Theologische Gründe gegen den Beschluss der badischen Landessynode vom 23. April 2016
Freitag 25. November 2016 von Dr. Werner Neuer
6 Thesen von Pfarrer Dr. Werner Neuer (Schallbach)1
1. Da für die Kirche Jesu Christi insgesamt und die Kirchen der Reformation (zu denen sich die badische Kirche zählt) in besonderer Weise die Bibel das Fundament und die Norm aller kirchlichen Lehre ist, ist die Stellung der Bibel auch zur praktizierten Homosexualität ausschlaggebend. Die Heilige Schrift aber lehnt ausgelebte Homosexualität eindeutig, einhellig und entschieden ab. Dazu nur einige Hinweise:
a. Es gibt keine einzige Bibelstelle, die praktizierte Homosexualität bejaht.
b. Dass praktizierte Homosexualität nirgendwo bejaht wird, hat seinen Grund in einer eindeutigen und ausdrücklichen Verwerfung homosexuellen Verhaltens (v.a. Röm 1, 26f., aber auch 1 Kor 6,9f., 1 Tim 1,10, Lev 18,22 u.a.).
c. Der im NT genannte Grund für die Verwerflichkeit praktizierter Homosexualität ist, dass sie dem Schöpferwillen Gottes widerspricht. Sie ist nach dem Apostel Paulus [Röm 1,26] „gegen die Natur“ [als Ausdruck des Schöpferwillens Gottes].
d. Das apostolische Nein zur Homosexualität entspricht ganz der schon im AT geoffenbarten gesamtbiblischen Anthropologie (vgl. v.a. Gen 1–3) und damit dem christlich-jüdischen Menschenbild: Die Bibel bekennt sich schon im AT eindeutig zum ergänzenden Gegenüber und Miteinander von Mann und Frau und zur prokreativen, d.h. auf Fortpflanzung angelegten Zweigeschlechtlichkeit des Menschen. Daraus ergibt sich der besondere Rang von Ehe und Familie als alternativloser Schöpfungsordnung Gottes: Sie dienen in individueller und sozialer Hinsicht dem leib-seelischen Wohl des Menschen, dem biologischen Überleben und einer menschenwürdigen Zukunft im Sinne des dem Menschen anvertrauten Kulturauftrages. Um die maßgeblichen Schriftstellen in Erinnerung zu rufen:
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ‚Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan …‘“ Gen (1,27f.) „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch“ (Gen 2,24). Die hier zum Ausdruck kommende einzigartige Sonderstellung der Zweigeschlechtlichkeit, der Ehe und der Familie macht deutlich: Die Behauptung der badischen Landessynode, dass „verantwortlich vor Gott“ gelebte „verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Liebe, Sexualität und Partnerschaft“ gleichwertig seien, widerspricht nicht nur dem biblischen Ethos, sondern auch dem biblischen Verständnis von Zweigeschlechtlichkeit, Ehe und Familie als zum Wohle des Menschen eingerichteten Stiftungen Gottes des Schöpfers!
e. Die von manchen Theologen vorgebrachten Versuche, die biblischen Stellen zur Homosexualität als nur gesellschaftlich und kulturell bedingt zu relativieren, sind m.E. nicht überzeugend. Dies wiegt umso schwerer, als die Beweislast in dieser Hinsicht ganz bei jenen Theologen liegt, die das traditionelle Verständnis der angeführten Bibelstellen bestreiten.
Aufgrund der genannten Hinweise (deren Entfaltung aus Zeitgründen leider nicht möglich ist) müssen wir das Fazit ziehen: Der badische Synodalbeschluss widerspricht in eklatanter Weise dem Menschenbild und der Ethik der Heiligen Schrift!
2. Das reformatorische Bekenntnis hält am biblischen Nein zur Homosexualität und am biblischen Ja zur Zweigeschlechtlichkeit des Menschen und zur Sonderstellung von Ehe und Familie als Schöpfungsordnung Gottes fest. Auch dazu nur folgende Hinweise:
a. Die KONKORDIENFORMEL bekundet die nicht nur lutherische, sondern gesamtevangelische Überzeugung: „Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einzige Regel und Richtschnur, nach der alle Lehren und Lehrer gleichermaßen eingeschätzt und beurteilt werden sollen, allein die prophetischen und apostolischen Schriften des Alten und Neuen Testaments sind … .“ Mit dieser Feststellung bekennt sich die Reformation indirekt auch zur biblischen Sicht der Homosexualität.
