- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Predigt über Mt 8,23ff: „Fürchte dich nicht, Jesus ist da!“

Liebe Gemeinde!

Wie eine dunkle drohende Decke liegt es auf unserm Land, auf Europa. Ein Gespenst geht um. Das Gespenst hat einen Namen: Angst. Angst vor Krieg und Terror, Selbstmordattentäter lassen uns unsicher werden, wenn wir durch unsere Dörfer und Städte gehen. Angst vor Überfremdung und Verlust unserer Kultur. Angst, dass Europa auseinanderbricht. Wir könnten diese Liste noch weiterführen. Fernsehen, Zeitung und Internet bringen uns diese Schrecken Tag für Tag in Erinnerung. Angst hat uns im Griff. Und sie hat viele Gesichter.

Auch in unserm persönlichen Leben werden wir täglich mit der Angst konfrontiert. Das müssen nicht immer die großen welterschütternden Dinge sein, die uns Angst machen. Einen Termin zu versäumen, den Zug zu verpassen, zu spät zu einer Verabredung zu kommen: Angst, einen Aufzug zu betreten. Angst vor einer Menschenansammlung. Nur um einmal einige kleine Angstmacher zu nennen.

Das sind die größeren Ängste: Angst vor dem Alter, vor der Einsamkeit und Hilflosigkeit. Angst, arbeitslos zu werden. Angst vor der Altersarmut und dem Verlust des Ersparten. Wenn wir zum Arzt gehen, ist sie da, „was wird er sagen“? Angst vor Krankheit, Sterben und Tod. Wir könnten diese Liste auch hier weiterführen.

Angst hat viele Gesichter. Jeder hat seine ganz persönliche Angst. Auch wie wir mit unserer Angst umgehen, ist ganz verschieden. Aber davon sprechen wir nicht gern. Manchmal schämen wir uns. Dabei ist Angst etwas ganz Normales, sie gehört zu unserem Leben. Angst hängt mit „Enge“ zusammen, mit „Bedrückung“. Wir sagen dann „es schnürt uns die Kehle zu“. Angst warnt uns aber auch vor Gefahren. Angst hat etwas mit unserer Verletzlichkeit zu tun. Wären wir unverletzlich, hätte die Angst keine Angriffsfläche in uns. Angst gehört also unserem Menschsein.

Die Frage aber ist: Wie gehen wir mit unserer Angst um? Jeder hat hier seine eigenen Tricks und Hilfsmittel. Die einen stürzen sich in die Arbeit, nur nicht nachdenken über die angstmachenden Dinge. Ob wir darum so viel arbeiten? Die anderen feiern Feste, um der Angst zu entgehen. Sie betäuben uns und dröhnen uns die Ohren zu. Wieviel Angst mag hinter all den Parties, die gefeiert werden, stecken? Schaut man sich die Gesichter der Menschen auf solchen Veranstaltungen an, hat mich nicht unbedingt den Eindruck, dass sie fröhlich sind. Beim Untergang der Titanic spielte die Bordkapelle bis zum bitteren Ende.

Spricht es nicht Bände, wenn die Weltgesundheitsorganisation schreibt, dass etwa vier Prozent der Weltbevölkerung depressiv ist? Noch nie wurden so viele Antidepressiva geschluckt wie in unserer Zeit. Man spricht schon von der Volkskrankheit „Depression“.

Aber wie ist das nun mit uns Christen?

Hören wir nicht oft: Christen haben keine Angst. Wenn du bei Jesus bist, hast du keine Angst. Stimmt das? Aber hat uns Jesus ein Leben ohne Schwierigkeiten versprochen? Er verspricht keine Luxuskreuzfahrt. Hat er nicht gesagt: in der Welt habt ihr Angst? Er fügt aber hinzu: Ich habe die Welt überwunden. Und wie war das in Gethsemane: „Gehe dieser Kelch von mir“.

Auch als Christen bleiben wir an unser Menschsein gebunden. Auch wir haben Angst! Hören wir dazu einen Bericht aus der Bibel: Evangelium nach Matthäus, Kapitel 8 ab Vers 23

Und er stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da war ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief. Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?, und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; und es ward eine große Stille. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?

Ja, ist denn das möglich? Da sind die Jünger mit ihrem Meister Jesus unterwegs in ihrem Boot. Jesus ist bei ihnen im Boot. Und dann dieser Sturm mit seinen Wellen. Angst überfällt diese erfahrenen Fischer. Sie kämpfen um ihr Überleben. Und Jesus? Er ist im Boot, aber er schläft. Das Boot droht zu kentern und Jesus – wo ist er? Er schläft im Heck. Sieht er ihre Not nicht? Dann greift er ein. Ein Wort, und der Sturm schweigt.

Kennen wir das nicht auch?

Da droht unser Lebensschifflein zu kentern und weit und breit ist nichts von Jesus zu sehen. Keine Hilfe! Ich habe doch so gebetet! Geschrien um Hilfe. Aber er war nicht da. Hören wir noch einmal genau hin, was Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Ihr Kleingläubigen, habt ihr kein Vertrauen“. Da liegt unser Problem. Wie ist das mit unserem Vertrauen?

