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Dürfen Christen auf Nachwuchs verzichten?

Dürfen Christen auf Nachwuchs verzichten? Ehe, Kinder und Familie – in der Bibel, der katholischen und evangelischen Kirche

Die Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken und damit die natürliche Vorbedingung für eine menschenwürdige Zukunft zu schaffen, hat auf keinem Kontinent so rapide abgenommen wie in Europa. Dieser Trend ist auch an Christen nicht spurlos vorübergegangen. Aber steht es eigentlich im Belieben christlicher Ehepaare, ja oder Nein zu Kindern zu sagen? Oder stellt sich, wer ohne Not auf Nachwuchs verzichtet, gegen die Bibel? Diesen Fragen geht im folgenden Beitrag der evangelische Theologe Dr. Werner Neuer, Dozent für Systematische Theologie am Theologischen Seminar Chrischona (Bettingen bei Basel), nach. Er ist Vater von sieben Kindern.

Angesichts der katastrophalen demographischen Entwicklung besonders im deutschsprachigen Europa sollte ein ermutigendes Signal nicht übersehen werden: Die Kinderzahl bei praktizierenden Christen liegt unserer Beobachtung nach deutlich über dem statistischen Durchschnitt, und die Zahl kinderreicher Familien ist (von Muslimen abgesehen) bei ihnen signifikant höher als in der übrigen Bevölkerung. Offenbar gehört dies zu jener christlichen Kultur des Lebens, die Jesus Christus als „Brot des Lebens“ (Joh 6,35) und als „Leben“ in Person (Joh 10,25; 14,6) gestiftet hat: Er lädt zu einem Leben in Fülle ein (Joh 10,10). Die von ihm geschenkte Lebensfülle ist zwar weit mehr als das bloße biologische Leben, aber sie verleiht auch dem kreatürlichen Leben eine völlig neue Qualität und hat daher auch positive Konsequenzen für die Bereitschaft, Kindern das Leben zu schenken.

Kinderlos um Gottes willen?

Dennoch ist nicht zu übersehen, daß die heute weit verbreitete Verhütungsmentalität längst auch Christen ergriffen hat. Das wird daran besonders deutlich, daß der durch die modernen Verhütungsmittel ermöglichte grundsätzliche Verzicht auf Kinder inzwischen auch von christlichen Ehepaaren praktiziert wird – manchmal sogar ausdrücklich mit dem Motiv, dadurch für das Reich Gottes verfügbarer zu sein. Nun kennt die Heilige Schrift zwar eine Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen. Aber eine freiwillig herbeigeführte Kinderlosigkeit? Da stellt sich schon die Frage, ob ein solcher Verzicht überhaupt mit dem christlichen Eheverständnis vereinbar ist.

Mehr Kinder, mehr Segen

Die römisch-katholische Kirche gibt darauf eine sehr klare Antwort. Bei einer katholischen Trauung werden die Brautleute vor der Einsegnung ausdrücklich gefragt: „Seid ihr bereit, die Kinder, die Gott euch schenken will, anzunehmen und sie im Geiste Christi und seiner Kirche zu erziehen?“ Denn die Offenheit für Kinder gehört nach katholischem Verständnis zur Voraussetzung einer christlichen Ehe. Um es mit den Worten des (katholischen) Weltkatechismus zu sagen (Nr.2630): Die eheliche Liebe steht „unter der doppelten Forderung der Treue und der Fruchtbarkeit“.

In den Agenden der deutschen evangelischen Landeskirchen findet sich in den Traufragen zwar kein ausdrücklicher Hinweis auf die Bereitschaft zum Kind. Aber es wird nach dem Willen gefragt, die Ehe nach Gottes „Geboten“ bzw. unter seiner „Verheißung“ zu leben. Da die evangelischen Kirchen neben den altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnissen die Bibel als letztgültigen Maßstab ihrer Lehre anerkennen, wird damit auf die speziell für die Ehe geltenden biblischen Gebote und Verheißungen Bezug genommen. Die Bibel aber läßt keinen Zweifel daran, daß das gottgewollte Ziel der Ehe nicht nur in der liebenden Ergänzung (1Mo 2,18; Spr 31,10-31; Pred 9,9 u.ä.) und im Einswerden von Frau und Mann besteht (1Mo 2,24; Mk 10,6-8; 1Kor 7,3-5; Eph 5,31), sondern auch in der Fortpflanzung. Der in der Schöpfungsgeschichte an Mann und Frau ergehende Zuspruch Gottes „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde!“ wird nach der Sintflut zweimal bekräftigt (1Mo 9,1.7) und hat die biblische Ethik nachhaltig bestimmt (vgl. 1Tim 2,15; 5,10.14). Im Gegensatz zu der heute verbreiteten Verhütungsmentalität wird die Fruchtbarkeit in der Bibel als Segensgabe des Schöpfers außerordentlich positiv gewürdigt (5Mo 7,13f; Hes 36,11 u.ä.). Dementsprechend werden Kinder als „Gabe des Herrn“ (Ps 127,3) und sogar als Vorbild des Glaubens (Mt 18,2-4) hoch geschätzt – so hoch, daß Kinderreichtum stets als besonderer Segen Gottes gewertet wird (1Mo 24,60; Ps 128,1.3; Hiob 43,12f).

