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Predigt über Mt 17,1-8: Auf dem Berg der Verklärung

„Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so, wollen wir hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.“ (Mt. 17,1-8)

Die Geschichte beginnt mit einer Zeitangabe – „nach sechs Tagen“. Gerade eben hat Jesus mit seinen Jüngern darüber gesprochen, dass er sich nach Jerusalem begeben müsste, um dort zu leiden und zu sterben, und am dritten Tage wieder auferstehen würde. In guter Absicht hat Petrus versucht, ihn davon abzuhalten, erhielt aber dafür einen sehr deutlichen Verweis: „Weiche von mir, Satan!“ Darauf erklärte Jesus ihnen, dass ihm nachzufolgen die Voraussetzung für die Errettung der Seele von dem Tod ist, und dass jeder, der ihm nachfolgen möchte, sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen müsste. Und damals sprach er auch von sich als dem Menschensohn, der einst mit den Engeln in der Herrlichkeit des Vaters kommen würde, zu richten die Lebenden und die Toten. Über die sechs Tage nach dieser feierlichen und ungestümen Unterredung gibt es keinen Bericht. Anscheinend hat Jesus gar nichts getan, mindestens nichts, was erwähnenswert war.  Und dann – dieses faszinierende Geschehen der Verklärung. Das war wie ein Sonnenblitz durch einen Riss in den Wolken, bei dem durch den Zustand der Unterwürfigkeit einen Augenblick etwas von seiner Herrlichkeit durchschien. Der Herrlichkeit des Vaters, in der er wiederkommen wird, wie er den Jüngern verheißen hat.

Wenn es den Anschein  hat, dass der Herr Jesus lange nichts zu meinem oder zum Wohl seiner Kirche getan hätte, dann können wir bald etwas nicht alltägliches erwarten. Ein halbes Jahrhundert hat unsere Kirche im Zustand der Unterdrückung und Demütigung verbracht. Es schien, als wollte der Herr uns nichts Gutes mehr tun. Aber dann erhob Er sie wieder und erweckte sie auf eine ungewöhnliche Weise, und ließ das Reich des Bösen untergehen. Vielleicht kommt es uns auch heute vor, dass Jesus nichts zu unserem Wohl täte. Es ist doch eine Zeit der Krisen und Prüfungen. Wir können sie beklagen und uns vor ihr fürchten. Aber wenn wir an Christi Verklärung nach sechs offensichtlich arbeitslosen Tagen zurückdenken, vermögen wir mit Interesse und vielleicht mit Faszination darauf zu warten, was er mit und für uns in dieser Situation tun wird. Wissen wir nicht, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen?

Jesus stieg auf den Berg an einen geheimen, versteckten Ort. Sogar seine Jünger nahm er nicht mit. Nur Petrus, Johannes und Jakobus waren Zeugen des Geschehens. Ach, weshalb ergeht es uns nicht wie ihnen? Weshalb haben wir nichts von dem gesehen? Wie faszinierend wäre es doch, zuzuhören, was Jesus mit Mose und Elia bespricht! Wenn wir so reden, dann sollten wir uns daran erinnern, dass drei Jünger das mit erlebten, als sie zusammen mit Jesus den Gipfel des einsamen Berges bestiegen hatten. Wer eine himmlische Stimme hören möchte, der sollte öfter einen Ort in der Einsamkeit, der Stille und der Einfachheit zusammen mit Jesus suchen. Der sollte öfter auf den Gipfel steigen, um sein Herz zu erheben und zu suchen, was oben ist. Und dann wird er bald entdecken, dass die Einsamkeit mit Jesus gar nicht einsam ist. Es ist der Ort, an dem die verklärte Begegnung mit dem Vater stattfindet, an dem man auch Mose, Elia und alle Heiligen der Triumphierenden Kirche antreffen kann, die uns auf dem Wege der Jünger Christi vorausgegangen sind, ein jeder mit seinem Kreuz auf der Schulter.

