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Wie sollte die biblische Reaktion auf 500 Jahre Reformation aussehen? 

Wir denken in diesem Jahr zurück an die große geistliche Erweckung, die Gott mehreren Ländern Europas vor 500 Jahren schenkte. Warum tun wir das? Die frühe Geschichte des Volkes Israel beantwortet diese Frage in Richter 2,6–11. Wenn das Volk Gottes die großen Heilstaten Gottes vergisst, vergisst es auch Gott und fällt zurück in Heidentum und Götzendienst. Das ist in der protestantischen Christenheit geschehen, die von den großen Werken Gottes zur Zeit der Reformation nichts mehr weiß oder wissen will.

«Kämpfe den guten Kampf des Glaubens … bewahre das anvertraute Gut» (1.Tim 6,12.20). «So schäme dich nun nicht des Zeugnisses unseres Herrn noch meiner, seines Gefangenen, sondern leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes» (2.Tim 1,8). «Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch an Synedrien überliefern und in ihren Synagogen euch geißeln; und auch vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zum Zeugnis» (Mt 10,16–18).

Am 18. April 1521 stand ein 38 Jahre alter Augustinermönch vor dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation samt Fürsten des Reiches und Würdenträgern der Kirche und sprach folgende Worte: «Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überwunden werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, sintemal es am Tage ist, dass sie öfter geirrt und sich selber widersprochen haben – so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann ich und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist.»

Während der Mönch Martin Luther vor dem Reichstag erschien, waren die Augen von ganz Deutschland auf ihn gerichtet. Alle wollten wissen, wie der Mönch sich schlagen werde. Als er die eben zitierten Worte sprach, war der Durchbruch geschehen zu jener geistlichen Bewegung, die wir Reformation nennen, zu einer geistliche Erweckung, wie sie die Christenheit seit der ersten Generation der Christen nicht gesehen hatte. Diese «zappelnde Weltminute» war, so können wir rückblickend nun sagen, die Sternstunde der Reformation, zu jener Bibelerweckung, die alle Länder Europas erschütterte und einige von Grund auf veränderte.

Was hatte dahin geführt, dass der Mönch Martin Luther, Doktor der Theologie, Professor an der Universität Wittenberg, aufgefordert wurde, vor Kaiser und Reich zu seinen Schriften Stellung zu beziehen? 1517 hatte Luther seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen. Er versandte diese Thesen auch an Kardinal Albrecht von Mainz, den Auftraggeber Tetzels, und er legte diesen auch den Sermon von Gnade und Ablass bei. In diesem hatte er zusammenfassend gesagt: «An diesen Punkten habe ich keinen Zweifel, und sie sind hinlänglich in der Schrift begründet.» Kardinal Albrecht leitete die Unterlagen nach Rom weiter.

Ein Jahr nach dem Thesenanschlag wurde Luther wegen der Thesen zum Verhör nach Augsburg beordert (Oktober 1518). Der vom Papst beauftragte Kardinal Cajetan forderte: «Revoca! Revoca! – Widerrufe!» Aber die sechs Buchstaben REVOCO konnte Luther nicht über die Lippen bringen. Er bestand auf dem Schriftbeweis. Neun Monate später erfolgte die Disputation mit Dr. Eck in Leipzig (Juni–Juli 1519). Dabei antwortete Luther auf die entsprechende Frage, dass er die Autorität des Papstes und der Konzilien nicht anerkenne. Das war die zwingende Konsequenz aus dem, was er in seinem Sermon von Gnade und Ablass geschrieben hatte. Luther hatte die Weiche dort schon gestellt, und er konnte und wollte nicht zurück: Die Schrift allein ist Quelle der Wahrheit und Richtschnur für Glauben und Leben.

1520 erschienen Luthers Schriften «Von dem Papsttum zu Rom», «An den christlichen Adel deutscher Nation», «Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche», «Von der Freiheit eines Christenmenschen», die, alle bauend auf die alleinige Autorität der Schrift, die Autorität des Papstes ablehnen und die Rechtfertigung aus dem Glauben lehren. Im Juni 1520 erging an Luther die Bann(androhungs)bulle «Exsurge Domine»: «Erhebe dich, o Herr, und richte deine Sache, Füchse suchen deinen Weinberg zu verwüsten und ein sonderlich wilder Eber weidet ihn ab.» Am 10. Dezember 1520 verbrannte Luther die Bulle vor dem Elstertor in Wittenberg. Im Januar 1521 erging die zweite Bannbulle «Decet Romanum Pontificem».

