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Im Gespräch: Erzbischof Janis Vanags

Freitag 1. Dezember 2017 von Gemeindehilfsbund


Gemeindehilfsbund

Erzbischof Janis Vanags studierte von 1976 bis 1982 Chemie an der Universität Lettlands und von 1984 bis 1989 Theologie am theologischen Seminar der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands in Riga. Von 1982 bis 1985 arbeitete er als Chemielehrer in Riga. Am 1. Dezember 1985 wurde er ordiniert und am 29. August 1993 zum Erzbischof seiner Kirche geweiht.

Was können Christen heute von Martin Luther lernen?

Vor allem die große Ernsthaftigkeit, mit der Luther sein Stehen vor Gott empfunden hat. Wir müssen es fühlen, nicht nur wissen, dass wir im Licht von Gottes Antlitz stehen, jede Minute. Dieses Bewusstsein gibt uns die richtige Perspektive für alle unsere Entscheidungen. Die Aussage Luthers in Worms „Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort“ charakterisiert ihn und sollte jeden Christen charakterisieren. Die meisten Menschen kennen Luther als Kämpfer und Helden. Aber er hat auch eine weniger bekannte Seite, er war auch ein Mann des Gebets. Meditatio, oratio, tentatio gehören zusammen.

Wie können wir in unseren Gemeinden die Ehen stabilisieren?

Vor 50 Jahren wussten die Menschen noch, warum die Ehe wichtig ist. Heute muss man das verstärkt lehren. Auch in den Gemeinden geht das Wissen über den Wert der Ehe zurück. Auch Christen leben ohne Ehe zusammen und sehen das als normal an. Wichtig ist, dass in der Ehe Mann und Frau geistlich eins sind. Und Gottesfurcht ist nötig. Seminare vor der Ehe sind wichtig. In Lettland haben wir damit gute Erfahrungen gemacht, denn solche Seminare bringen gute Früchte, und Ehescheidungen sind in diesen Gemeinden seltener. Viele Pfarrer bieten bei uns Eheseminare an. Wir betonen die Unscheidbarkeit der Ehe, aber unsere Kirche ist bei Scheidung und Wiederheirat nicht so streng wie die Röm.-kath. Kirche.

In der EKD setzen sich die Befürworter kirchlicher Amtshandlungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften immer mehr durch. Was sollen Pfarrer und Gemeinden tun, die diesen Weg nicht mitgehen? Sind die skandinavischen Bekenntnissynoden eine Alternative?

Ich bin kein Befürworter von Spaltungen, aber es gibt Grenzen. Die Segnung und Trauung gleichgeschlechtlicher Paare war für uns in der lettischen Kirche die rote Linie, wo wir gesagt haben, dass wir diejenigen nicht anerkennen, die solche Handlungen durchführen. Nach unserem Verständnis ist homosexuelles Verhalten sündhaft, und wenn die Kirche solche Partnerschaften segnet, dann segnet sie eine Sünde. Das ist eine große Veränderung im Umgang mit der Sünde. Jesus sagte: Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium. Aber solche Kirchen sagen: Bekehrt euch nicht, wir segnen euch. Die Leute zur Bekehrung anzuleiten, führt zum Leben. Sünde zu segnen, führt zum Tod. Es gibt in Deutschland die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK), das wäre eine gute Alternative. Die Entwicklung der Bekenntnissynoden in Skandinavien geht nur langsam voran, und ich weiß nicht, ob dieser Weg vielversprechend ist. Vielleicht wären auch Kontakte zum International Lutheran Council (ILC) hilfreich, dessen Präsident z.Zt. Bischof Voigt von der SELK ist. In der Anglikanischen Kirche gibt es die Einrichtung der „Flying bishops“, das sind theologisch konservative Bischöfe, deren Dienst von Gemeinden in Anspruch genommen werden kann. Ich habe keine Antwort, wir müssen schöpferisch sein.

In einem Interview aus dem Jahr 2003 habe ich den Satz gelesen „Die größte Herausforderung der Kirche ist, einen Weg zu finden, um das Evangelium in der postmodernen Welt zu verkündigen“. Hat die Evang.-Luth. Kirche Lettlands diesen Weg gefunden?

Das wäre schön, aber wir sind am Suchen. Wir erreichen viele Menschen mit dem Evangelium. Aber wir haben herausgefunden, dass die klassische Methode der sonntäglichen Predigt ergänzt werden muss durch Rüstzeiten, Alpha-Kurse, Exerzitien und andere Formen, die tiefer in das geistliche Leben hineinführen und den Menschen helfen, Wurzeln in der Kirche zu schlagen. In den sozialen Netzwerken müssen wir stärker präsent sein. Über Twitter kann man sehr viele Menschen erreichen.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen der kircheneigenen Luther-Akademie und der Theologischen Fakultät der Universität Riga entwickelt?

