- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Muslime, die Christen werden, leben gefährlich

Till-Reimer Stoldt
Muslime, die Christen werden, leben gefährlich

Sie werden bedroht, beschimpft und bedrängt: Muslime, die zum Christentum übergetreten sind, leben hierzulande gefährlich – vor allem, wenn sie für ihren Glauben unter Muslimen werben. WELT ONLINE hat eine türkisch-evangelikale Gemeinde in Köln besucht und dort mutige Menschen getroffen.

Als habe er dem Leibhaftigen ins Auge geschaut, verfärbt sich das Gesicht des älteren Herrn mit dem grauen Bart und dem weißen Käppi dunkelrot. Mit bebender Stimme faucht er auf Türkisch: „Was fällt dir ein? Du sagst mir, einem Muslim, ich solle Christ werden?“ „Genau“, erwidert der angesprochene Esat Avcioglu, seines Zeichens Pastor einer türkischen Christengemeinde. Dann setzt er nach: „Sie haben die freie Wahl! Lesen Sie das Traktat, dann können Sie überlegen, ob Sie Christ werden wollen.“ Gleichzeitig hält er dem Muslim ein Heftchen vor die Brust (Titel: „Wie komme ich in den Himmel?“). „Freie Wahl?“, raunzt der Muslim ungläubig. Doch dann stutzt er, schnappt sich das Heftchen, verschwindet – und hat Bekanntschaft mit einem unbequemen Grundrecht gemacht: mit Religionsfreiheit, die das Recht auf Mission und Glaubensabfall einschließt.

Missionieren unter Muslimen ist extrem gefährlich

Über Muslimmission, wie die türkisch-evangelikale Gemeinde Pfarrer Avcioglus aus Köln sie betreibt, wird derzeit heftig gerungen: Eine Position lautet, Kirche müsse hiesigen Muslimen das Evangelium bringen und selbstbewußt die geltende Religionsfreiheit nutzen. Dies verkünden Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) um den Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber und der Evangelikalen-Dachverband Evangelische Allianz in Deutschland (EAD).

Ein anderer Teil der EKD spricht sich gegen Missionsarbeit aus. So verfaßten zahlreiche Theologen kürzlich einen offenen Brief, in dem sie vor Muslimmission warnten, weil sie dem Religionsfrieden schade. Sogleich attestierten auch islamische Verbände, Mission schüre Konflikte. Und es stimmt ja: Religionsfreiheit ist konfliktträchtig. Nur sind die Opfer dieser Konflikte zunächst einmal nicht die Muslime. Kaum jemand veranschaulicht dies besser als die bis zu 6000 türkischen oder arabischen Evangelikalen in Deutschland, die meist erst hier vom Islam zum Christentum übertraten und nun Muslime zu bekehren versuchen.

Wenn zum Beispiel die Gemeindeglieder Pfarrer Avcioglus in die Kölner Zuwandererviertel ziehen, in Chorweiler Büchertische aufstellen und mit Gitarren musizieren oder in Nippes Passanten ansprechen, dann werden sie oft als Volksverräter, Höllenpack und Gotteslästerer beschimpft oder hören gar Morddrohungen.

Ex-Muslime, die Christen werden, bringen immense Opfer

Welche Opfer sie erbringen müssen, weil sie ein Grundrecht in Anspruch nehmen, zeigen vor allem aber die Lebensgeschichten konvertierter Ex-Muslime, von denen die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann einige gesammelt hat: Mal wurden die Neu-Christen von ihren Familien verstoßen, gejagt oder verprügelt, mal fast totgeschlagen oder angezündet. Auch in der Kölner Gemeinde kursieren Geschichten von niedergestochenen oder verstümmelten Konvertiten. Aber das sind Ausnahmen. Häufiger sind weniger blutige und dennoch brutale Schicksale. Da ist etwa die 60-jährige Sacide, eine kleinwüchsige Dame mit leicht verklärtem Lächeln. Einige Zeit nach ihrem Übertritt zum Christentum verstarb ihre Mutter. Als sie zum Begräbnis in die türkische Heimat reiste, ließen Schwester und Schwager sie nicht mehr an die Leiche der Mutter herantreten. Als Abtrünnige sei Sacide unrein, sie beschmutze das Begräbnis. „Ich habe meiner Schwester trotzdem vergeben“, sagt Sacide. Das habe Gott von ihr verlangt.