Auf das alles hin wurde Luther vor den Reichstag zitiert. Am Abend des 18. April 1521 stand er vor dem Reichstag in Worms. Bücher, die er geschrieben und die man in ganz Deutschland gelesen hatte, waren auf einem Tisch ausgelegt, und Luther musste auf die Frage antworten, ob er diese Bücher als die seinen anerkenne und ob er sie widerrufen wolle. Seine Antwort lautete: «Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überwunden werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, sintemal es am Tage ist, dass sie öfter geirrt und sich selber widersprochen haben – so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann ich und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!»

Die Kernaussage ist eindeutig: Luther ließ nur eine Autorität gelten, nämlich die Bibel. Der müssen alle sich beugen, an der müssen alle sich messen lassen, auch der Papst und die Konzilien. Bereits in den 95 Thesen hatte Luther das in der 62. These angedeutet: «Das Evangelium ist der wahre Schatz der Kirche …». Doch die Thesen waren Lateinisch geschrieben und gedacht als eine Grundlage für eine wissenschaftliche Disputation unter Berufskollegen. Luther schrieb für das Volk den Sermon von Ablass und Gnade, und zwar auf Deutsch, und da steht, Bezug nehmend auf die 18 im Sermon formulierten Thesen der unerhörte und anstößige Satz: «An diesen Punkten habe ich keinen Zweifel, und sie sind hinlänglich in der Schrift begründet. Darum sollt auch ihr keinen Zweifel haben. Lasst die scholastischen Doktoren Scholastiker sein.»

Was endete allen Zweifel? Wo fand Luther solche Gewissheit? Was er geschrieben hatte, war «hinlänglich in der Schrift begründet». Was die Schrift sagt, ist verbindlich, und es ist «hinlänglich», es genügt. Mehr muss der Mensch nicht wissen. Da mögen die Scholastiker, die Lehrer der Kirche, lehren was sie wollen. Dieser Satz enthielt die Sprengkraft, die das Papsttum ins Wanken bringen und in mehreren Ländern stürzen sollte. Es war ein äußerst anstößiger Satz: Da behauptete einer, dass die Schrift alleinige Richtschnur sei. Das war eine offene Herausforderung an das Selbstverständnis der unumschränkt herrschenden Papstkirche. Diese anerkannte zwar auch die Autorität der Bibel. Aber neben ihr seien da zwei weitere Quellen der Wahrheit: Die Traditionen und das Lehramt der Kirche. Und das bedeutete: Die Kirche bestimmte und legte fest, wie die Bibel zu verstehen sei.

Die These, dass die Schrift allein die Wahrheit festlegt und begründet, war es, die den Inquisitionsprozess in Gang setzte, der damit endete, dass Martin Luther zuerst in den Kirchenbann getan wurde und bald danach der Reichsacht verfiel. Das war das Ärgernis, und ist es bis heute geblieben: Die Bibel allein; und die Bibel in allen Fragen. An dieser Wahrheit stieß sich die Antike, die Neuzeit, die Moderne wie auch die Postmoderne. An ihr stoßen sich Atheisten und Fromme, Denker und Leute, die gar nie denken – alle. Das ist allen unerträglich: eine absolute, uneingeschränkte, nicht verhandelbare Wahrheit, schriftlich verfasst und eindeutig formuliert, für alle verbindlich. Nur die Bibel, und neben ihr nichts.