Abgesehen davon, dass dieselben Lehrer (Kirchengeschichte, Alte Sprachen) manchmal in beiden Schulen unterrichten, gibt es nicht viel Gemeinsames. Die Theologische Fakultät ist auf einem ganz anderen Weg, und die Luther-Akademie hat andere Ziele. Absolventen der Fakultät können in der Evang.-Luth. Kirche Lettlands angestellt werden, wenn sie anschließend Ausbildungsgänge an der Luther-Akademie belegen. Die Luther-Akademie wurde ja deswegen gegründet, weil wir festgestellt haben, dass wir die Absolventen der Fakultät nicht mehr mit ruhigem Gewissen ordinieren können. Andererseits haben manche unserer Pfarrer ihre Ausbildung an der Fakultät fortgesetzt, um den Magister- oder Doktor- Grad zu bekommen.

Wie kann man einem liberalen Theologen verständlich machen, dass in der Evang.-Luth. Kirche Lettlands keine Frauen zum geistlichen Amt ordiniert werden?

Inhaltlich ist das kaum möglich, und zwar vor allem deshalb, weil die Vertreter liberaler oder linksideologischer Positionen oft mit einem Anspruch moralischer Überlegenheit auftreten und gar nicht zu verstehen versuchen, sondern die anderen nur konvertieren wollen. Die liberale Theologie verwendet in ihrem Denken ganz andere Methoden der Begründung, so dass es sehr schwierig ist, jemand zu überzeugen. Solche Menschen sind nach meiner Erfahrung dann offener für unsere Positionen, wenn man ihnen die Geschichte unserer Kirche erläutert, besonders die früheren staatlichen Repressionen. Dann denken sie, das wird schon vergehen, wenn Vanags stirbt. Deswegen hat der Synodalbeschluss vom Juni 2016 solch eine Aufregung verursacht und war ein Schlag für viele, weil sich erwiesen hat, dass es nicht nur Vanags ist, der diese Sicht hat, sondern eine ganze Kirche. 77 Prozent der Synodalen haben dafür gestimmt, dass die Ablehnung der Frauenordination in der Kirchenverfassung verankert wird. Es waren alle Pfarrer versammelt, etwa zwei Drittel der Synode waren Laien und fast 50 Prozent Frauen. Das spricht für sich. Die Synode hat etwa 300 Mitglieder. Neben der gesamten Pfarrerschaft und der Kirchenleitung sind alle Gemeinden vertreten. Der Beschluss hat also eine starke demokratische Legitimation, und entgegen der Legende, dass die Evang.-Luth. Kirche Lettlands monarchisch regiert wird, gehört sie zu den am stärksten demokratisch verfassten Kirchen weltweit.

Übt der Lutherische Weltbund Druck aus, weil die Synode der Evang.-Luth. Kirche Lettlands im vergangenen Jahr die Frauenordination ausgeschlossen hat?

Unsere Kirche hat schon seit über 20 Jahren keine Frauenordination praktiziert. Der Synodalbeschluss bezog sich darauf, dass diese Position auch in die Kirchenverfassung aufgenommen wurde. Vom Generalsekretariat des Lutherischen Weltbunds wurden Sorgen geäußert, und vor der Abstimmung gab es Besuche vom LWB in unserer Pfarrerschaft. Aber diese Gespräche verliefen brüderlich. Anders war es bei den bilateralen Beziehungen etwa zur Nordkirche und zu verschiedenen deutschen Organisationen. Da wurden wir gewarnt vor den Konsequenzen. Das könnte man Druck nennen. Aber ich kann die Menschen verstehen. Wenn unsere Handlungen für sie so abscheulich sind, dann kann man verstehen, dass sie unsere Kirche nicht mehr unterstützen wollen. Wir haben vor der Abstimmung die Warnungen den Synodalen bekanntgemacht, weshalb keiner sagen kann, dass sei eine uninformierte Abstimmung gewesen.

Im Anschluss an diesen Synodenbeschluss war in der deutschen Kirchenpresse zu lesen, dass die Nordkirche die Beziehungen zur Evang.-Luth. Kirche Lettlands abbrechen will. Ist das erfolgt?

Im Moment ist die Lage unklar. Die Nordkirche hat gesagt, dass sie die Beziehungen zu unserer Kirchenleitung abbrechen will, obwohl die Initiative für den Synodalbeschluss nicht von der Kirchenleitung, sondern von den Gemeinden ausging. Und man hat gesagt, dass man sich direkt an die Gemeinden wenden will, um diejenigen zu unterstützen, die unter dem Beschluss leiden. Ich höre aus den Gemeinden, dass dies auch geschieht, was durchaus problematisch ist. Aber andererseits bin auch ich zum Jubiläumskongress des Gemeindehilfsbundes gekommen, um Christen hier zu unterstützen, die unter Beschlüssen ihrer Kirchenleitungen leiden.

Was war die betrüblichste und was die erfreulichste Erfahrung in den 25 Jahren Dienst als Erzbischof?

