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Erfüllt die Lutherbibel 2017 die an sie gesteckten Erwartungen? – Untersuchungen zu ausgewählten Bibelstellen

Die „Biblia/Das ist/Die gantze Heilige Schrifft: Deudsch/Auffs new zugericht./D. Mart. Luth.“, also die sogenannte „Lutherbibel“, die 1545 in Wittenberg von Hans Lufft gedruckt worden ist, kann in ihrer Bedeutung für die evangelische Kirche wie für die deutsche Sprache nicht hoch genug geschätzt werden. Wenn zum Reformationsjubiläum eine revidierte „Lutherbibel 2017“ von der Deutschen Bibelgesellschaft veröffentlicht worden ist, darf nachgefragt werden, ob der Kirche damit ein Dienst am Evangelium erwiesen worden ist.

Begründet wurde die Revision – ursprünglich nur als Durchsicht der Lutherbibel 1984 geplant – vor allem mit der mangelhaften Übersetzung der sogenannten Apokryphen in den bisherigen Ausgaben. Was jedoch die neue Lutherbibel von ihrem Vorgänger wahrnehmbar unterschei­det, ist die verstärkte Berücksichtigung der Übersetzung von 1545.

Äußeres und Formales

Um mit dem Positiven zu beginnen: Seit ihrem Erscheinen im Oktober 2016 sind bislang mehr als 400 000 Exemplare der „Lutherbibel 2017“ verkauft worden – ökonomisch für die Deutsche Bibelgesellschaft ein Erfolg, der auch deren bibelmissionarischen Tätigkeit zugutekommt.

Weiterhin kann sich die neue Lutherbibel sehen lassen, hat doch Fried­rich Forssman die Einbandgestaltung und die Innentypographie übernommen. Forssman, einer der maßgeblichen Typografen in Deutschland, versteht es, dem Bibeltext erlesene Buchstaben (Bloklands „Documenta“) beizubringen. Außerdem besitzt die neue Lutherbibel gutes Kartenmaterial und einen soliden Anhang.

Die Probleme fangen jedoch gleich im ersten Absatz des Vorworts an, wenn der Ratsvorsit­zende der EKD, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford Strohm schreibt:

„Sie halten ein Stück Menschheitsgeschichte in der Hand. Die Texte, die Sie hier finden, sind in einem Zeitraum von etwa 1000 Jahren entstanden: Erzählungen vom Werden der Welt, von der Geschichte Gottes mit den Menschen und von den Erfahrungen, die Menschen mit Gott gemacht haben. Gesetzestexte und Lieder. Gebete und Liebesgedichte. Briefe und Predigten. Reden und Visionen von einer neuen Welt.“

An Stelle des göttlichen Wortschatzes sucht Bedford-Strohm die Bibel als religiösen Erfah­rungsschatz zur Geltung zu bringen. Wo man als Bibelleser sich nicht auf das göttliche Wort in Gesetz und Evangelium einlassen soll, sondern auf „geschichtliche“ und damit je eigensin­nige Gotteserfahrungen von Menschen, ist die Autorität der Heiligen Schrift in der Kirche preisgegeben.

Zur Textrevision

Nun zum Text selbst. Der Anspruch der Revision ist es gewesen, überall dort Luthers Über­setzung zu bewahren bzw. wiederherzustellen, wo diese philologisch korrekt und bis heute verständlich geblieben ist. Dieser Anspruch ist freilich nicht immer eingehalten. So wird beispielsweise in Markus 1,14 Johannes der Täufer – im Unterschied zu Luther 1984 – nicht gefangengesetzt, sondern mit Luther 1545 „überantwortet“, was semantisch falsch und für Normalsterbliche nicht unbedingt verständlich ist Johannes hat sich vor Herodes Agrippa nicht in einem Gerichtsprozess als Angeklagter zu verantworten – wie Jesus vor dem Syne­drium –, sondern soll in der Kerkerhaft mundtot gemacht werden.

David erscheint immer noch bräunlich (1Sam 16,12), obwohl das hebräische Adjektiv admoni wie bei Esau (1Mose 25,25) „rötlich“ heißen muss. Er spielt immer noch die Harfe (1Sam 16,16.23), obwohl kinnôr ein Lauteninstrument ist. Und im Himmel der Lutherbibel erklingen ebenfalls Harfen (Offb 5,8; vgl. Offb 14,2; 15,2), obwohl kithara (naheliegend) die Gitarre ist.

