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Predigt: Ein Geschenk an die Auserwählten

Ein Geschenk an die Auserwählten
Predigt am Ostersonntag, 23. März 2008 im Dom zu Riga

In Christus Geliebte, an diesem Morgen möchte ich euch mit einem Aufruf des großen apostolischen Vaters und Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus zum heiligen Osterfest grüßen. Ich habe das schon in früheren Jahren getan, doch beschreibt er so schön und präzise das Wesen des Osterfestes, daß man sich darin immer wieder von neuem hineinhören kann.

Wer tugendhaft ist und Gott liebt, der erfreue sich dieses lichten Festes.

Wer ein kluger Knecht ist, der erfülle sich mit der Freude des Herrn.

Wer vom Fasten müde geworden ist, der empfange jetzt seinen Ehrenpreis

Wer von der ersten Stunde an gearbeitet hat, der empfange den ihm zukommenden Lohn.

Wer erst nach der sechsten Stunde eingetroffen ist, der fürchte sich nicht und trete ohne zu zweifeln heran.

Wer erst nach der elften Stunde eingetroffen ist, der mache sich keine Sorgen darum, er sich verspätet hätte, denn der freigiebige Herr empfängt den Letzten ebenso wie den Ersten und gönnt dem nach der elften Stunde Gekommenen die Ruhe ebenso wie dem, der seit der ersten Stunde gearbeitet hat, er erbarmt sich des Letzten und sorgt für den Ersten, er entlohnt den Ersten und beschenkt den Letzten. Deshalb tretet alle vor Gott – die Einen wie die Anderen – und empfanget Euern Lohn.

Reiche und Arme, jauchzet miteinander!

Enthaltsame und Nachlässige, ehrt diesen Tag!

Fastende und Nichtfastende, freut euch heute!

Das Mahl ist bereitet – tut euch alle gütlich daran! Groß ist das Lamm, und niemand gehe hungrig von dannen! Nutzet alle den Reichtum des Wohlwollens!

Niemand weine wegen seiner Armut, denn für alle ist das Reich gekommen!

Niemand weine über seine Sündhaftigkeit, denn die Vergebung leuchtet vom Grabe Christi entgegen.

Niemand fürchte sich vor dem Tod, denn von dem hat uns der Tod des Erretters befreit! Er ist niedergefahren zur Hölle und hat die Hölle gefangen gesetzt. Das hat schon Jesaja vorausgesehen, der ausrief: „Gräme dich, Hölle!“

Der Tod nahm den Leib, aber fand Gott, er nahm die Erde, aber begegnete dem Himmel, er nahm das, was er sah, aber stieß auf das, was er nicht sah.

„Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ (1. Korinther 15,55)

Christus ist auferstanden und du bist gestürzt!

Christus ist auferstanden und die Dämonen sind gefallen!

Christus ist auferstanden und die Engel freuen sich!

Christus ist auferstanden und im Grabe liegt kein Toter!

Christus, vom Tode auferstanden, ist zum Erstgeborenen der Toten geworden. Ihm sei Lob und das Reich von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

Christus ist auferstanden! Er hat den Tod besiegt und hat der Hölle ihren Anspruch auf uns entrissen. In die Welt, welche sich auf das Ende zu bewegt und dem Tod verfallen ist, hat Christus die Unsterblichkeit und das ewige Leben gebracht. Und, was das wunderbarste dabei ist – er hat das JEDEM zugänglich gemacht, der es sich nur wünscht. Wie das Johannes Chrysostomus sagte: Das Mahl ist bereitet – tut euch alle gütlich daran! Das Lamm ist groß – niemand gehe hungrig von dannen!

Daher feiert das auserwählte Volk Gottes – die Kirche Christi – das Osterfest als sein allerhöchstes Fest. Vielleicht erscheint das Wort vom auserwählten Volk anmaßend. Dennoch gibt es einen guten Grund, Euch, die ihr heute morgen wirklich die Auferstehung Christi feiert, als Auserwählte zu bezeichnen.

