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Predigt: Der Gott, der Unmögliches möglich macht

Donnerstag 8. Februar 2007 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

Der Gott, der Unmögliches möglich macht
Predigt zum Sonntag Septuagesimae, 3.2.2007

„Jesus stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, so daß auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief. Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ (Matthäus 8, 23-27)

Was geschieht da eigentlich am Ufer des Galiläischen Meeres? Kann man es wirklich Meer nennen, wie es der Text tut? 21 km lang und 12 km breit, das ist doch eher ein See, der zweimal größer ist als einer unserer mittelgroßen Seen. Lukas, der sich in den Dingen der Seefahrt besser auskennt, nennt ihn auch einen See. Und was kann in einem solchen See eigentlich Großes geschehen? Um den See Tiberias herum gibt es Berge, von denen gefährliche Winde herunterkommen können. Darüber berichtet ein Augenzeuge: „Eine Gruppe von Touristen stand am Ufer des Sees Tiberias und freute sich des spiegelglatten Wassers im nicht allzu großen See, und sprach auch ihren Zweifel über den im Evangelium beschriebenen Sturm aus. Aber plötzlich kam Wind auf. Nach 20 Minuten war das Meer voller weißer Schaumkronen. Hohe Wellen schlugen an das Ufer und die Touristen mußten nach einem Schutz vor den großen Spritzern suchen, die ihnen sogar hier, 20 Meter vom Ufer entfernt, in die Augen schlugen.“

Jesus hatte vom Boot aus gepredigt und war müde. Das kann jeder Pastor nachvollziehen. Ich habe bei meinen ersten Predigten zu meiner großen Überraschung erfahren, wieviel Kraft sie kosten, und fühlte mich so, als ob ich einen tiefen Graben ausgehoben oder einige Klafter Holz gehackt hätte. Jesus hatte ganz bestimmt länger als nur eine halbe Stunden gepredigt, wie das heute die Pastoren meistens tun. Außerdem hatte er Aussätzige und den Knecht eines Offiziers der Römischen Besatzungsmacht geheilt. Er hatte die Schwiegermutter des Petrus vom Fieberbett aufstehen lassen. Dazu führte man zu ihm am Abend auch noch zwei Besessene, aus denen er den bösen Geist vertrieb. Nach einem solchen Arbeitstag war Jesus ermüdet und schlief im Boot ein, wie das an seiner Stelle jeder normale Mensch getan hätte. Aber nun geschah es, daß ausgerechnet zu dieser Abendstunde der galiläische Sturm über den See hinwegfegen mußte. Die Wellen waren so hoch, daß sie das Boot überspülten und unter sich zu begraben drohten, was das griechische von Matthäus gebrauchte Wort kalyptesthai besagt.

Die Beurteilung der Lage durch die Jünger war: „Wir kommen um!“ Sie beeilten sich, um Jesus zu wecken. Verstandesgemäß bedeutete das eigentlich gar nichts. Was vermag ein Mensch gegen eine solche Naturkatastrophe auszurichten? Genau das dachten auch viele Theologen der Zeit des Liberalismus, wenn sie nach einer Erklärung dessen suchten, was damals geschah, nachdem Jesus aufgewacht war. In vielen Kommentaren können wir lesen, daß Jesus den dramatischen Effekt genau in dem Augenblick genutzt und den Sturm bedroht hätte, da das Boot eine geschützte Stelle erreicht hätte. Man kann die Verlegenheit seriöser Theologen einfach nicht übersehen, wenn sie solche überhaupt nicht überzeugende Erklärungen zitieren. Ganz zu schweigen davon, daß man erfahrenen Fischern, die es auch unter den Jüngern gab, wirklich nicht mit der Behauptung dieser Befürworter der Theorie eines geschützten Fjordes kommen konnte, den es dort überhaupt nicht gibt, wird jeder bestätigen können, der einmal am Ufer des Sees Genezareth gewesen ist. Die Küstenlinie bei Kapernaum ist genau so gerade wie die Ostseeküste bei uns.