Drei Jünger waren es auf dem Berg der Verklärung. Außer ihnen noch Mose, Elia und Jesus, also zusammen sechs. Im großen Kreis der Jünger und Nachfolger Jesu haben sie wunderbare und bedeutende Dinge gesehen und gehört, doch das Ereignis der Verklärung haben sie nur in diesem ganz kleinen Kreis erlebt. Betrachten wir das aus der Perspektive unseres Lebens als Christen. Es ist wichtig, am Sonntag im Gottesdienst mit der Gemeinde vereint zu sein. Für viele ist das die einzige Art der Seelsorge an sich selbst. Doch in der Kirche gibt es auch noch andere Formen, zum Beispiel, dass man sich unter der Woche in Hauskreisen zusammenfindet, gemeinsam betet, die Heilige Schrift liest und sein Leben im Lichte des Wortes Gottes betrachtet, oder an den Bibelstunden oder an anderen Veranstaltungen der Gemeinde teilnimmt. Dort kann man etwas anderes erleben als am Sonntag im Gottesdienst mit der ganzen Gemeinde, doch auch wertvolles und erhellendes. Fragen wir uns, ob wir alle oder mindestens einige Möglichkeiten genutzt haben, um unseren Glauben zu leben.

Auf den Berg der Verklärung nahm Jesus nur Petrus, Johannes und Jakobus mit. Bei den Anhängern der Demokratie mag das Unzufriedenheit auslösen. Was ist das schon wieder für eine neue Elite? Waren die anderen Jünger wirklich nicht berechtigt, dabei zu sein? Bei der Idee der Elite sollten wir sehr aufpassen. Warum war nur Israel und nicht wir das auserwählte Volk? Doch gehen wir nicht allzu  schnell weiter. Hat das Auserwählt-Sein dem Volk Israel nicht ein Schicksal beschert, das wir uns selbst auf keinen Fall wünschen möchten? Gott hat Maria auserwählt, der Welt den Heiland zu schenken, aber diese Auserwählung drang durch ihre Seele wie ein Schwert. Jesus trug seine Auserwählung  wie das Kreuz und die Dornenkrone mit allen Sünden dieser Welt. Auserwählt-Sein ist keineswegs einfach und angenehm. Viel segensreicher und einfacher ist es für die, zu deren Wohl Gott jemanden auserwählt hat. Für unser Heil und unsere Rechtfertigung hat Gott uns ein Geschenk gemacht – nicht durch unsere eigenen Anstrengungen, sondern durch den Glauben, nicht durch unsere Verdienste, sondern durch das Verdienst Jesu Christi, des Auserwählten. Für diese Gemeinschaft schulden wir Gott demütigen Dank!

Aber diese drei, Petrus, Johannes und Jakobus, nahm Jesus nicht rein zufällig auf den Berg mit. Drei Zeugen waren es genau, die man brauchte, um einem Geschehen jeden Zweifel zu nehmen. Doch unser Herr nahm nicht alle mit, weil es mehr sein sollten, die selig sind,  welche nicht sehen und doch glauben. Diese drei berief er zu Augenzeugen seiner Verklärung auch deshalb, weil sie auch die nächsten Zeugen seiner Seelenqualen im Garten Gethsemane werden sollten. Sie mussten für ihre junge Kirche später auch eine größere Verantwortung in einer hasserfüllten Welt voller Gefahren tragen. Johannes war darüber hinaus auch noch die Sorge um Jesu Mutter anvertraut.

Hier wird die Sorge und Hilfe des Herrn Jesus für seine Leute deutlich. Wenn auf jemanden Prüfungen und Erschütterungen zukommen oder ihm eine größere Verantwortung auferlegt wird, dann beruft er, offenbart er sich und stärkt uns, um uns dafür bereit zu machen. Wenn ich auf die Wendepunkte meines Lebens zurückblicke, dann kann  ich bezeugen, dass das die Wahrheit ist.