Was bedeuten nun uns die Wahrheiten, die neben Luther auch Martin Bucer, Huldrych Zwingli und Heinrich Bullinger, Johannes Calvin und Wilhelm Farel, John Knox, dazu auch die Täufer Balthasar Hubmaier, Michael Sattler, Menno Simons und andere im 16. Jahrhundert predigten? Wir leben in einer Zeit, in der man sich müht, alle Unterschiede der Religionen und Konfessionen einzuebnen. Wir leben in einer Zeit, in der man sich sofort unmöglich macht, wenn man klare Positionen bezieht und zwischen Wahrheit und Irrtum unterscheidet. Wir gehören zu einer Generation, in der die protestantischen Kirchen alles tun, um sich mit der Römisch-Katholischen Kirche zu verständigen. Protestantische Theologen haben am 31. Oktober 1999 zusammen mit Katholischen Kollegen in Augsburg eine Erklärung unterzeichnet, nach der beide Konfessionen angeblich in der Lehre von der Rechtfertigung das gleiche glauben und bekennen.

Und heuer sollen im Land der Reformation die höchsten Vertreter der Katholischen und der Evangelischen Kirche das Reformationsjubiläum als ein gemeinsames Christfest feiern. So hat es kein Geringerer als der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Bedford Strohm, formuliert, und er hat persönlich den Papst im Vatikan aufgesucht und ihn dazu eingeladen. Der Druck des Zeitgeistes ist massiv und der ökumenische Sog wird immer stärker. Wer diesem Sog widersteht, gilt als Feind der Christenheit, als Feind des Friedens und damit letztlich als Feind der Menschen. Denn heute findet die erdrückende Mehrheit, alle Zäune religiöser und weltanschaulicher Art sollten eingerissen und alle trennenden Unterschiede eingeebnet werden. Reformation war doch Kirchenspaltung, dogmatische Streitigkeiten, die zu Religionskriegen führten. Nur das nicht!

Doch: Was sagt die Schrift?

«Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens» (Hebr 4,12). – «Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in ihm» (1.Joh 1,5). – «Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen. Denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: ‹Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.› Darum geht aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab, spricht der Herr, und rührt Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen» (2.Kor 6,14–17). – «Und ich hörte eine andere Stimme aus dem Himmel sagen: Geht aus ihr [Babylon, der grossen Hure] hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und damit ihr nicht empfangt von ihren Plagen» (Offb 18,4–5).

Das sind scharfe Scheidungen, klare Unterschiede, eindeutige Befehle. Das Evangelium ist das Wort Gottes, und als solches die alleinige und ausschließliche Quelle der Wahrheit. Einzig aus der Bibel findet der Mensch die Erkenntnis über die Errettung. Christus und keiner außer Ihm ist Retter der Menschen. Aus Gnade allein und durch Glauben allein empfängt er Vergebung, Rechtfertigung und damit Leben. Über diese in der Bibel bezeugten Wahrheiten lässt sich nicht verhandeln. Von Menschen und Kirchen, die sie nicht lehren und vertreten, müssen wir uns abwenden.

Wie antworten wir nun auf das Erbe der Reformation? Wir antworten auf die Reformation, indem wir entschlossen sind, wie es die Reformatoren auch waren, den Meinungen und Mächten der Zeit frontal entgegenzutreten. Wir sind entschlossen den Ideen der Fürsten in Philosophie, in Religion und in Politik direkt zu widersprechen. Wir sind entschlossen, die Wahrheit des einen uns von Gott gegebenen Evangeliums zu verteidigen, zu lehren und zu verkündigen, so wahr Gott uns helfe. Denn das ist uns befohlen.

Die Schrift ist Königin. Ihrem Urteil muss sich alles beugen. Allein, was die Schrift lehrt, ist für alle bindende Wahrheit. Der wahre Christ bekennt wie Luther in Worms, dass er «durch die Zeugnisse der Schrift überwunden» ist. Und die Schrift bezeugt: Christus hat ihn berufen, gerecht gemacht und geheiligt. Er ist in Christus eine neue Kreatur (2.Kor 5,17), ein Werk Gottes (Eph 2,10). Nicht länger lebt er, sondern Christus lebt in ihm (Gal 2,20). Er ist «überwunden im Gewissen, gefangen im Wort Gottes». Er ist von Gottes Wahrheit und damit von Gott selbst überwunden, besiegt, bezwungen. Er gehört nicht sich selbst (1.Kor 6,19).

