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„Die Schwächsten schützen“ – „Den Stummen eine Stimme geben“

Donnerstag 21. September 2017 von Walter Rominger


Walter Rominger

Der „Marsch für das Leben“ in Berlin: eine stille Provokation, die jedoch laut und deutlich auf einen Missstand hinweist: das massenhafte Töten Ungeborener

In Berlin ist man demonstrationserfahren. Demonstrationen gehören zum Berliner Alltag. Am 16. September sind diese dann aber gehäuft aufgetreten, waren doch innerhalb weniger Stunden vier solche „Veranstaltungen“. Auffällig ist indes, dass dabei die, die sich für den Schutz des menschlichen Lebens von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bis zu dessen natürlichem Lebensende einsetzt, die meisten Teilnehmer aufwies. Es ist eben nicht so, dass sich schon alle mit der massenhaften Abtreibung abgefunden oder resigniert haben. Die Zahl derjenigen, die sich seit Jahren alljährlich in Berlin im September einfinden um ein Zeichen dagegen zu setzen, hat in all den Jahren stetig zugenommen, was an sich bereits ein ermutigendes Zeichen ist.

So waren es diesmal 7500, die für das Leben demonstrierten und gegen Abtreibung auf die Straße gingen; eine Gegendemonstration, organisiert von linksgerichteten Gruppen, die aber auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), unterstütze, brachte nicht allzu viele auf die Beine. Den Mainstream Medien passt eine solche Veranstaltung freilich nicht und so nannten sie, wenn sie denn überhaupt darüber berichteten, ganz bewusst eine viel zu niedrige Teilnehmerzahl.

Der 13. „Marsch für das Leben“, veranstaltet vom bewusst ökumenisch ausgerichteten „Bundesverband Lebensrecht e. V.“ (BVL, Berlin), dem Dachverband der verschiedenen Lebensrechtsgruppen, begann um 13.00 Uhr vor dem Reichstag. Eingestimmt wurden die Teilnehmer auf die Auftaktveranstaltung durch die Band „Gnadensohn“. Den Begrüßungsworten von Hartmut Steeb (Stuttgart), dem stellvertretenden Vorsitzenden des BVL, im Hauptberuf Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und der Vorsitzenden, Alexandra M. Linder (Weuspert im Sauerland), folgten Grußworte von vier römisch-katholischen Bischöfen bzw. Weihbischöfen, die damit den „Marsch für das Leben“ unüberhörbar unterstützen: Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburg); Weihbischof Matthias Heinrich (Berlin), der das Grußwort des Berliner Erzbischofs Heiner Koch verlas, welcher aufgrund einer wichtigen Verpflichtung in seiner Erzdiözese (Katholikentag in Pommern) nicht teilnehmen konnte, in seinem schriftlichen Grußwort jedoch unmissverständlich den Schutz menschlichen Lebens von dessen Anfang bis zu dessen Ende zum Ausdruck brachte; Weihbischof Hubert Berenbinder (Paderborn) und Weihbischof Florian Werner (Augsburg). Der Vorsitzende der (katholischen) Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx (München), hatte ein Grußwort gesandt. Beschämend ist indes, dass von den evangelischen Bischöfen lediglich Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald) von der Nordkirche ein schriftliches Grußwort gesandt hatte. Auch der Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden, Ansgard Hörsting (Witten an der Ruhr), hatte ein Grußwort gesandt.

Präses Ekkehard Vetter (Mülheim an der Ruhr), der derzeitige Vorsitzende der DEA, machte auf die atemberaubende Zahl von 40 Millionen Abtreibungen pro Jahr weltweit aufmerksam. Er gab aber auch der Ãœberzeugung Ausdruck, dass große Teile der Gesellschaft eine derartige Entwicklung nicht wollten. Dass 7500 sich in Berlin versammelten hatten, darunter auch ausländische Teilnehmer, dürfte dies unterstreichen, zumal ja davon auszugehen ist, dass die Berlin-Fahrer nur ein – geringer – Teil derjenigen sind, die das Lebensrecht von der Zeugung bis zum natürlichen Ende verteidigen.

Politische Prominenz war nicht vertreten – und das wohl nicht in erster Linie, weil diese eine Woche vor der Bundestagswahl durch den Wahlkampf (in ihren Wahlkreisen) in Anspruch genommen waren (hier hätten zumindest die Spitzenpolitiker ein großes Publikum gehabt), sondern weil diese derartige Positionen nie vertraten oder längst den Abschied gaben. Von daher ist es umso erfreulicher, dass sich der langjährige Europaabgeordnete [????`?] der SPD, Roland Antreter, der allerdings aus der aktiven Politik ausgeschieden ist, in seinem Grußwort bei den Lebensrechtlern bedankte.