Missionsbefehl und Johannesprolog

Wirklich anstößig ist, dass Jesu Missionsbefehl (Mt 28,18-20) in der neuen Luther­bibel keine Jünger mehr kennt. Stattdessen ist doppelte Belehrung angesagt, wenn es in Anlehnung an Luther 1545 heißt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. [19] Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes [20] und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Damit wird die Textfassung aus dem revidierten Luther-NT von 1956 „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“ zurückgenommen, obwohl es in den anderen Standardüberset­zungen wie Einheitsübersetzung, Elberfelder, Zürcher sowie der englisch­sprachigen NRSV von einem „Jünger-machen“ die Rede ist.[1] [1]

Das diesbezügliche griechische Verb mathēteuō ist alles andere als ein geläufiges Wort. Der transitive Gebrauch gehört zur christlichen Sondersprache und ist in der gesamten antiken Literatur nur viermal belegt. Es bedeutet mehr als nur Wissenswertes zu „lehren“, sondern bezieht sich auf ein verbindliches Lehr- und Lebensverhältnis, nämlich das zwischen einem Jünger (mathētēs) und seinem Meister. Aufschlussreich ist, dass in Mt 27,57 sowohl die Vulgata wie auch Luther bezüglich Josef von Arimathäa die Passivform emathēteutē nicht als „belehrt worden sein“, sondern als „Jünger sein“ (discipulus esse) übersetzt haben.

Was „Jünger machen bzw. gewinnen“ beinhaltet, entfaltet Jesus in der nachfolgenden – eigentlich modal zu übersetzenden – Partizipialkonstruktion, nämlich „taufen“ (v 19b) und „lehren“ (v 20a). Luther muss die durch seine Übersetzung von mathēteusate in Vers 19 entstandene Tautologie „Lehret alle Völker, indem ihr lehrt“ auflösen. Er tut dies dadurch, indem er die Partizipialkonstruktion durch zwei Impera­tive „taufet“ bzw. „lehret“ parataktisch wiedergibt.

Es geht in Jesu Missionsbefehl um einen bestimmten „Jünger-sein“-Status von Menschen in Bezug auf Jesus selbst – in Entsprechung zu den elf Jüngern (mathētai), die auf dem Berg in Galiläa diesen Befehl selbst empfangen haben (v 16). Taufe auf Seinen Namen und Unterwei­sung in Jesu Sinne sind beides Beziehungsgeschehen, die das „Jünger machen“ in die Tat umsetzen. Jesu Gegenwartszusage „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20b) gilt damit sowohl für die elf Jünger auf dem Berg, wie auch für die neu hinzugewonnenen Jünger aus den Völkern. Ohne ein „Jünger machen“ würde es hingegen eine bleibende Diskrepanz zwischen den elf „gelehrten“ Jüngern und den übrigen „belehrten“ Menschen geben. Ein missionarisches „Jüngerschaftsverhältnis“ hingegen nimmt für Christen einen egalitären Charakter an und ist damit gerade nicht vormundschaftlich bestimmt.

Auch in der neuen Lutherbibel heißt es eingangs des Prologs im Evangelium nach Johannes immer noch: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ (Joh 1,1) Dieser Vers muss irritieren: Wie kann man mit jemandem zusammen sein, wenn man derselbe ist – das Wort mit Gott und zugleich Gott. Die Ursache für diese Konfusion ist schlicht die Auslassung des bestimmten Artikels in der deutschen Übersetzung. Martin Luther hat – wie so oft – eben nicht nach dem griechischen Urtext, sondern nach der lateinischen Vulgata übersetzt (wo es ja keinen bestimmten Artikel gibt): „In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum.“ Dem griechischen Original zufolge muss die korrekte Übersetzung wie folgt lauten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei dem Gott, und das Wort war Gott.“ Das Objekt „dem Gott” bezieht sich auf den himmlischen Vater, wo hingegen im dritten Satzteil „Gott” als Gattungsname bzw. Prädikatsnomen gilt.[2] [2] Folgerichtig wird das Wort (bzw. der Logos) als göttlich prädiziert, was nichts anderes heißt, als dass es über dieselben Wesenseigenschaften wie der Gott verfügt. Trotz Wesenseinheit ist es jedoch nicht mit dem Vater identisch.

