unterscheiden können. Das sind dann doch offenbar unsere eigenen Vorstellungen und Maßstäbe, die wir an die Schrift anlegen und in sie hineintragen. Wir machen uns dann zum Richter über die Schrift (Jak 4, 11) und entziehen uns ihrem Gericht, ja drängen den Sünder sogar unter das Gericht Gottes mit seinen zeitlichen und ewigen Straffolgen, wie der Apostel schreibt: „ …sie werden das Reich Gottes nicht ererben“ (1 Kor 7, 9.10; Gal 5, 19-20).

Andere wiederum meinen, die Heilige Schrift sei Gottes Wort und Menschenwort, so wie in Jesus Christus göttliche und menschliche Natur miteinander verbunden sind. Doch die Heilige Schrift bezeugt wohl den menschgewordenen Sohn Gottes, seine Fleischwerdung / Inkarnation, aber sie ist keine Inkarnation.

Wo der Dreieinige Gott uns in seinem Wort der Heiligen Schrift begegnet, kann man nicht zwei Ebenen, eine göttliche und eine menschliche unterscheiden, sondern es geht allein darum, daß der ewige dreieinige Gott uns, den von ihm abgefallenen, unter die Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel verfallenen Menschen begegnet.

Wie bei der Kirche, so stehen wir auch hier vor dem Wunder der Güte Gottes. Und es geht dann nicht darum, „Texte der Antike“ aus einer vergangenen Zeit in unsere Zeit zu übertragen, sondern es geht darum, daß der unnahbare, unsichtbare Gott, … „der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann.“(1 Tim 6, 16), uns in Jesus Christus nahe kommt. Für den natürlichen, von Gott abgefallenen Menschen ist die Herrlichkeit Gottes nicht nur unverständlich, sondern vernichtend (Ex 33, 20: „…denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ 2 Kor 3).

Gott, Wort und Glaube gehören untrennbar zusammen. Wo jedoch die Heilige Schrift nicht als Wort des Dreieinigen Gottes erkannt und anerkannt wird, da löst sich der Glaube in alle möglichen Gefühle, Erfahrungen und Schwärmereien auf, in denen zwar viel über Gott geredet werden kann, wo jedoch Gott selbst überhaupt nicht mehr zu Wort kommt in Gericht und Gnade. Dies aber ist von altersher das Kennzeichen der Gnosis, die eine Erlösung durch Erkenntnis, Gefühle und Erfahrungen anstrebt, was übrigens auch mit besonders durch Musik, Räucherstäbchen, Tanz und dergleichen die Gefühle ansprechenden Gottesdiensten verbunden ist.

Daß es sich bei der Gleichsetzung von Heiliger Schrift und Wort Gottes nicht um die subjektive Meinung eines Theologen oder einer bestimmten Richtung handelt, ist – oft nur in Spuren – im christlichen Gottesdienst erkennbar. Die Lesungen von Altem Testament und Episteln werden abgeschlossen mit dem Hinweis: „Wort des Lebendigen Gottes“, und die Gemeinde akklamiert mit dem dreifachen Halleluja. Das ist das Lob des in seinem Wort gegenwärtigen Dreieinigen Gottes. Entsprechend heißt es bei der Verlesung des Evangeliums: „Ehre sei dir, Herre. – Lob sei dir, o Christe.“ Damit wird der in seinem Wort gegenwärtige Herr angerufen.

Wenn es stattdessen heißt: „Ich lese Ihnen einen Text aus….“, dann ist das ein Zeichen dafür, daß Gottes Gegenwart in seinem Wort nicht erkannt und anerkannt wird. Entsprechende Predigten pflegen dann auch eine lange Einleitung zu haben, um Menschen abzuholen und die Texte in die Gegenwart zu übertragen. Doch auf diese Weise wird überhaupt erst ein Abgrund zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgerissen, der doch gerade durch die Gegenwart Gottes in seinem Wort überwunden wird. Es geht eben nicht darum, die Antike in die Gegenwart zu übertragen, sondern es geht zu allen Zeiten in gleicher Weise um die Begegnung des Dreieinigen Gottes mit dem von ihm abgefallenen Menschen. Die Vollmacht aller Verkündigung aber wird dadurch begründet, jedoch zugleich auch darauf begrenzt, daß Gott selbst in seinem Wort gegenwärtig ist, spricht und handelt, wie der Herr seinen Jüngern sagt: „ Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Luk 10, 16).

An dem Grundsatz, daß die Heilige Schrift Wort des Dreieinigen Gottes ist, scheiden sich die Geister, auch wenn uns solche Trennungen menschlich gesehen oft sehr schwer ankommen. Doch gerade dies gehört auch zur Wirkung des Wortes Gottes, daß es trennt und scheidet. Einsichtige Theologen haben diese Entscheidung immer wieder nachdrücklich in Erinnerung gerufen.

