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Entscheidungen und Scheidungen, die der Dreieinige Gott durch sein Wort bewirkt und in seinem Wort zu erkennen gibt. Zum Reformationsjubiläum 1517 – 2017

Donnerstag 26. Januar 2017 von Prof. Dr. Reinhard Slenczka (1931-2022)


Prof. Dr. Reinhard Slenczka (1931-2022)

„Unser Gott kommt und schweiget nicht“ (Ps 50, 3)

„Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offbg 2, 7 u. ö.)

Das Wort Gottes ist der Ursprung und Grund des rechten Glaubens und der wahren Kirche; der Dreieinige Gott wirkt darin in Gnade und Gericht, in Verstehen und Verstockung – früher wie heute.

Dies ist das Zeugnis des Wortes Gottes von sich selbst: „Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet (2 Petr 1, 19-21).

„Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt“ (2 Tim 3, 16).

„Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen“ (Hebr 4, 12-13)

„…so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende“ (Jes 55, 11).

„Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? Darum siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die mein Wort stehlen einer vom andern. Siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die ihr eigenes Wort führen und sprechen: »Er hat’s gesagt.« Siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die falsche Träume erzählen und verführen mein Volk mit ihren Lügen und losem Geschwätz, obgleich ich sie nicht gesandt und ihnen nichts befohlen habe und sie auch diesem Volk nichts nütze sind, spricht der HERR“ (Jer 23, 28-32).

„Ihre Propheten sind leichtfertig und voll Trug; ihre Priester entweihen das Heiligtum und deuten das Gesetz freventlich“ (Zef 3, 4; Mi 3, 11).

„Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen (Jes 6, 9-10; Mat 13, 14f; Mark 4, 12; Luk 8, 10; Apg 28, 26 f; Röm 11, 8).

„…wenn jemand predigt, dass er’s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er’s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (1 Petr 4, 11).

„Denn ihr wisst, dass wir, wie ein Vater seine Kinder, einen jeden von euch ermahnt und getröstet und beschworen haben, euer Leben würdig des Gottes zu führen, der euch berufen hat zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit. Und darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort, das in euch wirkt, die ihr glaubt“ (1 Thess 2, 13)

„Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen. Verleumdet einander nicht, liebe Brüder. Wer seinen Bruder verleumdet oder verurteilt, der verleumdet und verurteilt das Gesetz. Verurteilst du aber das Gesetz, so bist du nicht ein Täter des Gesetzes, sondern ein Richter. Einer ist der Gesetzgeber und Richter, der selig machen und verdammen kann. Wer aber bist du, dass du den Nächsten verurteilst?“ (Jak 4, 10-12).

„Und stellt euch nicht dieser Welt gleich (nolite conformari), sondern ändert euch (reformamini) durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12, 2).

Luther erklärt diesen Grundtext für Reformation in seiner Vorlesung über den Römerbrief so: „Hier geht es um Fortschritt (profectus); denn er (Paulus) redet zu denen, die schon begonnen haben Christen zu sein…er meint die Erneuerung des Geistes von Tag zu Tag und mehr und mehr nach jenem Wort 2. Kor 4, 16: ‚Der inwendige Mensch wird von Tag zu Tag erneuert.‘ Eph 4, 23: ‚Erneuert euch aber im Geist eures Gemütes.‘ Kol 3, 10: ‚Zieht den neuen Menschen an, der da erneuert wird‘“[2] .

„Dein Wort bewegt des Herzens Grund

Dein Wort macht Leib und Seel gesund,

dein Wort ist’s, das mein Herz erfreut.

Dein Wort gibt Trost und Seligkeit.“ [3]

Luthers Warnungen und Mahnungen zum Reformationsjubiläum[4]:

„…Gott ist in allen seinen Worten, ja Silben, wahrhaftig; wer eins nicht glaubt, der glaubt keins. Es muss alles geglaubt sein, wie Christus sagt Mat 5, 18“[5].

„Und bedenke wohl, die Kraft der Schrift besteht nicht darin, dass sie sich dem anpasst, der sie studiert, sondern dass sie denjenigen, der sie liebt, in sich und ihre Kräfte verwandelt“[6]

„Wer einen Gott hat ohne sein Wort, der hat keinen Gott; denn der rechte Gott hat unser Leben, Wesen, Stand, Amt, Reden, Tun, Lassen, Leiden und alles in sein Wort gefasst und uns vorgebildet, dass wir außer seinem Wort nichts suchen noch wissen dürfen noch sollen, auch von Gott selbst nicht…“[7].

„Darum lasse es sich jeglicher ernstlich zu Herzen gehen, dass man’s nicht achte, als habe es ein Mensch geredet. Denn es gilt dir entweder ewigen Segen, Glück und Seligkeit oder ewigen Zorn, Unglück und Herzeleid…“[8]

„Dies nämlich pflegt der Teufel in allen Versuchungen zu tun: Je weiter sich ein Mensch vom Wort entfernt, desto mehr hält er sich für gelehrter und weiser“[9]

„Ich erhebe nicht den Anspruch, klüger als alle anderen zu sein, sondern ich will, dass allein die Schrift herrscht; ich will sie auch nicht durch meinen oder irgend anderer Menschen Geist interpretieren, sondern durch ihren eigenen Geist will ich sie verstehen“ [10].

„Darum, wenn die Leute nicht glauben wollen, so sollst du stille schweigen; denn du bist nicht schuldig, dass du sie dazu zwingst, dass sie die Schrift für Gottes Buch oder Wort halten. Ist genug, dass du deinen Grund darauf gibst. Wenn sie es dann vornehmen und sagen: ‚Du predigst, man solle nicht Menschen Lehre halten, so doch Petrus und Paulus, ja Christus auch Menschen gewesen sind‘. Wenn du solche Leute hörst, die so gar verblendet und verstockt sind, dass sie leugnen, dass dies Gottes Wort sei, oder daran zweifeln, so schweig nur still, rede kein Wort mit ihnen, und lass sie fahren; sprich nur: ‚Ich will dir Grund genug aus der Schrift geben; willst du es glauben, so ist es gut, willst du nicht, so will ich dir nicht mehr geben‘. So sagst du: ‚Ei, so muss denn Gottes Wort mit Schanden bestehen!‘ Das befiehl du Gott. Darum ist nicht Not, dass man das soll fassen und wisse, denen zu begegnen, die jetzt aufstehen und solche Dinge vorgeben…“[11]

„Die erste Bitte: Geheiligt werde dein Name[12].

Was ist das?

Gottes Name ist zwar an sich selbst heilig; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei uns heilig werde.

Wie geschieht das?

Wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird und wir auch heilig, als die Kinder Gottes, danach leben.

Dazu hilf uns, lieber Vater im Himmel!

Wer aber anderes lehrt und lebt, denn das Wort Gottes lehrt, der entheiligt unter uns den Namen Gottes. Davor behüte uns, himmlischer Vater“. [13]

 Daraus folgende Bedenken zum Reformationsjubiläum 2017  in Entscheidungen und Scheidungen, die sich durch das Wort Gottes vollziehen – auch in unserer Zeit.:

1. Die Wirklichkeit des Glaubens an Jesus Christus:

Eine Grundfrage: Ist Jesus Christus, der Sohn Gottes, unser Herr (1 Kor 12, 1-3) und das Licht der Welt (Joh 8, 12. 23. 26), den wir als Richter über Lebende und Tote (2 Kor 5, 10; Apg 17, 3f) erwarten, oder ist er nur eine Idee neben anderen menschlichen und daher geschichtlich wandelbaren religiösen Vorstellungen?