In seiner Schrift «Vom Unfreien Willen» schreibt Luther: «Wenn der Eine, der stärker ist als der Satan, diesen angreift und überwindet, dann geraten wir in die Gewalt dieses Stärkeren. Dann sind wir ebenfalls unfrei, Gefangene des Heiligen Geistes … Wir wollen und tun dann mit Lust, was Gott will.» Die Lehre, das heisst, die biblische Wahrheit über Gott, den Menschen und das Heil, hat Vorrang. Luther verstand, dass alles an der Lehre hing. Er setzte in seinem Arbeiten und Ringen nicht an beim Verfall der Sitten und der Verderbtheit der römischen Kleriker und des Papstes, sondern bei der verdorbenen Lehre des römischen Systems. In echt Luther’scher Klarheit sagte er: «Das Leben ist bei uns böse wie auch bei den Papisten. Darum streiten wir nicht um das Leben, sondern um die Lehre.» Die Lehre, auf die kommt es an. Das lernen wir aus der Bibel. Nachdem Menschen durch die Predigt des Evangeliums am Pfingsttag zum Glauben gekommen waren, verharrten sie in der Lehre der Apostel (Apg 2,42). Denn es war die Aufgabe der Christen, das Evangelium zu verkündigen und zu verteidigen. Die Gemeinde ist der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit (1.Tim 3,15). Sie ist dazu da, die Wahrheit vom Heil in Christus festzuhalten und in Lehre und Predigt hochzuhalten. Paulus schreibt an Timotheus: «Dieses gebiete und lehre. Niemand verachte deine Jugend, sondern sei ein Vorbild der Gläubigen in Wort, in Wandel, in Liebe, in Glauben, in Keuschheit. Bis ich komme, halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren … Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre; beharre in diesen Dingen; denn wenn du dieses tust, so wirst du sowohl dich selbst erretten als auch die, welche dich hören» (1.Tim 4,11–16).

Wenn die Kirche sich nicht mehr an diese Weisungen hält, hat sie ihren Sinn verfehlt und die Daseinsberechtigung verloren. Sie ist degeneriert zum «social club», wie Martyn Lloyd Jones einmal sagte, zum Verein für Geselligkeit. Oder zum Diskussionsforum, wo man sich austauscht über die vielfältigen Möglichkeiten religiösen Lebens und des Frömmigkeitsstils, was nun einmal Bestandteil unserer Zivilisation sei. Eine solche Kirche hat ihre Seele verkauft; sie ist zur Hure geworden.

Das sind die Alternativen. Wir halten als die erwählte Braut Christi fest am Evangelium Gottes und trennen uns damit von allen, die das Evangelium verwässern, anpassen und umdeuten. Das hat uns Gott selbst befohlen: «Seid nicht in einem ungleichen Joch mit Ungläubigen. Denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? Und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern?» (2.Kor 6,14–16).

Entweder gehen wir mit wachsender Sehnsucht dem grossen Tag der Hochzeit des Lammes entgegen oder wir passen das Evangelium dem Geschmack der Leute an und treiben Hurerei mit den Fürsten dieses Zeitlaufs. Die grosse Hure wird untergehen in den Gerichten, die bald den Erdkreis heimsuchen werden. Die Lehre muss gepredigt werden. Die Wahrheit über das Heil in Christus muss bekannt gemacht werden. Gott hat es so bestimmt, dass die Rechtfertigung durch Christus allein und durch den Glauben allein geschieht. Darum müssen Christus und die Erlösung, die Er am Kreuz für uns gewirkt hat, gepredigt werden; denn Gott hat verfügt, dass das Wort das eine Mittel ist, das Glauben schafft: «Also ist der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort» (Röm 10,17; siehe auch Joh 17,20). Heiko Obermann sagt in seiner Luther-Biographie: «Die Reformation konnte deshalb so tief ins Volk eindringen, weil Luther aus dem Schriftprinzip eine überraschende Konsequenz gezogen hatte: Die Schrift muss gepredigt werden.»