Christus in seiner Herrlichkeit zu sehen, ist eine gute Vorbereitung auf unser Leiden zusammen mit ihm. Wenn wir in der Welt Angst haben, dann ist es gut, sehend zu sein und – sei es auch nur durch einen Ritz in den Wolken – Seine und damit auch unsere Herrlichkeit in der kommenden Welt zu erblicken. In Krisenzeiten suchen Menschen bei der Kirche Trost und Stärkung. In den letzten Tagen und Wochen bin ich darum von manchen Zeitungen, vom Hörfunk und Fernsehen gebeten worden. Als ob die Kirche einen Zauberstab oder Zauberworte hätte, die man bloß herauszuholen brauchte, während um uns die Krise tobt und außerhalb eines Kreises von 30 Metern sich Vergnügen und Wohlstand breit machen. Doch solche Zauberformeln hat weder die Kirche noch jemand anderes. Die beruhigende Herrlichkeit Christi kann  man nicht in das Leben dieser Welt importieren wie das Gas aus Russland oder billige Schuhe aus China. Solange das Herz des Menschen am vergänglichen Besitz hängt, wird er damit leben müssen, dass er von dieser Vergänglichkeit heimgesucht, und der Zusammenbruch entsprechend groß wird.

Man muss von Christus berufen sein, man muss sein Nachfolger sein, man sollte sich auskennen mit den Augenblicken der Verklärung in der Einsamkeit mit Gott, man muss die Herrlichkeit Christi erblicken können und diese in der Liebe und im Gehorsam gegenüber seinem Wort gefunden haben. Dann wird der Mensch in der von Krisensituationen heimgesuchten Welt Frieden und Sicherheit finden. Dann wird die Krise nicht schwer auf die Stelle zurückschlagen, wo dein Schatz und dein Herz ist.

Petrus sagt: Lasst uns Hütten bauen und hier noch lange bleiben, am liebsten für immer. Das Erblicken der Herrlichkeit Christi tut ihm so wohl, dass er nichts mehr braucht. Alles andere würde er gerne am Fuße des Berges zurücklassen. Nichts von dem unten bekümmert ihn weiter. Es stimmt schon, dass Petrus bei diesem Gespräch viel dummes Zeug redet. Nun, wofür benötigen Mose und Elia Hütten? Und hat er wirklich vergessen, dass Jesus noch gesagt hatte, dass er hinauf nach Jerusalem gehen müsste, um dort zu leiden und zu sterben? Hat er wirklich Jesu scharfe Zurückweisung „Weiche von mir, Satan,“ vergessen, nachdem er ihn gebeten hatte, hier zu bleiben? Petrus kann einfach vom Gedanken nicht loskommen, dass es besser sei, die Krone und Herrlichkeit leicht und schmerzlos zu ererben. Doch seine Torheiten werden ihm vergeben, denn hier hat eine Seele gesprochen, die Christus liebt.

Liebt meine Seele Christus?  Das ist eine wichtige Frage. Eigentlich ist das eine Frage auf Leben oder Tod. Wie soll ich es wissen, ob meine Seele Jesus liebt? Sollte man sie nicht lieber in den Hütten stellen, wo wir Jesu Herrlichkeit erkennen können? Möchte sich unsere Seele wirklich in der Nähe Jesu aufhalten? Eilt sie wirklich ungeduldigen Schrittes in die Kirche. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist das Aufstehen, um zum Gottesdienst zu gehen und die Bibel in die Hand zu nehmen, wohl eine Anstrengung, aber ohne eine Motivation dafür; und wenn wir abends einschlafen und morgens aufstehen, ohne gebetet zu haben, dann haben wir ein Problem. Dann könnten wir statt Petrus zu Jesus sagen: „Hör mal, nun ist es wirklich genug. Nun redest du bereits über eine Stunde mit diesen Männern. Jetzt sollten wir wirklich zurück gehen.“ Das wäre dafür ein Anzeichen, dass unsere Seele Christus nicht liebt. Oder dass unser kleiner Funke tief in der Asche ein wenig glüht. Und dann haben wir einen begründeten Anlass, um unser Leben zu bangen.