b. Zwar ist die Homosexualität (wie auch sonst im 16. Jh.) nicht explizites Thema in den reformatorischen Bekenntnischriften, wohl aber die der biblischen Wertung zugrundliegende Zweigeschlechtlichkeit des Menschen einschließlich der exklusiven Wertschätzung von Ehe und Familie als Schöpfungsordnung Gottes, die von den Bekenntnisschriften sehr breit und eindringlich entfaltet wird (vgl. dazu v.a. Luthers KLEINEN KATECHISMUS, die CONFESSIO AUGUSTANA und die APOLOGIE des badischen Reformators Melanchthon): Das reformatorische Bekenntnis bezeichnet die Ehe nicht nur als „weltliche Angelegenheit“, sondern als „der Natur von Gott eingestiftete“ „Ordnung“ (CA 23), als „Stiftung“ Gottes und sogar als „geistlicher“, „heiliger Stand“ (Kl Kat., Traubüchlein).2
Aus den reformatorischen Bekenntnisschriften kann man nur die Schlussfolgerung ziehen:
Der badische Synodalbeschluss hat sich weit vom reformatorischen Bekenntnis entfernt!
3. Die gesamtkirchliche Tradition hat die Homosexualität fast zwei Jahrtausende lang über die Konfessionsgrenzen hinweg einhellig im Sinne der Heiligen Schrift verworfen. Dieses Argument hat angesichts der Uneinigkeit der Christenheit in vielen Lehrfragen großes Gewicht und darf deshalb nicht als bloß „traditionalistischer“ Einwand relativiert werden, zumal sich die Kirche aufgrund der göttlichen Verheißung der bleibenden Gegenwart des Heiligen Geistes gewiss sein darf (Joh 16, 13).
4. Der Beschluss der badischen Landeskirche steht nicht nur im Gegensatz zur Schrift, zum reformatorischem Bekenntnis und zur gesamtkirchlichen Tradition (1.–3.), sondern auch im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit der ökumenischen Schwesterkirchen. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Badische Landeskirche trennt sich (trotz ihrer grundsätzlichen Bejahung der Ökumene!) in dieser anthropologischen und ethischen Grundfrage von der römischen Kirche, den orthodoxen Kirchen, den altorientalischen Kirchen und einem beträchtlichen Teil der protestantischen Kirchen und Freikirchen. Wenn man sich als Christ dem Vermächtnis Jesu im Hohenpriesterlichen Gebet verpflichtet weiß, dass alle Jünger eins sein sollen (Joh 17,21), kann man darin nur einen beklagenswerten ökumenischen Rückschritt sehen!
5. Der Beschluss der badischen Landessynode hat zu einer für bibel- und bekenntnisgebundene Christen außerordentlich ernsten Situation geführt: Es geht um nichts Geringeres als um die schmerzliche Einsicht, dass die badische Kirche ihr Kirchesein gefährdet, indem sie in einer wichtigen Lehrfrage das apostolische Zeugnis verneint: Denn die Kirche Jesu Christi, zu der sich die badische Landeskirche in ihrer Grundordnung zusammen mit den westlichen Kirchen und den orthodoxen Kirchen im NIZÄNISCHEN GLAUBENSBEKENNTNIS bekennt, versteht sich in ihrem unveränderlichen Wesen als „eine heilige, katholische (allgemeine) und apostolische Kirche“ [„una sancta catholica et apostolica ecclesia“). Von daher hatte der als Ökumeniker weltweit angesehene Theologe Wolfhart Pannenberg schon vor ca. 20 Jahren gewarnt:
„Die Kirche … kann nicht die Unterscheidung zwischen der Norm und dem davon abweichenden Verhalten aufgeben … eine Kirche, die sich dazu drängen ließe, homosexuelle Betätigung nicht mehr als Abweichung von der biblischen Norm zu behandeln und homosexuelle Lebensgemeinschaften als eine Form persönlicher Liebesgemeinschaft neben der Ehe anzuerkennen, eine solche Kirche stünde nicht mehr auf dem Boden der Schrift, sondern im Gegensatz zu deren einmütigem Zeugnis. Eine Kirche, die einen solchen Schritt tut, hätte darum aufgehört, evangelische Kirche in der Nachfolge der lutherischen Reformation zu sein.“3
Pannenbergs Warnung, dass ein Bruch mit dem biblischen Zeugnis das Kirchesein einer sich als „Kirche“ verstehenden Glaubensgemeinschaft gefährdet, wird man in reformatorischer Sicht nicht widersprechen können. Die badische Landeskirche sollte daher den mit dem Synodalbeschluss vollzogenen zwar nicht totalen, aber punktuellen Bruch mit der biblisch-apostolischen Lehre nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es steht nichts Geringeres als ihre Identität als christliche Kirche auf dem Spiel!