Ich kann beide Fragen in einer Antwort zusammenfassen. Wenn ich meine Aufgaben und meine Pflicht als Bischof würdig erfüllt habe, das ist das Erfreulichste. Es gibt viele Momente davon. Wenn ich falsch gehandelt habe und nicht würdig meine Kirche und mein Amt repräsentiert habe, waren das die schlimmen Momente. Ich würde nicht sagen, dass die betrüblichsten Momente von außen kamen; die habe ich mir selbst bereitet mit meinen Fehlern und Sünden und meiner Ungeduld. Solche Momente hat es in all den Jahren gegeben. Alle Höhen und Tiefen sind damit verbunden, wie gut und wie bewusst ich vor Gott gestanden habe und mich vom Heiligen Geist habe leiten lassen. Was von außen kommt, ist auch ein Weg, Theologie zu lernen, oratio, meditatio und tentatio. Die Anfechtungen machen uns meistens stärker.

Hat das Christentum in Europa noch Chancen?

Das Christentum in Europa ist nicht in der Situation, in der z.B. die Christen in der Sowjetunion waren. Die Lage ist leichter und besser. Es gibt keine so blutigen Verfolgungen oder direkte Unterdrückung, wie es während der Sowjetzeit war. Die komplizierte Sachlage ist die, dass die Anfechtungen und die Angriffe auf das Christentum jetzt oft aus der Kirche selber kommen. Das war aber auch in der Sowjetzeit so. Es gab viele Kollaborateure und Verräter. Das haben wir alles schon erlebt, in viel härterer Form. Die Kirche war damals kleiner, aber sie war stark und lebendig. Ich denke, dass ich vor Konformismus mit dem Zeitgeist warnen sollte. Das ist es, was heute die Kirche tötet. Damals war es Konformismus mit dem Staat, jetzt mit dem Zeitgeist.

In den U.S.A. gibt es schon direkte Angriffe und Unterdrückung von Christen, wenn christliche Unternehmer wirtschaftlich vernichtet werden, weil sie keinen Kuchen gebacken oder keinen Fotografen geschickt haben für gleichgeschlechtliche Trauungen. Das wird über Gerichte abgewickelt, und das ist schlimm. Und es gibt sogar einen Beschluss christlicher Leiter, die diese staatlichen Repressalien gutheißen. Diese Entwicklung hat unter Obama begonnen. Amerika ist nicht mehr das gleiche Amerika wie vor 10 Jahren, die Veränderungen sind spürbar christenfeindlich.

In Europa hört man davon noch nichts, aber es wird möglicherweise auch dort dahin kommen. Aber das Blut der Märtyrer ist der Samen der Kirche. Verfolgungen sind ein Reinigungsmittel für die Kirche. Aus der schwedischen Kirche hat mir jemand gesagt, dass er darauf hoffe, dass die Kirche arm wird, weil dann die Politiker das Interesse an ihr verlieren und sie sich wieder selbständig entwickeln kann. Vielleicht ist daran etwas Wahres. Ich bin im Blick auf das Christentum nicht pessimistisch, aber im Blick auf die europäische Zivilisation. Europa führt z.Zt. einen Selbstmord durch. Und zwar durch die Absage von den christlichen Wurzeln. Eine Zivilisation ist nur stark und wächst nur, wenn sie ein Ideal bzw. eine Idee hat. Wenn das Ideal verlorengeht, dann wird die Gesellschaft älter und schwächer und verschwindet. Das hat seit den 70er Jahren angefangen. Die postmoderne Ideologie bestreitet, dass es eine objektive Wahrheit und eine objektive Moral gibt. Und dann wird die Tür aufgemacht für Millionen von Einwanderern, die eine sehr starke Identität und sehr starke Ideale haben, die sehr vital und fruchtbar sind und eine gegen das Christentum gerichtete Ideologie haben. Gleichzeitig werden christliche Asylbewerber abgewiesen und werden zurückgeschickt nach Pakistan oder in den Iran, wo ihnen die Todesstrafe droht, weil sie den Islam verlassen haben. Dr. Arnold J. Toynbee sagte, dass die Zivilisationen ihre Existenz durch Selbstmord beenden. Das ist das, was jetzt mit Europa geschieht.

Die Fragen stellte Pastor Dr. Joachim Cochlovius.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland ist auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Spenden können auf das folgende Konto überwiesen werden:

Latvijas Evaņģēliski luteriskā Baznīca
Bank: Citadele banka
BIC PARXLV22
IBAN LV21PARX0000570101013

Quelle: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes (Nov 2017)

Die aktuelle Ausgabe des „Aufbruch“ kann hier heruntergeladen werden. Wenn Sie den „Aufbruch“ kostenlos abonnieren möchten, teilen Sie uns Ihren Wunsch gerne mit. (Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes, Mühlenstr. 42, 29664 Walsrode, Tel.: 05161/911330; info@gemeindehilfsbund.de).

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 1. Dezember 2017 um 16:35 und abgelegt unter Christentum weltweit, Interview, Kirche.