Noch kurz vor Ostern konnte ich in verschiedenen Medien hören und lesen, daß Umfragen ergeben hätten, daß nur etwa der zehnte Teil der Einwohner Lettlands Ostern als christliches Fest feierte. Die Übrigen feierten es nach anderen Traditionen oder nutzten es einfach als arbeitsfreie Zeit. Dabei hatte ich den Eindruck, daß man diese Meldung mit einem zufriedenen oder freudigen Unterton wiedergab.

Das mag uns vielleicht im ersten Augenblick irritieren – nur so wenige? Es ist nicht angenehm, sich als Minderheit zu fühlen. Aber entspricht das nicht mit den Worten Christi? Er hat doch das Gleichnis vom König erzählt, der die Gäste zum Hochzeitsmahl seines Sohnes geladen hatte, aber diese sich entschuldigten und nicht kommen wollten. Dieses Gleichnis beschließt Jesus mit den etwa geheimnisvollen Worten: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ Pfarrer vermeiden es oft, in ihren Predigten auf diese Worte einzugehen. Das Thema der Auserwählung, daß nicht alle durch die enge Pforte in den Himmel eingehen würden, daß die Mehrheit den breiten Weg bevorzugt, der von dieser Pforte wegführt – das ist eine empfindliche Frage. Es ist schon sehr unbequem, darüber zu reden.

Aber das, was geheimnisvoll oder unbequem erscheint, macht das Leben deutlich, Christus ist auferstanden! Das Osterlamm ist zubereitet und wird an der Tafel angeboten. Viele sind berufen. Mit den Worten aus dem Munde des Chrysostomus spricht Gott selbst: „Kommt alle! Reiche und Arme, Enthaltsame und Nachlässige, Fastende und Nichtfastende, Sünder und Heilige! Das habe ich für euch getan! Christus, das unschuldige Osterlamm, wurde zur Auslösung eurer Sünden geschlachtet. Die Vergebung leuchtet vom Grabe Christi entgegen. Seine Auferstehung ist eure Unsterblichkeit!“ Das ist die Einladung Gottes an alle: AN ALLE! Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Neun von zehn geladenen Gästen entschuldigen sich im Gleichnis Jesu:

Ich habe Ländereien und Vieh gekauft. ich habe ein Geschäft, und meine Arbeit hält mich ab.

Ich habe eine Frau genommen – ich bin eine neue Beziehung eingegangen, und deswegen ist es nicht der rechte Augenblick, sich Gott anzunähern

Ich habe keine Zeit, die mir das erlaubt, meinen Gott kann ich auch zu Hause anrufen. Und, ehrlich gesagt, interessiert es mich überhaupt nicht.

Jesus kam, um jeden Menschen zu suchen, und gab sein Leben für alle, aber er sah bereits voraus, daß es so sein würde, wie die Umfrage es bekundete: Viele sind berufen. Das Leben macht es deutlich.

Doch ihr alle, die dem Ruf Gottes folgten, ihr, die ihr mit Freude die Auferstehung unseres Herrn feiert – ihr seid wahrhaftig die Auserwählten! Gott hat euch ein wahrhaftig königliches Geschenk übergeben! Ihr könnt wie Kinder in fröhlicher Ungeduld das bunte Papier aufschnüren, um zu sehen, was das Paket enthält.

Was hat uns Gott zu Ostern geschenkt? Denken wir darüber nach. Jeder von uns hat heute nach dem Aufstehen seinen Mund ausgespült und seine Haare gekämmt. Wir schauten in den Spiegel. Was haben wir dort entdeckt? Von mir kann ich sagen, daß mich an jedem Morgen mein Hauptproblem anschaut. Ich entdecke die Spuren, die der Tod in meinem Gesicht hinterlassen hat. An jedem Morgen bin ich ihm um eine Nacht näher gerückt.

Wir können versuchen, diese Spuren zu vertuschen und zu glätten. Damit beschäftigt sich eine ganze Industrie. Vor kurzem sah ich in einem Journal ein Foto, auf dem eine Frau ihre Falten mit einer Maske aus 24-karätigem Gold glättet. Es ist wunderbar, daß es diese Möglichkeiten gibt. Jedoch ist es wie eine Flucht nach oben auf abwärts führenden Stufen. Den nicht aufzuhaltenden Kommenden – den Tod – wird sie nicht zurückdrängen können.

