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Kein Platz in der Herberge?

Ja, eigentlich haben die beiden schon Platz in der Herberge. Die beiden Männer aus dem Iran wurden zusammen mit 80 andern Flüchtlingen in das leer stehende Gebäude der ehemaligen Grundschule eingewiesen. Statt Schultischen stehen Stockbetten in den Klassenzimmern. Nicht mehr die Unterrichtssprache hoch-schwäbisch erklingt im Haus, sondern eher afghanisches und afrikanisches Palaver. Ein türkischer Sicherheitsmann sitzt an der Eingangstür. Alles gut organisiert. Trotzdem will der Mann aus Isfahan raus. Er hält den Lärmpegel im Schlafsaal nicht aus. Fürs Sprachenlernen braucht er einen klaren Kopf. Seine leichten Depressionen belasten ihn schon genug. Der andere Bewohner aus Teheran will raus, weil er Probleme bekommen hat mit den muslimischen Mitbewohnern. Sie haben herausgefunden, dass er im Juli in unserer Kirche getauft wurde. Die Drohungen sind so massiv, dass er sich nicht mehr im Schulgebäude zu übernachten getraut.

Zufällig wurde eine 1-Zimmer-Wohnung in unserem evangelischen Gemeindehaus frei. Der Vorschlag, den beiden Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren, stieß auf große Vorbehalte. Vielleicht machen sie offenes Feuer in der Wohnung? Ob sie die schwäbische Kehrwoche fachmännisch durchführen? Jeden Sonntag sind die beiden im Gottesdienst anzutreffen. Einmal pro Woche studieren sie beim Glaubenskurs mit mir die Bibel. Ihnen einen Mietvertrag geben, der es vielleicht unmöglich macht, sie rasch wieder loszuwerden? Hochproblematisch! Das Landratsamt hat sich den Vertrag angeschaut und ist einverstanden. Die Miete ist von der Flüchtlingsstelle fest zugesagt. Nach harter Diskussion und knapper Abstimmung hat sich die Kirchengemeinde doch dazu durchgerungen, die beiden Fremdlinge aufzunehmen. Nach langer Zeit werden sie Weihnachten wieder einmal in den eigenen vier Wänden erleben. Der Freund mit dem Problem Depression, den man selten lächeln sah, steht  mit einem Strahlen im Gesicht in der Mini-Wohnung und hört nicht auf, sich zu bedanken.

Jesus hat es wieder einmal schwer mit uns. Nicht nur damals hatten sie keinen Platz für ihn in der Herberge. Auch heute sind die Herzen verbarrikadiert – wenn es praktisch wird. Wenn der Herr uns ein paar junge Männer vor die Haustür stellt, die seltsamerweise keinen größeren Wunsch haben als den, die Botschaft vom Bethlehem-Kind genauer kennenzulernen. So anders als die meisten jungen Europäer! „Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind?“ (Jak 2,5) Dann aber, „meine Kinder, lasst uns nicht lieben mit den Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“ (1. Joh 3,18). Viele Mitchristen beherzigen das. Sie geben sich Mühe um das Asylanten-Café, den Deutschunterricht und den Glaubenskurs. Andere können an dieser Herausforderung noch wachsen und mutiger darin werden, die Türen zu öffnen. Insbesondere für solche, die anklopfen und Christus suchen. Was können wie dazu beitragen, dass einer dieser geringsten Brüder an Weihnachten 2016 die Liebe Gottes spürt?

Pfr. Dr. Tobias Eißler, Ostfildern-Ruit

Quelle: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes, Dezember 2016 (3/2016)

Der Aufbruch erscheint 2-3 Mal jährlich und kann kostenlos abonniert werden. Bestellungen bitte an die Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes, Mühlenstr. 42, 29664 Walsrode, 05161/911330, info@gemeindehilfsbund.de.