Buße

Eines der eher verunglückten Wörter des christlichen Wortschatzes ist im Deutschen das Verb „büßen“ (bzw. die „Buße“). „Das sollst Du mir büßen“ heißt es, wenn es um Vergeltung geht. Dass das Wort „Buße“ bei uns einen schlechten Klang hat, verdankt sich dem kirchlichen Bußverfahren des Mittelalters, bei dem es die in Bußbüchern (libri poenitentiales) tariflich festgelegten Bußstrafen zur eigenen Besserung abzuleisten galt. Etymologisch betrachtet kommt „büßen“ nämlich von „bessern“. Wenn jedoch im griechischen Text der Bibel von metanoia bzw. metanoeō die Rede ist, wird damit keine selbstbezügliche „Besserung“, sondern eine lebensbeziehende Umkehr angesprochen.[3] [3] Wer umkehrt, wendet sich Christus bzw. dem Evangelium zu. Der Umkehrende ist einer, der auf seinen Glauben hin Vergebung empfängt und von Christus angenommen wird.

In der revidierten Lutherbibel von 2017 lautet Jesu galiläischer Predigtruf (metanoiete) – mit Bezug auf die lateinische Wendung poenitentiam agite aus der Vulgata – immer noch luthergemäß: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 4,17) –, im Unterschied zur Zürcher Bibel bzw. zur Einheitsübersetzung: „Kehrt um!“ Interessanterweise hat gerade Martin Luther das Missverständnis einer büßerischen Werkgerechtigkeit im lateinischen poenitentiam agite festgemacht, wenn er in seinem Brief an Johann von Staupitz vom 30. Mai 1518 schreibt:

„Daran klammerte ich mich und wagte zu meinen, dass diejenigen im Irrtum seien, welche den Werken der Buße so viel beilegten, daß sie uns von der Buße kaum etwas übrigließen außer etwa den geringen Werken der Genugtuung und der überaus beschwerlichen Beichte. Sie haben sich nämlich durch das lateinische Wort »poenitentiam agere« irreleiten lassen, was mehr nach einem Tun als einer Änderung des Sinnes klingt und dem griechischen metanoia in keiner Weise Genüge tut.“[4] [4]

In der Luther-Übersetzung von 1545 wird das Wort „büssen“ im ursprüng­lichen Sinne als „bessern“ verstanden, so wenn Sanballat, der Horoniter sowie Tobija, der ammonitische Knecht im Buch Nehemia in Erfahrung bringen müssen, „das die mauren zu Jerusalem zugemacht waren / vnd das sie die lücken angefangen hatten zu büssen“ (Neh 4,7) oder aber über die göttliche Wachtel-Speisung Israels in der Wüste heißt: „Da assen sie vnd wurden all zusat / Er lies sie jren Lust büssen. Da sie nu jren lust gebüsset hatten / Vnd sie noch dauon assen.“ (Ps 78,29f) Folgerichtig taucht keine der ursprünglichen Verwendungen des Wortes „büßen“ in den Revisionen der Lutherbibel nach 1912 auf. Allerdings wurde „büßen“ im Sinne von „vergolten werden“ in die Revision des Alten Testaments von 1964 (Spr 13,13; 30,10; Jes 24,6; Jer 31,19 sowie Sir 23,34) neu eingeführt.

Bei drei der fünf Stellen ist in der Lutherbibel 2017 das sträfliche Büßen beibehalten worden. In Sprüche 13,13 heißt es noch immer: „Wer das Wort verachtet, muss dafür büßen“, obwohl das hebräische chabal nichts mit „büßen“ im Sinne einer Besserungsstrafe zu tun hat und Luther 1545 „WEr das wort veracht / Der verderbet sich selbs“ sachlich richtigliegt. Ähnlich steht in Sprüche 30,10 mit Luther 1964 noch immer „Verleumde nicht den Knecht bei seinem Herrn, dass er dir nicht fluche und du es büßen musst“ (Luther 1545 „Verrate den Knecht nicht gegen seinem Herrn / Er möcht dir fluchen / vnd du die schuld tragen müssest“), sowie in Sirach 23,24 [34] „Eine solche Frau wird man der Gemeinde vorführen, und ihre Kinder müssen’s büßen.“ (Luther 1545 „Diese wird man aus der Gemeine werffen / vnd jre Kinder müssen jr entgelten.“) Wo von einem sträflichen Büßen die Rede ist, widerspricht dies grundlegend der evangelischen Bußtheologie.