Ich erinnere mich, wie mein Vater mir als Teenager einmal eine Schachuhr in das Zimmer stellte, damit ich irgendwo auf die Zeit blicken könnte. Doch diese Uhr ging sehr laut. Mir schien es, daß mit jedem Ticken eine Sekunde meines Lebens abgeschlagen würde. Um zwölf Uhr kam eine kleine rote Fahne aus der Uhr heraus. Als der Zeiger sich in einer Stunde einmal um sich selbst gedreht hatte, fiel die kleine Fahne unerbittlich, fast schicksalhaft herunter, als wollte sie damit sagen – das war es! Die Zeit ist verflossen. Lange konnte ich das nicht aushalten und hielt die Uhr an.

Wir können eine Uhr anhalten, aber die Zeit können wir nicht aufhalten. Wir können es uns angewöhnen, über unseren Tod nicht nachzudenken. Man rechnet ihn zu den wenig sensiblen und zu den unwillkommenen Gesprächsthemen. Ich weiß, daß manche von euch sich in diesem Augenblick gestört fühlen – was redet er an diesem Festtage vom Tod!? Doch auch wenn wir den Tod vergessen, so werden wir ihn auch nicht auszulöschen vermögen. Und sterben bedeutet, wirklich alles zu verlieren. Das ist unser Hauptproblem, an das uns unser Spiegel auch heute früh erinnert hat.

Und deshalb ist Gottes Ostergeschenk an Seine Auserwählten wahrhaft königlich. Als der Erzengel Gabriel Maria verkündete, daß sie die Mutter des Heilands der Welt sein würde, fegte er alle deren Fragen und Zweifel mit einem Satz beiseite: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Wie auch unsere Fragen sein mögen, wie unaufhaltsam auch die Zeit und wie unabwendbar der Tod sein mag, bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Es gibt nichts anderes, was die Worte Gabriels so bestätigt wie die Auferstehung Christi. Gott ist der Vater, vor dessen Augen Sein Sohn gekreuzigt wird. Kann es eine größere Ausweglosigkeit geben als diese? Wenn es nur die Ausweglosigkeit des Sohnes wäre, der am Kreuz stirbt und vor dessen Grab ein gewaltiger Stein hingewälzt wird. Unser Verstand, Empfinden und unserer Erfahrung sagen uns, daß hier nichts mehr repariert werden kann.

Doch Gott löst diese Situation auf einem völlig anderen, für uns unzugänglichen Niveau. Er entreißt dem Tod den Sieg. Er behält sich das letzte Wort vor, und die Bedingungen für unsere Existenz werden durch die Auferstehung bestimmt. In Seiner allmächtigen Kraft löst er nicht nur Seine eigene Ausweglosigkeit, sondern auch unser größtes Problem – den Tod. Die Auferstehung wird auch zu unserer Realität.

In der Heiligen Schrift lesen wir: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Wenn wir Ihm im Tode gleich geworden sind, dann werden wir Ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wer an Ihn glaubt, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tod in das Leben eingegangen.“

