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Persönliches Zeugnis

Am 21. Februar 2018 ist der bekannte Baptistenpfarrer und weltbekannte Evangelist Billy Graham heimgegangen. Um mit seinen Worten zu sprechen: „Eines Tages werden Sie lesen oder hören, dass Billy Graham tot ist. Glauben Sie kein Wort davon. Ich werde lebendiger sein, als ich es jetzt bin. Nur meine Adresse wird sich geändert haben. Ich werde in Gottes Gegenwart eingetreten sein.“ Er hat vor über 200 Millionen Menschen in 185 Ländern und Landesteilen gepredigt. Siebenmal war er zu Evangelisationen in Deutschland. Zweimal war ich dabei, und davon möchte ich in diesem Glaubenszeugnis berichten.

In Leipzig als Einzelkind in der früheren DDR aufgewachsen, hat mich mein Vater im Mai 1960 nach Westberlin gebracht. Meine Eltern wollten in absehbarer Zeit ebenfalls aus der DDR fliehen, haben aber zu lange gezögert, und so kam die Berliner Mauer dazwischen und wir wurden getrennt. Wie viele andere DDR-Jugendliche war ich prowestlich orientiert, aber mein innerer Horizont reichte nicht weit über die damalige Schlagermusik hinaus. Als Kind hatte ich einige Jahre den Liedvers „Lass mich dein sein und bleiben“ gebetet, den uns eine Katechetin beigebracht hatte, aber 1960 hatte ich mit dem Beten schon längst aufgehört. Es gehört zu meinen frühesten Erinnerungen, die ich an die Westberliner Gymnasialzeit habe, dass wir – es muss wohl im September 1960 gewesen sein – eines Vormittags klassenweise in Bussen zur Evangelisation gebracht wurden, die Billy Graham unmittelbar am Berliner Reichstag durchführte. Ich wusste allerdings mit meinen 17 Jahren weder, was eine Evangelisation ist, noch konnte ich mit dem, was der Redner weit vorn in dem großen langen und lauten Zelt sagte, irgendetwas anfangen.

1963 habe ich in Westberlin mein Abitur gemacht, mehr schlecht als recht. Was ich lernen oder studieren sollte, wusste ich noch nicht. Ich liebäugelte mit der Hochschule für Bildende Künste, weil ich gern zeichnete und malte. Doch dann entschloss ich mich zur Philosophie und Theologie, denn ein Religionslehrer, der Nietzsche und Heidegger liebte und Jesus für einen bedeutenden Religionsstifter hielt, hatte mich auf das Spannungsfeld Denken und Glauben neugierig gemacht. Irgendein geistliches Interesse am christlichen Glauben hatte ich nicht. Manchmal werde ich gefragt, ob man denn Theologie studieren kann, ohne an den Gott der Bibel zu glauben. Ja, man kann, ich bin ein Beispiel dafür. Auch meine Frau kommt aus einem nichtkirchlichen Elternhaus, und so konnten wir uns beide in unserer Studentenehe keine Brücke zum Glauben bauen. Einmal fragte sie mich, wie ich mir das vorstelle, ganz ohne Gebet und Glauben den Beruf des Pfarrers ergreifen zu wollen. Ich hatte keine Antwort. Insgeheim dachte ich an den Ausweg, Religionswissenschaftler zu werden. Ein einziges Mal hatte ich es während meines langen Doppelstudiums erlebt, dass ein Theologieprofessor vor seiner Vorlesung betete; das war Prof. Ernst Kinder in Münster. Er machte auf mich vorübergehend Eindruck, aber zum eigenen Beten hat diese Beobachtung mich nicht gebracht. Die Bibel sah ich als ein ehrwürdiges Dokument religiöser Menschen früherer Zeiten an, Jesus war für mich ein konsequenter Querdenker, den man wegen seiner nonkonformistischen Ideale verfolgte und tötete. Die Ideen- und Philosophiegeschichte interessierte mich im Grunde mehr als der christliche Glaube. An den 68ern habe ich mich gerieben, denn als Ex-DDR-Bürger war ich skeptisch geworden gegenüber politischen Parolen und Phrasen und wollte mir von niemand mehr meine Meinung vorschreiben lassen. Dann kam das Jahr 1970, und ich begann, mich auf mein erstes Theologisches Examen vorzubereiten.

