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Völkermord ist nicht verhandelbar

Montag 5. September 2016 von Zentralrat der Armenier in Deutschland


Zentralrat der Armenier in Deutschland

Die Völkermord-Resolution des Bundestages vom 2. Juni 2016 hat für die in Deutschland lebenden Armenier nach über 100 Jahren das lang ersehnte Seelenheil gebracht – die Anerkennung der Würde der Millionen Opfer dieses Menschheitsverbrechens im Osmanischen Reich und historische Gerechtigkeit. So hat der Bundestag Hoffnungen geweckt, auch Deutschland werde der historischen Wahrheit endlich würdevoll begegnen können. Auch wenn die Bundeskanzlerin und der Außenminister der Abstimmung fern blieben, haben die Vertreter der Armenier gehofft, dass die parlamentarische Anerkennung des Völkermords in naher Zukunft, ähnlich wie in den anderen Europäischen Ländern, eine strafrechtliche Verfolgung der Leugner und eine entsprechende Auseinandersetzung in den Schulbüchern nach sich ziehen würde.

Der Völkermord an den Armeniern und an den anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich ist und bleibt eines der grausamen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die Aufarbeitung ist längst nicht abgeschlossen. Der Deutsche Bundestag und allen voran Bundespräsident Gauck beklagten im Vorfeld der Verabschiedung der Resolution unmissverständlich die Taten der jungtürkischen Regierung und vertraten die Position, dass das Gedenken an die Opfer der türkischen Tötungs- und Vertreibungsmaschinerie unter Berücksichtigung der deutschen Rolle als Angebot zur Vermittlung eines friedlichen Miteinanders dienen könnte. Die Resolution stellt dementsprechend detaillierte Handlungsaufforderungen an die Bundesregierung. Wann und in welcher Form diese Handlungsaufforderungen umgesetzt werden sollten, blieb hierbei offen.

Doch die große Enttäuschung für die Überlebenden und die Nachfahren der Opfer ließ nicht lange auf sich warten. Nur drei Monate nach Verabschiedung der Völkermord-Resolution stellt die Bundesregierung klar: dieser Text hat für sie keine Rechtsverbindlichkeit. Berlin führt ein Staatsschauspiel auf, das nicht nur die die Armenische Diaspora sondern auch Menschenrechtler weltweit zutiefst erschüttert. Schon bei der Abstimmung der Resolution selbst hat die Spitze der Bundesregierung jegliche Haltung vermissen lassen und sich hinter „anderen Terminen“ versteckt. Das hat sich nun wiederholt. Noch immer ist die Bundesregierung ganz offensichtlich nicht bereit, einen Völkermord, der unter deutscher Beobachtung und teilweise auch Mithilfe insgesamt über 3 Millionen Todesopfer gefordert hat, einen Völkermord zu nennen: diplomatische Rücksicht auf die Türkei und auf den Flüchtlingsdeal, den Europa mit der Türkei verabschiedet hat. Ist Völkermord also verhandelbar? Sieht die deutsche Regierung ihr Land in einer so schwachen Position, dass sie sich in die Knie zwingen lässt?

Völkermord ist Völkermord, und das ist unter keinen Umständen verhandelbar. „Der Schmerz und die Enttäuschung für uns Armenier sind entsprechend groß, denn ein weiteres Mal wurde auf dem Gedenken an unsere Vorfahren herumgetrampelt“. Würde Deutschland jemals die Anerkennung des Holocaust als bestehend einstufen, diese Anerkennung aber zugleich als rechtlich nicht verbindlich beschreiben? Die Antwort ist eindeutig Nein. Gott sei Dank. Warum geschieht aber genau das mit dem Völkermord an den Armeniern? Die Bundesregierung distanziert sich von der Völkermord-Resolution, ist aber feige genug, diese Distanzierung gegenüber der deutschen Öffentlichkeit und gegenüber dem Parlament dann doch nicht Distanzierung nennen zu wollen. Sie lenkt ab von der historischen Wahrheit und auch von der deutschen Mitschuld.