Der Apostel Paulus weist auch auf den großen Unterschied zwischen dem Leben und dem Tod hin. Der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn durch Seine Liebe und Seinen stellvertretenden Tod. Er starb am Kreuz unschuldig unseren Tod, ohne daß Er den Tod verdient hätte. Den Tod für unsere Sünden erhalten wir auf jeden Fall, doch das ewige Leben dann, wenn wir mit Christus vereint sind – im Glauben und im Sakrament der Taufe. Durch Seine Auferstehung aus dem Grabe befreite uns Gott auch vom ewigen Tod. So ruft der Apostel Paulus aus: „Ergreifet das ewige Leben, zu dem auch ihr berufen seid.“ Alle sind berufen. Wenn wir nach der Gerechtigkeit messen, dann sind es nur sehr wenige, die wir den Auserwählten zuordnen können. Aber für die Auserwählten ist das Geschenk Gottes wirklich königlich. „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ So heißt es am Ende der Bibel. Du kannst zu den Auserwählten gehören. Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, ist kein unerreichbares Ziel oder unergründbares Prinzip, sondern unser uns liebender Vater ist uns Menschen zugänglicher als Gott, der es uns geschenkt hat, Ihn zu suchen. Gott ist niemandem von uns fern. Fliehe nicht und verstecke dich nicht vor Ihm, so wird Er dich finden. Wenn ihr euch Ihm nahet, dann nahet er sich euch. „Wer da glaubt und getauft ist, der wird selig.“ spricht Christus. Durch den Glauben an den Auferstandenen und durch das Bekenntnis zu Christus als unseren Herrn sind wir Kinder Gottes, dem alles gehört.

Wenn eine weise Seele das begriffen hat, wird sie sich nicht mehr darüber beklagen, daß das Leben kurz sei, und der Realität damit ausweichen wollen, daß sie die Uhr anhält. Ein weiser Mensch zittert nicht vor dem leeren Wahn und allem Bösen der Zeit und stimmt auch nicht trotzig das Lied an, daß das Leben bitter, aber das Bier süß sei. Ein weiser Mensch ist auf der Suche nach den Werten Gottes. Je wertvoller ein Leben gewesen ist, umso ruhiger, ohne Tränen und ohne Furcht, trennt sich ein weiser Mensch von ihm im Wissen darum, daß der Tod die Tränen abtrocknet und von den Leiden dieser Welt befreit und zur Auferstehung und zum ewigen Leben führt. Am meisten fürchten sich diejenigen vor dem Tod, in deren Leben es keine Werte gegeben hat.

Es gibt kein schlimmeres Unglück für einen Menschen als gottlos zu sein. Ein solcher sieht im Leben keine Rechtfertigung und im Tode keinen Sinn, .und möchte sich an den weltlichen Nichtigkeiten berauschen, um die Ewigkeit zu vergessen. Doch die Ewigkeit lässt es nicht zu, daß man sie vergisst. Sie kommt und lässt sich nicht aufhalten. Wirklich – wir sind Auserwählte, wenn wir sie im Vertrauen auf die Auferstehung erwarten und dabei sprechen können: „Dennoch bleibe ich stets an dir; du hältst mich bei meiner rechten Hand; du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

Hier muß ich einen Augeblick innehalten und an ein Gedicht von Imants Ziedonis denken, das mich oft zum Nachdenken angeregt hat. Dort ging es um einen Menschen, der in der Finsternis der Nacht unter dem Sternenhimmel von einer heftigen Einsamkeit überkommen wurde „wie ein von Füchsen noch nicht getötetes Pferd, das niemanden hat, dem es seine unendliche Angst anvertrauen könnte.“

Ich habe den Eindruck, daß unser genialer Dichter hier wieder auf zutreffende Weise etwas Wahres ausgesprochen hat, was wir vielleicht auch schon einmal selbst empfunden haben. Die Ewigkeit ist keine eindeutige Angelegenheit. Vor der Endlosigkeit kann man wirklich Angst bekommen. Ewige Seligkeit zusammen mit dem freundlichen und liebenden Gott ist eine sehr beruhigende Vorstellung. Doch die Ewigkeit mit allem Bösen, Unfrieden, mit aller Angst und allem Leid, das in dieser Welt und auch von mir verursacht wurde kann uns bis zu unserem Tod Angst machen. Ein Mensch könnte sich mit dem Ende des Daseins, besonders in der zweiten Hälfte seines Lebens, trösten, wenn die Last, die er zu tragen hat, schwer geworden ist. Viele wären damit zufrieden, wenn sie ihr Leben noch bunter und interessanter verbringen und dann einfach verlöschen könnten – wie ein Licht, dem plötzlich der Strom abgeschaltet wird.