Störungsfrei verlief auch in diesem Jahr der „Marsch für das Leben“ nicht. Bei der Auftaktveranstaltung, dem Marsch selbst und dem abschließenden ökumenischen Gottesdienst, der ebenfalls vor dem Reichstag stattfand, skandierten wohl zumeist Jugendliche wie in den vergangenen Jahren Parolen wie etwa: „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“; „Hätt‘ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“; „Wir haben Spaß, aber ihr habt nur Jesus“. Doch allzu störend wirkte das nicht. Zum einen leistete die Polizei die ganze Zeit über gute Arbeit, wofür ihr, was auch Redner verschiedentlich betonten, großer Dank auszusprechen ist; zum andern konnte der Eindruck entstehen, es seien weniger Störer gewesen als in den früheren Jahren; und schließlich konnte man denken, die „Linken“ sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Eindrücklich waren die Zeugnisse, die zu hören waren. Frau Wendland, eine ausgebildete Erzieherin aus Kiel, berichtete davon, wie sie die Nachricht erhalten habe, dass sie wohl ein Kind mit Down-Syndrom bekomme. Dennoch sei für sie eine Abtreibung nie in Frage gekommen. Worte der Heiligen Schrift haben sie damals aufgerichtet, vor allem das Psalmwort: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“ (Psalm 91,11). Mit Applaus wurde das Grußwort ihres behinderten Sohnes Lukas bedacht.

Der langjährige Vorsitzende des „Bundesverbandes Lebensrecht e. V.“, Martin Lohmann (Bonn), war in diesem Jahr an einer Teilnahme verhindert. Doch er hatte ein Grußwort gesandt, das verlesen wurde.

Bewegend war der Bericht des [erst seit wenigen Wochen verheirateten]Paares Eugenia und Paul. Eugenia war ungewollt schwanger geworden und ihr Umfeld und das von Paul rieten zur Abtreibung. Und beide hörten darauf – leider. Ihre Freundschaft zerbrach darüber und lange waren sie getrennt. Doch sie fanden wieder zusammen und sind nun seit kurzem ein Ehepaar. Diese beiden sind ein lebendiges Zeugnis dafür, wie zerstörend Abtreibungen wirken und wie andererseits es Gott fügen kann, dass es am Ende dann doch noch gut werden kann. Sinngemäß schrieb Dietrich Bonhoeffer: Gott kann auch aus dem Bösesten noch Gutes entstehen lassen.

Präses Ekkehard Vetter, der für die DEA sprach, ging in seinem Grußwort von Jeremia 1,5 aus: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete […]“ Vom Moment der Zeugung an begleite der Schöpfer sein Geschöpf und wolle es vom ersten Moment an schützen. In Not müsse geholfen werden. Das werdende Leben sei willkommen zu heißen. Da alle Menschen Geschöpfe Gottes seien, stehe ihnen das Recht auf Leben zu. Ehrfurcht vor dem Leben und der Schutz dessen seien unteilbar. Hartmut Steeb sagte, eine nationale Gedenkveranstaltung für die mehr als 100000 jährlich Abgetriebenen gebe es nicht; der „Marsch für das Leben“ sei diese. Er verwies darauf, dass wenn auch die Lebensrechtsbewegung eine noch junge Bewegung sei, so habe diese doch viele jungen Vertreter. In der Tat, es waren erfreulich viele junge Leute, junge (Ehe)Paare und Familien, die sich am „Marsch für das Leben“ beteiligten.

Und nicht wenige der Teilnehmer kamen aus dem näheren und weiteren Ausland. Es gab Grußworte aus Irland und England. Und aus Frankreich. In diesem Land, in dem die Säkularisierung als weit vorangeschritten gilt, ist Abtreibung seit 1975 erlaubt. Als Reaktion darauf entstand die Organisation „Wähle das Leben“. Seit nunmehr 40 Jahren gehen Lebensschützer auf die Straßen. 30 bis 40 Tausend nehmen am Lebensrechtsmarsch in Paris teil. Dieser erfreulichen und Mut machenden Erscheinung steht indes eine rigide Gesetzgebung entgegen: Allein von einer Abtreibung abzuraten kann mit zwei Jahre Gefängnis oder 30000 Euro Geldstrafe geahndet werden.

Auch die Schweiz, in Sachen Demokratie in manchem Vorbild, geht beim Lebensschutz einen falschen Weg, wie ein kurzer Bericht unterstrich. Der ebenfalls für den 16. September bei den Eidgenossen geplante „Marsch fürs Läbe“ wurde verboten mit der Begründung, durch das Gebet störe man. Gesellschaften und Menschen, so war von den Schweizer Vertretern zu hören, änderten sich.