Meine Frau war zu dieser Zeit bereits in ihrem Lehrerberuf tätig. So waren wir beide sehr froh, dass wir in unserem Wohnort in der Nähe Erlangens für unser erstes Kind in der Hensoltshöher Schwester Lina Brenner eine Kindergartenschwester fanden, die sich um unseren damals 4 ½ jährigen Sohn liebevoll kümmerte, auch dann noch, wenn wir mal später kamen. Eines Tages, als ich ihn aus dem Kindergarten abholte, es war Anfang April 1970, erzählte sie mir, dass sie am Vorabend in der Nürnberger Messehalle bei der „Euro 70“ mit Billy Graham war, und sie lud mich ein, doch am Abend einmal mitzukommen. Ich lehnte unter Hinweis auf das anstehende Examen sofort ab. Auch am nächsten Tag, als sie mich wieder einlud, wollte ich mich mit einem Evangelisationsabend überhaupt nicht anfreunden, und ich sagte ihr, dass diese Art von Christentum nichts für mich sei. Aber Schwester Lina ließ nicht locker. Noch ein drittes Mal lud sie mich ein. Sie schilderte begeistert, wie interessant die Ansprache und wie wohlklingend der Chor war. Dabei sah sie mich so überzeugt und liebevoll an, dass ich schließlich einwilligte. „Ich komme heute Abend mit, aber nur Ihnen zuliebe“, war meine Antwort. Ich weiß noch, wie ich mich ziemlich weit nach hinten setzte und mit großer Skepsis auf die Dinge blickte, die da geschehen sollten. Ich wunderte mich über die vielen Menschen, konnte aber mit dem Liedgut und mit dem Vorprogramm gar nichts anfangen. Dann fing Billy Graham an zu predigen.

Er sprach über die Geschichte vom blinden Bartimäus (Mk 10). Die engagierte Redeweise fesselte mich. Dann schilderte er die Szene, wie Bartimäus Jesus hinterherschrie „Herr, erbarme dich über mich“, und wie Jesus sich zu ihm hinabbeugte. In diesem Moment geschah etwas mit mir und in mir. Ich konnte plötzlich erkennen und fassen, dass Jesus der Heiland der Welt und mein eigener, persönlicher Heiland ist. Ich weiß noch, wie ich mich über mich selber wunderte und mich fragte: „Was ist denn jetzt mit dir los?“ Doch schnell war mir klar, dass ich jetzt glauben konnte. 13 Semester hatte ich Philosophie und Theologie studiert, ohne dem Glauben wirklich näherzukommen, trotz aller Hochschätzung der Person Luthers. Und jetzt konnte ich nach wenigen Minuten Predigt glauben. Das war das Wunder meines Lebens schlechthin. Was Paulus in Röm 9,30 sagt, dass die Heiden, die gar nicht nach Gottes Gerechtigkeit trachteten, sie bekommen, das trifft auf mich in vollem Ausmaß zu.

Bei aller Bewunderung und Hochschätzung des evangelistischen Dienstes, den Billy Graham über die Jahrzehnte getan hat, war es doch letztlich nicht er, der mich zum Glauben an Christus geführt hat, sondern der Herr selber. So ist es doch, denke ich, immer wieder, wenn Menschen zum Glauben finden. Christus bedient sich anderer Menschen, und je mehr diese selber in den Hintergrund treten, desto mehr kann er wirken. Das war wohl das große Geheimnis Billy Grahams. Er ist so vollständig hinter seiner Botschaft zurückgetreten, dass die Menschen unmittelbar vor Christus standen und letztlich nicht zu Billy Graham, sondern zu Christus kamen.

Ich bin und bleibe dem Herrn zutiefst dankbar, dass er damals Schwester Lina die geduldige Liebe gegeben hat, mich dreimal einzuladen, und dass er Billy Graham in so außergewöhnlicher Weise in seinem Erntefeld eingesetzt hat, insbesondere auch bei der „Euro 70“. Schwester Lina habe ich zusammen mit meiner Frau noch kurz vor ihrem Heimgang in Gunzenhausen besucht und ihr dafür gedankt, was sie für mich und unseren Sohn getan hat.

Pastor Dr. Joachim Cochlovius, Leiter des Gemeindehilfsbundes

Quelle: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes (Mai 2018)