Doch einen solchen Schalter gibt es nicht. Gott hat uns in der Bibel offenbart, daß wir zu Seinem Ebenbild und Gleichnis geschaffen worden sind – als ewige Wesen. In den Menschen hat er verschiedene Gaben investiert, doch eine Fähigkeit hat kein einziger Mensch. Wir haben nicht die Fähigkeit, gar nicht zu existieren.

Wenn die Bibel vom Leben spricht, dann denkt sie natürlich nicht nur an das leibliche Leben auf dieser Welt, sondern sie gibt auch Zeugnis von dessen Fortsetzung – vom ewigen, nicht endenden Leben im Frieden, in der Seligkeit, in Eintracht mit Gott und sich selbst. Wenn die Bibel sagt, daß der Tod der Sold der Sünde sei, denkt sie auch nicht nur an den leiblichen Tod und das Ende des Lebens auf der Erde. Die Bibel spricht davon, wo der Mensch seine Ewigkeit verbringen wird. Die Ewigkeit hört nie auf. Gerade deshalb kann uns die Endlosigkeit, der wir nicht entrinnen können, sowohl ermutigen als auch erschrecken…

Wer darf den Berg des Herrn besteigen? Wer wird an Seiner heiligen Stätte stehen? Der unbefleckte Hände und ein reines Herz hat, dessen Sinn nicht nach nichtigen Dingen steht und der nicht mit List einen Meineid schwört. Das alles wird in der Heiligen Schrift bestimmt. Betrachten wir uns ganz nüchtern. So sind wir nicht. Mit der Bagage, die wir mitschleppen sind uns die Pforten des Himmels zu eng. Es gibt Dinge in unserem Leben, die wir uns nicht einmal selbst eingestehen möchten. Wir würden uns ihrer unendlich schämen, wenn sie jemand erfahren würde.. Aber wie sollen wir dann vor Christus treten, der nicht nur alles weiß, sondern auch um unserer Sünden willen gefoltert und getötet wurde? Wie wagen wir es, an Ihn heranzutreten? Was wird Er mit uns tun?

In dem sehr bekannten Roman Quo vadis über die ersten Christen zur Zeit Neros spricht der Apostel Petrus mit einem Griechen. Dieser bedauernswerte Mensch hatte in seinem Leben viel betrogen, gelogen, gestohlen und andere verraten. Als er schließlich die Menschen erblickte, die er verraten hatte, und die dann Nero zum Ergötzen gefoltert und verbrannt wurden, übermannte sogar seine irdische Seele das Grauen. Doch der Apostel führte ihn an das Ufer eines Gewässers und ließ ihn vom Ufer aus Kieselsteine in das Gewässer werfen. Kannst du mit diesen Kieselsteinen das Meer zuschütten? Mögen die Kieselstein noch so groß sein, die du hineinwirfst, sie verschwinden in der Tiefe, als hätte es sie nie gegeben. So ist es mit der Vergebung Christi, Es gibt keine Sünde, die Christus nicht vergeben möchte.

Diese Vorstellung können wir manches Mal nur schwer akzeptieren. Kann man Stalin vergeben? Kann Hitler in den Himmel kommen? Kann Gott den Kindermördern von Gulbene vergeben? Werden alle Gewalttäter oder alle, die uns Böses angetan haben, die von Rechts wegen in der Hölle schmoren müssten, Gottes Vergebung empfangen? Das erscheint uns falsch und ungerecht.

Doch sollten wir auf keinen Menschen von oben herab blicken. Es gibt in der ganzen Welt keine Sünde, die wir in einer bestimmten Lage nicht auch begehen könnten. Und wenn wir sie nicht begangen haben, dann können wir dankbar sein, daß uns das erspart blieb.

Viel wichtiger ist es, uns bewußt zu machen. daß es keine Sünde gibt, die Gott uns nicht vergeben wollte oder könnte. Die Liebe, Großherzigkeit Christi und dessen Macht, zu vergeben, ist wirklich unfaßbar und nicht zu messen. Sei es, was es will, was unser Gewissen

quält, Er hat es bereits am Kreuz mit Seinem Tod erkauft, ausgelöst und durch Seine Auferstehung besiegt. Die Vergebung ist schon da. Du brauchst nur Ihn um Vergebung zu bitten und sie im Glauben von Ihm zu empfangen.