Oder die Geschichte von Mehmet, ebenfalls ein Kölner Gemeindeglied (mit diesem verklärten Lächeln). Gemeinsam mit seinen Eltern konvertierte er zum Glauben an Christus. Nachdem die Familie dies bekannt gemacht hatte, bekam sie Besuch von Mehmets Neffen. Kaum war der Neffe in der Wohnung, prügelte er auf Mehmets alten Vater ein – weil der die „Familienehre verraten“ habe. Als der muskulöse Mehmet dazwischensprang, sagte der geprügelte Vater nur: „Laß ihn, Mehmet! Wäre ich noch Muslim, hätte ich vielleicht auch so gehandelt.“ So viel Güte erweichte sogar das Herz des zornigen Neffen.

In dieser Opferbereitschaft liegt womöglich ein Schlüssel zum – wenngleich bescheidenen – Erfolg der winzigen Minderheit. Immerhin wuchs die Kölner Gemeinde binnen 15 Jahren von drei auf 40 Familien an. Und auch andere türkisch-christliche Gemeinden berichten von Zulauf.

Die Erfolgsgeschichte kann auch als Zerstörungswerk
gelesen werden

Was nach Erfolgsgeschichte klingt, ließe sich allerdings auch ganz anders erzählen: als Zerstörungswerk. So jedenfalls wird das selbstbewußte Auftreten türkischer Christen im muslimischen Milieu oft erlebt. Schließlich brechen die missionarischen Neu-Christen in eine meist homogene Lebenswelt ein, in der Familie, Volk und Tradition noch als rein muslimisch wahrgenommen werden. Wer in diese vom Pluralismus kaum berührte Welt mit einem fremden Glauben eindringe, zerstört laut dem Kulturanthropologen Werner Schiffauer in den Augen vieler Muslime eine stabile Ordnung, aus der sie Geborgenheit und Glaubenskraft schöpfen. Zudem ist den zugewanderten Muslimen auch aus ihren Herkunftsländern eine Gleichberechtigung nicht muslimischer Glaubensgemeinschaften unbekannt. Und von Ägypten bis in die Türkei werden christliche Missionare und Konvertiten noch heute öffentlich als Ruhestörer und Anarchisten bezeichnet.

Deshalb wohl bekämpfen manche Muslime hierzulande die Religionsfreiheit so ungeniert: weil sie sich als Verteidiger einer heilen Welt verstehen. Wenn man so will: weil sie sich im konservativen Abwehrkampf gegen die zerstörerisch-pluralistische Moderne sehen. In dieser Auseinandersetzung sehen viele in den türkischen Christen Streiter für das westliche Freiheitsverständnis. Denn sie fordern unter muslimischen Angehörigen und Bekannten Respekt für das Recht auf religiöse Entscheidungsfreiheit ein, sie verkünden, wenngleich als Nebeneffekt ihres Bekehrungseifers, das westliche Ideal des mündigen Einzelnen, der aufgrund freien Entschlusses seinen Lebensweg wählt.

Ein Siegeszug religiöser Selbstbestimmung

Was schon beim Gottesdienst der Kölner Gemeinde ins Auge springt, wo Männer und Frauen bunt gemischt sitzen und mit gen Himmel gestreckten Händen Lobpreislieder singen. Kaum ist der Gesang – der an orientalische Liebeslieder erinnert – verklungen, beginnt geradezu eine Siegesfeier religiöser Selbstbestimmung: Zwei junge, frisch bekehrte Ex-Muslime mit Kevin-Kuranyi-Bärtchen treten ans Pult und erzählen, welche Argumente für Christus oder Mohammed sie monatelang abwogen, bevor sie sich aus freien Stücken für das Christentum entschieden (zum Beispiel: „Erst die Feindesliebe Jesu brachte mir Frieden mit den Kollegen“, oder: „Der Geist Jesu lebt in den Menschenrechten“). Beide berichten auch, wie sie sich dem Druck ihrer Familien widersetzten, der von angedrohtem Kontaktabbruch und in Aussicht gestellter Enterbung bis zum Vorwurf reichte, sie verrieten Ehre, Ahnen und Heimat. Doch inzwischen haben zumindest die Eltern dieser beiden jungen Männer akzeptiert, daß ihre Kinder selbst entscheiden, welchen Glaubensweg sie einschlagen. Seitdem wehe in seiner Familie ein neuer Wind, erzählt einer der Konvertiten: „Harmonisch ist es nicht immer, aber dafür darf ich glauben, was ich will.“ Das klingt nach Freiheit.