Doch man kann auch die Verlegenheit der Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts verstehen, wenn man weiß, daß damals auch der Glaube der Kirche oft der Logik des Rationalismus Platz geschaffen hat. Kein Mensch kann sich doch als Beherrscher der Winde aufspielen! Und wenn das so ist, dann kann niemand den Sturm stillen und das wogende Meer beruhigen. Doch die Folgerungen müssten ganz anders sein! Wir sollten weder wenig glaubhafte, oder noch weniger überzeugende Erklärungen suchen, die dem Geschehen seinen Sinn nehmen, sondern mit den Jüngern gemeinsam fragen: „Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Der Evangelist Lukas beginnt den Bericht dieses Geschehens mit den Worten „Es begab sich an einem der Tage“. Sie hören sich wie eine Randnotiz an. Und dennoch weisen sie darauf hin, daß die Stillung des Sturmes kein für sich stehendes isoliertes Ereignis ist, sondern nur im Zusammenhang mit allem anderen betrachtet werden kann, was Jesus getan und gesagt hat, als er lehrend und dienend durch die Städte und Dörfer ging. Das lässt uns erkennen, daß alle Zeichen und Wunder Jesu geschehen sind, um die Menschen zur Antwort auf die Frage hinzuführen „Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?“

Oft sagt man dem Glauben nach, daß er blind sei. Trotzdem hat Jesus nie von seinen Nachfolgern blinden Glauben gefordert. Blinden Glauben fordern dagegen alle jene Theologen, die, weil sie blinden Glauben befürchten, sagen: Jesu Boot schwamm einfach mit dem Wind im Rücken auf das Ufer zu, denn kein Mensch vermag es, den Wind zurechtzuweisen; Jesus hat auch das Brot nicht vermehrt, sondern einfach den Leuten in das Gewissen geredet, die, als sie sahen, daß Jesus sein letztes Stückchen Brot mit den Tausenden teilt, sich schämten und dann jeder seine verborgene Schnitte Brot aus der Tasche zog; wenn jemand geheilt wurde, dann geschah das mit der Hilfe der Autosuggestion, denn die Psychologie vermag große Dinge zu bewirken; natürlich hat Jesus keine Dämonen ausgetrieben, denn solche Dämonen gibt es gar nicht. Und natürlich ist er auch nicht von den Toten auferstanden, denn das gibt es einfach nicht.

Und so denken diese Theologen und Schriftgelehrten, die sich für so weise halten, daß sie meinen, sie hätten sich vor blindem Glauben in Sicherheit gebracht. Aber andererseits möchten sie auf eine ganz seltsame Weise, daß dieser Jesus, der es nicht vermag, einige Dämonen zu vertreiben, die Macht des Teufels und der Sünde über uns zerbricht. Daß dieser Jesus, der es nicht vermag, einen Kranken körperlich zu heilen, unsere kranke Seele heilt. Daß dieser Jesus, der es nicht vermag, ein paar Tausend Menschen zu speisen, Milliarden die Vergebung der Sünde und das Brot des Lebens schenkt. Daß dieser Jesus, der es nicht vermag, von den Toten aufzuerstehen, mir das ewige Leben schenkt. Das wäre wirklich blinder Glaube, ein Glaube ohne einen Grund und ohne eine Bestätigung. Jesus fordert von niemandem blinden Glauben. Oft können wir uns darüber wundern, warum Jesus es manchen Leuten einschärft, nichts von seinen Wunderwerken weiterzuerzählen – das könnte doch wirklich effektiv sein! Doch der Herr Jesus möchte nicht, daß jemand vor der Zeit in blindem Glauben seine Wundertaten ausposaunt, sondern daß jeder zu seiner Zeit und nach seiner eigenen Entscheidung die Antwort findet. Die Antwort auf die Frage „Was ist das für ein Mann – dieser Jesus?“ Die erste Möglichkeit einer Antwort: Ein Mensch, der ermüdet im Boot schläft. Doch diese Antwort hilft eigentlich nicht weiter. Gott sagt dem ermüdeten Hiob: „Bist du zu den Quellen des Meeres gekommen und auf dem Grund der Tiefe gewandelt? Wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es herausbrach wie aus dem Mutterschoß, als ich’s mit Wolken kleidete und im Dunkel einwickelte wie in Windeln, als ich ihm seine Grenze bestimmte mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tore und sprach: „Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen!““ (aus Kapitel 38). Und Gott antwortet: Nein, nicht du, Mensch, hast es gemacht! Demnach geht es hier um mehr als um einen ermüdeten Menschen.