In seiner Schrift «Wider die himmlischen Propheten» von 1525 schrieb Luther zur Notwendigkeit, das Wort zu verkündigen: «Das Wort, das Wort, das Wort tut’s. Denn wenn Christus gleich tausendmal für uns gegeben und gekreuzigt würde, wäre es alles umsonst, wenn nicht das Wort Gottes käme und teilte es mir aus und schenkte es mir und spräche: Das soll dein sein; nimm hin und behalte es dir.» Gottes Wort und Wahrheit stehen immer in direktem Widerspruch zum Wünschen der Leute. Darum muss es Kampf absetzen. Nun muss man versuchen zu verstehen, wie Luthers Antwort vor dem Reichstag wirkte. Sie war eine Kampfansage, eine Kriegserklärung an die Ordnung, die seit dem frühen Mittelalter gegolten hatte: Die Kirche vertrat den Himmel und der Kaiser stand für die Regierung der Welt. Die Welt will Ordnung, Frieden und Wohlfahrt, aber sie will das alles ohne Gott, ohne Gottes Wahrheit. Dagegen richtet Luther vor versammeltem Reichstag diese Worte:

«Mir ist es … von allen Erscheinungen die angenehmste zu sehen, dass wegen des Wortes Gottes Eifer und Streit entsteht. Dies ist nämlich der Lauf, die Wirkung des Gotteswortes, wie Christus sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.»

Das Schwert ist eben das Wort Christi, das Evangelium des Heils, und dieses macht Familienangehörige zu Feinden, bisherige Freunde zu Gegnern. Doch dieses Wort ist die Kraft Gottes zum Heil. Darum muss es bezeugt werden, auch wenn das unausweichlich zu Empörung und Widerspruch führt.
Vier Jahre nach Worms schrieb Luther an Erasmus, diesen hervorragenden Gelehrten, der alles vornehm ausbalancieren konnte, an diesen wohlmeinenden Humanisten, der um alles in der Welt keinen Streit und keine Unruhe wollte:

«Du [Erasmus] willst durch deinen Rat uns veranlassen, den Päpsten und Fürsten zuliebe oder des irdischen Friedens wegen auf die Verkündigung der Wahrheit eine Zeitlang zu verzichten … Hast du nicht gelesen und bemerkt, wie es von jeher das Los der Wahrheit gewesen ist, dass um ihretwillen die Welt in Aufruhr versetzt wird? Das behauptet auch Christus, indem er offen sagt ‹Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert› (Mt 10,34). Ferner: ‹Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden› (Lk 12,49) … Lies in der Apostelgeschichte nach! Was alles geschieht in der Welt, allein weil Paulus predigt! Wie bringt der eine Mann Heiden und Juden in Bewegung! Wie erregt er den ganzen Erdkreis! Denn so sagen sogar seine Feinde (Apg 17,6).»

Sollen wir die Wahrheit unter dem Deckel halten, weil wir unsere Ruhe haben und den Frieden in der Welt retten wollen? Es geht um die einzige Botschaft des Heils; es geht um das ewige Schicksal von Seelen; es geht vor allem um die Ehre Gottes. Luther wusste, was er sagen würde, wenn man ihn vor den Reichstag zitieren sollte, und ihm waren die Folgen klar. Er schrieb am 29. Dezember 1520 an Georg Spalatin:

«Ein Ruf des Kaisers bedeutet, dass ich von Gott gerufen werde. Ferner: Wenn sie, was wahrscheinlich ist, Gewalt gegen mich anwenden … so muss die Sache dem Herrn befohlen werden … Hier darf es keine Rücksicht auf Gefahr oder Wohl und Wehe geben; hier gibt es vielmehr nur eine Sorge: dass wir das Evangelium, mit dem wir angetreten sind, nicht dem Spott der Gottlosen preisgeben, dass wir den Feinden keinen Anlass zum Triumph über uns gegeben, als wagten wir kein freies Bekenntnis zu unserer Lehre, dass wir uns nicht fürchten, unser Blut für das Evangelium zu vergiessen. Vor solcher Feigheit und solchem Triumph bei ihnen bewahre uns Christus in seiner Barmherzigkeit. Amen!»