Licht und Schatten

In der neuen Lutherbibel 2017 wird nunmehr Lukas 2,14 textkritisch korrekt übersetzt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Luther hatte ja übersetzt: „Ehre sey Gott in der Höhe / Vnd Friede auff Erden / Vnd den Menschen ein wolgefallen“, was alle vormaligen Revisionen überstanden hatte. Wenn man bei dem vertrautesten Text der Lutherbibel solch eine signifikante Korrektur übernimmt, bleibt es unverständlich, warum in Psalm 68,20 Luthers Fehlübersetzung immer noch wiedergegeben wird: „Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. (GElobet sey der HERR teglich / Gott legt vns eine Last auff / Aber er hilfft vns auch)“ Richtig übersetzt die revidierte Einheitsübersetzung 2017: „Gepriesen sei der Herr, Tag für Tag! Gott trägt uns, er ist unsere Rettung.“

Es ist ja ein wesentlicher Unterschied, ob der Gott einem eine Last auferlegt oder aber einen selbst gnadenreich trägt. Dass Luther falsch übersetzt und nicht einfach nur interpretiert hat, wissen alle. Und dass seine „belas­tende“ Fehlübersetzung in den Duktus eines Siegesliedes auf Gottes Herrschaft nicht passen kann, ist offensichtlich. Und doch hat man bei der aktu­ellen Revision bewusst an der Fehlübersetzung festgehalten und als Fußnote hinzugefügt: „Wörtlich: »der unsere Last trägt, der uns hilft«.“ Offensichtlich wollte man sich in der neuen Lutherbibel eine sprichwörtliche Kernstelle frommer Gottergebenheit bewahren. Aber genau damit wird der eigene Übersetzungsanspruch zur semantischen Manipulation, womit die Autorität der Heiligen Schrift in Frage gestellt wird.

Fazit

Obwohl die revidierte Lutherbibel zahlreiche sprachliche Verbesserungen aufweist, ist sie für mich unbefriedigend. Die Sicherung eines protestantischen Kulturguts „Lutherbibel“ mit einem bildungsbürgerlich vertrauten „Luther-Sound“ geht nicht wirklich mit den Ansprüchen gottesdienstlicher Verständlichkeit sowie philologischer Zuverlässigkeit zusammen. In diesem Sinne ist gerade die Zürcher Bibel von 2007 als wirkliche Neuübersetzung der neuen Lutherbibel überlegen.

Für die Kirche Jesu Christi, die aus Seinem Wort lebt und es dazu auch muttersprachgerecht verstehen muss, darf es jedenfalls keinen Denkmalschutz in Sachen Bibelübersetzung geben. Ich frage mich, wie lange sich diese „Lutherbibel“ in der evangelischen Kirche und insbesondere im Gottesdienst halten wird.

Pfr. Dr. Jochen Teuffel, Vöhringen

[1] [5] Vgl. dazu Johannes Zimmermann, Zwei Mal »Lehren«? Ein Widerspruch zu Wolfgang Reinbolds Auslegung von Mt 28,19; ZThK 114, Heft 2, Juni 2017, 138-148.

[2] [6] Darauf hat schon Origenes in seinem Kommentar zum Johannesevangelium (II,2) hingewiesen.

[3] [7] Helmut Merklein, Art. metanoia/metanoeō, EWNT 2, Sp. 1022-1031; Julius Schniewind, Was verstand Jesus unter Umkehr?, in: Ders., Geistliche Erneuerung (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1981), 24-38.

[4] [8] WA 1, 526,10-14; deutsche Übersetzung nach Luther Deutsch. Die Werke Luthers in Auswahl, hg. v. Kurt Aland, Bd. 2: Der Reformator, Göttingen ²1981, 29.