6. Was für Folgerungen sind angesichts dieser Situation zu ziehen?
a. Der beschriebene Konflikt kann angesichts der unzweideutig bezeugten Lehre der Bibel m.E. nicht gelöst werden durch einen theologischen Kompromiss, Schon die Logik verbietet es, die vom Synodalbeschluss behauptete Gleichwertigkeit von „verantwortlich vor Gott“ gelebter „verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Liebe, Sexualität und Partnerschaft“ anzuerkennen und gleichzeitig in Frage zu stellen oder zu bestreiten. Hier gibt es nur ein Entweder – Oder! Hier hilft auch nicht weiter, wenn beide Sicht- und Verhaltensweisen für sich „Verantwortlichkeit vor Gott“ in Anspruch nehmen: Wenn Gott den Menschen als zweigeschlechtliches Wesen geschaffen und damit zum ergänzenden Miteinander von Mann und Frau und zur heterosexuellen Liebe und Ehe bestimmt hat, kann praktizierte Homosexualität nicht als gleichwertig anerkannt werden. Dieser Einsicht muss jedes „verantwortlich vor Gott“ gelebte Verhalten Rechnung tragen!
b. Der Konflikt kann auch nicht gelöst werden durch den Austritt bibel- und bekenntnisgebundener Christen aus der badischen Landeskirche, zumal wenn diese sich zwar nicht mit dem Synodalbeschluss, aber nach wie vor mit der Bekenntnisgrundlage der badischen Kirche identifizieren können.
c. Wirklich gelöst werden kann der Konflikt nur durch die Rücknahme der synodalen Entscheidung! Wer dies aus sachlichen, persönlichen oder prozeduralen Gründen für unmöglich erklärt, stellt auch die Ökumenefähigkeit der badischen Landeskirche infrage! Wenn eine Rücknahme des Beschlusses aufgrund besserer Einsicht wirklich gewollt ist, kann dies jederzeit geschehen!
d. Bibel- und bekenntnisgebundene Christen (v.a. voll- oder ehrenamtliche Mitarbeiter unserer Landeskirche) werden von der Landeskirche den uneingeschränkten Schutz ihres an Gottes Wort gebundenen Gewissens erwarten müssen, da sie sich gewissensmäßig genötigt sehen, an den von der Synode beschlossenen sog. Trau- bzw. Segnungshandlungen nicht mitzuwirken. Die Erklärung von zwölf im Raum der badischen Landeskirche tätigen evangelischen Verbänden (CBB, PGB, AB-Verein u.a.), die von der Synode beschlossenen Amtshandlungen zu verweigern, ist theologisch nur konsequent und uneingeschränkt zu begrüßen. Die profilierten kritischen theologischen Texte, die sich schon jetzt auf der Website des „Netzwerkes evangelischer Christen in Baden“ befinden, dokumentieren, dass schon jetzt ein tiefer innerer Riss durch die Landeskirche geht.
e. Die entstandene schmerzliche Spannung gilt es, um Christi willen auszuhalten, bis die badische Landeskirche wieder zur apostolischen Wahrheit zurückkehrt. Dieser Spannungszustand darf aber – um der Wahrheit und der Liebe willen – nicht zu einem Dauerzustand werden! Niemand, der von der Realität des Heiligen Geistes überzeugt ist, wird eine solche Selbstkorrektur für „unmöglich“ erklären dürfen, da „bei Gott kein Ding unmöglich“ ist (Lk 1,37) und der Geist uns „in alle Wahrheit leitet“ (Joh 16,13).
f. Beide Seiten sollten allerdings jederzeit zum ernsthaften und respektvollen Gespräch mit anders denkenden Gliedern der Landeskirche bereit bleiben, ohne diesen den „wahren Glauben“ oder die „echte Liebe“ abzusprechen. Nur das glaubhafte Ringen um Gottes geoffenbarte Wahrheit und Liebe kann hier vereint mit der Bitte „Herr erbarme Dich“ geistlich weiterhelfen!
g. Beide Seiten sollten aufrichtig darauf bedacht sein, dass der Heilige Geist als Geist der Wahrheit und der Liebe uns und unserer Kirche jene Erneuerung schenken möge, die wir Menschen nicht machen können, die wir aber alle dringend benötigen:
O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an,
daß jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.
[EG 136,1]
Dr. Werner Neuer, Schallbach
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1 Vorgetragen am 18. November 2016 in Freiburg in einer Podiumsdiskussion mit der südbadischen Prälatin Dagmar Zobel.
2 Vgl. auch die Ausführungen in: Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Ausgabe für die Gemeinde, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, Gütersloh 2013. S. 83-85 [CA 27], 315–319 [AC 148f.].
3 W. Pannenberg, Beiträge zur Ethik, Göttingen 2004, S. 101.
Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 25. November 2016 um 10:11 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche, Sexualethik, Theologie.