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Der Weg der Gemeinde Jesu in der Krise der Volkskirche (Fünf Thesen)

1.) Volkskirche ist ein mehrdeutiger Begriff. Er meint erstens eine Kirche, zu der die Mehrheit eines Volkes gehört, und er drückt zweitens das Selbstverständnis einer Kirche aus, die missionarisch und diakonisch für das ganze Volk da sein möchte. Weil beide Auffassungen ineinanderlaufen, verstehen sich sowohl die Röm.-kath. Kirche als auch die EKD noch als Volkskirche, obwohl die Mehrheit des deutschen Volkes keine kirchliche Bindung mehr hat.

2.) Der Autoritätsverlust der evangelischen Kirche seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts ist begründet im Autoritätsverlust der Bibel in der evangelischen Kirche. Während die Röm.-kath. Kirche auf Bibel und kirchlicher Tradition fußt, ist der Protestantismus von Anfang an eine Bibelbewegung und hat nur die Bibel als Grundlage. Wenn die Bibel ihre normative Bedeutung für Glauben und Leben verliert, gerät er unweigerlich in die Krise. Einige Marksteine des Autoritätsverlustes der Bibel seit dem Ende des 2. Weltkriegs: die von R. Bultmann verursachte Entmythologisierung; die Einführung der Frauenordination; die Übertragung der Letztentscheidung über die Abtreibung an die Frau („Rosenheimer Erklärung“ 1991); die Anerkennung homosexuellen Verhaltens als unter bestimmten Umständen ethisch vertretbar („Mit Spannungen leben“ 1996); die Bestreitung, dass die Bibel „Wort Gottes“ ist („Freiheit und Rechtfertigung“ 2014); die Zustimmung zur „Ehe für alle“ (2017).

3.) Die Krise der Volkskirche ist eine Auswirkung der Sinn- und Orientierungskrise des christlichen Abendlandes seit dem Aufkommen des Humanismus.

Hauptstadien dieser geistigen Krise:

3.1 Der geistige Kampf zwischen Erasmus „Vom freien Willen“ (1524) und Luther „Vom unfreien Willen“ (1525) um die Willensfreiheit und das Menschenbild.

3.2 Rationalismus (Descartes, gest. 1650, und Kant, gest. 1804). Lessing: „Zufällige Geschichtswahrheiten können nicht der Beweis für notwendige Vernunftwahrheiten sein“ (1777).

3.3 Im 19. Jahrhundert tritt der Pantheismus neben das biblische Gottesbild, Freud und Marx treten in Konkurrenz zum biblischen Menschenbild, Darwins Evolutionslehre verdrängt das biblische Zukunftsbild. Der Mensch wird heimatlos (vgl. Nietzsches Gedicht „Vereinsamt“; Einfluss des „Zarathustra“).

3.4 Der Neomarxismus (Th. Adorno, M. Horkheimer, H. Marcuse, J. Habermas) stellt alle herkömmlichen Autoritäten infrage und begründet die postmoderne Selbstbestimmungskultur.

4.) Die unzerstörbare Grundlage der Gemeinde Jesu.

4.1 Wer den Heiligen Geist hat, gehört zum Leib Christi. Christus versorgt seine Gemeinde. Deswegen ist sie unzerstörbar und kann sich jederzeit regenerieren, auch inmitten von Verführung und Verfolgung.

4.2 Der Heilige Geist ruft die Gemeinde Jesu immer wieder in ihre eigentliche Existenz im Zeichen des Kreuzes, d.h. in die Doppelbewegung des Glaubens und der Liebe. Er versorgt sie mit Leitern, die den Glauben stärken, und mit Diakonie, die der Gottesliebe entspringt (vgl. 1 Tim 3).

4.3 An folgenden Kennzeichen ist die Gemeinde Jesu immer erkennbar: Predigt des Evangeliums, Taufe, Abendmahl, Gemeindezucht und Sündenvergebung, Leitungsämter, gemeinsames Gebet, Leid und Anfechtung (Luther, Von Konzilien und Kirchen 1539).

5.) Die Gemeinde Jesu – ein Lebensmodell mit Zukunft

5.1 Sie hat die Ewigkeit – also hat sie Zeit, sich aus Glaube und Liebe in Kirche und Welt zu engagieren.

5.2 Sie hat die Liebe Gottes empfangen – also kann sie selbstlose Liebe und Diakonie üben.

5.3 Sie hat in Christus den allergrößten Schatz, den es gibt – also ist sie gefeit gegen allen irdischen Materialismus und Konsumismus.

5.4 Sie hat echte Vergangenheit durch die Vergebung Gottes in Christus, die sie täglich in Anspruch nehmen darf – also hat sie die Kraft, anderen zu vergeben.

5.5 Sie hat ein tragfähiges Menschenbild, weil sie weiß, dass der Mensch Geschöpf eines Beziehungsgottes ist – also kann sie Beziehungen aufbauen, gestalten und bewahren.

5.6 Sie hat einen Blick für die göttliche Gabe der Fruchtbarkeit und Sexualität – also kann sie diese Gabe in der Ehe von Mann und Frau gestalten und ein unbedingtes Ja zum Kind haben.