Vielleicht liegt es daran, dass wir nicht genau hinhören. Die Angst hat uns taub und blind gemacht. Oder wir sind so auf unsere Vorstellung von Hilfe fixiert, dass wir nichts anderes hören oder sehen. Prüfen wir uns einmal, wenn wir nach Hilfe rufen. Wie soll die Hilfe aussehen? Wir haben ganz bestimmte Vorstellungen wie Gott helfen muss. Schreiben wir ihm das nicht oft vor, wie die Hilfe auszusehen hat, wie er helfen muss?

Sind wir darum oft nicht blind und taub für seine Hilfe? Wie gehen wir mit unseren Ängsten um? Was sagen wir einem Menschen, der in seiner Angst und Not zu uns kommt? Kann es ihm helfen, wenn ich ihm ein Bibelwort sage? Ich habe keine fertige Antwort. Ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten. Wenn ein Mensch wirklich ganz tief in seiner Angst steckt, dann werden ihm auch gut gemeinte Bibelworte nicht helfen. Er kann oft gar nicht mehr hören.

Mein Rat: Nehmen Sie diesen Menschen in die Arme und beten Sie, still oder laut. Erwarten Sie nicht, dass er mitbetet, das kann er in diesem Augenblick nicht. Lassen Sie ihn Ihre Nähe spüren. Sie dürfen in diesem Augenblick für ihn Jesus sein. An ihnen darf er spüren: Ich bin doch nicht allein, nicht verlassen. So kann sein Lebensschifflein in ruhiges Fahrwasser kommen.

Ich will es an drei persönlichen Erfahrungen deutlich machen.

Ich besuchte einen alten Jugendfreund im Krankenhaus. Sehr schnell kam die Frage „Warum“ auf. Wir haben damals unsere Angst im Gebet vor Gott gebracht. Haben ihm gesagt, dass wir das alles nicht verstehen. Wir haben unsere Hilflosigkeit und Angst ihm hingelegt. Als dann der Chefarzt ihn fragte, ob die Chemotherapie fortgesetzt werden solle, war seine Antwort „Nein“. Die Angst war besiegt.

Wir haben ein befreundetes Ehepaar. Der Mann war sehr krank. Sie haben viel gebetet, aber Gott hat geschwiegen; keine Hilfe; keine Heilung. Als es zum Sterben kam, sangen beide „Jesu geh voran auf der Lebensbahn“, so starb er in den Armen seiner Frau.

Ich habe über Jahre eine junge Frau, eine frühere Konfirmandin, regelmäßig in ihrer Krankheit besucht. Bei einem der letzten Besuche sagte sie „Sind Sie bei mir, wenn ich sterbe“? Ich versprach es, wusste aber nicht, wie das möglich sein sollte. Wir saßen beim Frühstück als das Krankenhaus anrief und sagte „mit Frau X geht es zu Ende“. Ich fuhr sofort hin. Als ich in ihr Zimmer kam, sah sie mich an, atmete schwer. Ich ergriff ihre Hand, drückte sie und betete. Sie machte noch ein paar Atemzüge und ihr Lebensschifflein war an Land.

Was also sollen wir machen?

Machen Sie sich mit dem anderen im Gebet eins. Legen Sie Gott diese Angst hin. Nehmen Sie den anderen in den Arm und lassen Sie ihn Nähe spüren. Sie dürfen hier wirklich an Jesu statt handeln. Bitten Sie aber auch Gott, dass er Ihnen offene Augen und Ohren gibt, damit Sie die verborgenen Ängste und Nöte der Menschen hören und sehen.

Nun bleibt noch die Frage: Was soll und kann ich persönlich machen, wenn mich die Angst überfällt?

Mein Rat: Suchen Sie in ihrer Angst sich einen Menschen, dem Sie vertrauen können und der beten kann. Gehen Sie zusammen mit ihm zu Jesus und sagen sie Jesus ihre Angst. Lesen sie laut oder leise aus der Bibel oder dem Gesangbuch ein tröstliches Wort. Sagen Sie es laut oder leise vor sich hin, immer wieder, bis Ihre Seele es begriffen hat. Unsere Seele braucht oft sehr lange, bis sie es begriffen hat. Sagen Sie: „Liebe Seele, fürchte dich nicht, Jesus ist da!“ Oft aber genügt es schon, wenn Sie einfach sagen „Jesus“. Sie werden erfahren, dass sich zwar die Umstände nicht ändern, aber tief in Ihrem Inneren geschieht die Wandlung, die Angst weicht, sie kommen zur Ruhe.

Ich will mit einem Liedvers schließen: „Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, dann reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“

Amen.

Pfarrer Johannes Günther Moll, Predigt im NbC/GHB-Gottesdienst, Landau-Mörzheim am 26.02.2017