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Die Dynamik missionarischen Lebens in Ägypten

Als die ersten westlichen Missionare im 18. Jahrhundert nach Ägypten kamen, fanden sie eine relativ erstarrte und geistlich wenig dynamische nationale Kirche vor. Deshalb galten auch erste Initiativen der geistlichen Belebung des erstarten nationalen Christentums. Bibeln wurden gedruckt und verteilt und Bibelstudium und auf der Bibel basierende Predigten wurden eingeführt. Zudem war es die anfängliche Überlegung, die muslimischen Mehrheit durch die einheimische Kirche zu erreichen. Die Ablehnung evangelikalen Christentums durch die koptische Kirche führte zu einer Umorientierung der westlichen Missionsarbeit.

Nun sollten Muslime direkt erreicht werden. Der Erfolg blieb sehr begrenzt. Das führte wiederum dazu, dass viele Missionare interessierte Kopten für ihre jeweilige Konfession gewannen und nicht belebend in diese Kirche hineinarbeiteten. Aus der entstandenen evangelischen Kirche entstanden später weitere protestantische Gruppieren, die heute im Protestantischen Kirchenrat zusammengeschlossen sind. Die Zahl der Gemeindemitglieder aus muslimischem Hintergrund blieb über viele Jahre sehr begrenzt. Die gemeindlichen Aktivitäten blieben im Wesentlichen beschränkt auf Menschen mit christlichem Hintergrund. Die Kirchen, die einst aus der Missionsarbeit des 19. und 20. Jahrhunderts entstanden waren, führten das missionarische Leben aus dem sie entstanden waren nicht weiter, sondern setzten eher auf Bestandserhaltung. Ab den 70er Jahren des 20. Jahrhundert kamen mit Operation Mobilisation, Jugend mit einer Mission, Campus für Christus, Jugend für Christus und den Navigatoren Jugendbewegungen ins Land, die die missionarische Dimension wieder neu in die ägyptischen Kirchen hineintragen wollten. Leider wurden sie phasenweise durch ihre unsensible Vorgehensweise von den etablierten Kirchen als para-kirchliche Organisationen abgelehnt. Trotz alledem darf von einer geistlich-missionarischen Wirkung durch diese Gruppen gesprochen werden. Viele missionarisch denkende Leiter, Pastoren und Mitarbeiter wurden in ihren Jugendjahren durch deren Trainingskurse und missionarische Einsätze außerhalb und innerhalb Ägyptens geprägt.

Die Dimension des Gebets

Die Grundlage einer missionarisch orientierten Kirche ist das Gebet. So sehr die ägyptische Christenheit das mittragende Gebet durch den Rest des Leibes Christi braucht, so sehr können westliche Christen in Ägypten in ihrem Gebetsleben inspiriert werden. Der Einfluss der koreanischen und heute auch chinesischen Gebetsbewegung ist in Ägypten deutlich spürbar. Es ist tief berührend zu erleben, mit welcher Leidenschaft ägyptische Christen beten. Sie treffen sich in großen Zahlen und allen Altersgruppierungen zu wöchentlichen Gebetstreffen, Gebetsnächten und großen Gebetskonferenzen. Man nimmt sich Urlaub und investiert Zeit und Geld, um in Tagen des Fastens und Betens Gottes Eingreifen in Land und Region zu erflehen.

Die Dimension des Leidens

Die Präsenz des ägyptischen Christentums im 21. Jahrhundert hat unbestritten eine missionarische Dimension. Diese Präsenz ist zudem verbunden mit einem zeugnishaften Erleiden von Diskriminierung, Bedrohung, Zerstörung und Tötung des Lebens. Die ägyptische Kirche ist bis heute eine leidende Kirche. Die vielfältigen und brutalen Übergriffe auf die Christen Ägyptens innerhalb der letzten 10 Jahre belegen dies überdeutlich. Durch dieses mit Liebe und Versöhnungsbereitschaft ertragene Leiden hat die Kirche eine missionarische Kraft entwickelt. Eine bemerkenswerte Rolle nimmt dabei die ägyptische Bibelgesellschaft ein. Innerhalb von kürzester Zeit reagiert diese von allen Ägyptern akzeptierte Organisation auf die unterschiedlichsten tragischen Ereignisse mit der Produktion von angemessenen Bibeltraktaten, die dann zu hunderttausenden wirkungsvoll im Land verteilt werden.

Die Dimension des interkulturellen Dienstes

Es ist ermutigend zu beobachten, dass verschiedenste ägyptische Gemeinden und Organisationen ihre missionarische Verantwortung zunehmend erkennen. Seit 25 Jahren arbeiten ägyptische Christen missionarisch in Nordafrika, Europa, den Golfstaaten und Ländern des Mittleren Ostens. In Ägypten sind sie in wenig evangelisierten Gegenden unterwegs. Sie haben die unerreichten Volksgruppen im Sinai, in den westlichen Oasen und in Unter- und Oberägypten entdeckt. Darüber hinaus kommen auch andere Länder in Asien, Afrika und Südamerika in den Blick. Zugleich kümmert man sich um die hilfesuchenden Flüchtlinge aus Syrien und Jemen, die zu Hunderttausenden in Ägypten oder auch im Libanon und Jordanien Zuflucht suchen. Aktuell stehen viele ägyptische Christen bereit, Gemeinden in Europa bei der Begegnung mit den vielen Flüchtlingen aus dem Irak und Syrien zu unterstützen.

Die Dimension missionstheologischer Reflexion

Mit großer Freude nehmen wir wahr, dass verschiedene Gemeindeverbände begonnen haben, in ihr theologisches Ausbildungsprogramm nun auch missionstheologische Kurse zu integrieren, um sich für ein stärkeres weltmissionarisches Engagement vorzubereiten. Leider verlangsamen häufig noch immer Pastoren, Gemeindeleitungen und die soziale und familiäre Vernetzung die Sendung von neuen potenziellen interkulturellen Mitarbeitern. Lokale Interessen und gemeindliche Bedürfnisse stehen noch zu sehr im Vordergrund. Im Blick auf Sendestrukturen, Mitarbeiterbegleitung und Erfahrung in den neuen Zielländern steht die ägyptische Kirche noch ziemlich am Anfang.

Dennoch steht ein Paradigmenwechsel an. Besonders die evangelische ägyptische Christenheit sucht ihren Platz bei der Erfüllung des alle Volksgruppen umspannenden Auftrags Jesu (Mt 28:18-20). Die Zeit der „Glaubenshelden“ aus dem Westen mündet nun ein in eine neue Generation von „ägyptischen Glaubenshelden“.

Quelle: EMO aktuell Frühjahr 2018