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Sexuelle Orientierung: Und wenn sie doch veränderbar ist?

Eine neue Studie bestätigt es erneut: Homosexualität ist, in vielen Fällen wenigstens, kein unveränderbares Schicksal. Warum eigentlich sollten homosexuelle Männer und Frauen, die sich eine Veränderung ihrer Empfindungen wünschen, nicht versuchen dürfen, diese zu ändern? Gleich zwei Hollywood-Filme in diesem Jahr, so berichtet das australische Online-Magazin MercatorNet, beschreiben die Schrecken homosexuell empfindender Teenager, deren Eltern sie in eine sogenannte Konversionstherapie zwingen: „The Miseducation of Cameron Post“ läuft dieser Tage in den amerikanischen und britischen Kinos an. Der Film richtet sich an junge Erwachsene und zeigt ein Konversions-Erziehungscamp, bei dem allerlei ausgefallene „De-Gaying“-Techniken zur Anwendung kommen. Der boshaft finstere „Hetero“ im Film ist, was kaum erstaunen mag, der christliche Pastor. Genauso übrigens wie im Film „Boy Erased“ mit Nicole Kidman und Russell Crowe, der im November 2018 auf die deutschen Leinwände kommen soll und bereits für Oscar-Begeisterung sorgt. Lucas Hedges spielt darin einen Teenager, der seine Eltern liebt, aber sich selbst treu sein will.

Unveränderbarkeits-Mythos

An solchen Filmen, die bald schon Millionen Menschen gesehen haben werden, kann man sehen, wie eine blosse Meinung langsam zu einem gesellschaftlichen Dogma versteinert. Die mittlerweile nur mehr schwerlich hinterfragbare Prämisse der beiden Drehbücher lautet, dass sexuelle Orientierung festgelegt und unveränderbar sei. Und dass sämtliche Methoden, diese zu verändern – ob sie nun Reparativtherapie, Konversionstherapie, Reorientierungstherapie oder „Praying the gay away“ heissen mögen –, grundsätzlich falsch und psychologisch destruktiv seien. Soweit der von Hollywood portierte Mythos unserer Gegenwartskultur.

Doch stimmt es tatsächlich, dass alle Versuche, die sexuelle Orientierung zu verändern, einer medizinischen oder wissenschaftlichen Basis entbehren? MercatorNet weist darauf hin, dass sich selbst die American Psychological Association (APA) vorsichtig ausdrückt. Zwar lehnt diese Repartivtherapien kategorisch ab. Die härteste Kritik, zu der sich der Fachverband vorwagt, lautet aber bescheiden, „dass die Evidenz nicht ausreicht, um die Anwendung psychologischer Interventionen zur Veränderung der sexuellen Orientierung zu unterstützen“. Laut MercatorNet wäre aber selbst ungenügende Evidenz noch kein Beweis dafür, dass alle Therapieformen dieser Art als Pseudowissenschaft abgetan werden müssten.

Selbstverständlich mag es Angebote für homosexuell empfindende Menschen geben, die als problematisch einzustufen sind. So ist auch der Begriff der „Konversionstherapie“ problematisch, weil missverständlich. Dieser Begriff gehört vornehmlich zum Wortschatz der Kritiker von Reorientierungstherapien. Mit ihm wird vielfach unterstellt, es gehe bei solchen Angeboten um Gehirnwäsche, Manipulation, Zwang oder Umpolung. Die Vorstellung, man könnte bei Homosexuellen – mittels Gebet oder Therapie – einfach den Schalter auf „heterosexuell“ kippen, hält darum auch Rolf Rietmann von wuestenstromCH für grundlegend falsch. Im Mai 2016 sagte er in einem Interview [1] mit Zukunft CH: „Wer von einer starren, gen- und triebgesteuerten Sexualität ausgeht, die man ausleben muss, wird alle Veränderung wohl nur als ‚Umpolung‘ interpretieren können.“ Doch lasse sich Sexualität – so seine Erfahrung als therapeutischer Berater – nicht so direkt verändern, sondern eher im Sinne eines Nebeneffekts der Arbeit an tieferliegenden, nichtsexuellen Konflikten.

Weder unwirksam, noch schädlich

Auch eine kürzlich in der Medizinischen Fachzeitschrift „The Linacre Quarterly“ [2] veröffentlichte neue Studie bescheinigt „Sexual orientation change efforts“ (SOCE), wie seriöse Methoden der Veränderung in der Fachsprache genannt werden, durchaus einen messbaren Erfolg.

Unter dem Titel „Therapieerfolge bei religiösen Männern mit ungewollter homosexueller Anziehung“ berichten neuseeländische und US-amerikanischen Forscher von einer Umfrage unter 125 aktiv religiösen Männern (meist Christen verschiedener Denominationen), die Therapieformen zur Veränderung ihrer sexuellen Orientierung in Anspruch genommen hatten. Von 125 Männern berichteten 68 über einen je unterschiedlichen Rückgang ihrer gleichgeschlechtlichen Anziehung und Verhaltensweise sowie über eine Zunahme ihrer Anziehung zu Frauen. Jeder siebte Proband (14 Prozent) gab an, seine Orientierung hätte sich von exklusiv homosexuell zu exklusiv heterosexuell verändert. Eine erhebliche Chance angesichts der Behauptung der APA, Erfolge bei solchen Therapien seien „unwahrscheinlich“. Parallel dazu berichteten die Forscher über mässige bis deutliche Rückgänge bei Depressionen, Drogenmissbrauch, Suizidalität sowie über Verbesserungen beim Selbstwertgefühl und im Sozialverhalten.