Wahrhaft königlich ist das Ostergeschenk Gottes. Unschuldige Hände und ein reines Herz. Nicht wir haben es rein bewahrt, sondern Christus hat es gereinigt und geheiligt. Das ist unsere Möglichkeit, den Frieden des Herzens im Leben zurück zu gewinnen. Das ist unsere Möglichkeit, den Berg des Herrn zu besteigen und vor Ihn zu treten. Alle werden durch die Sünde getötet, aber von denen, welchen Christus vergeben hat, singt die Kirche in der Osternacht: „O glückselige Schuld, die eines solchen Erlösers würdig war.“ Die eigentlich Auserwählten sind diejenigen, die dieses Geschenk annehmen. Alle sind berufen, sogar wenn nur einer von zehn darauf reagiert. Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht verstoßen.“

Vielleicht erscheint uns die Auferstehung als eine weit vom Leben entfernte Angelegenheit, an die man sich vielleicht in seiner letzten Stunde erinnern könnte, die aber in unserem Alltag nicht von großer Bedeutung ist. Dennoch ist die Auferstehung eigentlich eine der größten Notwendigkeiten unseres Lebens. Der lettische Philosoph Rihards Kūlis sagt, daß die Auferstehung der Gewinn einer neuen Erkenntnis sei. Dieser Gedanke ist es wert, darauf näher einzugehen. Der Gewinn einer neuen Erkenntnis. Gelegentlich geschieht es, daß das Leben uns vor eine große Chinesische Mauer führt, gegen die du anläufst, sie aber nicht übersteigen oder umgehen kannst. Wir begreifen zum Beispiel, daß wir falsch gelebt und viel Zeit vergeudet haben, unser Haus auf einem Fundament erbaut haben, das nicht hält. Und nun sind Jahre vergangen, die wir nicht rückgängig machen können, um anders zu leben, aber so weiter zu gehen, das können oder vermögen wir nicht. Manches Mal verlieren wir in unserem Leben etwas so Großes, daß nur noch ein Vakuum übrig bleibt, das nicht gefüllt werden kann, auch nicht mit Surrogaten. Was tun? Wie weiter leben?

Das sind die Fragen nach einem neuen Sinn des Lebens. Die Fragen nach der Auferstehung. Die Auferstehung nach einem solchen „Tod im Alltag“. Denken wir nach: betrifft diese Frage in irgendeiner Weise auch uns? Wenn ja, dann brauchen wir die Auferstehung. Einen neuen Sinn. Nicht erst nach dem Tode, sondern jetzt.

Das ist leichter gesagt als getan. Der Mensch würde vielleicht wer weiß was dafür geben, wenn sich seinem Leben ein neuer Sinn eröffnete, aber er schafft es einfach nicht. Dann erinnern wir uns daran, daß die Auferstehung Gottes Werk ist. Sogar Jesus ist aus dem Grabe in der Kraft Gottes auferstanden. Ebenso ist das auch mit uns. Wenn wir auf die Chinesische Mauer gestoßen sind, an der kein Weg mehr vorbei führt, es keinen neuen Sinn mehr gibt, so ist der neue Weg in Ihm zu finden, der für uns auferstanden ist. In Jesus Christus.

Vielleicht erscheint das vielen als eine schöne Theorie. Sie sind getauft und konfirmiert, sie gehen sogar zur Kirche, doch das Vakuum des Lebens ist noch nicht gefüllt und einen neuen Sinn haben sie noch nicht entdeckt. Ihnen fällt es schwer, die Berichte zu verstehen, daß der Mensch in Jesus Christus das Gleichgewicht, den Frieden und einen neuen Sinn des Lebens findet. Aber oft sind wir getaufte Christen den Soldaten zu vergleichen, die Jesus kreuzigten. Sie waren Jesus so nahe, am stellvertretenden Tod Jesu so mit beteiligt wie kein anderer. Sie hätten ihn um die Vergebung ihrer Sünden und das ewige Leben bitten können und alles auch erhalten. Doch alles, was sie von Christus wollten, war, daß sie seine armselige Kleidung unter einander verteilten.