Die zweite Möglichkeit einer Antwort könnte sein: Er ist nicht nur ein einfacher Mensch, sondern ein Prophet. Aber auch das hilft nicht weiter. Der Prophet Jona war auf einem Schiff, das in Seenot geraten war, aber er beherrschte den Sturm nicht, sondern Gott mußte ihn erretten, ebenso wie Jesus seine Jünger erretten mußte. Somit geht es hier um mehr als um einen Propheten. Ja, aber wer ist er dann, wenn nicht ein einfacher Mensch oder gar ein Prophet? „Was ist das für ein Mann, daß ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ In denen, die sich in der Schrift auskennen, wächst immer unablässiger die Überzeugung, wer Jesus ist. Im 65. Psalm heißt es: „Gott, unser Heil, der du stillst das Brausen des Meeres, das Brausen seiner Wellen und das Toben der Völker.“ Und im 89. Psalm: „Herr Gott Zebaoth, wer ist wie du? Mächtig bist du, Herr. Du herrschest über das ungestüme Meer, du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben.“

Bei seiner Wanderung durch die Städte und Dörfer des Heiligen Landes bringt Jesus Licht in das Geheimnis seiner Persönlichkeit. Bis einmal, nicht in blindem Glauben, sondern in tiefer, begründeter klarer Überzeugung Petrus zum Bekenntnis kommt: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Und daß es schließlich der ungläubige Thomas ist, der alles mit dem Bekenntnis krönt: „Mein Herr und mein Gott!“ Jesus ist im Boot kein ermüdeter Mensch, der plötzlich wach wird, sondern der Herr, der seine Schöpfung zurechtweist, die vom rechten Wege abgekommen ist. Da sind die Wellen, dort wiederum die Dämonen oder Pharisäer, die Jesus zurechtweist. Der Prophet Jesaja sagt im 17. Kapitel: „Ha, ein Brausen vieler Völker, wie das Meer brausen sie, und ein Getümmel mächtiger Nationen, wie große Wasser tosen sie! Ja, wie große Wasser werden die Nationen tosen. Aber er wird sie schelten, da werden sie in die Ferne fliehen und werden gejagt wie Spreu auf den Bergen und wie wirbelnde Blätter vom Ungewitter.“ (Jesaja 17, 12-13)

Heute ist man häufig bestrebt, den christlichen Glauben beiseite zu schieben. Gegen ihn erhebt sich das Geschrei der Leute, das wie große Wasser rauscht und von den Christen Zugeständnisse und Toleranz fordert: „Wenn ihr Glieder der modernen oder postmodernen Gesellschaft sein möchtet, dann müsst ihr einsehen, daß jeder Mensch seine eigene Wahrheit haben darf. Ihr müsst akzeptieren, daß die Gesellschaft heute die Dinge anders betrachtet und müsst eure Lehre korrigieren.“

Möglicherweise müssen wir uns auf eine neue Verfolgung einstellen. Zur Zeit arbeitet man an einem Gesetzesentwurf, der es zulässt einen Pastor anzuklagen, der es zu sagen wagt, daß homosexuelle Lebensweise Sünde ist. Doch selbst wenn man in Zeiten der Verfolgung noch irgendein Heldentum oder eine Begeisterung für die Sache entdecken konnte, so haben Christen heute viel mehr Angst vor Verachtung und Geringschätzung – ihr habt veraltete Ansichten, ihr habt einen engstirnigen Glauben, der mit unseren elitären Ansichten in keiner Weise Schritt halten kann. Deshalb möchten viele Christen sich an die Mehrheit halten und gleich den Rückenwind- und Butterschnitten- Theologen in das Geschrei der Massen einstimmen. Doch wichtig ist nicht, daß wir auf der Seite der Massen stehen. Der Herr weist seine Schöpfung zurecht, die auf Abwege geraten ist, und das, was wirklich von Bedeutung ist, das ist nicht auf der Seite derer zu finden, die der Herr zurechtweist. Dort am Ufer des Sees gibt es die Stadt Chorazin, die Jesus zurechtwies und ihr ankündigte, daß von ihr nur schwarze Ruinen übrig bleiben würden.