Im Gegensatz zur APA halten die Forscher fest, dass gemäss ihrer Studie Reorientierungstherapien weder als unwirksam noch als schädlich zu bezeichnen sind. Zumal für religiöse Menschen könne ein gewisser Grad an Veränderung durch „Bemühungen zur Veränderung der sexuellen Orientierung“ als wahrscheinlich betrachtet werden. Auch räumen die Autoren mit dem gängigen Klischee auf, sozialer Druck sei der vorrangige Grund, eine Reorientierungstherapie zu beginnen.

Aufs Individuum zugeschnitten

MercatorNet lädt dazu ein, genau hinzusehen, was diese Studie aussagt, und was nicht: „Die Autoren behaupten nicht, alle Homosexuellen könnten ‚konvertiert‘ werden. Sie sagen nur, dass manche Männer mit religiöser Motivation zur Veränderung sich tatsächlich verändern können, und dass diejenigen, die es versucht haben, unabhängig vom Erfolg keine Schäden erlitten haben, geschweige denn ‚psychologische Folter‘.“ Die Forscher schliessen aus ihrer Studie, dass „das Konzept der Unveränderbarkeit der sexuellen Anziehung zurückgewiesen werden muss“.

Die Autoren machen nicht zuletzt auf ein methodisches Defizit aufmerksam, welches der Position der APA zur Frage der Reorientierungstherapie anhaftet. Die APA anerkenne nur Evidenz „anhand gruppensoziologischer Kriterien“. Dies mag für die grosse Mehrheit der Homosexuellen, die keine Veränderung wünscht, stimmen. Doch betonen die Autoren, dass Psychotherapie, um zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen, letztlich auf Individuen zugeschnitten sein müsse. Mit anderen Worten: Nur eine Forschung, die auch schädliche oder positive Wirkungen berücksichtigt, die für statistisch möglicherweise unbedeutende Gruppen von Individuen zutrifft, kann gewährleisten, dass alle die Hilfe bekommen, die sie sich wünschen.

Die neuen Befunde werfen (genauso wie bereits bekannte Studienergebnisse zu Therapieerfolgen [3]) ernste Fragen hinsichtlich der Bestrebungen in Europa auf (z.B. in Grossbritannien), therapeutische Hilfe für veränderungswillige Homosexuelle gesetzlich zu verbieten. In den USA haben bereits 14 Bundestaaten Reorientierungstherapien für Minderjährige unter Strafe gestellt und auch in der Schweiz hat es bereits einen Vorstoss in diese Richtung gegeben.

Selbstverständlich soll niemand zu einem Ausstieg aus der Homosexualität gezwungen werden dürfen. Aber Gesetze, welche Therapien für ausstiegswillige Homosexuelle grundsätzlich unterbinden, beschneiden genauso die freie Wahl des Individuums.

Sind Fragen noch erlaubt?

Verbote solcher Hilfsangebote für homosexuell Empfindende wären aber nicht nur ein Angriff auf die Freiheit, sondern auch auf die Wissenschaft. Die amerikanischen Forscher Lawrence S. Mayer und Paul R. McHugh halten in ihrer Metastudie „Sexuality and Gender“ (The New Atlantis, 2016 [4]) fest: Weder sexuelles Begehren, noch Anziehung oder Sehnsüchte, noch sexuelle Orientierung sind unveränderliche, für immer festgelegte, biologische oder auch nur für immer festgelegte psychische Eigenschaften des Menschen. Dies zeigt schon die sehr ausgeprägte spontane Fluidität der Homosexualität in Richtung Heterosexualität, den die wissenschaftliche Forschung insbesondere für die Zeit der Adoleszenz bestätigt.

Die Autoren, die das verfügbare biologische, psychologische und sozialwissenschaftliche Wissen zum Thema der sexuellen Orientierung ausgewertet haben, halten die sexuelle Anziehung als durch eine Anzahl von Umweltfaktoren beeinflusst, zu denen auch soziale Stressoren wie emotionaler oder sexueller Missbrauch oder körperliche Misshandlung zählen. Für ein ganzheitlicheres Bild davon, wie sich sexuelle Interessen, sexuelle Anziehung und sexuelles Begehren entwickeln, sei es notwendig, die „Faktoren Entwicklung, Umwelt, Erfahrung und soziales Umfeld“, aber auch den „persönlichen Willen“ zu berücksichtigen.

Als Gesellschaft sollten wir uns darum fragen, ob wir es angesichts des wissenschaftlich unhaltbaren, aber kulturell wirkmächtigen Mythos vom Angeborensein und der Unveränderbarkeit der sexuellen Orientierung überhaupt noch zulassen, dass Schwule und Lesben tiefergehende Fragen stellen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

MercatorNet macht darauf aufmerksam, dass das „Q“ in der Abkürzung für unkonventionelle Sexualitäten („LGBTQ“) für „Questioning“ – „Fragestellung“ steht, womit die sexuelle Orientierung und Identität als „Prozess der Exploration“ beschrieben wird. Weshalb also sollte es ausgerechnet Lesben und Schwulen nicht mehr erlaubt sein, ihre Orientierung, unter der nicht wenige von ihnen leiden, in Frage zu stellen? „Fragen zu den tiefsten Aspekten des Lebens zu tabuisieren, bedeutet nicht, homosexuell empfindende Menschen zu schützen, sondern sie in Ketten zu legen.“

Quelle: www.zukunft-ch.ch [5] (25.8.2018)