„Die Position der Bundesrepublik Deutschland ist für uns Armenier absolut unglaubwürdig“ so die Politikwissenschaftlerin Ani Smith-Dagesyan, Jugendbeauftragte der Zentralrats der Armenier in Deutschland (ZAD):„Denn auch wenn die Resolution faktisch rechtlich nicht bindend ist, ist sie eben doch eine verbindliche Standpunktbestimmung der demokratisch gewählten deutschen Volksvertreter und muss in Rahmen einer Demokratie selbstverständlich als eine Handlungsgrundlage der deutschen Außenpolitik betrachtet werden. Wenn die Regierung dies verweigert, kann man das nur als Missachtung des Parlaments bewerten, oder, deutlicher, als Betrug am Parlament. Diese Distanzierung ist schlichtweg eine Distanzierung von den eigenen demokratischen Werten “.

Mit ihrem zweideutigen Handeln zeige die Bundesregierung nicht nur, dass sie in dieser Frage nicht hinter dem Parlament stehe, sie offenbart auch gegenüber den Opfern und deren Nachfahren eine deutliche Immoralität und Taktlosigkeit. In der Resolution vom Juni dieses Jahres heißt es, der Bundestag bedauere die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, trotz eindeutiger Information über die Vernichtung der Armenier diese Verbrechen nicht gestoppt zu haben. Das Gedenken sei ein Ausdruck des Respekts… Aber hatte diese Formulierung jemals eine ernst zu nehmende Bedeutung? Heute müssen wir daran zweifeln. Für solche Passagen haben der ZAD und zahlreiche andere Organisationen und Persönlichkeiten lange gekämpft, für solche Formulierungen haben mehrere Abgeordnete Morddrohungen aus türkischen Lobbyorganisationen bekommen.

Deutsche Medien haben die Distanzierung der Regierung von der Völkermord-Resolution überwiegend sehr kritisch bewertet. Aus der „Distanzierung von der Distanzierung“ ist dann so etwas wie eine „Distanzierung, die nicht Distanzierung heißen darf“ entstanden. Noch eindeutiger die Bewertung durch die auf Regierungskurs gezwungene türkische Presse.„Hürriyet“ beispielsweise sieht in den Aussagen der Bundesregierung ein klares Signal in Richtung Ankara. In Berlin wurde jetzt ganz offensichtlich das ausgesprochen, was hinter den Kulissen längst verhandelt worden war: eine Distanzierung, die in der Türkei als Distanzierung ankommt, doch in Deutschland nicht so wahrgenommen werden sollte. Es ging darum, der türkischen Forderung nach einem symbolischen Akt der Bundesregierung nachzukommen, um auf diese Weise Bundestagsabgeordneten das – ohnehin selbstverständliche – Besuchsrecht auf dem türkischen Stützpunkt Incirlik zu gewähren. Eine solche Unterwerfungsgeste hat ihren Preis. Die Türkei begrüßt die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag und fühlt sich zu recht bestärkt in ihrer traditionellen Position, den Völkermord zu leugnen und die Opfer damit zu diffamieren und zu traumatisieren.

Für die Mehrheit der Armenier, aber ebenso für deutsche Demokraten ist dieses Verhalten eine Bankrotterklärung der Bundesregierung und rüttelt an den unveräußerlichen Grundwerten unserer Gesellschaft. Anstatt der Türkei deutlich zu machen, dass eine Relativierung der historischen Schuld keinesfalls toleriert werden darf, wird Deutschland nun durch den Flüchtlingspakt erpressbar. Deutschland ignoriert die wachsenden Gefahren einer Despotie in Bosporus. So stärkt man die Grundlagen eines totalitären Systems, das die eigene Geschichte umschreibt, bis heute eine Vernichtungspolitik gegen ethnische/religiöse Minderheiten betreibt, demokratische Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit ignoriert – und doch sich international durchsetzen vermag.
 
Vorstand des Zentralrats der Armenier in Deutschland e.V.

5. September 2016
Frankfurt am Main

 Zentralrat der Armenier in Deutschland e.V.   Postfach 703040, 60567 Frankfurt am Main
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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 5. September 2016 um 12:53 und abgelegt unter Christentum weltweit, Gesellschaft / Politik.