Unter der Wirkung und als Zeichen des Heiligen Geistes bekennen wir unseren Glauben „an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn…“ Durch Wort und Sakrament sind wir mit dem Dreieinigen Gott verbunden, der in seiner Kirche und damit in uns den Glaubensgehorsam wirkt, sofern wir in ihm sind und er ins uns bleibt.

Auf diese Weise gehören wir zu ihm: Durch den Glauben wohnt Christus in unseren Herzen (Eph 3, 17); durch die Taufe sind wir Kinder Gottes, die im Namen Jesu Christi Gott als Vater anrufen dürfen und sollen (Mat 6, 9; Joh 3, 1 ff; Röm 8, 15; Gal 4, 5; Ti 3, 5; 1 Petr 1, 3 ff; 1 Joh 3, 1). Wir sind mit Christi Tod und Auferstehung leiblich verbunden und bereits jetzt im Glauben an Jesus Christus durch den Tod zum Leben hindurchgegangen (Joh 6, 40. 47; 8, 51;11, 25-26; Röm 6-8). Daraus folgt: „So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, und leistet den Begierden keinen Gehorsam“ (Röm 6, 12).

„Der Glaube ist ein göttliches Werk in uns, das uns wandelt und von neuem gebiert aus Gott (Joh 1, 13) und tötet den alten Adam, macht uns zu ganz anderen Menschen von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften und bringt den heiligen Geist mit sich…“[14]

Entscheidungen – Scheidungen:

Wenn unser Herr Jesus Christus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen (Mat 24, 35; 5, 17-20; Luk 21, 33; Jes 40, 8), dann gibt er uns zu verstehen, dass das Wort Gottes nicht ein bloßer Text aus unserem begrenzten menschlichen Erfahrungsbereich von Raum und Zeit, also in den Grenzen menschlicher Geistesgeschichte, ist. Das Wort Gottes kommt aus der Ewigkeit in unsere Zeit. Es offenbart uns, wer Gott ist, was er tut, was er will und was er nicht will. Durch das Wort Gottes ist die Welt geschaffen, die sichtbaren wie auch die unsichtbaren Dinge (Kol 1, 16); durch das Wort Gottes wird die Welt erhalten und geordnet (1 Mos 1; Ps 119, 89 ff: 2 Petr 3, 5-7; Hebr 11, 13). Das Wort Gottes ist also Grund von allem, was ist und geschieht. Das Wort Gottes, der Logos, ist Gott, und es kommt in der Person Jesu Christi, dem Sohn Gottes, als Leben und Licht in die Finsternis der von Gott abgefallenen Menschheit (Joh 1, 1ff), und schließlich verheißt uns unser auferstandener Herr: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden…und siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (Mat 28, 18-20). Das sind nicht menschliche Gedanken, sondern göttliche Tatsachen, Grund und Inhalt unseres Glaubens.

Reformation ist nicht ein Fortschritt in der Entwicklung des menschlichen Geistes vom Mittelalter zur Neuzeit. Reformation ist auch nicht „Teil der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte“[15] mit befreiender Emanzipation zur Selbstbestimmung des Menschen und der Menschheit durch Aufklärung. Vielmehr ist Reformation Umkehr und Erneuerung durch den Heiligen Geist, wie das zu jeder Zeit in der Kirche geschieht.

Daher ist das Wort Gottes nicht einfach Gegenstand des Glaubens im Sinn von Verstehen von Texten aus vergangenen Zeiten und deren Anpassung an die heutige Zeit und für den heutigen Menschen.  Das Wort selbst schafft vielmehr den Glauben aus dem Nichts, ebenso wie die Schöpfung am Anfang der Welt: „Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“ (2 Kor 4, 6). Auf diese Weise geschieht Aufklärung durch das Wort Gottes. Bezeugt wird dieses Wort Gottes durch den Heiligen Geist, der „Geist der Wahrheit“ (Joh 15, 26; 16, 5-15), der den Mut zur Verkündigung und zugleich das Verstehen in den Sprachen aller Völker bewirkt (Apg 2). In Geschichte und Gegenwart haben wir das vor Augen, wenn wir nicht völlig blind sind. Der Heilige Geist des Dreieinigen Gottes muss uns die Augen öffnen für sein Wirken in uns und in dieser Welt. Die Verkündigung des Evangeliums soll den Menschen nicht nur abholen und bestätigen, sondern herausholen aus seiner Vergänglichkeit und befreien aus seinen Bindungen an die Verderbensmächte von Sünde, Tod und Teufel, die in dieser vergehenden Welt beherrschen..

Wenn jedoch diese grundlegende Einsicht in die Wirkung von Gottes Wort fehlt, erkennen wir Gott nicht mehr als Herrn der Geschichte, sondern Ereignisse, Epochen und Entwicklungen menschlicher Geschichte bekommen eine normative, dogmatische Funktion; sie werden hypostasiert als Personen mit Macht und Autorität, s. z. B. „Hinter die Aufklärung kann man nicht mehr zurück“, „die Wissenschaft hat gezeigt…“, „die Evolution…“, „die Geschichte…“, „…der heutige Mensch…“ u. a. m. Diese Größen treten in ihrer normativen und beherrschenden Funktion an die Stelle Gottes.

Auf diese Weise vollzieht sich unvermerkt, doch offensichtlich eine Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf (Röm 1, 18 ff). Wir hören, lernen und lehren dann nicht mehr, was durchgehend im Alten und im Neuen Testament bezeugt wird, wie der Dreieinige Gott in der Geschichte schafft und ordnet, segnet und richtet, belohnt und straft, sondern das Wort Gottes wird selbst zum Produkt der Menschheitsgeschichte oder gar lediglich der deutschen Theologiegeschichte. Doch dann hört die richtende und rettende Wirkung des Wortes Gottes keineswegs auf. Das zeigt sich in dem Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche, zwischen Christus und Antichrist sowie zwischen Kirche und Welt und vor allem in dem Ringen zwischen dem alten Menschen im Fleisch der Sünde und dem Neuen Menschen im Geist Gottes als Folge der Taufe (Röm 6-8).

2. Der Dreieinige Gott ist gegenwärtig um uns und in uns. Nichts geschieht ohne seinen Willen.

Daher die Frage: Haben wir nur Gefühle und Vorstellungen von Gott und reden manches von Gott und Göttlichem, oder rechnen wir mit dem lebendigen Gott und seinem Handeln in unserem Leben, in der Geschichte der Menschheit, in der Ordnung des von ihm geschaffenen Kosmos?

Der Dreieinige Gott offenbart sich in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments mit seinen Namen, mit denen er angeredet, verkündigt und bekannt werden will. Er spricht und handelt in seinem Wort und offenbart dadurch, wie er die von ihm geschaffene Welt und damit auch die Geschichte der Völker und Menschen ordnet und erhält, indem er segnet und straft, richtet und rettet. Gott führt uns in unserem Leben, Denken und Handeln. Diese Einsicht wird konkret im Gebet vollzogen mit Bitte, Dank und Fürbitte um alles, was uns bewegt. Ohne Gebet ist der Glaube tot.

Gotteserkenntnis besteht daher nicht im Reden über Gott, sondern im Reden mit Gott. Das Gebet ist die Weise, in der wir in Lob und Dank, in Bitte und Fürbitte, ja auch im Ringen mit Gott durch Klage und Anklage, wie wir vielfach in der Heiligen Schrift, aber vor allem in den Psalmen, im Buch Hiob, sowie nicht zuletzt im Todesringen Jesu (Ps 22; Mat 27, 46; Mark 15, 34) angeleitet werden. Dabei ist es nicht die Frage, ob unsere Gebete erhört werden, sondern wir dürfen und sollen beten, weil Gott zugesagt hat, dass er uns wie ein Vater erhören will (Joh 16, 23-24).