Ein guter Schluss ziert alles – dies konnte einem in den Sinn kommen, als die bekannte Autorin Birgit Kelle vom Niederrhein angekündigt wurde. Sie beklagte, dass es in all den Jahren mehr als fünf Millionen registrierte Abgetriebene in Deutschland gebe. Dort, wo Hilfe am nötigsten sei, werde versagt. Der „Marsch für das Leben“ sei eine stille Provokation, gebe aber denen, die keine Stimme haben, eine.

Ungeteilte Zustimmung fanden „9 Forderungen an den neuen Bundestag“, die auf an die Teilnehmer verteilten Karten abgedruckt waren und zusätzlich auch noch verlesen wurden.

Dann setzte sich der Schweigemarsch in Bewegung. Viele der Teilnehmer trugen Transparente, die zum Lebensschutz aufriefen oder weiße Holzkreuze. Es ging durch Häuserschluchten im Zentrum Berlins und gegen Ende des etwa eineinhalbstündigen Schweigemarsches durchs Brandenburger Tor; dieses Durchschreiten kann ganz gewiss als einer der Höhepunkte des diesjährigen „Marsches für das Leben“ betrachtet werden. Die Polizei hatte die Straßen, durch die die stille Demonstration zog, weiträumig abgesperrt, so dass sich Störer meist nicht dem Zug ganz dicht nähern konnten.

Ekkehard Vetter führte in den ökumenischen Gottesdienst ein. Nach Sündenbekenntnis, Psalmgebet (Psalm 139), Evangelienlesung (Matthäus 18,1-5), dem Apostolischen Glaubensbekenntnis und einigen neuen Liedern, die von der Band „Gnadensohn“ begleitet wurden, hielt der römisch-katholische Bischof aus Regensburg, Rudolf Voderholzer, eine eindrückliche Predigt. Der Protest am Rande der Veranstaltung zeige an, dass bei dieser etwas Wichtiges zur Sprache komme. Der Bischof wertete den „Marsch für das Leben“ als ein starkes ökumenisches Zeichen. Bereits Vernunft und natürliches Sittengesetz legten nahe, mit anderen so umzugehen, wie man wünsche, dass mit sich umgegangen werde. Das ist die „Goldene Regel“, die Jesus seinen Nachfolgern einschärft (Matthäus 7,12). Rudolf Voderholzer erinnerte an die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes, welche die unantastbare Würde menschlichen Lebens zum Ausdruck bringen. Jeder Mensch sei ein Zweck an sich, und dürfe nicht anderen Interessen geopfert werden. Das Lebensrecht sei ein Menschheitsthema und nicht erst und allein ein christliches. Geschehe auch ganz zu Recht dem Menschen postnatal viel Zuwendung, so pränatal viel Selektion. Beispielhaft nannte der Bischof, mindestens neun von zehn Ungeborenen, die das Down-Syndrom aufweisen, dürften nicht das Licht der Welt erblicken. Er rief dazu auf, denen eine Stimme zu geben, die sich noch nicht selbst Gehör verschaffen könnten. Das Ja zum Leben bedeute nicht weniger als ein Ja zum göttlichen Schöpfungshandeln. Deshalb sei auch jedes Leben unantastbar. Mit dem Fürbittengebet, in dem dem Anlass entsprechend, Ungeborene, deren Eltern und weitere um diese im Mittelpunkt standen, wobei die einzelnen Fürbitten mit der Bitte an den dreieinigen Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“ abgeschlossen wurden, dem Vaterunser, dem Segen und dem Singen zweier Chorusse ging der ökumenische Gottesdienst zu Ende.

Der gesamte, nicht allein eindrückliche, sondern vor allem so wichtige „Marsch für das Leben“ endete nach etwa viereinhalb Stunden. Er war eine angemessene Demonstration für das Leben, das vor der Geburt und wenn es seinem Ende entgegengeht, besonders bedroht ist. Er gab denen, die sich noch nicht oder nicht mehr artikulieren können, eine Stimme.

Wenn alles wie geplant verläuft, wird im kommenden Jahr wieder ein „Marsch für das Leben“ stattfinden, der dann hoffentlich auf noch mehr Resonanz stößt. Möge wahr werden, was Birgit Kelle den Versammelten zur Ermutigung sagte: „Wir sind viele und werden jedes Jahr mehr.“

Der Termin steht bereits fest: Samstag, 22. September 2018.

 Walter Rominger, Mehlbaumstr. 148, 72458 Albstadt-Ebingen, Tel. + Fax (07431) 74485

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 21. September 2017 um 9:36 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Lebensrecht.