Bangen. Im christlichen Kontext sprechen wir nicht gerne von der Angst. Doch in der Bibel lesen wir oft von der Angst vor Gott. Als die Jünger die Stimme vom Himmel vernahmen:  „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“, erschraken sie so sehr, dass sie hinfielen und ihre Häupter verhüllten. Wenn unser Leben vor Gott deutlich offen liegt, dann habe ich Anlass, erschrocken zu sein, niederzufallen und das Haupt zu verhüllen.   Jesus ist Gottes lieber Sohn, aber ist er auch mein lieber Herr? Habe ich ihn überhaupt lieb? Gott spricht: „An ihm habe ich Wohlgefallen.“ Wie steht es aber um uns mit Gottes Wohlgefallen?  Ist unser stolzes Handeln nicht nur dadurch bestimmt, unnützen Dingen hinterher zu laufen, um sie aufzubewahren und zu erhalten? Gott spricht: „Den sollt ihr hören.“ Und ich? Höre ich auf ihn? Wie ist mein Leben vor Gott? Eins der größten christlichen Probleme ist, dass Glaube und Leben nicht einander entsprechen und einander nicht beeinflussen. Der Mensch kann wirklich recht glauben und sehr verkehrt leben. Und das ist die eigentliche Krise. Ob man nicht auch, wenn man das eigene Leben in dem Licht betrachtet, das auf dem Berge der Verklärung von Jesus her leuchtet, niederfallen und das Haupt verhüllen müsste? Müssten wir nicht zurückkehren und mit Gottes Hilfe unser Leben sofort  ändern und das nicht auf den Montag verschieben?

Und hier entdecken wir im Evangeliumsbericht bewegend deutlich das Wirken der frohen Botschaft. Ich weiß nicht, was Jesus gemacht hätte, wenn die Jünger bei dem Vernehmen der Stimme ihren Kopf geschüttelt und dazu gesagt hätten: „Na gut! Vielleicht später, wenn wir Zeit haben, uns mit der Sache zu befassen.“ Es steht geschrieben: Gott widerstehet dem Hoffärtigen. Doch bei seinen auf die Erde niedergefallenen Jüngern entdeckt Jesus seine unendliche Liebe zu ihnen, seine Sorge um sie und sogar seine Milde gegenüber ihnen. Denn, wie geschrieben steht, verachtet Gott ein geängstetes und zerschlagenes Herz nicht. Jesus ging auf sie zu, rührte sie an und befreite sie von ihrer Angst  „Steht auf  und fürchtet euch nicht.“

Und wir werden wirklich nicht dadurch gerechtfertigt, wie wir sind, sondern dadurch, wie Christus ist. Nicht das, wie wir sind und was wir geleistet oder nicht geleistet haben, hat uns für das ewige Leben bewahrt, sondern das, was Er getan hat. Christus lebte so, wie wir es nicht vermögen, und hat für uns das ganze Gesetz bis zum letzten I-Tüpfelchen erfüllt. Er hat unsere Sünde und Schuld auf sich genommen und erkauft. Um unseretwillen zerschmetterte er die Macht des Teufels, der Sünde und des Todes und zeigte der Welt die Auferstehung. Und das ist unsere Auserwählung, die wir im Glauben annehmen dürfen. Gott sei Lob und Dank dafür! Diejenigen, die an Ihn glauben und getauft werden, bekleidet unser Herr mit Seiner Gerechtigkeit wie mit den weißen Gewändern auf dem Berg der Verklärung, damit Gott am Jüngsten Tage nicht auf unsere Sünde blickte, sondern auf die Gerechtigkeit Seines Sohnes.

Als die Jünger wieder ihre Augen aufmachten, sahen sie niemand als nur Jesus allein. Wie zutreffend beschreibt dieses das Leben Christi! Betrachten wir unser eigenes Leben. Wen sehen wir, wenn wir unsere Augen aufmachen? Jesus allein? Mindestens im Vordergrund? Oder nehmen wir ihn überhaupt nicht wahr wegen mancher Drohungen oder des Durcheinanders unserer Gefühle? Das Fasten ist eine Zeit, in der wir durch leiblichen Verzicht die Asche unseres Schlotes auskehren und neue kleine Funken hineinblasen. Es ist die Zeit, um Jesus zu bitten, in den Vordergrund unseres Lebens zu treten. Um Jesus auf den Berg nachzufolgen. Um die Verklärung in der Nähe Gottes zu suchen. Amen.

Predigt, gehalten von Erzbischof Jānis Vanags am 8. März 2009 in der Alten St. Gertrudkirche in Riga/Lettland.

Übersetzung aus der lettischen Kirchenzeitung Svētdienas Rīts (Sonntagmorgen) vom 14. März 2009 zum Sonntag Oculi: Johannes Baumann, fertiggestellt am 18. März 2009.