Handeln wir als Christen oft nicht auch so? Alles ist uns geschenkt, aber was wünschen wir uns von Christus? Ist es nicht so, daß wir von seinen königlichen Gaben nur für das Papier und die Schnur der Verpackung interessieren, statt zu erkennen, was das Paket eigentlich

enthält?

Die Auferstehung und der neue Sinn, das sind keine Kleinigkeiten. Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer, daß wir zu einem neuen Leben auferstehen, wenn wir mit Christus eingetaucht sind in Seinen Tod. Eingetaucht und nicht mit der Fingerspitze benetzt.

Unser Leben gleicht den beiden Schalen einer Wage, in die jemand ständig etwas hinein legt. Wir selbst haben die Möglichkeit, die Proportionen zu vergleichen – wie viel bedeutet für unsere Seele der Fernseher, die Serien, die Shows, das Vergnügen, nichts sagende Gespräche, Zeitungen, Pflichten, die täglichen Sorgen, und wie viel bedeuten in der anderen Wagschale der Tod und die Auferstehung Christi? Ist es dann ein Wunder, wenn wir keinen neuen Sinn finden? Wenn wir es nicht vermögen, aufzuerstehen? Die Auferstehung ist Gottes Werk. Ein neuer Sinn des Lebens ist zu finden und jedes Vakuum ist zu füllen, wenn wir ein wahrhaft geistliches Leben führen. Gestern abend sagte in einer Hörfunksendung Professor Leons Taivāns, daß Religion keine Schwärmerei sei, sondern Disziplin. Arbeit an sich selbst. Ich könnte dem hinzufügen – zuerst das Werk des Heiligen Geistes an der Seele des Menschen. Wie viele Möglichkeiten haben wir ihm dafür eingeräumt? Was bedeuten uns in unserem Alltagsleben die Gaben des Heiligen Geistes – das Wort Gottes, die Sakramente, das Gebet und das Studium, der christliche Glaube und die Lehre, die Philosophie. die Erfahrung, die Tradition, die Gottesdienste, die Musik. Der Weg der Jünger Christi ist sehr tief, reich und schön. Dort kann man einen neuen Sinn bei jeder Ratlosigkeit, einen Ausweg aus jeder Ausweglosigkeit und ein Füllen jedes Vakuums finden – aber damit, daß wir in sein Leben eintauchen, und nicht um Seine Kleider würfeln.

In Christus Geliebte, besonders diejenigen, die wir getauft und konfirmiert sind, und zu Christus Ja gesagt haben – wir sind tatsächlich sein auserwähltes Volk, dem er die Fülle seines Lichtes geschenkt hat. Daß wir doch unser Auserwählt Sein nicht für ein Linsengericht dieser Welt verschleuderten!

Das wollte ich sagen nicht nur jedem persönlich, sondern auch unserem Volk. Christus hat den Letten als Nation so viel geschenkt. Die lettische Sprache hat sich ausgeweitet und ist durch die Übersetzung der Bibel so reich geworden. Dort haben auch die Schriftstellerei und andere Gebiete der Kultur ihren Ausgangspunkt gehabt. Die Schulen der Brüdergemeine haben die Letten zu einem hoch gebildeten europäischen Volk gemacht. Damals konnte man das wahrnehmen, was man heute zum Beispiel in Südostasien sehen kann. Religionsforscher weisen darauf hin, daß dort jetzt ein großer Aufbruch des Selbstbewußtseins der Christen geschieht. Die Zahl der Christen wächst dort um Tausende und Millionen. Und parallel dazu wächst in jenen Ländern der Wohlstand.

Als damals Europa den christlichen Glauben annahm, entwickelt sich dort die mächtigste Zivilisation, die sich später über die ganze Welt ausbreitete. Wenn ich daran denke, dann erinnere ich mich an die seltsam Freude in der Stimme, die bekannt gab, daß heute nur 10% der Einwohner Lettlands Ostern als ein christliches Fest feierten, welches für Menschen anderer Volkszugehörigkeit wichtiger sei als für die Letten.