„Gott will uns damit locken, dass wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kindern, auf dass wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater.“[16]

Entscheidungen – Scheidungen:

Rechte Erkenntnis Gottes geschieht in der Weise, dass der wahre Dreieinige Gott, dessen Werke auch für die Vernunft in seiner Schöpfung erkennbar sind, gepriesen und ihm gedankt wird. Wenn dies jedoch nicht geschieht, fällt der Mensch unter die Herrschaft der von Gott geschaffenen Dinge (Röm 1, 18 ff). Es ist das Wort Gottes, das die Gemeinschaft Gottes mit seinem auserwählten Volk begründet und damit zugleich eine Entwicklung von Gottesbildern, männlich und weiblich, und deren Verehrung in Begeisterung und Furcht aufs strengste verbietet (5 Mos 4, 12-24). Daher ist es nicht die Frage, ob Gott ist oder nicht, sondern was mein Gott ist, woran mein Herz hängt, wofür es sich fürchtet. „Denn alleine das Trauen und Glauben des Herzens macht beide Gott und Abgott. Ist der Glaube und Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht, und wiederum, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott“[17]. Ungläubige und Atheisten gibt es nicht, wohl aber verschiedene Götter, die sich durchaus auch bekämpfen und um uns Menschen ringen.

In unserer Zeit ist es eine auffallende Erscheinung, in welcher Weise und mit welcher Selbstverständlichkeit die Werte von Freiheit und Gleichheit der „Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ [18] mit religiösem Anspruch auftreten und deren Anerkennung eingefordert wird, ja die auch umkämpft und aufgezwungen werden. Sie haben insofern eine religiöse, dogmatische Funktion, als es dabei um tragende Elemente menschlichen Zusammenlebens geht. Solche Forderungen ergreifen in dem Maße eine das menschliche Bewusstsein und Verhalten beherrschenden Funktion, wie Ordnung und Gebote Gottes nicht mehr verkündigt werden. Kirche und Theologie geraten dann in die Gefahr, sich diesen Erscheinungen und Bewegungen in der Öffentlichkeit anzuschließen und anzupassen. Es ist nicht zu übersehen, wie diese Größen früher wie auch heute an die Stelle von Bekenntnissen treten, die dann von Kirchenverwaltungen bisweilen mit Zwangsmitteln eingefordert und durchgesetzt werden, um eine äußere Einheit in der Übereinstimmung von Kirche und Gesellschaft zu sichern.

Der Gottesdienst ist Ort und Mittel für die Begegnung und Gemeinschaft mit dem wahren lebendigen Gott:  Gott spricht zu uns in seinem Wort und wir reden ihn an mit Lob, Dank und Fürbitte.  Dies macht den rechten christlichen Gottesdienst zu allen Zeiten und in allen Kirchen aus: Er beginnt „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ oder, gleichbedeutend: „Es komme das Reich des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“. In seinen Namen ist Gott selbst gegenwärtig. In den Schriftlesungen wird der in seinem Wort und Namen[19] gegenwärtige Gott gepriesen: „Halleluja“ – „Lobt Gott“ bei den Lesungen aus Altem Testament und Episteln, „Ehre sei dir Herr“ – „Lob sei dir, Christus“ bei der Lesung des Evangeliums oder auch „Wort des lebendigen Gottes“.

Die Sakramente Taufe, Abendmahl sowie Beichte / Buße haben ihre Wirkung dadurch, dass sie im Auftrag und unter der Zusage Jesu Christi in seinem Namen geschehen. Der Herr spricht und handelt hier selbst, und der Glaube wird durch dieses Wort gehalten, an das er sich halten soll. Auch das können wir hören, sehen und als rechten oder falschen Gottesdienst unterscheiden. Wesen und Auftrag der Kirche bestehen darin, dass die von Gott in Jesus Christus vor Grundlegung der Welt erwählte Schar aus der Welt herausgerufen wird (Eph1, 3 ff).

Wo jedoch diese Erkenntnis von Gegenwart und Handeln des Dreieinigen Gottes in Wort und Sakrament fehlt, wird der Gottesdienst zu einer Werbeveranstaltung, nach Möglichkeit mit „team“ und verteilten Rollen, die Publikum bzw. Abnehmer interessieren und ihnen gefallen soll. In der Verkündigung bemüht man sich dann, einen unterstellten geschichtlichen Abstand von Texten vergangener Zeiten für den Menschen von heute zu erschließen. Doch gerade auf diese Weise wird durch die Vorstellung von einem zeitlichen Abstand die Gegenwart Gottes im Gottesdienst in Wort und Sakrament aufgehoben. Es geht dann nicht mehr um die Begegnung mit Gott in Wort und Sakrament, in Gnade und Gericht durch Buße und zur Stärkung des Glaubens (Mark 1, 15), sondern um Anpassung, Bestätigung und Bedürfnisbefriedigung. Wenn das Wort Gottes als Gotteswort im Menschenwort aufgefasst wird, muss es auch von Menschen aktualisiert und zur Wirkung gebracht werden.  Wenn die Sakramente als „nachösterliche Gemeindebildung“ verstanden werden und nicht als Einsetzung durch Befehl und Verheißung Jesu Christi, verkommen sie zu einem Mittel zur Begleitung und Verschönerung in den Wechselfällen des Lebens. Das Wunder, der Ernst und die heiligende Heilsgabe werden zu einem leeren Ritus einer Gefühlsreligion. Die Spendung und der Empfang der Sakramente geschieht nicht in Prüfung und Selbstprüfung, sondern als Anspruch und Gewohnheit. Die Rettung aus dem Gericht als Gabe der Taufe (Mark 16, 16; Röm 6) und ebenso die Warnung vor einem Essen und Trinken „zum Gericht“ (1 Kor 11, 27-32) beim Abendmahl werden versäumt oder gar verachtet. Die Sakramente sind in ihrer Wirkung die leibliche Verbindung mit dem Dreieinigen Gott, und auf diese Weise tragen sie uns durch Leben und Sterben bis wir Gott in seiner ewigen Herrlichkeit schauen von Angesicht zu Angesicht (Mat 5, 8; 1 Ko 13, 12; Ps 11, 7; 42, 3).

Tauferinnerung ist für die ganze Gemeinde ein unerlässlicher Bestandteil von Unterweisung und Verkündigung für Leben und Sterben. Diese Aufgabe gilt nicht nur für Pfarrer und Lehrer, sondern in erster Linie für Eltern und Paten, die das als Bedingung für den Empfang der Taufe gelobt haben. Dazu müssen sie unterstützt und ermutigt werden. Was an dieser Aufgabe nach Inhalt und Form versäumt wird, zerstört die tragende Kraft des Glaubens und damit die Gemeinde: „…und wo sie es nicht tun, welch eine verfluchte Sünde sie tun; denn sie stürzen und verwüsten beide, Gottes und der Welt Reich als die ärgsten Feinde beide Gottes und der Menschen“[20].

Das kirchliche Amt hat eine göttliche Würde und Autorität, „Botschafter an Christi statt“ (2 Kor 5, 10) zu sein mit der vom Herrn gegebenen Vollmacht: „wer euch hört, der hört mich“ (Luk 10, 16). Dies steht unter einer Begrenzung durch die Abhängigkeit eines „Sklaven Jesu Christi“ (Röm 1, 1), der also Eigentum seines Herrn ist und nur das tun soll und reden darf, was sein Herr will.