Als Luther vor dem Kaiser stand, wusste er, dass dieser nur ein Wort zu sprechen brauchte, und man hätte den Ketzer gefangen genommen und nach Rom verfrachtet. Und das wäre sein Ende gewesen. Glauben wir, dass die Bibel allein Gottes Wort ist und dass das Evangelium Gottes allein die Kraft Gottes ist zum Heil? Wenn ja, dann bekennen wir das auch und sind bereit, dafür den Kopf hinzuhalten. Den Kampf um die Wahrheit der Bibel und des biblischen Evangeliums haben alle Knechte Gottes kämpfen müssen. Das wollen wir nun kurz an John Knox, Heinrich Bullinger und an Pfarrer Wilhelm Busch sehen.

John Knox, der Reformator Schottlands, geboren 1514, gestorben 1572. Durch sein rastloses Reisen und Predigen kreuz und quer durch Schottland hatte sich die Reformation ausgebreitet, und 1560 wurde die schottische Kirche auf die Confessio Scoticana, ein reformiertes Glaubensbekenntnis verpflichtet. Schottland war ein protestantischer Staat geworden. Aber es gab entschlossene Feinde der Reformation:

Maria Stuart war aus Frankreich nach Schottland gekommen, um als Königin dort den Römisch-Katholischen Glauben wieder einzuführen. Am 24. August 1561, ihrem ersten Sonntag auf schottischem Boden, liess sie im Schloss Holyrood in Edinburgh das Messopfer feiern. Dazu konnte John Knox nicht schweigen; bei der allerersten sich bietenden Gelegenheit, «den Sonntag nach dem ersten Hochamt in Holyrood hören die Bürger von Edinburgh den hallenden Fanfarenton seiner Stimme von der Kanzel: ‹Furchtbarer ist eine Messe als wenn zehntausend bewaffnete Feinde im Königreich gelandet wären.›»

Was Knox von der Messe hielt, hatte er bereits festgehalten in der Confessio Scoticana, im Schottischen Glaubensbekenntnis. Da heisst es im Kapitel 23: «Diese Lehre ist eine Verlästerung Christi Jesu und eine Leugnung der Genugsamkeit seines einmaligen Opfers … weshalb wir sie aufs äusserte verabscheuen, hassen und von uns weisen.»

Sein ganzes Leben war geprägt vom warnenden Zeugnis gegen die Messe: «Ich will davon Rechenschaft geben, warum ich dauernd erkläre, dass die Messe ist und immer gewesen ist Götzendienst und Gräuel … der gräulichste Götzendienst, der je seit Anfang der Welt getrieben worden ist.»
Joseph Chambon bewertet dieses Urteil des schottischen Reformators mit folgenden Worten:

«Der Gedanke, dass ein Mensch sich unterfangen dürfe … durch eigenes Handeln den heiligen Gott in Christus zu konkretisieren zur Anbetung dieser Substanz durch die Gemeinde, um dann durch diese Materie den Sühnetod Christi am Kreuz jederzeit vollwertig und wirkungskräftig zu wiederholen, bringt sein Blut ohne Unterlass ins Kochen. ‹Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt› könnte man … unter das Leben von Knox schreiben. Dass der Protestantismus unserer Tage dieses sein Grausen vor der Messe kaum noch versteht, spricht entweder für die Messe, die sich aber nicht verändert hat, oder gegen den Protestantismus, der sich verändert hätte.»

Knox wurde sofort vor die Königin zitiert, um sich dafür zu verantworten. Bald merkte sie, dass Knox nicht mit sich verhandeln liess. Da sagte die Königin: «Ich verstehe – meine Untertanen sollen euch gehorchen und nicht mir!»
Darauf Knox: «Ich schaffe daran, Majestät, dass Fürsten und Untertanen Gott gehorchen.»
Die Königin: «ICH!»
Knox: «Gottes Werk!»
Da versuchte die junge und, wie es heisst, bezaubernd schöne Königin den Prediger des Evangeliums mit Tränen zu erweichen.
Knox: «Ich muss, wenn auch ungern, eher die Tränen ihrer Majestät ertragen, als dass ich’s wagte, mein Gewissen zu verletzen.»
Das Ergebnis: Nie ruhender, mörderischer Hass dieser feinen Dame auf den Prediger des Evangeliums. Mit allen Mitteln versuchte sie, ihn aus der Welt zu schaffen. Doch nichts konnte John Knox aufhalten. Joseph Chambon spricht daher vom «fast grauenhaft-unbeirrbaren, starren Willen des Mannes John Knox, die Römische Irrlehre auszufegen und den evangelischen Glauben dem gesamten Land zum Heil durchzusetzen».