So Martin Luther in einer Predigt von 1521: „Darum, wenn die Leute nicht glauben wollen, so sollst du stille schweigen, denn du bist nicht schuldig, daß du sie dazu zwingst, daß sie die Schrift für Gottes Wort halten. Ist genug, daß du deinen Grund darauf gibst. Als wenn sie es so vornehmen und sagen: ‚Du predigst, man solle nicht Menschen Lehre halten, so doch Petrus und Paulus, ja Christus auch Menschen gewesen sind’. Wenn du solche Leute hörst, die so gar verblendet und verstockt sind, daß sie leugnen, daß dies Gottes Wort sei oder daran zweifeln, so schweige nur still, rede kein Wort mit ihnen und laß sie fahren. Sprich nur also: ’Ich will dir Grund genug aus der Schrift geben. Willst du es glauben, so ist es gut; willst du nicht, so will ich dir nicht mehr geben.’ So sagt du: ‚Ei, so muß dann Gottes Wort mit Schanden bestehen!’. Das befiehl du Gott. Darum ist es not, daß man das wohl fasse und wisse denen zu begegnen, die jetzt aufstehen und solche Dinge vorgeben.“ (3)

Oder Wilhelm Löhe (1808-1872): „Mein Sohn, wenn wieder einer mit dir von göttlichen Dingen disputieren will, so frage ihn erst, ob er die Bibel für Gottes Wort halte vom ersten bis zum letzten Verse. Sagt er ja, so kannst du, wenn er nicht ein Heuchler ist, dich mit ihm einlassen. Sagt er nein, so disputier nicht. Mit Vernunftgründen kann man Ja und Nein zu allen Dingen sagen und disputieren ohne Ende: nur Gottes Wort macht ein Ende der hadernden Vernunftgründe.“ (4)

Wer dem lebendigen Gott begegnet und ihn nicht als eine Projektion menschlicher Wünsche, Vorstellungen und Bilder ansieht, der wird unweigerlich erfahren, daß er ein „verzehrendes Feuer“ ist (Hebr 12, 29; Dtn 4, 24; Ex 24, 17). Allein in Tod und Auferstehung Jesu Christi können wir der Herrlichkeit Gottes begegnen, ohne von ihr vernichtet zu werden, wie der Apostel Paulus schreibt: „Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist“ (2 Kor 3, 18).

Gott ist keine Gedankenspielerei oder eine Verzierung menschlichen Lebens. Er wird auch nicht von Mehrheiten gewählt oder abgewählt. Er ist der Grund allen Seins für die grenzenlose Weite des Kosmos ebenso wie für die Fülle menschlichen Lebens. Darauf gründet sich der Glaube, der auch nicht einfach frommes Bewußtsein und „Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit“ ist, sondern das, was uns trägt im Leben wie im Sterben: „der einzige Trost im Leben und im Sterben…“ (5).

Wenn jedoch die Begegnung mit Gott in seinem Wort problematisiert wird, dann verliert auch der Glaube, der von diesem Wort getragen wird, den Grund seiner Gewißheit. Wir geraten in ein Gewohnheits- und Traditionschristentum, das sich krampfhaft bemüht, Relevanz für Zeit und Gesellschaft nachzuweisen und mit Marketing seinen Bestand zu sichern.

Darum noch einmal Luther dazu: „ Mein Rat ist: Wer die Heiligen Schriften nicht mit fester Überzeugung halten kann, der soll lieber die Finger davon lassen. Es ist jedenfalls sicherer, sie mit den Laien nicht zu kennen als sie für ungewiß zu halten. Es ist unglaublich, welche Qualen der Teufel damit einem Sterbenden bereitet, wenn man sie für zweifelhaft hält. Mir scheint, daß die Sophisten (Schultheologen) vom Teufel genau dazu angeregt sind, daß sie die Schriften mit ihren Wortspielereien ungewiß machen.“ (6)

Anmerkungen

1 Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Werke. Darmstadt 1971. Bd. 1, 488

2 De vita Moysis. MPG 44, 377 B

3 Martin Luther, WA 2, 649, 10-20. Predigt über die Petrusbriefe 1523.

4 Wilhelm Löhe, Mit wem kann man über göttliche Dinge disputieren?
In: Ges. Werke 3, 1, 276

5 Heidelberger Katechismus. Frage 1

6 Martin Luther, WA 8, 113, 3-7. 1521

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 29. Juni 2007 um 13:18 und abgelegt unter Theologie.