Wenn das fehlt, wird das Amt, also der Sklavendienst, zu einem Rechtsanspruch von Frauen und Männern auf Anstellung und Versorgung nach weltlichem Arbeitsrecht, wie das jedoch nur in einer Wohlstandsgesellschaft möglich ist. Nach apostolischem Vorbild ist die Versorgung eines Dieners der Gemeinde eine Freistellung von eigenem Broterwerb, soweit das einer Gemeinde möglich ist (1 Kor 9). Das ist also nicht Zweck, sondern, soweit das möglich ist, Folge des Auftrags.

Wenn das Wirken Gottes in Wort und Sakrament nicht mehr erkannt wird, kann es auch dazu kommen, dass der Diener Jesu Christi und der Gemeinde nicht mehr in seinem Auftrag von dem getragen und geleitet wird, was er der Gemeinde zu sagen und zu geben hat. Er muss dann krampfhaft versuchen, den Heiligen Geist durch Begeisterung zu ersetzen und dabei alles zu vermeiden, was Menschen verschrecken und zurückweisen könnte. Die dringend notwendige Seelsorge für Seelsorger kann nicht durch psychologische Selbstbespiegelung und rein technische Fortbildungsveranstaltungen ersetzt werden, die keine Verheißung Gottes hat.

Die Theologie hat nicht die Aufgabe, den Gottesdienst durch menschliche und zeitgemäße Mittel und Techniken zu gestalten, um Publikum zu gewinnen. Wohl aber hat sie die Aufgabe, rechten von falschem Gottesdienst zu unterscheiden, damit die Kirche in der Wahrheit bleibt. Dies aber ist eine geistliche Aufgabe unter der verheißenen Wirkung des Heiligen Geistes (Joh 14, 15 ff; 16, 7 ff u. a.).

3. Die Unterscheidung von Gottes Wort und Menschenwort

geschieht mit der Schrift, nicht aber an der Schrift. Denn wir stehen nicht als Richter über dem Wort Gottes (Jak 4, 11-12), sondern wir stehen unter dem Gericht des Wortes Gottes. Der Widerspruch gegen das Wort Gottes aber gehört zur Wirkung des Wortes Gottes.

Indem sich Gott in seinem Wort zu erkennen gibt und wirkt, ist das Wort Gottes nicht ein Erkenntnisgegenstand, sondern es ist Grund und Ursache zur Erkenntnis Gottes. Gott ruft in seinem Wort zu Umkehr und Vergebung in Gericht und Gnade, Gesetz und Evangelium, in Verstehen und Verstockung. Die Wirkung aber von Gottes Wort und damit die Begegnung mit dem lebendigen Dreieinigen Gott ist in jedem und für jeden Menschen in vielfältiger Weise erkennbar.

Entscheidungen – Scheidungen

Eine meist übersehene, jedoch elementare Wirkung des Wortes Gottes zeigt sich in Zweifel und Widerspruch seit Beginn der Menschheit durch die Frage der Schlange: „Ja, sollte Gott gesagt haben…? (1 Mos 3) Die klare und eindeutige Erlaubnis, von allen Früchten des Gartens zu essen und das ebenso eindeutige Verbot mit dem Schutz vor dem Tod, von nur einem der Bäume nicht zu essen, wird interpretierend ins Gegenteil verdreht: Die gute Botschaft, das Evangelium, „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten“ wird von der Schlange in ein Verbot verkehrt, und das schützende Verbot, „von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen“ in die verlockende Verheißung: „Ihr werdet sein wie Gott…“

Hier stehen wir am Anfang der kreatürlichen Diskussion von Exegese /Schriftauslegung mit der Frage nach Textüberlieferung und -auslegung und Ethik mit der Frage nach der Anwendbarkeit von Gottes Geboten. Das heutige Methodenproblem in der Schriftauslegung ist nichts Neues. Dazu gehört, dass der Mensch sich vor Gott versteckt. Gottesfürchtig sind daher im Grunde alle Menschen, zumal wenn sie von Gott nichts wissen wollen und sich vor ihm verstecken.

– Das Gewissen oder Herz mit der allen Menschen bekannten Unterscheidung von Gut und Böse, ist nicht die bessere Fähigkeit von uns Menschen, das Gute zu wählen und auch zu tun, sondern es ist eine Folge des Sündenfalls: „…ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (Gen 3, 5). Durch das Gebot und Verbot Gottes bekam der Mensch die Freiheit, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Seither ist das Gewissen mit der unterscheidenden Erkenntnis von Gut und Böse für alle und jeden Menschen die Konfrontation mit dem Gericht Gottes – ob man das will oder nicht. Kein Mensch kann dem entrinnen.

Dass und auf welche Weise der Mensch diese Freiheit verloren hat, erschließt uns die Erzählung vom sog. „Sündenfall“, in der das Wort Sünde überhaupt nicht vorkommt. Wohl aber zeigt uns Gottes Wort, dass das, was wir als Sünde bezeichnen, die Beziehung sowohl zu Gott wie unter den Menschen betrifft. Darin sind wir unentrinnbar gefangen. So ist Sünde als Trennung von Gott grundlegend ein Zustand, in dem wir uns vorfinden. Aus diesem Zustand erwächst die Sünde als Tat in der Übertretung von Gottes heilsamen und unveränderlichen Geboten, die nach dem Sündenfall Schutz vor einer Selbstschädigung menschlichen Lebens und Zusammenlebens sind sowie der Maßstab von Gottes Gericht.

Jeder Mensch steht in dem Ringen von Gut und Böse, in Anklage und Verteidigung. Dieses innere Gericht aber verweist auf den „Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Christus Jesus richten wird, wie es mein Evangelium bezeugt“ (Röm 2, 16). Gewissen / Herz ist der Ort, an dem sich die Begegnung mit Gott und seinem Wort vollzieht. Das geschieht im Hören des Wortes in vertrauendem Gehorsam oder eben in eigenwilligem Ungehorsam.

Rechte christliche Ethik hat ihren Ort und ihre Aufgabe im Dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses; sie richtet sich auf die Seelsorge mit den Mitteln von Wort und Sakrament.   Wird sie jedoch von den Gnadenmitteln gelöst, dann verselbständigt sie sich zu einer legalistischen Kasuistik. Sie richtet sich dann ganz auf die Beantwortung der dem klaren Gebot ausweichenden Scheinfrage „was soll ich tun?“  (conscientia antecedens). Sie verkommt zu einem Gesetzeskommentar für eine zeitgemäße Anpassung von Bibeltexten. Dasselbe war in der Reformationszeit an der legalistischen Praxis von Buße und Beichte zu beobachten.

Die Wirkung des Wortes Gottes und der Sakramente jedoch in Verkündigung, Unterweisung und Seelsorge zielt auf das Gewissen mit der Erkenntnis „was habe ich getan?“ (conscientia subsequens) (2 Sam 12; Mat 19, 16-26). Interpretation von Texten ist etwas völlig anderes als die Begegnung der Gewissen mit dem richtenden und rettenden Wort Gottes.

Wenn in Kirche und Theologie die Wirkung des Wortes Gottes auf die Gewissen nicht beachtet wird, kommt es zu einer Verunsicherung der Gewissen (Rom 14, 23). Menschen werden durch kirchenamtliche und synodale Entscheidungen verführt und auf diese Weise dem Gericht Gottes ausgeliefert. Deshalb werden die von Gott eingesetzten Wächter in aller Deutlichkeit und Strenge gewarnt, weil sie sich durch ihre Versäumnisse Gericht und Strafe Gottes selbst zuziehen (Mat 7, 15-21; Luk 6, 43-45; Röm 1, 32; Ez 13; 3, 16-21; 13, 17-23; 33, 1-20; Hebr 13, 17).