Das ist die Stelle für einen weiteren Gedanken von Professor Taivāns, der sagte, daß altruistische Gesellschaften lebensfähiger seien als egoistische. Aber der Altruismus entsteht in einer Gesellschaft durch die Religion. Somit wird unsere Gesellschaft, wenn sie sich vom Christentum distanziert, immer egoistischer, individualistischer und immer weniger lebensfähig. Der Philosoph Rihards Kūlis erinnert zutreffend daran. daß die Weltgeschichte einem großen ethnischen Friedhof gleich kommt. Unzählige Völker sind zu Grunde gegangen und existieren nicht mehr. Auch wir empfinden, daß wir in einem Zustand des Unterganges leben neben einer höchst vitalen und expansiven Zivilisation des Islam, die eine immer mächtiger werdende Stellung im einst mächtigen christlichen Europa einnimmt.

Wenn wir an unser Volk denken, dann lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit. Wir begehen verschiedene Gedenktage und versuchen unsere einmalige Geschichte der Welt zu erklären. Doch sollten wir viel ernsthafter über unsere Zukunft nachdenken. Unser Volk braucht einen neuen Sinn. Es braucht die Auferstehung. Auf den Marktplätzen dieser Welt ist sie nicht zu finden. Auf den Marktplätzen würfelt man um Christi abgetragene Kleider, darum, was übrig geblieben ist vom einst stolzen christlichen Erbe. Um aufzuerstehen, brauchen wir Christus selbst, das Leben mit Christus, die Erziehung unserer Kinder zu Seinen Jüngern. Die Rettung und Fortentwicklung der Weisungen Christi in unserer Gesellschaft könnte sich als viel nötiger erweisen als die Begehung eines Gedenktages einmal im Jahr. oder daß man einmal jährlich zur Kirche kommt.

So seht nun, in Christus Geliebte und von Christus Auserwählte, wie viel uns verheißen und geschenkt ist! Christi königliche Geschenke machen uns auf eine ganz besondere Weise frei. Was uns meistens ärgert oder bedrückt, ist die Erkenntnis – „Das ist ungerecht! Das ist unehrlich!“ Wahrlich, in der Welt gibt es viel Ungerechtigkeit. Oft scheint es uns, daß uns unser Anteil vorenthalten wird, der uns von Rechts wegen zusteht. Oft ist das auch so. Das macht uns wild und quält uns und wir fühlen uns im Konkurrenzkampf bedroht. Aber Gott hat uns Seinen Sohn geschenkt. Christus ist für uns gestorben und auferstanden. Durch Ihn empfangen wir die Vergebung der Sünden, einen neuen Sinn des Lebens auf der Erde und des ewigen Lebens. Den kann uns niemand nehmen.

Das ist eine wunderbare und befreiende Botschaft. Wir brauchen uns nicht mehr zu quälen und zu ärgern, wenn bei irgendwelchen menschlichen Dingen etwas nicht gerecht oder nicht ehrlich zugeht, oder wenn wir nicht alles erhalten haben, was uns nach unserer Meinung zusteht. Gott hat uns, ohne daß wir es verdient hätten, viel mehr geschenkt und uns zu Seinen Auserwählten gemacht. Möge die Erkenntnis, daß nicht der Sieg im Konkurrenzkampf Sicherheit schenkt, sondern daß uns Gottes Freundlichkeit, die uns geschenkt ist, lehren möge, freigiebig und großherzig anderen gegenüber zu sein, fröhlich und friedevoll. Denn Christus ist doch für uns auferstanden – wahrhaftig auferstanden! Möge Seine Auferstehung auch unsere Herzen und Augen erfüllen, sich in unseren Worten und Werken, in unserem Leben und unserem Tod widerspiegeln. Ich wünsche euch allen ein gesegnetes, frohes Osterfest!

Übersetzung aus dem Lettischen: Johannes Baumann