Wichtiger ist es, auf der Seite jener zu stehen, die in ihrer konkreten Lebenssituation sich mühten, Jesus zu wecken. Die Jünger weckten Jesus nicht, um ihm die düstere Macht der Elemente einer Naturkatastrophe zu zeigen. Sie waren sich bewusst: wir kommen um. Errette uns, Herr! In jedem Leben gibt es Augenblicke, in denen die Wogen in das Schiff hineinschlagen, und in denen wir uns wie in einer Grube begraben fühlen. In denen die Umstände um uns herum stärker sind als wir selbst und wir dem Tode entgegengehen. „Herr, wir kommen um!“ Wie gut, daß Jesus, der uns seine Hilfe und Gegenwart verheißen hat, der Gott ist, der auch Unmögliches bewirkt.

Kein Mensch kann den Sturm stillen. Aber Jesus tut es. Es ist nicht möglich, Tote aufzuerwecken, aber Jesus tut es. Es ist nicht möglich, dem Brot zu befehlen, sich zu vermehren, aber Jesus tut es. Oft möchten wir in unserer Lebenslage sagen: Niemand kann hier helfen, niemand kann hier etwas ändern! Aber Jesus tut es. Jesus ist Gott, der Unmögliches möglich macht. Und das Wunderbare dabei ist, daß er uns die Gemeinschaft mit sich verheißt. Schätzen wir das nicht zu gering ein und akzeptieren wir das nicht als etwas Selbstverständliches.

Hollywood-Stars pflegen im Internet eine homepage zu haben, auf der die Verehrer ihrer Talente und ihrer Schönheit ihnen Briefchen zusenden und sie um eine kleine persönliche Aufmerksamkeit bitten. Diesen selbstbewußten jungen Leuten ist es nur schwer deutlich zu machen, daß ihre verehrten Stars an keinerlei Beziehungen mit ihnen interessiert sind und auf ihre Briefe nicht reagieren, und sie diese nicht einmal lesen, und daß sie selbst daran auch nichts ändern können. Wie sähe unser Leben aus, wenn Gott an Beziehungen zu uns nicht interessiert wäre?

Wenn wir ein Gebet nach dem anderen an ihn richten, uns aber damit zufrieden geben müssten, daß er uns nicht erhört? Die Beziehungen zu Gott sind nichts Selbstverständliches. Es könnte uns eher unmöglich erscheinen, daß der Schöpfer des Himmels und der Erde an unseren so unbedeutenden Schicksalen interessiert ist, daß er zustimmt, wenn wir zu ihm in Beziehung treten möchten – „ wer zu mir kommt, den werde ich nicht zurückstoßen.“ Und nicht nur das. Er macht sich sogar selbst auf die Suche nach uns. „Ich bin gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist.“ Jesus ist Gott der unmöglichen Dinge. Er nutzt jede Gelegenheit, uns näher zu kommen und uns zu sich zu ziehen. Nicht blinden Glauben verlangt er von uns, sondern lässt es zu, daß wir Ihn erfahren. Damit wir das, was wir in der Schrift lesen, auch in unserem eigenen Leben erfahren. Und diese Erfahrung in die Erkenntnis umsetzen :„Mein Herr und mein Gott“. Das ist die Zusammenfassung alles dessen, was wir in der Schrift gelesen und geistlich erfahren haben. Wir haben einen Heiland, der uns helfen kann. Wichtig dabei ist, daß wir in seinem Boot sind. Und sein Boot ist die Kirche. Und damit nicht der Eindruck entsteht, daß Christen egoistisch nur auf das eigene Seelenheil bedacht sind, lohnt es sich, daran zu denken, daß die Stillung des Sturmes nicht nur die Jünger rettete, sondern auch allen anderen um den See herum Frieden schenkte und sie aufatmen ließ. Aber das ist eine andere Geschichte. Amen.

Aus: Svētdienas Rīts, Zeitung der Evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands, Übersetzung Johannes Baumann

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 8. Februar 2007 um 17:45 und abgelegt unter Predigten / Andachten.