– Die Wirkung von Gottes Wort ist immer zweifach: Gericht und Gnade, Verstehen und Verstockung, Glaube und Unglaube. Diesem Vorgang kann sich kein Mensch entziehen, und keine exegetische Methode oder ethische Frage kann das aufheben, wohl aber verdecken und verleugnen durch sog. Verstehensfragen. Auch Beschlüsse und Erklärungen von Personen und Gremien einer Kirchenverwaltung können das niemals mit Mehrheitsbeschlüssen und Disziplinarmaßnahen durchsetzen. Denn es ist Gott, der hier in seinem unveränderlichen und unwiderstehlichen Wort am Werk ist (Jes 55, 8-11) (s.o.).

– Gesetz (Richtstuhl) und Evangelium (Gnadenstuhl), tötender Buchstabe und lebendigmachender Geist (2 Kor 3): Wo der Geist Gottes nicht wirkt, wirkt das Wort Gottes als Anklage, weil nur Gott Sünden vergeben kann (Mark 2, 7). Durch Mehrheitsbeschlüsse irgendwelcher Gremien kann das eindeutige Kriterium für das Urteil Gottes in seinem Gericht niemals aufgehoben werden, auch wenn kirchliche Instanzen sich mit solchen Beschlüssen im Widerspruch zu Gott klarem Wort an die Stelle Gottes setzen.

Wenn in Kirche und Theologie die Botschaft vom Gericht Gottes und von der Rettung aus dem Gericht durch den Glauben an Jesus Christus verschwiegen wird, dann werden in der Welt die Forderungen nach Bekenntnis der Schuld, Wiedergutmachung etc. umso lauter: Schuld kann in der Welt offenbar nicht vergeben, sondern nur nachgetragen und bestraft werden.

– Alter Mensch im Fleisch der Sünde, neuer Mensch durch den Geist Gottes (Röm 6-8). Das Ringen zwischen dem alten Menschen im Fleisch der Sünde und dem neuen Menschen durch den Geist Gottes geschieht durch die Taufe, zu der im Auftrag des auferstandenen Herrn alle Völker zu rufen sind: „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (Mat 28, 19-20). „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.  Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mark 16, 16).

Dieses Ringen, das sich als Folge der Taufe in jedem Christen vollzieht, führt zugleich unausweichlich zu einer Entfremdung von der Welt (1 Petr 4, 1-6) und zum Hass der Welt (Mat 5, 10-12; Joh 15, 18 u. a.). Daher sagt der Herr zu seinen Jüngern: In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16, 33).

4. Nicht Dogmenentwicklung, sondern Dogmengegensatz:

Daher können für Theologie und Kirche zufällige geschichtliche Ereignisse und menschliche Ansichten, Forderungen und Verhaltensweisen niemals eine normative – dogmatische – Funktion beanspruchen: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen“[21].

Entscheidungen – Scheidungen:

Von Amtsträgern und kirchenamtlichen  Institutionen wird dekretiert[22]:  „Gott braucht kein Sühnopfer…“, – „Wenn Jesus heute leben würde, wäre wahrscheinlich sein Verständnis von Sexualität das von heute…“, „Das Sola Scriptura (die Schrift allein) lässt sich heute nicht mehr in der gleichen Weise verstehen wie in der Reformationszeit“, – „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben…“ – „Paulus kannte noch nicht…“–  „…nach der Aufklärung kann man nicht mehr…“ – „die Aufklärung muss nachgeholt werden…“. Es werden Forderungen und Programme aufgestellt wie:  – „ein artgemäßes Christentum“ herzustellen (1933) und „Kirche geschlechtergerecht gestalten“ (7. 4. 2015)[23]. „Die überwiegende Mehrheit der Juden und Christen zieht die aufgeklärte der fundamentalistischen Bibeldeutung vor…In solchen Drohungen und Gewaltszenarien spiegeln sich die Vorstellungen früherer Generationen von gerechter Strafe und Denkzettelpädagogik wider, nicht aber die Auffassung heutiger Gläubiger. Beide Religionen (Christentum und Judentum R.S.) haben sich weiter- und dabei stark auseinander entwickelt…“ – „Jesus, der Gottesmann und Meister, ist tot. Sein Leib wird vergehen wie jeder Menschenleib. Aber das, was in ihm göttlich war, seine Sache, seine Haltung, seine Leidenschaft und sein Einsatz für das wahre Leben, das ist mitnichten tot. Es lebt – wenn sie, die Nachfolger es wollen. Durch sie und mit ihnen wird es leben…“.

Alle diese und viele ähnliche Dekrete sind Anpassungen an geschichtliche Entwicklungen und gesellschaftspolitische Forderungen im offenem Widerspruch zu Gottes Wort in der Heiligen Schrift. Das ist nicht nur theologische Unkenntnis, sondern Verleugnung und offensichtliche Irrlehre, die stets darin besteht, dass man sich den Vorstellungen, Wünschen und Forderungen der Umwelt anpasst: „…denn ich fürchtete das Volk und gehorchte seiner Stimme“ (1 Sam 15, 24, vgl. das goldene Kalb 2 Mos 32,21-24;). Theologische Sachkenntnis wird auf diese Weise durch politische Interessen ersetzt und mit entsprechenden Zwangsmaßnahmen durchgesetzt[24]. Auf diese Weise wird die Wahrheit des Wortes Gottes durch eine herrschende öffentliche Meinung ersetzt.

Wenn man hier von einem Pluralismus von Theologien spricht, dann sind das Subjekt solcher Theologien Menschen mit ihren Gottesvorstellungen oder auch Gotteserfahrungen. So trifft man auch in der Fachtheologie immer wieder auf die Analyse sog. „Gottesbilder“, „Gottesbegriffe“, von „Gottesbewusstsein“. Man muss dann schon fragen, wie steht es mit der strengen und ernsten Warnung Gottes „Du sollst dir kein Bild und Gleichnis machen…Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen…“ (Ex 20, 4 ff; Dtn 5, 8 ff;), „geheiligt werde dein Name“ (Mat 6, 9; Luk 11, 2). In Heiligkeit und Heiligung des Namens Gottes liegt die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf: Gott begegnet seinem erwählten Volk nicht im Bild von Geschaffenem, sondern in seinem Wort (Dtn 4, 1-23).

Es handelt sich in Wirklichkeit nicht um eine Dogmenentwicklung, sondern um einen Dogmengegensatz: An die Stelle des Wortes Gottes der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments treten Einsichten von Menschen und Anspruch von kirchlichen Instanzen. Wenn gilt, dass „sich alle historische Wahrheit gründet auf menschlichen Glauben an menschliches Zeugnis“[25] dann haben wir es hier mit einem anderen, nichtchristlichen Glauben zu tun. Die Vorstellung von einer Veränderung durch geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung verhüllt lediglich die Entscheidung, bei der es in Wahrheit um Bekennen und Verleugnen geht ((Mat 10, 32-33; Mark 8, 32-38).

Man muss mit aller Deutlichkeit sehen und sagen: Mit dieser Auffassung von der Heiligen Schrift und dem Wort Gottes wird dem Glauben an Jesus Christus die Grundlage entzogen, und der Gottesdienst wird zu einer gefühlsbetonten oder gesellschaftspolitischen Publikumsveranstaltung, weil der Dreieinige Gott in seinem gegenwärtigen Handeln darin nicht mehr Subjekt, sondern Objekt ist. Wenn das Wort Gottes der Heiligen Schrift als Text der Antike“ und die Sakramente als „nachösterliche Gemeindebildung“ aufgefasst und entsprechend verwaltet werden, dann werden sie zu leeren Riten zur Begleitung in den Wechselfällen des Lebens und zur Befriedigung religiöser Bedürfnisse.