Luthers Lust zum Kind

Die Reformatoren haben ganz im biblischen Sinne die Fortpflanzung als eine wesentliche und unverzichtbare Sinngebung der Ehe hervorgehoben. Luther hat in seiner Schrift „Vom ehelichen Leben“ betont, daß Gottes Verheißungswort „Seid fruchtbar und mehret euch“ „mehr (sei) als ein Gebot, nämlich ein göttlich Werk, das zu verhindern oder zu unterlassen nicht bei uns steht.“ Nach Luthers „Großem Katechismus“ will Gott durch die Ehe bewirken, daß Mann und Frau „zusammenhalten, fruchtbar seien und Kinder zeugen, ernähren und aufziehen zu Gottes Ehre“.

Die Auffassung der römischen Kirche, daß zum christlichen Eheverständnis die grundsätzliche Bereitschaft zur Fortpflanzung gehört, ist also zutiefst biblisch und ebenso gut reformatorisch. Evangelische Christen, die ohne schwerwiegende (z.B. krankheitsbedingte) Gründe freiwillig auf Kinder verzichten, können sich daher weder auf die Heilige Schrift noch auf das reformatorische Ethos berufen. Eine an Gottes Willen orientierte Ehe darf die Möglichkeit von Kindern nicht eigenmächtig ausschließen, wenn Gott die Zeugung und Erziehung von Kindern als wesentliches Ziel der Ehe vorgesehen hat. Völlig anders zu bewerten ist natürlich jede biologisch bedingte Unfruchtbarkeit, weil hier die Kinderlosigkeit von Gott selbst verfügt ist. Eine solche Fügung darf der Glaubende im Vertrauen darauf annehmen, daß Gott den Mangel an natürlichen Gaben auf andere Weise (z.B. durch Adoption oder soziale Aufgaben) zu kompensieren vermag.

Kinderlose Gesellschaft

Kinder sind nach christlichem Verständnis jedenfalls kein Verhängnis, vor dem man sich schützen muß. Sie sind auf vielfältigste Weise ein Segen: Ihre Art zu denken, zu lernen, die Welt zu betrachten, fordert Eltern heraus und läßt sie in ihrer Persönlichkeit reifen. Kinder können uns lehren, was Glauben und Vertrauen heißt. Kinder vermindern die Gefahr, daß ein Paar in einen Ehe-Egoismus verfällt, der nicht mehr über den Rand der eigenen Beziehung hinaussieht. Kinder können Eltern dazu verhelfen, Liebe zu üben und zu lernen! Und Kinder sind in jeder Gesellschaft eine Sicherung für das Alter. Der Sozialstaat mit seinem umlagefinanzierten Rentensystem vertuscht zwar diesen Zusammenhang – aber die Folgen der Kinderarmut werden Länder wie Deutschland, Japan oder China aufs bitterste zu spüren bekommen. Ganze Völker haben sich in erschreckendem Maß durch rigorose Verhütung und massenhafte Abtreibung um Gottes Segen gebracht.

Falsche Idealisierung

Nun wäre es natürlich abwegig, das Ja zu Kindern in erster Linie als „Pflicht“ zu betrachten. Gerade die christliche Ethik wird daher bei der Frage der freiwilligen Kinderlosigkeit nicht in erster Linie die biblisch begründete Ablehnung betonen, sondern Gottes Liebe, die uns beschenken will: Gott möchte die Lebensqualität der Ehe durch Kinder ja vertiefen und erhöhen – obwohl das Ja zum Kind für die Eltern eine lebenslange hohe Verantwortung und damit auch Mühen bedeutet. Dies ohne falsche Idealisierung auch in einer kinderfeindlichen Gesellschaft zu bezeugen, ist heute die Aufgabe aller Christen.

(Idea 3.4.2006)