Werfen wir einen Blick auf das zweite Zentrum der Reformation, auf Zürich. Heinrich Bullinger (1504–1575) war der 20 Jahre jüngere Mitarbeiter von Huldrych Zwingli. Nach dessen Tod führte er die Reformation in Zürich fort und festigte sie. 1567, neun Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte er unter dem Titel «Reformationsgeschichte» eine ausführliche Darstellung der Reformation in der Schweiz. Im Vorwort schreibt er folgende Sätze über den Zweck seiner «Reformationsgeschichte»:

«Hierin wird der Leser … klar sehen, was an grosser Arbeit, Unruhe, Kosten, Angst und Not die Stadt Zürich erlitten hat, ehe das göttliche Wort oder die Predigt des heiligen Evangeliums weit und breit in die Eidgenossenschaft gekommen ist … Viele der Wunderwerke Gottes wird der Leser finden, besonders den heftigen Streit der wahren Religion mit der falschen, und sie auch beide kennenlernen. Dabei wird auch, wer ein redliches Herz hat … einen ewigen Unwillen gegen die falsche Religion fassen und tragen.»

Zum Schluss ein Beispiel aus neuerer Zeit. Der evangelische Pfarrer Wilhelm Busch (1897–1966) gehörte zu den wenigen Christen, die dem NS-Regime Widerstand leisteten. 1935 schrieb er ein Flugblatt mit der Überschrift: «Dein Wort ist unseres Herzens Trutz – Ein Weckruf an die evangelische Christenheit». In diesem stand unter anderem: «Die wahre Kirche Jesu Christi ist nicht eine Versicherungsanstalt, sondern ein Heerlager … In neuer Weise haben sich in unserem Volk Mächte des Unglaubens aufgemacht und ziehen gegen das Evangelium zu Felde … Ein neues Heidentum läuft hasserfüllt Sturm gegen das Evangelium der Bibel … Aber wir greifen das moderne Heidentum an. Warum? Wir greifen das Heidentum an um seines Götzendienstes willen.» Busch wurde von der Gestapo vorgeladen. Am 17. Mai 1935 gab er der Gestapo zu Protokoll: «Das Flugblatt ‹Dein Wort ist unseres Herzens Trutz› habe ich verfasst, weil ich als Prediger des Wortes Gottes verpflichtet bin, unsere Gemeinden vor allen Menschenlehren zu warnen, die sie von Christus trennen.» Das Evangelium macht uns zu Sklaven Gottes. Wir waren als Sünder nicht frei; wir sind auch als Erlöste nicht frei. Als Sünder waren wir gefangen in der Sünde und im Tod und damit frei von der Gerechtigkeit (Röm 6,20). Als Erlöste sind wir frei von der Sünde und vom Tod und damit Sklaven der Gerechtigkeit (Röm 6,18).

Als Sklaven Christi schulden wir Ihm Gehorsam. Wir sind schuldig, die Wahrheit des Evangeliums zu bewahren, zu verteidigen und zu lehren, was auch kommen mag. Wir schulden es dem Volk Gottes heute, dass wir das Evangelium vom Heil bewahren, verteidigen und lehren. Wir schulden es unseren Mitmenschen, dass wir ihnen die rettende Botschaft vom Heil unverfälscht und unverkürzt verkündigen. Und das heisst: Sola scriptura; und das wiederum heisst: die Schrift ist irrtumslos, die Schrift ist klar, die Schrift genügt, und die Schrift ist wirksam. Was die Zeugen der Reformationszeit und einen Wilhelm Busch trieb und was uns treiben muss, ist das eine grosse, alles andere verdrängende Verlangen:

Soli Deo gloria! – Gott allein die Ehre!

Benedikt Peters

Quelle: Zeitschrift Mitternachtsruf 10/2017