Dazu Luther: „Darum soll man das Evangelium nicht messen nach der Meinung derer, die es hören, sondern nach dem kleinen Häuflein derer, die es fassen; dieselben scheinen nicht, man sieht sie nicht an, und Gott handelt verborgen in ihnen“[26]

5. „Ich aber sage euch…“

In seiner Bergpredigt (Mat 5-7) hebt der Sohn Gottes die Gebote Gottes nicht auf und passt sie auch nicht den Forderungen und Bedürfnissen der Zeit an. Er führt vielmehr von menschlichen Deutungen und Änderungen zurück zu dem ursprünglichen Willen Gottes. Er prüft, was in den Tiefen eines Menschenherzens vorgeht. Er warnt vor dem Gericht Gottes.

Entscheidungen – Scheidungen:

Es ist erschütternd, mit welcher Leichtfertigkeit und welchem Hochmut in theologischen und kirchenamtlichen Äußerungen mit diesem göttlichen Anspruch „Ich aber sage euch“. klare göttliche Gebote, Ordnungen und Weisungen außer Kraft gesetzt werden. Die Ehe wird nicht mehr als Schöpfungsordnung unter dem Segen und Auftrag Gottes (Gen 1, 26-30; 2, 18-24) sowie nach dem Sündenfall durch sein Verbot „Du sollst nicht ehebrechen“ geschützt, erkannt. Vielmehr folgt man einer verbreiteten Auffassung[27], nach der die Triebbefriedigung mit sämtlichen Sexualpraktiken, die vom Wort Gottes als Strafe Gottes und als „widernatürlich“ (Röm 1, 18-32) verurteilt werden, nicht nur anerkannt, sondern sogar gesegnet werden. Welche Anmaßung von kirchlichen Amtsträgern ist es, wenn sie aller Welt durch Wort und bisweilen leider auch durch schlechtes Beispiel proklamieren, dass Gottes Tat und Wort sich dem Verhalten von Menschen anzupassen habe?

Die göttlichen Straffolgen sind durchaus erkennbar für jedermann, auch wenn sie als Gesellschaftslügen eifrigst verdrängt und beschönigt werden. Z. B.: Das seit alten Zeiten auftretende  soziale Problem der „Alleinerziehenden“, wenn ein Elternteil sich der Verantwortung für das gemeinsame Kind entzieht; „Lebenspartner“, also Konkubinate, in denen auf  Recht, Schutz und Würde durch die förmliche Ehe – meist für die Frau, aber auch mit Folgen für die Kinder –  verzichtet wird[28]; physische Strafen wie HIV, Hepatitis, Geschlechtskrankheiten, die als Leiden beschönigt werden; psychische Schädigungen bei Erwachsenen und nicht zuletzt die unabsehbaren folgenreichen Störungen bei Kindern in den Entwicklungsjahren u. a. m.[29]

In dem allen hätten die Amtsträger der Kirche ihr Wächteramt wahrzunehmen (Hes 3, 17-21;33, 7-20) und die ganze Gemeinde die Vorbildlichkeit ihrer Lebensführung (Mat 5,13-20). Gerade bei diesem Lebenszeugnis geht es, zumal für Amtsträger, nicht darum, sich herrschenden Verhaltens- und Lebensweisen anzupassen, sondern die gute Ordnung und das heilsame Recht Gottes gerade auch für die Außenstehenden zu bezeugen (1 Tim 3, 7).

6. Wo Christus ist, da ist auch der Antichrist am Werk.

Das ist im Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche sogar ein unübersehbares Zeichen für das Vorhandensein von Kirche und von der Wirkung des Wortes Gottes. Das ist auch in unserer Zeit zu erkennen: So Luther: „Wo also Wort und Sakrament in rechter Weise bleiben, da ist die heilige Kirche, ganz gleich, selbst wenn der Antichrist dort herrscht.“[30]

Entscheidungen – Scheidungen:

Der schlimmste Fehler in kirchlicher Verkündigung und Unterweisung geschieht dann, wenn an die Stelle der Rechtfertigung des Sünders durch Umkehr, Buße und Vergebung eine Rechtfertigung der Sünde durch Umdeutung oder Aufhebung der heiligen, klaren und unveränderlichen Gebote Gottes tritt. Vom Herrn ist das Auftreten des Antichrists sowie der Irrlehrer und Lügenpropheten als Zeichen der Endzeit angesagt (Mark 13 pp; 2 Tim 3, 1-9). Wir erfahren aber auch (z. B.: Jer 7, 18 ff; 44, 15 ff; Hes 13 u. a.), wie falsche Propheten und Prophetinnen in der Geschichte des Alten Bundes ihr Unwesen treiben, indem sie ihre eigenen Worte und Träume als Gottes Wort ausgeben, indem sie sich den Fruchtbarkeits- und Sexualkulten von Baal und Astarte bis hin zu Menschenopfern der umliegenden Völker anschließen (3 Mos 18; 20, 2-5; 2 Kön 23; Jer 32, 26-35) und vieles anderes mehr, was uns auch in unserer Zeit begegnet. Es ist ein unübersehbares Zeichen für die Wirkung des Wortes Gottes, dass die Schriften des Alten Bundes genau auf die Missstände gerichtet sind, die wir heute vor Augen haben. Durchgehend handelt es sich damals wie heute darum, dass Gottes Wort durch Menschenworte aufgehoben und ersetzt wird.

In aller Deutlichkeit werden 2 Thess 2 dafür die Augen geöffnet: „Der Mensch der Bosheit“ – in genauer Übersetzung: „der Mensch der Gesetzlosigkeit“: „Er ist der Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott. Erinnert ihr euch nicht daran, dass ich euch dies sagte, als ich noch bei euch war? Und ihr wisst, was ihn noch aufhält, bis er offenbart wird zu seiner Zeit. Denn es regt sich schon das Geheimnis der Bosheit; nur muss der, der es jetzt noch aufhält, weggetan werden, und dann wird der Böse offenbart werden. Ihn wird der Herr Jesus umbringen mit dem Hauch seines Mundes und wird ihm ein Ende machen durch seine Erscheinung, wenn er kommt.  Der Böse aber wird in der Macht des Satans auftreten mit großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern und mit jeglicher Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden. Darum sendet ihnen Gott die Macht der Verführung, so dass sie der Lüge glauben, damit gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Lust hatten an der Ungerechtigkeit“ (2 Thess 2, 4-12).

7. Gottes Gnade im Gericht: „Herr, du bist gerecht, und alle deine Gerichte sind lauter Güte und Treue“ (Tob 3, 2).

Durch sein Wort offenbart uns der Dreieinige Gott den Grund der Welt und ihrer Ordnung. Gott ist ebenso Herr über die Geschichte und alles, was darin geschieht: „Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der Herr, der dies alles tut“ (Jes 45, 6-7). „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht annehmen?“ (Hi 2, 10).

So führt uns Gottes Wort zum Gebet, indem darin die erfahrene Wirklichkeit unseres Lebens aufgenommen und vor Gott gebracht wird. Dazu werden wir durch die Psalmen angeleitet.

Entscheidungen – Scheidungen:

Es ist eine natürliche Reaktion von uns Menschen allen, allem auszuweichen und alles zu verdrängen, was irgendwie mit Gericht und Strafe Gottes zu tun hat. Doch gerade darin manifestiert sich unsere Begegnung mit Gott und unser Verhältnis zu ihm, nämlich eine natürliche Gottesfurcht. Außerdem zeigt sich aber auch das krampfhafte Bemühen, dass man sich selbst einen Gott nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen macht, so wie Aaron unter dem Druck des Volkes ein „goldenes Kalb“ machte (2 Mos 32), für das man alle Wertgegenstände opferte, um etwas Greifbares und Anschauliches zu bekommen, das – zumal in einer Wüste – die Volksgemeinschaft verbindet und trägt. Wir Menschen brauchen etwas, was Richtung, Halt und Zusammenhalt bietet. Das ist für jeden Menschen und für jede menschliche Gemeinschaft eine elementare Notwendigkeit. Auf diese Weise wird die Widrigkeit unserer Lebenswirklichkeit, wenn nicht aufgehoben, so doch verdeckt. Religion wäre demnach eine Erfüllung von unerfüllten Herzenswünschen, wie das Ludwig Feuerbach (1804-1872) formulierte, oder, marxistisch, „Opium des Volkes“.

Gottes Wort, die Heilige Schrift, jedoch bezeugt von Anfang bis Ende, dass wir keineswegs einen nur lieben und barmherzigen Gott haben, sondern Gottes Gerechtigkeit zeigt sich gerade darin, dass er als Richter sowohl Strafe wie Gnade austeilen kann. Der Maßstab dafür sind seine unveränderlichen Gebote (z. B. 2 Mos 20, 5-6).

Diese Erkenntnis von Segen und Fluch (5 Mos27-28), von Gnade und Gericht ist jedoch keine leere Theorie oder Weltanschauung, sondern darin vollzieht sich ganz unmittelbar, aber auch unausweichlich die Wirkung von Gottes Wort und Handeln. D. h., man kann dieses durchgehende Zeugnis von Gottes Handeln an seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen verdrängen und verschweigen; doch man kann es nicht beseitigen. Denn gerade wo und wenn es verschwiegen wird, vollzieht sich unweigerlich das Gericht Gottes: „Deine Propheten haben dir trügerische und törichte Gesichte verkündet und dir deine Schuld nicht offenbart, wodurch sie dein Geschick abgewandt hätten, sondern sie haben dich Worte hören lassen, die Trug waren und dich verführten“ (Klgl 2, 14). Gott leitet uns in seinem Wort an, die Wirklichkeit dieser Welt und die Erfahrungen unseres Lebens nicht nur zu verstehen, sondern auch zu bestehen.

Ist es nicht auffallend, wie im Alten Testament die Verkündigung der Propheten durchgehend in Gericht und Gnade, in Segen / Lohn und Strafe sowohl für die Völker der Welt wie auch für den einzelnen Menschen besteht? Es zeigt sich dabei aber auch, wie diese Propheten wegen ihrer Verkündigung verfolgt, vertrieben und sogar getötet werden, doch ihre Worte sind bis heute erhalten und sprechen zu uns. Die Heilspropheten haben immer den größeren Zulauf (vgl. 5. Mos 18, 9 ff; Jes 28, 7 ff; Jer 7; 15, 10 ff; 23; 19; 28; Am 7, 10 ff u.a. m.). So hören wir auch die Klage des Propheten: „Ach, mit wem soll ich noch reden, und wem soll ich Zeugnis geben? Dass doch jemand hören wollte! Aber ihr Ohr ist unbeschnitten; sie können’s nicht hören. Siehe, sie halten des HERRN Wort für Spott und wollen es nicht haben“ (Jer 6, 10). So vollzieht sich, ob wir das wollen oder nicht, ob wir das predigen oder verschweigen, das Gericht und die Strafen Gottes in unserer Welt und Geschichte.

Das Evangelium Jesu Christi aber ist die Verkündigung: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Mark 1, 15). Damit ist Gericht und Strafe Gottes nicht beseitigt, wohl aber aufgehoben: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn“ (Jes 53, 4-6). Die Größe der Gnade Gottes wird überhaupt erst verständlich, wenn das erkennen und empfangen, was uns durch den Sohn Gottes geschenkt wird.

8. „Der Geist der Bourgeoisie gewinnt immer dann die Oberhand unter Christen, wenn die irdische Stadt mit der himmlischen verwechselt wird und wenn Christen sich nicht mehr als Pilger in der Welt erfahren“[31].

Entscheidungen – Scheidungen:

Der Tag des Herrn ist das uns im Alten wie im Neuen Testament angekündigte Ziel und Ende der Geschichte mit dem Zusammenbrechen von Himmel und Erde (2 Petr 3, 10). Christus wird wieder erscheinen als Richter über Lebende und Tote. Geschichte im Licht des Wortes Gottes ist daher nicht eine Fortentwicklung der Menschheit durch Emanzipation und Selbstbestimmung. Die wahre Kirche hat vom Herrn den Auftrag, das Evangelium, die frohe Botschaft von Umkehr und Rettung aus dem kommenden Gericht aller Welt zu verkündigen.

In der Erwartung eines Endgerichts mit der Wiederkunft eines Messias stimmen die drei großen Religionsgemeinschaften Juden, Christen, Moslems, überein, selbst wenn sie Jesus Christus, den Sohn Gottes, nicht anerkennen. Sie stimmen auch im Wesentlichen überein in den göttlichen Geboten als Kriterium für die Gerichtsentscheidung. Hier hätte ein sinnvolles Gespräch zwischen den Religionsgemeinschaften einzusetzen. Wenn der Messias als Richter und Retter kommt, werden alle Menschen, lebende und tote, ihn erblicken, und er wird die Seinen zu sich nehmen in seine   himmlische Herrlichkeit (Joh 19, 37; Sa 1, 2, 10; Offb 1, 7).

Wenn die Kirche sich um eine Anpassung an die Welt bemüht, hat sie ihren Auftrag, der aller Welt und allen Menschen gilt, verfehlt und ihr göttliches Wesen verleugnet. Sie wird zu einer gesellschaftspolitischen Einrichtung, die ihren Nutzen und vor allem ihre Anerkennung in der Öffentlichkeit sucht. Als „Salz der Erde, Licht der Welt und Stadt auf dem Berge“ (Mat 5, 13 f) taugt und wirkt sie dann nicht mehr (Luk 14, 33-25).

9. Die Kirche hat weder Auftrag noch Möglichkeit, das Reich Gottes und das durch menschliche Schuld verlorene Paradies auf Erden wiederherzustellen.

Wohl aber hat sie den Auftrag, alle Welt auf das kommende Gericht über Lebende und Tote durch die Verkündigung des Evangeliums im Glaubensgehorsam gegenüber Jesus Christus, den Richter und Retter aller Menschen, vorzubereiten.

 „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13, 14).

„Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald. – Amen, ja, komm, Herr Jesus!

Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!“ (Offbg 22, 20f)

Eine Ermahnung Luthers zum Reformationsjubiläum:

„…Das sollt ihr aber tun: Ihn sollt ihr heiligen, das ist, heilig halten und preisen, welches ist nichts anderes, denn seinem Wort glauben, dass ihr an ihm wahrhaftig solchen Gott habt, der euch, so ihr um Gerechtigkeit willen leidet, nicht vergessen noch verlassen habe, sondern euch gnädiglich ansehe und gedenke selbst zu helfen und an euren Feinden zu rächen. Denn solcher Glaube und Bekenntnis tut ihm die Ehre, dass er wahrhaftiger Gott ist, und kann ihn tröstlich und fröhlich anrufen, von ihm Hilfe erwarten und alle sein Herz auf ihn wohl zufrieden stellen; denn er weiß, dass sein Wort und Verheißung als die gewisse Wahrheit nicht trügen noch fehlen kann.

Dagegen die anderen, so nicht glauben, die können auch Gott nicht heiligen noch ihm Ehre tun, die ihm als Gott gebührt, ob sie schon viel von Gott rühmen und großen Gottesdienst vorgeben. Denn sie Gottes Wort nicht für wahr halten, sondern immer im Zweifel bleiben und denken (wenn sie etwas leiden sollen), sie seien gar von Gott vergessen und verlassen. Darum murren und zürnen sie mit großer Ungeduld und Ungehorsam wider Gott, fahren darob zu und wollen sich selbst durch eigene Gewalt schützen und rächen. Damit geben sie sich selbst an den Tag, dass sie sind solche Leute, die da wahrhaftig keinen Gott haben noch wissen…“[32]

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D.D., Erlangen im Januar 2017

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[1] Dieser Text fasst zusammen, was ich in letzter Zeit in verschiedenen Texten und an verschiedenen Orten im Hinblick auf das Reformationsjubiläum behandelt habe.

[2] WA 56, 441, ff.

[3] Johann Olearius (1611-1684). EG 197, 2.

[4] Die Lutherzitate sind sprachlich geglättet bzw. aus dem Lateinischen übersetzt.

[5] WA TR 2, 287, 21-28.

[6] WA 3, 397, 9-11. Erste Psalmenvorlesung 1513-1516.

[7] WA  30, III, 213, 34: Von Ehesachen 1530.

[8] Gr. Katechismus, zum 1. Gebot. BSLK 570, 13.

[9] WA 42, 120, 36 f.

[10] Martin Luther, Assertio omnium articulorum 1520. WA 7, 98, 40-99, 2.

[11] WA 12, 362, 17-29. Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt. 1523.

[12] Kl. Katechismus. 3. Hauptstück, Das Vaterunser, 1. Bitte.

[13] Martin Luther, Kleiner Katechismus, 3. Hauptstück, Das Vaterunser, erste Bitte.

[14] WA DB 7, 11, 6 ff. Vorrede zum Römerbrief.

[15] So die Behauptung im „Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. ’Rechtfertigung und Freiheit‘“ vom Mai 2014. 37.

[16] Kl. Katechismus. Vaterunser. Anrede.

[17] Gr. Katechismus. Auslegung des 1. Gebots.

[18] So in dem deutschen “allgemeinen Gleichstellungsgesetz“ vom 14, 8. 2006.

[19] Daher wird in Artikel 1 der Confessio Augustana ausdrücklich betont: „…dass ein einig göttlich Wesen sei, welchs genannt wird und wahrhaftiglich ist Gott…“: Der Name Gottes ist Gott selbst, nicht also eine Theologenerfindung oder Zeiterscheinung!

[20] Martin Luther, Kl. Katechismus, Vorrede (BSLK 505, 23-28)

[21] Barmer Theologische Erklärung 1934, These 1.

[22] Da es hier nicht um einzelne Personen geht, sondern um die zu jeder Kirche und jeder Zeit auftretende Erscheinung von falscher Kirche und Lehre in der Kirche, wird ausdrücklich auf eine Personalisierung mit Quellenangaben verzichtet. Für jede Aussage sind jedoch die Belege vorhanden. Das Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche ist Kennzeichen von Kirche.

[23] Die blinde Wiederholung kirchenamtlicher Fehlentscheidungen ist schon erschütternd: Bei dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 (Arierparagraf) war keine Übernahme des staatlichen Gesetzes von den Kirchen gefordert worden. Die Marburger wie auch die Erlanger Theologische Fakultät hatten in ihren Gutachten auch ausdrücklich davor gewarnt. Gleichwohl folgten die Generalsynode der altpreußischen Union sowie die Synoden von Braunschweig, Sachsen, Lübeck und Hessen-Nassau eilfertig und ohne jeden Zwang der gesellschaftspolitischen Bewegung der Zeit.

Die Forderungen des „Gender Mainstreaming“ mit dem „Allgemeinen Gleichstellungsgesetz“ (Antidiskriminierungsgesetz) vom 14. August 2006 wurden von der EKD mit allen Landeskirchen und unter Mitwirkung aller Theologischen Fakultäten übernommen, obwohl bei diesem für das Arbeitsrecht geltenden Gesetz sogar ausdrücklich (§§ 8 und 20, 4) „eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion und Weltanschauung“ vorgesehen ist. Wenn es früher noch „intakte Landeskirchen“ und verantwortliche Fakultäten gab, so ist davon heute offenbar nichts mehr wahrzunehmen: Man folgt ohne Zwang dem, was als gesellschaftlicher Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit angesehen wird.

[24] Dies ist bei osteuropäischen Kirchen zu beobachten. Sie haben unter der Sowjetherrschaft das Martyrium überstanden; heute werden sie vom Meinungszwang aus Schwesterkirchen einer Wohlstandsgesellschaft unterdrückt, indem ihnen notwendige und zugesagte Finanzhilfen entzogen werden, wenn sie sich den gesellschaftspolitischen Forderungen etwa der Frauenordination bzw. der Segnung homosexueller Partnerschaften deshalb verweigern, weil sie dem Wort Gottes widersprechen.

[25] Chr. M. Wieland (1733-1813 – ein Aufklärungsphilosoph!!), Geschichte der Abderiten. Reclam 331. Stuttgart 1958. S. 347.

[26] WA 12, 509, 12-14. Predigt am 3. Ostertag 7. 4. 1523 Luk 24, 36 ff

[27] Was auf diesem Gebiet als wissenschaftliche Erkenntnis behauptet und verbreitet wird, ist bei näherem Zusehen in der Regel eine Selbstrechtfertigung von eigenen Formen von Triebbefriedigung, z. B. Magnus Hirschfeld, Wilhelm Reich, Alfred C. Kinsey.

[28] Die christliche Kirche hat von Anfang an Konkubinate als volle Ehe angesehen und daher deren Auflösung als Ehebruch. Dazu: R. Slenczka, Aufklärung zur Ehe: Theologische Stellungnahme zur Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland: ‚Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässlich Gemeinschaft stärken‘ (Gütersloh 2013). In: Neues und Altes Bd. 4. Neuendettelsau 2016. 375-399.

[29] Kann man eigentlich noch übersehen, dass in unserer Gesellschaft ein Zustand eingetreten ist, wovor Papst Paul VI.in seiner (Pillen-) Enzyklika „Humanae Vitae“ vom 25. Juli 1968 gewarnt hat: „Man kann die Befürchtung haben, dass der Mann, wenn er sich an die Anwendung empfängnisverhütender Mittel gewöhnt, damit endet, dass er die Achtung vor der Frau verliert und, ohne sich weiter um ihr physisches und psychologisches Gleichgewicht Sorge zu machen, dahin verirrt, sie einfach als Werkzeug selbstsüchtiger Befriedigung und nicht mehr als eine Gefährtin zu betrachten, der er Achtung und Liebe schuldet“.

[30] WA 40, I, 71, 21-23.

[31] N. A. Berdjaev (1874-1948); Carstvo Božie i carstvo kesarija (Das Reich Gottes und das Reich des Kaisers) Putj 1, 1925. 53.

[32] Martin Luther, Predigt über 1 Petr 3, 8-15. WA 22, 73, 10-29.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 26. Januar 2017 um 15:47 und abgelegt unter Kirche, Theologie.